Kapitel 1
Lionatras
Die hässlichen Fratzen der Monster starrten mich verhöhnend vom Kaminsims aus an. Der Feuerschein erleuchtete flackernd den großen Raum und füllte ihn mit dem Duft von Kiefernharz. Es war später Abend. Ich saß mit meiner Familie zusammen an der langen Tafel um Familienrat zu halten. Es ging ausnahmsweise einmal um mich – Nur dass ich von dem Thema überhaupt nichts wissen wollte. Es ging um meine Hochzeit.
Ich bin der jüngste Sohn und das zweitjüngste Kind des großen Königs Freldon und werde in wenigen Monden das heiratsfähige Alter von 16 Jahren erreichen. Und jetzt wollen mich meine Eltern auch noch an eine stumpfsinnige, fette Prinzessin aus den westlichen Prärien vermitteln. Bloß das, was sie wollen, ist nun mal überhaupt nicht das was ich will. Wie üblich stehen meine großen Brüder Rukim und Silmor auf der Seite meiner Eltern und lediglich der jüngste meiner älteren Bruder Kaldes hält zu mir und verteidigt mich.
Meine kleine Schwester Ellionie hingegen sitzt wie immer hibbelig rechts von mir am Tisch und versucht mit aller Macht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich wünschte heute würde es ein mal, wie doch sonst immer, funktionieren und meine Eltern würden das Thema einfach vergessen. Aber scheinbar war mir das Schicksal heute nicht gewogen, denn es ging weiter um mich.
Ich habe das Gefühl, dass ich das einzige ungeplante Kind bin und sie mich einfach nur loswerden wollen. Der Antrag aus den Westlanden scheint ihnen da gerade recht zu kommen. Alle anderen werden verhätschelt, besonders Ellionie, der meine Mutter versucht jeden Wunsch auch nur von den Lippen abzulesen. Ich merke bei mir keinen Deut dieser Hingabe.
»Seht ihn euch doch an! Er ist doch fast noch ein Kind! Und ihr wollt ihn verheiraten? Habt ihr Frella von Sturmtal denn überhaupt schon einmal gesehen? Von so jemandem wollt ihr keine Enkelkinder!« warf Kaldes in diesem Moment ein. »Außerdem gehört es sich nicht seine Söhne zu verheiraten.«
Im Normalfall würde ich es ihm übelnehmen, dass er mich als ein Kind bezeichnet, aber heute machte ich mal eine Ausnahme und war einfach nur froh, dass er auf meiner Seite stand.
Meine Mutter bedachte ihn mit einem eisigen Blick und fixierte mich dann.
Aus dem rechten Augenwinkel sah ich, wie trotzig eine Schüssel mit Spinat an die Wand gepfeffert wurde. Niemand beachtete es.
»Oh, ich denke sehr wohl, dass er schon so weit ist. Schließlich schaut er den jungen Damen unten auf dem Hof auch schon immer nach.«
Das Aussehen von meiner „Zukünftigen Frau“ überging sie einfach. Oha. Dann war es wohl wirklich so schlimm, wie man es sich immer erzählte. Und, dass sie mich verheiraten wollten, war nun wirklich unfair. Alle anderen durften sich frei entscheiden. Alles in mir sträubte sich einfach dagegen.
»Mutter! Das ist nicht wahr! Und selbst wenn es so wäre, was unterscheidet mich in dem Punkt von allen anderen Jungs am Hof die auch nicht verheiratet werden müssen?«
»Du bist ein Sohn des Königs! Wenn wir dich nicht vermittelt bekommen, was würde das dann für ein Licht auf…«
In dem Moment räusperte sich mein Vater, der bis jetzt zusammengesunken in seinem Stuhl gesessen hatte, nun aber aufrecht am Tisch saß und mich aus seinen traurigen und scheinbar allwissenden Augen ansah. Man munkelt, er habe schon viel Schreckliches erlebt, aber dennoch, oder vielleicht gerade deshalb ist er ein gutmütiger und beliebter Herrscher. Meine Mutter unterbrach ihr Gezänke sofort und überließ ihm das Wort.
Mein Vater war immer gut zu mir gewesen. So erhoffte ich mir auch in diesem Moment seine Hilfe.
»Weißt du, schwierige Zeiten erfordern häufig schwierige Dinge. Und wir haben gerade sehr schwere Zeiten vor uns. Die Monster scheinen sich für den Krieg zusammen zu rotten und zu rüsten. Wenn sie erst einmal angreifen, dann brauchen wir jede Unterstützung, die wir bekommen können. Und Hochzeiten schmieden nun mal sehr enge Bande zwischen den Königreichen. Du darfst es nicht persönlich nehmen. Du bist eben mein einziger Sohn in Frellas Alter und so bin ich gewillt dein geistiges Wohl schweren Herzens gegen das Wohl der gesamten Königreiche aufzugeben. Und ein starkes Bündnis mit den Sturmtalern bietet sich besonders an, da sie die größte kriegerische Streitmacht haben.«
Was er da sagte war zugleich schockierend als auch einleuchtend, aber so leicht ließ ich mich nicht abwimmeln.
»Aber du könntest doch genau so gut Silmor oder Kaldes verheiraten. Viellecht sogar Rukim, obwohl er schon Frau und Kinder hat. Oder du wartest noch bis Ellionie alt genug ist. Wenn du mich ohne …«
»Du weißt, dass das nicht geht. Ich brauche sie allesamt hier bei mir. Und ich habe nicht die Zeit zu warten, bis Elli alt genug ist.« Erwiderte er.
»Ach, und ich werde hier etwa nicht gebraucht?« Langsam wurde es mir zu blöd.
»Nicht so wie ich deine Brüder brauche. Ich genieße das Zusammenleben mit dir hier. Wirklich. Aber du erfüllst nun mal noch nicht die gleichen Pflichten und Tätigkeiten wie deine Brüder. Also tu deinem Vater und damit dem gesamten Königreich einen Gefallen und lasse dich verheiraten, es ist zum Wohle aller hier. Und lass dir versichert sein: Es ist der größte Gefallen, um den ich dich jemals bitten werde.«
Ab diesem Moment war mein Vater bei mir unten durch.
»Ja, genau! So erfüllst du so wenigstens irgendeinen Zweck, anstatt dich nur durchfüttern und verwöhnen zu lassen!«
Diese Neckerei von Silmor gab mir endgültig den Rest und ich stand so schnell auf, dass mein Stuhl umkippte. Trotzig reckte ich mein Kinn und starrte Silmor wütend an.
»Nein.«
Jetzt stand auch mein Vater auf. Einige Zornesfalten durchzogen sein Gesicht und er stützte die geballten Fäuste auf die Tischplatte.
»Oh doch. Ob du willst oder nicht. In zwei Monden kommt Frella mit ihrer Mutter um dich kennen zu lernen. Es ist schon alles in die Wege geleitet.«
»Komm schon Lio, denk doch mal an all die anderen die sterben werden, wenn du nicht…« begann Rukim.
Doch den Rest des Satzes bekam ich nicht mehr mit, weil ich mich ruckartig umdrehte und zur Tür flüchtete. Aus dem Augenwinkel sah ich noch wie Kaldes sich erhob und mir folgte. Ellionie lachte und klatschte fröhlich. Sie bekam von alldem noch nichts mit, aber freute sich, gleich wieder das Hauptthema zu sein.
Ich öffnete die schwere Eichentür, ging hindurch und schlug sie so heftig hinter mir zu, dass kleine Steinchen von der Decke regneten. Da stand ich nun verloren inmitten des hohen Gangs und wusste nicht wohin mit mir. Alle Fackeln im Gang flackerten, als ein eisiger Wind hindurch pfiff. Ich drückte die Fäuste auf meine Augen und unterdrückte ein Schluchzen. Innen wurden noch ein paar heftige Worte gewechselt, doch kurz darauf wurde die Tür wieder geöffnet und eine vertraute riesige Gestalt schob sich hindurch. Kaum einen Moment später befand ich mich in den starken Armen von meinem großen Bruder Kaldes, versenkte mein Gesicht in dem weichen Pelzmantel und ließ all die Tränen und den Frust laufen, den ich vor den anderen nicht zeigen wollte.
Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war aber irgendwann bugsierte mich Kaldes Richtung meines Zimmers. Ich fühlte mich innerlich leer und verbraucht. Irgendwann kamen wir an und er trug mich auf mein Bett, deckte mich zu und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Wie gut, dass ich wenigstens ihn hatte.
Kaum, dass er sich durch die für ihn fast zu schmale und hohe Tür geschoben hatte war ich schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.