Gemini

Ich hätte nicht gedacht, dass Joschs Brüder homophob sein könnten, so liebevoll und offen, wie diese Familie ist.

Umarmungen sind toll :heart_eyes: hoffentlich bekommt Jacob zukünftig umso mehr, um die vergangenen Jahre auszugleichen.

Mal sehen, wie Cody reagiert, wenn er beide gleichzeitig dann im Park trifft. Ob er sie auseinanderhalten kann?

Ich freue mich schon auf den nächsten Part.

LG nobody.

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Tja, es ist leider nicht so schwarz und weiß, wie man denken mag.
Auch Homophobe können liebevolle Menschen sein. Nicht jeder reflektiert seine Einstellung immer so, wie wir uns das eventuell wünschen würden. :smiley:

Aber die Jungs werden ja wohl hoffentlich noch ihre Prioritäten gerade biegen können. :wink:

Schenectady


Josh

»Ist echt nervig, dass wir hier im Park bleiben müssen«, bemerkte ich. »Es ist ja echt schön hier und so, aber wirklich etwas tun können wir nicht.«

Jacob nickte zustimmend, aber dann hielt er inne, schaute mich an und begann zu grinsen. »Was, wenn wir woanders hingehen?« Er zog sein Handy hervor und wählte eine Nummer. »Ich da habe eine Idee.«

»Hey, warte!« versuchte ich ihn zu stoppen. »Wir können doch nicht einfach irgendwo hingehen. Was, wenn uns jemand zusammen sieht?«

»Das wird schon nicht passieren«, versicherte er mir, und dann sprach er ins Handy. »Hey Sarah, kannst du uns nach Schenectady fahren?«

»Schenectady?« fragte ich verwirrt. »Was willst du denn da?«

Er grinste mich an, aber antwortete nicht. »Cool, danke! Ich ruf dich dann nochmal an und sage dir, wo du uns abholen kannst. Ich muss das erst mit Ethan klären. Kannst du schon mal nachschauen, wo wir da am besten hinkönnen? Guck einfach, ob du ein größeres Einkaufzentrum mit einer Gaming Arcade findest, oder sowas.«

»Alter«, beschwert ich mich, während er wieder Sarah zuhörte. »Ich muss in ein paar Stunden zum Abendessen zu Hause sein.«

Dieses Mal ignorierte mich Jacob demonstrativ, als er weiter ins Handy sprach. »Ja, das war Josh im Hintergrund… Nein, er hat nichts Wichtiges gesagt.« Er steckte mir die Zunge heraus.

»Gib mir das Handy«, rief ich und versuchte es ihm wegzunehmen.

Er lehnte sich von mir weg und versuchte meine Hände mit seiner linken Hand abzuwehren, während er weiter sprach. »Beachte ihn nicht, es war wirklich nichts. Jedenfalls nichts wichtig…«

Weiter kam er nicht. Ich warf mich auf ihn und riss ihn auf seinen Rücken. Zuerst war er überrascht, aber er fing sich schnell und begann sich zu wehren. Wir rangelten etwa eine Minute, und es zeigte sich schnell, dass er stärker war als ich. Trotz meiner Anstrengungen war ich bald derjenige, der auf dem Rücken lag; und Jacob saß mit einem triumphierenden Grinsen auf meiner Brust.

Ich täuschte einige Sekunden vor, nachzugeben und entspannte meine Muskeln. Dann überraschte ich mit einem Taktikwechsel. Meine Finger fanden seine Hüften und ich kitzelte ihn gnadenlos. Er kreischte auf und warf das Handy zur Seite, bevor wir wieder begannen, uns auf dem Boden hin- und herzurollen. Er versuchte mich auch zu kitzeln, aber ich schaffte es, dem zu widerstehen und schließlich saß ich auf seiner Brust, während wir beide nach Luft schnappten.

Plötzlich hörten wir ein Plärren vom Handy kommen. Sarah war immer noch in der Leitung. Ich sprang in Richtung des Handys, aber Jacob war auch in dem Bruchteil einer Sekunde auf seinen Beinen und warf mich wieder zu Boden, gerade als ich es greifen wollte.

Wir versuchten beide, das Gerät in unsere Hände zu bekommen, während wir gleichzeitig den anderen daran hinderten. Ich gab mein Bestes, aber Jacob war einfach stärker als ich und das mit dem Kitzeln funktionierte auch nicht mehr so wirklich, also verlor ich letzten Endes doch.

»Danke Sarah, das war alles!« keuchte er ins Handy und beendete den Anruf, während er mich mit seiner freien Hand auf Distanz hielt.

»Nicht fair!« rief ich und warf ihm einen bösen Blick zu.

Er streckte mir die Zunge heraus. »Pech gehabt.«

Ich versuchte noch böser zu schauen, aber dann musste ich lachen.

»Sieht so aus, als ob wir einen Ausflug machen«, sagte Jacob mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

»Aber das lohnt sich doch kaum«, beschwerte ich mich.

»Ein, zwei Stunden. Ist doch besser als nichts«, antwortete Jacob. »Es wird sich trotzdem lohnen.«

»Hm, vielleicht hast du Recht«, gab ich nach. »Eigentlich gefällt mir die Idee sogar, aber du hättest mich doch vorher mal fragen können.«

Er lachte. »Das macht doch jetzt auch keinen Unterschied mehr. Aber nächstes Mal kann ich das machen. Versprochen.«

Zwanzig Minuten später saßen Jacob, Sarah und ich auf dem Parkplatz von irgendeinem Einkaufszentrum und warteten auf Ethan und Cody.

»Danke, dass du das für uns machst«, sagte Jacob zu Sarah.

»Kein Ding«, antwortete sie. Anstatt sich wieder nach vorne umzudrehen, zögerte sie einen Moment und schaute ihn weiter an. Dann fixierten ihre Augen plötzlich etwas hinter uns. »Da sind sie ja!«

»Ich sitz’ vorne!« konnte ich Ethan nur Sekunden später von neben dem Auto quietschen hören. Er sprang auf den Beifahrersitz, während Cody die Tür öffnete, um sich zu Jacob und mir auf die Rückbank zu setzen. Als er uns sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Es dauerte einige Sekunden, bis er anfing zu sprechen. »Wow, ich wusste ja, dass ihr euch ähnlich seid, aber… verdammt, ihr seid Klone!« rief er.

»Hey Cody«, grüßte ich ihn grinsend.

»Bist du Jacob oder Josh?« fragte er, leicht verwirrt, während er sich ins Auto setzte und anschnallte.

»Ich bin Jacob«, antwortete ich beinahe automatisch.

»Und ich bin Josh«, fügte Jacob sofort hinzu.

Cody schien zufrieden, aber Ethan drehte sich um und runzelte die Stirn. »Habt ihr nicht gesagt, dass ihr vor Freitag nicht wieder tauschen wollt?«

»Na ja, ja, wir können ja immer noch heute Abend wieder tauschen«, sagte ich und zuckte mit den Achseln.

Ethan schaute mit einem argwöhnischen Blick zu Sarah und ihr Gesichtsausdruck musste uns verraten haben, denn seine Augen schossen sofort zurück zu uns. »Netter Versuch«, grinste er.

»Okay Cody, das«, er zeigt auf mich; dann auf Jacob, »ist Josh und das Jacob. Das machen öfter mal. Man gewöhnt sich daran.«

Cody schaute uns verwirrt an, aber dann schüttelte er seinen Kopf und wandte sich Ethan zu. »Macht das wirklich einen Unterschied, ob man die Namen richtig hinbekommt? Sie sind Klone, also sind sie sowieso gleich und vermutlich reagieren sie sowieso auf beide Namen.«

»Wer weiß«, sagte Ethan und zwinkerte uns zu. »Selbst identische Zwillinge sind nicht komplett gleich.«

Das kam unerwartet und ich schaffte es kaum, meinen Schock zu verbergen. Meinte er etwa, dass ich schwul war? Ein Blick zu Jacob verriet mir, dass er dasselbe gedacht haben musste wie ich, denn sein Gesicht war ungewöhnlich ausdruckslos. Glücklicherweise fingen wir uns beide schnell. »Es gibt überhaupt keinen Unterschied«, stellte ich klar.

»Natürlich gibt’s den!« protestierte Jacob. »Ich bin älter, also bin ich stärker und besser.«

Ohne zu zögern startete ich eine erneute Kitzelattacke auf ihn. »Nimm das sofort zurück!«

»Neeeeein!« jaulte er, und während er hin- und herzuckte und dabei gegen die Rückseite von Sarahs Sitz trat.

»Benehmt euch, Jungs!« rief Sarah von vorne. »Ich versuche, uns in einem Stück nach Schenectady zu bringen. Ihr benehmt euch ja schlimmer als Fünfjährige.«

Da ich Sarah nicht ablenken oder stören wollte, hörte ich auf, Jacob zu kitzeln und zog meine Hände zurück, damit er herunterkommen konnte. Den Fehler hätte ich nicht machen sollen. Nur Sekunden später war ich derjenige, der zappelte und quietschte wie ein sterbender Hamster.

»Hey, aufhören«, beschwerte Sarah sich erneut. »Oder ich setze euch hier ab und ihr könnt den Rest vom Weg laufen!«

Jacob ließ endlich von mir ab. Er machte allerdings nicht den gleichen Fehler wie ich. Er war immer noch in Angriffshaltung, jederzeit darauf vorbereitet, dass ich versuchen könnte, mich zu rächen. Wir starrten aneinander an, während ich versuchte, meine Atmung wieder zu normalisieren. Nach einigen Sekunden des Schnaufens begannen wir zu grinsen und dann zu lachen.

»Okay, du gewinnst«, gab er nach. »Wir sind gleich, auch wenn ich trotzdem älter als du bin.«

»Bist du gar nicht!« erwiderte ich sofort.

Jacob hielt sich Hände über die Ohren. »Lalala, ich kann dich nicht hööören.« Cody und Ethan brachen beide in Gelächter aus, und Jacob und ich ließen uns davon anstecken. In diesem Moment klingelte mein Handy und ich signalisierte den anderen, leise zu sein. Bevor ich abnahm, schaute ich noch auf die Nummer, aber ich kannte sie nicht.

»Hallo?« meldete ich mich unsicher.

Eine allzu bekannte Stimme kam aus meinem Handy: »Hey Josh, ich bin’s, Philip.«

»Was willst du?« fragte ich, und klang dabei nicht gerade freundlich, aber ich hatte reagiert ohne nachzudenken.

»Wow, entspann dich mal«, sagte er. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Die Schule ist schon seit über einer Stunde vorbei und du bist immer noch nicht zu Hause.«

»Ich im Park«, log ich.

»Oh, du bist mit deinen neuen Freunden unterwegs? Was ist denn dieser Lärm im Hintergrund?«

»Ja, bin ich, und das muss die Verbindung sein«, log ich erneut und betete, dass keines der Autos um uns herum Hupen würde. Warum rief er mich an und löcherte mich mit all diesen Fragen? Er hatte das noch nie zuvor getan. Andererseits ging ich aber normalerweise nach der Schule auch immer direkt nach Hause. Nach einer kurzen Stille ergriff ich die Gelegenheit und sprach, bevor er etwas sagen konnte.

»Also, warum rufst du an?« fragte ich und versuchte dabei so ablehnend wie möglich zu klingen, in der Hoffnung, ihn so schnell abwimmeln zu können. »Ich bin gerade etwas beschäftigt, also…«

»Oh ja«, sagte er und plötzlich klang er… nervös? »Ähm, deine Eltern werden heute Abend lange weg sein und ich dachte, na ja… da du ja mit deinen Freunden unterwegs bist, kannst du heute meinetwegen länger wegbleiben. Sei aber bitte wieder zu Hause, wenn ich Feierabend mache.« Er überlegte kurz. »Neun Uhr, okay?

»Okay, ich werde darauf achten, nicht zu spät zu kommen. Danke!« versprach ich und legte auf. Träumte ich? Und war das jetzt gut oder schlecht, wenn man meine Vermutungen über Philip bedachte? Zuerst einmal wandte ich mich den anderen zu und gab die gute Nachricht bekannt. »Ich kann länger wegbleiben!«

»Super!« freute Ethan sich. »Wie kommt’s?«

»Ähm, Philip hat es mir erlaubt, weil meine Eltern erst spät nach Hause kommen«, erklärte ich und versuchte dabei zu verstecken, dass ich nicht nur glücklich, sondern auch leicht besorgt deswegen war. Jacob schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben wie ich, nur dass er seine Gefühle nicht so gut versteckte. Glücklicherweise bemerkte das aber niemand außer mir. Ich lächelte ihm schnell zu und tat so, als ob alles in Ordnung sei. Ich wollte nicht, dass die anderen irgendwelche Fragen stellten und nach einigen Momenten des Nachdenkens realisierte ich, dass ich sowieso nichts an der Situation ändern konnte, also beschloss ich, mich auf die guten Dinge zu konzentrieren.

Einige Zeit danach fuhren wir auf die Parkfläche eines mittelgroßen Einkaufszentrums in Schenectady. Anstatt einen freien Parkplatz vor dem Gebäude zu suchen, parkte Sarah einfach etwas weiter entfernt, in einer der Reihen, in denen alles frei war. Als wir das Auto verließen, konnte Jacob nicht anders, als Sarahs Parkkünste zu kommentieren. »Na ja, fast perfekt«, sagte er trocken, als er auf den Wagen schaute.

»Ja, noch ein kleines bisschen diagonaler und du würdest drei und nicht nur zwei Parkplätze blockieren«, fügte Ethan grinsend hinzu.

Sarah starrte sie böse an, aber Ethan konnte sich nicht stoppen. »Immerhin bekommen wir mal ein wenig Bewegung durch den langen Weg zum anderen Ende des Parkplatzes«, scherzte er.

»Als ob du das besser könntest«, erwiderte sie. »Du hast noch nicht einmal deinen Führerschein. Wenn es nach mir ginge, würdest du den vermutlich auch nie bekommen. Du in einem Auto? Das wäre wie eine ungesicherte, geladene Schusswaffe in Kinderhänden. Als ob einer von euch dieses Riesending in einen der viel zu engen, freien Parkplätze da drüben reinbekommen würde.«

»Vielleicht kannst du uns ja beibringen wie man so nen Riesending in enge Plätze reinbekommt«, sagte Ethan und zwinkerte ihr zu. Jacobs Gesicht wurde nach diesem Kommentar rot, aber zum Glück war ich der Einzige, der zu ihm herüberschaute.

Zu meiner Überraschung grinste Sarah über die Anspielung. »Ethan, ich denke, du solltest Cody mal danach fragen. Vielleicht kann er dir beibringen, wie man rückwärts reinkommt

Während Jacob und ich fast vor Lachen erstickten, war dies einer der seltenen Momente, in denen Ethan überrascht war und nicht sofort eine passende Antwort parat hatte. Stattdessen schaute er besorgt zu Cody herüber, um zu sehen, wie dieser den Witz aufgenommen hatte.

Cody schien sich allerdings nicht daran zu stören und stieg direkt mit ein. »Na ja, ich bin da zwar kein professioneller Trainer«, sagte er und zwinkerte Ethan zu. »Wenn du allerdings lieb fragst, dann lasse ich dich vielleicht mit mir zusammen üben.«

Das brachte selbst Ethan zum Erröten, wenn auch nur ein kleines bisschen, während der Rest von uns wieder lachen musste.

»Lasst uns gehen«, rief Cody, bevor Ethan sich eine gute Antwort ausdenken konnte. »Ich will Dance Dance Revolution spielen! Wagt sich irgendwer hier, gegen mich anzutreten? Ethan?«

»Darauf kannst du deinen Hintern verwetten«, erwiderte Ethan, und grinste breit. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass du eine Chance gegen mich hast, oder?«

Cody schüttelte nur mit dem Kopf. »Ja, ja, das werden wir ja sehen. Der Verlierer muss fürs Abendessen zahlen!«

Etwa eine Stunde später lieferten Jacob und ich uns unser drittes Match am Air-Hokey Tisch. »Ha, das war’s! Loser!« verkündete er triumphierend. Ich löste meinen Blick von Ethan und Cody, die hinter Jacob auf dem Dance Dance Revolution Gerät herumhüpften, und schaute auf den Punktestand: 10-2. »Siehst du, ich bin doch der bessere Zwilling«, stichelte er mich.

Ich zuckte nur mit den Achseln. »Wie du meinst.«

»Alles okay?« fragte er mich besorgt, weil ich seinen Enthusiasmus nicht teilte. »Wenn du etwas anderes spielen möchtest, ist das okay. Wir müssen das hier nicht machen, nur weil ich es vorgeschlagen habe.«

»Passt schon, keine Sorge«, antwortete ich. Es hatte Spaß gemacht, Air Hockey zu spielen, aber je länger ich Ethan und Cody aus meinen Augenwinkeln betrachtete, je besser sie miteinander klarkamen, desto stärker wuchs das stechende Gefühl der Eifersucht in meiner Brust. »Ich war nur gerade in Gedanken woanders«, log ich.

Da, sie hatten gerade ein Lied fertig und anscheinend hatten sie gut gespielt. Cody wollte Ethan einen High Five geben, aber Ethan ignorierte seine Hand und umarmte ihn stürmisch. Ach, wie ich mich danach sehnte, in diesem Moment an Codys Stelle zu sein. Obwohl ich wusste, dass es kindisch war, die Eifersucht wurde immer größer. Ich hatte es schon immer gehasst, meine Gefühle nicht kontrollieren zu können, und das war nun mehr denn je der Fall. Alles was sie taten, war Spaß zu haben und sich wie gute Freunde zu verhalten, und ich ruinierte mir das bisschen Zeit, das ich mit Jacob hatte, indem ich zu viel über die zwei nachdachte.

»Na ja, da Josh sich anscheinend im Traumland verlaufen hat, hast du Lust auf eine Herausforderung, Sarah?« hörte ich Jacob nach einem Moment fragen. Oder war es länger gewesen? Ich musste aufhören, Ethan anzustarren, oder Jacob würde merken, was los war. Auch wenn er mein Coming Out relativ gut aufgenommen hatte, war ich mir nicht so sicher, ob er ähnlich entspannt darauf reagieren würde, dass ich auf seinen besten Freund scharf war. Schwer seufzend zwang ich mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf Jacob und Sarah zu richten.

»… aber warum fragst du nicht Ethan? Ich wollte mir eigentlich was zu essen kaufen. Er und Cody sind fertig und eh kommen gerade zu uns«, sagte Sarah und zeigte auf die beiden.

Jacob dreht sich um und als er sie auf uns zukommen sah, grinste er sie breit an. »Wer hat gewonnen?«

»Ich!« riefen beide gleichzeitig und fingen dann an zu lachen.

»Ja ne, ist klar«, sagte Jacob mit hochgezogener Augenbraue. »Lust auf 'ne Runde, Ethan?«

»Natürlich!« rief Ethan. »Stell dich schon mal darauf ein, zu verlieren!«

»Na ja, ich habe Hunger. Ich bin demnächst wieder da«, unterbrach Sarah. »Will irgendwer mitkommen?«

Ethan und Jacob begannen bereits ihr Spiel und Cody schüttelte den Kopf. »Nein danke.«

Sarah wandte sich mir zu. »Was ist mit dir, Josh?«

Einen Moment lang zögerte ich. Ich wollte hierbleiben, und ich hatte auch keinen Hunger, aber dann realisierte ich, dass ein wenig Distanz zu Ethan und Cody mir guttun würde. »Bin dabei«, antwortete ich und begleitete Sarah, während ich über Ethan nachdachte. Wenn er wirklich schwul war, dann könnte sich Cody als gefährlicher Konkurrent herausstellen. Wenn ich mich nicht bald bei Ethan outete, könnte es zu spät sein, und ich würde ihn an Cody verlieren. Das wollte ich definitiv nicht riskieren.

Ich entschied, dass dies nicht innerhalb der nächsten Stunden passieren würde, und dass Eifersucht mir auch nicht weiterhalf. Ich konnte mich nicht konzentrieren, wenn ich in so einer Stimmung war. Ich musste mein Bestes geben, um meine Gefühle zu unterdrücken und an etwas anderes zu denken. Vielleicht würde ich meine Chance mit Ethan am kommenden Wochenende erhalten.

»Was willst du denn essen?« fragte ich Sarah.

»Ähm… Pizza, denke ich«, antwortete sie. »Lass uns zuerst schauen, was es hier gibt.«

Als wir den Food-Court gefunden hatten, kaufte Sarah sich ein Stück Pizza und eine Cola, während ich mich entschied, nichts zu essen. Wir setzten uns an einen der Tische und das Gespräch ging weiter.

»Kannst du mir von Jacob erzählen?« bat ich sie. Sie schaute mich fragend an, also redete ich weiter. »Na ja, wann seid ihr Freunde geworden, wie war er so drauf als er jünger war, solche Sachen.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ich kann wohl kaum seine Eltern oder Brüder fragen und mit Ethan wäre das komisch. Jungs reden nicht über sowas. Ich dachte, dass ich vielleicht von dir etwas mehr erfahren könnte.«

»Nur, weil ich ein Mädchen bin«, fragte sie, und täuschte dabei vor, total beleidigt zu sein. Dann grinste sie. »Und warum willst du das alles wissen?«

»Ja, aber nur, weil du ein Mädchen bist.« Ich zwinkerte ihr zu. »Und na ja, ich weiß nicht. Es ist halt so, dass wir getrennt aufgewachsen sind, und es fühlt sich so an, als ob ich all diese Zeit etwas verpasst hätte, also frage ich mich halt, wie er so war, bevor wir uns gefunden haben.« Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung woher die Frage kam. Ich hatte einfach versucht, mich von der Sache mit Cody und Ethan, und Philip, abzulenken, und war dabei bei Jacob gelandet.

»Er war ein bisschen, wie du jetzt bist«, begann sie, und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, während sie ein Stück vom Rand der Pizza abknabberte. »Genauso wie Ethan kenne ich ihn seit wir auf der High-School sind, also seit der neunten Klasse. Ethan und Jacob waren allerdings zuerst befreundet. Er war irgendwie etwas introvertiert. Nicht wirklich schüchtern, aber… zurückgezogen und ziemlich süß.« Sie lächelte und errötete sogar ein bisschen, als sie das sagte. Mein Herz stoppte beinahe für eine Sekunde. Bedeutete das, dass Jacob eine Chance bei ihr hatte?

Ich wollte nicht, dass sie meine Reaktion sah, also fragte ich schnell weiter. »Jacob und introvertiert? Ich meine, er ist jetzt nicht unbedingt wie Ethan, aber er ist definitiv nicht introvertiert. Hat er sich so sehr verändert?«

»Na ja, ich schätze das passiert halt, wenn man länger mit Ethan abhängt. Schau dich mal an.«

»Okay, Touché«, stimmte ich ihr zu. »Aber trotzdem kann ich ihn mir nicht wirklich so vorstellen. Er ist so… stark.«

Sie hob eine Augenbraue. »Stark? Ich denke, damals lag das vor allem an seinen Brüdern. Er hat immer nur mit den beiden und ihren Freunden Zeit verbracht. Sie haben ihn zwar nicht bewusst klein gehalten, aber er hat halt einfach nicht viel anderes gemacht. Sein Status in der Gruppe war garantiert, also hat er sich an sie gehalten. Im letzten Jahr ist er deutlich unabhängiger geworden, aber noch nicht vollständig. Ich denke, deswegen schaut Ian ihn auch immer so an. Er hat bemerkt, dass es eine Änderung in Jacobs, oder eigentlich deinem, Verhalten gibt.«

»Wow«, sagte ich. »Woher weißt du das alles? Vielleicht solltest du Psychologie studieren?«

»Das ist genau das, was ich später auch machen möchte«, lachte sie.

»Denkst du, dass es ein Problem mit Ian geben wird?« fragte ich leicht besorgt.

»Nein«, sagte sie selbstsicher. »Er ist ein total netter Typ, selbst wenn er sich manchmal zu viele Sorgen macht. Er ist nur elf Monate älter als Jacob, aber behandelt ihn, als seien es drei Jahre. Das ergibt eigentlich sogar Sinn, er wiegt doppelt so viel und das sind alles Muskeln. So oder so: Im schlimmsten Fall macht Ian sich Sorgen, dass Jacob Drogen nimmt, oder so. Das sollte sich schnell erledigen, weil Jacob das ja offensichtlich nicht tut.«

»Und was, wenn er ihm folgt, um zu gucken, was Jacob den ganzen Tag tut?« fragte ich.

»Das bezweifle ich. Er würde erstmal versuchen, darüber zu reden. Ich werde Jacob allerdings warnen, wenn du dich dann besser fühlst«, schlug sie vor und schob sich das letzte Stück Pizza in den Mund. Ich nickte nur, unsicher was ich antworten sollte. Sie kannte die beiden schon viel länger, also musste ich ihr da vertrauen.

»Willst du direkt zurück zu den anderen, oder wollen wir uns hier noch ein wenig umschauen?« fragte sie, als sie ausgekaut hatte.

»Lass uns noch ein bisschen warten«, entschied ich. »Wenn du das willst?«

»Klingt gut«, antwortete sie. »Die Spiele machen zwar Spaß, aber ich bin trotzdem nicht ganz so begeistert davon wie die Jungs.«

Wir standen auf, und nachdem wir den Food-Court verlassen hatten, fand Sarah relativ schnell einen Juwelier und schleppte mich dort mit hinein. Ich ging desinteressiert durch den Laden und schaute in die Glasvitrinen, während ich auf sie wartete. Plötzlich fiel mir etwas ins Auge. In einer Ecke war eine Sammlung von Anhängern, die alle Zeichen aus dem Tierkreis darstellten. Ich wusste nicht einmal, warum ich sie erkannte. Astrologie interessierte mich eigentlich weniger, aber das war wohl eines jener Dinge, die ich in einer der langweiligen Nächte vor meinem Leben mit Jacob gelesen hatte.

»Hast du etwas Interessantes gefunden?« fragte Sarah plötzlich von hinter mir.

Ich zuckte mit den Achseln und zeigte auf die Anhänger. »Nicht wirklich. Ich habe mir nur gerade die hier angeschaut. Die sehen schön aus.«

Sie betrachtete die Anhänger einige Zeit und zeigte dann auf das Symbol der Gemini, der Zwillinge: Zwei parallele, vertikale Säulen, auf denen jeweils oben und unten ein Bogen lag. »Der würde dir und Jacob echt gut stehen. Zwei davon meine ich, einer für jeden von euch.«

»Meinst du, dass ich ihm einen kaufen sollte? Wäre das nicht ein wenig zu schwul?« protestierte ich, und überraschte mich selbst mit meiner Reaktion und Wortwahl.

Sarah musterte mich von Kopf zu Fuß, dann kicherte sie. »Na und? Klingt ziemlich heiß, wenn du mich fragst.«

»Ich bin nicht… wir sind nicht… auf keinen Fall, nicht so.« Ich zog eine Grimasse. Sarahs Kichern verwandelte sich in Lachen, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. »Du bist schlimmer als Ethan«, beschwerte ich mich.

»Also ich fand’s lustig«, antwortete sie. Ich rollte nur mit meinen Augen, aber wandte mich dann wieder dem Anhänger zu und betrachtete ihn genauer. Er war gut gefertigt, aus Silber und nicht gerade billig.

»Aber mal ernsthaft, ich finde nicht, dass es schwul oder so wäre«, sagte Sarah. »Es wäre eine schöne Kette mit einer symbolischen Bedeutung, nicht mehr oder weniger.«

»Bist du dir sicher?« fragte ich. »Irgendwie mag ich die Idee, aber ich will nicht, dass Jacob das komisch findet, oder so«, sagte ich und begann damit, ihr meine Unsicherheiten zu offenbaren. Ich wusste nicht einmal wieso, vermutlich einfach, weil sie die einzige Person war, mit der ich darüber reden konnte. »Ich fühle mich jetzt schon, als ob ich mich an ihn klammere, und ich habe Angst, dass wenn ich das zu viel tue, er mich abweisen wird. Er könnte so etwas falsch verstehen.« Ich konnte ihr zwar nicht erzählen, dass meine Sexualität dieses Problem erschwerte, aber sie verstand mich trotzdem.

Sie nickte langsam. »Warum redest du dann nicht mit ihm darüber? Er wird schon verstehen, wie es dir geht. Da bin ich mir ziemlich sicher.«

Ich schaute zurück auf den Anhänger und dachte einige Minuten darüber nach. Jacob hatte mein Leben so sehr verändert und ich hatte das Gefühl, ihm etwas zu schulden, aber hatte keine Idee, wie ich diese Schuld begleichen konnte. Geld war vermutlich nicht das Richtige, aber vielleicht war ein kleines, persönliches Geschenk wie dieses ein guter erster Schritt. Ich zog mein Portemonnaie hervor und schaute auf meine Kreditkarte.

Ich hatte sie nur für Notfälle und nutzte sie so gut wie nie, aber, wenn ich wollte, konnte ich. Meine Eltern würden das nie bemerken, denn es war Philips Aufgabe, solche Sachen im Auge zu behalten. Würde er es meinen Eltern sagen? Würde das meine aktuelle Situation mit ihm verschlimmern? Ich seufzte. War es überhaupt möglich, diese Situation noch zu verschlimmern? Vermutlich nicht. Er würde es sowieso nicht gleich sehen, wenn er es überhaupt mitbekam. Wie so oft in den Stunden und Tagen zuvor entschied ich, dass mir das alles egal war.

»Du hast nicht wirklich vor die jetzt gleich zu kaufen?« fragte Sarah mich, als ich auf einen der Angestellten zuging. »Die sind teuer.«

»Wonach sieht es den aus?« entgegnete ich grinsend. »Danke für die Idee und danke für deine Tipps.«

»Du bist verrückt«, sagte sie. »Willst du die ihm direkt geben?«

Ich dachte einen Moment darüber nach, entschied mich dann aber dagegen. »Ich werde vermutlich bis zum Wochenende, wenn er nach Washington fliegt, warten.«

Nachdem ich zwei der Anhänger mit passenden Silberketten gekauft hatte, gingen wir zu den anderen zurück. Glücklicherweise überredete Sarah Cody dazu, sie mit Dance Dance Revolution zu bespaßen, sodass Ethan, Jacob und ich zu dritt etwas machen konnten. Das beruhigte dann auch das kleine grüne Monster in meiner Brust, zumindest vorerst. Letzten Endes blieben wir gar nicht so lange, wie ich gehofft hatte, weil Ethan früher nach Hause musste. Nach einem langen und emotional sehr anstrengenden Tag kam ich dann gegen halb neun nach Hause.

»Guten Abend«, begrüße Philip mich aus dem Flur, als ich die Tür hinter mir schloss. »Hattest du einen schönen Tag?«

»Definitiv. Danke, dass ich länger draußen bleiben durfte«, antwortete ich gut gelaunt. Wenn ich je wieder so etwas erlaubt bekommen wollte, musste ich freundlich zu ihm sein, zumindest ein paar Minuten lang. »Es war schön, aber auch anstrengend. Ich mache jetzt noch schnell meine Hausaufgaben und dann gehe ich direkt schlafen.«

»In Ordnung«, meinte Philip. Er zögerte einen Moment, dann lächelte er mir zu. »Du scheinst glücklich zu sein. Es ist schön, das zu sehen. Du solltest dich öfter mit diesen neuen Freunden treffen. Wir wissen beide, dass deine Eltern dir vermutlich nicht erlauben würden, sie hierher einzuladen, aber davon abgesehen… wenn du meine Hilfe mit irgendetwas brauchst, oder länger wegbleiben willst… Na ja, frag mich einfach.«

»Danke.« Ich lächelte zaghaft, verunsichert, wie ich auf seine Worte reagieren sollte.

Er schaute mich noch einige Sekunden länger an und dann nickte er. »Na ja, ich bin hier fast fertig und dann fahre ich auch nach Hause. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Josh.«

»Nacht«, erwiderte ich und ging die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Ich war zugleich besorgt und erleichtert. Erleichtert, dass alles darauf hindeutete, dass er mir nichts Schlimmes wollte, jedoch auch besorgt, dass ich falsch lag und hinter der nächsten Ecke eine böse Überraschung lauerte.

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Weiter geht’s! :slight_smile:

Ein Spaziergang im Park


Jacob

»Ich möchte noch eine Runde laufen, bevor ich nach Hause gehe. Kannst du mich am Park raus lassen?« bat ich Sarah, nachdem Josh das Auto verlassen hatte.

Ich war mir sicher, dass Ian oder Conrad mich wieder wegen Cody ansprechen würden, aber ich wollte wirklich nicht das Ende von so einem tollen Tag damit verbringen, mit ihnen darüber zu streiten. Anstatt mich dem auszusetzen, plante ich, diese Konfrontation einfach zu vermeiden, indem ich so spät nach Hause ging, wie es nur möglich war.

»Klar«, antwortete sie. »Stress mit deinen Brüdern?«

»Woher weißt du das?« fragte ich überrascht. »Aber ja…« Ich seufzte. »Sie sind momentan echt nervig.«

Sie warf einen Blick auf Cody, der eifrig etwas auf seinem Handy tippte, und sah dann zurück zu mir.

»Ich habe einiges von dem, was du zu Conrad nach dem Unterricht gesagt hast, aufgeschnappt.« Sie lächelte stolz. »Ich finde es klasse, wie du dich für Cody eingesetzt hast. Es war höchste Zeit, dass so etwas mal passiert. Mach dir keinen Kopf drum, sie werden schon damit klarkommen. Sie sind es einfach nicht gewohnt, dass irgendjemand ihnen widerspricht, aber das wird schon.«

»Danke.« Ich nickte zustimmend.

»Worum geht’s?« wollte Cody wissen und fügte dann zögernd hinzu: »Wenn ich fragen darf?«

»Oh, es ist nicht so wichtig«, sagte ich mit einem unwohlen Gefühl. Ich wollte ihn nicht wissen lassen, dass ich drauf und dran war, seinetwegen einen Streit mit meinen Brüdern vom Zaun zu brechen.

»Es ist nichts Ernstes, nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.« Ich wandte mich Sarah zu. »Ach ja, hast du noch Lust ein bisschen mit mir abzuhängen, nachdem du Cody weggebracht hast?«

»Tut mir leid«, antwortete sie. »Ich muss bald zu Hause sein, von daher würde es sich nicht mehr lohnen. Vielleicht ein anderes Mal.«

»Ich könnte bei dir bleiben, bis du nach Hause gehst«, bot Cody schnell an. »Wenn du das möchtest?«

»Hast du denn so lange Zeit?« fragte ich ihn. »Ich werde wahrscheinlich nicht vor zehn Uhr zu Hause sein.

»Normalerweise nicht. Aber ich habe die Schnauze voll davon, mich immer, wenn meine Eltern mal wieder umziehen, an die neue Schule gewöhnen zu müssen, neue Freunde zu finden und so weiter. Sie haben ein schlechtes Gewissen und wollen, dass ich mich hier schnell eingewöhne, also kann ich es mir leisten, die Regeln zu brechen, und ab und zu mal ein wenig länger draußen zu bleiben. Ich schicke ihnen einfach eine SMS und dann passt das schon.«

»Cool, danke«, sagte ich glücklich. Selbst wenn ich lieber eine Stunde mit Sarah verbracht hätte, war es immer noch allemal besser Cody zum Reden zu haben, als alleine durch die Gegend zu laufen.

Sarah brachte das Auto in einer Seitenstraße am Parkrand zum Stehen. »Alles klar, wir sehen uns morgen in der Schule.«

»Ja, bis dann«, sagte ich und zog sie in eine kurze Umarmung. Kaum ein oder zwei Sekunden später ließ ich sie wieder los, aber ich sehnte mich danach, dass die Umarmung länger andauern würde, ich die Nähe ihres Körpers spüren könnte, doch das wagte ich nicht. »Gute Nacht. Komm gut nach Hause.«

Cody und ich kletterten aus dem Auto, machten die Türen zu und sahen Sarah hinterher, als sie wegfuhr. Als sie um die Ecke des nächsten Blocks verschwunden war, drehte ich mich um und lief den schmalen Pfad in den Park hinab. Cody folgte mir. In Gedanken war ich bei Ian und Conrad und dass sie mich wahrscheinlich wegen der ganzen Affäre mit Cody noch nerven würden. Ich sah vorsichtig zu Cody herüber, besorgt, dass ich mich unhöflich verhielt, doch er schien verstanden zu haben, dass ich einen Moment für mich brauchte. Oder vielleicht war er auch einfach mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Der Gedanke an meine Adoptivbrüder erzeugte ein starkes Gefühl des Trotzes in mir. Klar, ich war vor einiger Zeit noch selbst ein wenig vorsichtig gegenüber Schwulen gewesen, aber zu sehen, wie schlecht es Josh mit seinen Eltern ging, machte mich wütend auf die Homophobie meiner eigenen Brüder. Was, wenn sie in ein paar Jahren Kinder haben würden. Was, wenn ich einen Sohn hätte, der schwul wäre. Hätte er einen Grund, seine Onkel zu fürchten? Natürlich, sie waren bei weitem nicht so schlimm wie Mr. Adams, aber akzeptieren taten sie es trotzdem nicht. Der Gedanke, wie sie grobe Kommentare über einen zukünftigen Sohn von mir machten, erzeugte einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Mit diesen Hintergedanken wandte ich mich Cody zu.

»Hey, darf ich dich mal was fragen?« bat ich ihn und zerriss damit die friedliche Stille zwischen uns.

Es dauerte eine Sekunde, bevor er reagierte. Er sah überrascht auf, als ob ich ihn in seinen Gedanken unterbrochen hatte, und räusperte sich. »Klar, was gibt’s?«

»Ähm«, stotterte ich. »Äh…wie soll ich das sagen? Ich hoffe du verstehst das jetzt nicht falsch…aber, hm… wie ist es so? Also… Na ja, schwul zu sein.«

Er runzelte die Stirn. »Was meinst du? Es fühlt sich für mich ziemlich normal an. Ich denke es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen Heteros und Schwulen.« Er blieb stehen und drehte sich um, damit er mir ins Gesicht sehen konnte. »Was hast du denn erwartet? Dass ich anders bin? Ich mag einfach Jungs, so, wie du eben Mädchen magst. Da gibt es gar keinen Unterschied. Ich vermute, du verstehst es besser, wenn ich sage, ich mag Jungs, wie es die meisten Mädchen tun. Macht das Sinn?«

Mir stieg ein wenig das Blut in den Kopf. »Das ist nicht das, was ich meinte.«

»Was meintest du dann? Denkst du darüber nach, ans andere Ufer zu kommen?« fragte er trocken.

»Oh, nein«, antwortete ich hastig. »Ich bin nur…«

Er unterbrach mich mit einem Glucksen. »Du solltest mal dein Gesicht sehen. Ich nehme dich doch nur auf den Arm.«

Ich guckte ihn finster an, beließ es dann aber dabei. »Wie auch immer. Ich habe mich nur gewundert. Ich meine, selbst heute gibt es noch viel Homophobie und so.« Ich blieb stehen und meine Augen fanden seine. »Und na ja, du wusstest es nicht, als du noch ein Kind warst, oder? Du musstest… es irgendwie bemerken, stimmt’s? Wann war das?«

Er nickte, als er verstand, was ich wissen wollte. »Lass uns damit anfangen, wie ich bemerkt habe, dass ich schwul bin.« Er stoppte und sah nachdenklich in das Gehölz neben dem Weg, fast so, als würde er in Erinnerungen baden. »Ich war dreizehn. Da war dieser eine Junge, Jason war sein Name. Gott, war er heiß. Ist er heute auch immer noch. Ich habe so für ihn geschwärmt. Oh Mann, ich war fast so schlimm wie manche Mädchen. Ich konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Ich hätte alles aufgegeben, nur um ihn zu küssen.« Er hielt inne. »Oh sorry, du willst wahrscheinlich gar nicht diese ganzen schwulen, schnulzigen Details hören.«

»Ähm, das ist schon okay«, sage ich, obwohl ich noch nicht ganz entschieden hatte, ob ich mich dabei unwohl fühlen sollte, oder nicht. »Es ist interessant, denke ich. Ich habe gefragt, also muss ich mit der Antwort klarkommen.«

Er nickte, aber es sah nicht so aus, als ob ich ihn wirklich überzeugt hätte. »Wie auch immer, seitdem wusste ich es. Es ist wahrscheinlich untypisch. Viele bemerken es viel später. Einige gestehen sich es nicht einmal ein, bis sie bereits verheiratet sind und Kinder haben. Es gibt Leute, die es ihr ganzes Leben lang unterdrücken, bis sie nicht mehr so weiterleben können. Solche Dinge zerstören ganze Familien. Ich kann sie trotzdem verstehen. Nicht jeder hat Freunde und Familie, die so verständnisvoll wie meine sind. Es kann hart sein, weißt du?«

Ich nickte. Was er sagte, ergab Sinn und es brachte mich auch erneut ins Nachdenken über Joshs Situation. Er hätte einer von diesen Menschen sein können, denn sein Hintergrund und seine Familie hatten es sicherlich nicht einfach für ihn gemacht. Trotz alledem war er so selbstsicher, so klar in seinen Worten, als ich es infrage gestellt hatte und es sah für mich fast so aus, als wolle er einfach nur weg von seiner Familie, um sein eigenes Leben zu leben. Ich konnte nicht wirklich begreifen, wie es sich anfühlen musste, aber ich erkannte, dass dieser innere Konflikt ihn dazu gezwungen hatte, schneller erwachsen zu werden, als die meisten anderen Jugendlichen in unserem einem Alter.

Meine Nachdenklichkeit machte Cody misstrauisch, denn als ich aufsah, starrte er mich an.

»Warum fragst du?« Er grinste. »Bist du sicher, dass du nicht das andere Ende des Regenbogens erforschen willst? »

Ich schüttelte meinen Kopf. »Es ist nur…«

»…wegen eines Freundes«, beendete er meinen Satz und zwinkerte mir zu. »Ja, das sagen sie alle.«

Ich dachte an Josh und irgendwie brachte mich das zum Lächeln. »So unwahr ist das gar nicht«, antwortete ich.

»Ethan?« fragte Cody mich mit einem erwartungsvollen Unterton

»Ethan?« krächzte ich. »Wie kommst du auf Ethan?«

Er zögerte, warf mir einen nervösen Blick zu und wandte seine Augen dann zu Boden, bevor er sprach. »Ähm.«

Plötzlich erinnerte ich mich, wie gut Cody und Ethan sich am Nachmittag verstanden hatten. Ich hatte Ethan gebeten, Cody zu beschäftigen, damit ich Zeit hatte, meine Probleme mit Josh zu lösen. Als wir sie eingesammelt hatten, um nach Schenectady zu fahren, hatten sie sich verhalten, als ob sie bereits beste Freunde geworden waren. Dazu kamen noch all die Anspielungen und Ethans Reaktion…

»Moment! Ist Ethan schwul?« fragte ich entgeistert.

»Hä?« fragte er. »Also meintest du nicht Ethan?«

»Äh… nicht wirklich, aber ist er’s? Seid ihr zwei irgendwie… zusammen?« fragte ich, beinahe anschuldigend. Konnte es sein, dass Ethan schwul war, aber mir nie davon erzählt hatte? Das schien unwahrscheinlich, aber andererseits…

»Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen könntest«, erwiderte Cody. »Ehrlich gesagt, habe ich das gehofft, und ich habe meine Vermutungen, aber wirklich wissen tue ich nichts.«

»Oh«, sagte ich einfach nur. Jetzt, da er das gesagt hatte, begann ich ernsthaft darüber nachzudenken. Ethan hatte nie über irgendwelche Mädchen geredet. Er hatte mich ein oder zwei Male wegen Sarah gestichelt, aber davon abgesehen, war das nie ein Thema gewesen. Konnte das ein Indikator sein? Ethan schien immer so jung, beinahe kindisch und unschuldig, trotz seiner Verrücktheit und seinen sexuellen Anspielungen.

Ich hatte ihn immer für einen Spätzünder gehalten, sodass ich das nie in Frage gestellt hatte. Aber jetzt? Es musste nicht unbedingt so sein, aber wenn man sich alle Zeichen ansah, schien es möglich.

»Oder vielleicht sagst du das nur, weil du es ausversehen verraten hast«, stellte ich nach einer kurzen Pause laut denkend fest.

Er lachte. »Ich wünschte, es wäre so. Wenn ich es wirklich wüsste, dann würdest du das merken. Ich bin ziemlich grottig, wenn es ums lügen geht.«

Ich entschied, nach einem prüfenden Blick, dass er die Wahrheit sagte. Oder war es nur das, was ich hören wollte?

»Hättest du etwas dagegen?« frage Cody sanft.

»Wogegen?« erwiderte ich verwirrt.

»Wenn Ethan schwul ist.«

Ich zögerte. »Es ist irgendwo komisch. Wenn ich bei ihm übernachte, schlafe ich immer bei ihm im Bett. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«

Codys Reaktion war sofortig und barsch. »Hat er sich je an dich rangemacht? Dich berührt, wenn du es nicht wolltest, oder so, dass es mehr als ganz normales Verhalten zwischen Freunden war? Hat er?«

»Nein«, musste ich zugeben. Klar, Ethan war manchmal etwas anhänglich, aber so verhielt er sich allen gegenüber, die es zuließen. Mit Jungen, Mädchen, seiner Familie, jedem; und ich konnte mich nicht an einen einzigen Moment erinnern, an dem mich das gestört hätte.

»Dann solltest du, falls er schwul ist, das keinen Einfluss auf eure Freundschaft haben lassen«, schlussfolgerte Cody. »Stell dir einfach vor, dass er 'nen Mädchen ist.« Er lachte. »Selbst wenn du Mädchen willst, und sie auf Schwänze stehen, heißt das noch lange nicht, dass sie an deinem interessiert sind.«

»Das sind sie nicht?« fragte ich und tat vollkommen überrascht.

Er hob seine Augenbrauen. »Es tut mir echt leid, dir das mitteilen zu müssen, aber nö, definitiv nicht.«

»Und was ist mit dir?« fragte ich, und bereute es sofort. Wollte ich das wirklich wissen?

Er nahm sich einige Zeit, um mich von oben bis unten zu mustern. Dann grinste er. »Tut mir leid, ich bin im Moment an wem anderen interessiert. Ich kann dich ja wissen lassen, wenn es nicht klappt und ich wieder verfügbar bin.«

»Ähm, nichts gegen dich, aber nein. Trotzdem danke«, erwiderte ich mit einer Grimasse. »Mir gefallen Mädchen ganz gut, und das ist auch alles was ich brauche.«

»Finde ich zwar komisch, aber wenn du darauf stehst, ist das dein Ding«, sagte er, was mich zum Lachen brachte, denn normalerweise wäre das etwas gewesen, was ich zu einem Schwulen gesagt hätte, anstatt andersherum. Wir gingen weiter und einige Minuten verstrichen, bevor ich das Gespräch weiterführte.

»Glaubst du echt, dass Ethan schwul ist? Wirst du irgendwie… versuchen mit ihm zusammen zu kommen?« fragte ich, weil ich immer noch das Bedürfnis hatte, darüber zu reden.

»Ehrlich gesagt, das ist alles Wunschdenken«, erwiderte Cody. Er seufzte. »Ich habe keine Ahnung… aber hättest du was dagegen, wenn ich das täte?« fragte er vorsichtig.

Ich dachte darüber nach. Irgendwie komisch wäre es schon, aber eigentlich ging mich das ja gar nichts an. Ich konnte nur hoffen, dass es nichts an der Freundschaft zwischen ihm und mir ändern würde. Solange er glücklich war, würde ich mein Bestes tun, um ihn zu unterstützen. Das schuldete ich ihm. Natürlich war das alles nur Spekulation, auf der Annahme basiert, dass er tatsächlich schwul war, und das war bisher ein eher kleiner, wenn auch langsam wachsender Verdacht.

»Es ist nicht meine Aufgabe, ihm zu sagen, was er tun oder lassen soll«, sagte ich letzten Endes, aber als ich den Blick sah, den Cody mir zuwarf, fügte ich hastig hinzu: »Na ja, das war vermutlich nicht das, wonach du gefragt hast. Ähm ernsthaft, ich kenne dich nicht gut genug, um darauf eine vernünftige Antwort geben zu können. Aber wenn es Ethan glücklich macht, dann habe ich nichts dagegen und wünsche euch viel Glück.«

Cody lächelte. »Das ist schön zu hören. Egal ob Ethan schwul ist oder nicht, jeder deiner Freunde hat Glück dich zu haben. Nicht jeder ist da so tolerant.«

Ich nickte und musste wieder an meine Brüder und Mr. Adams denken. »Hattest du irgendwelche negativen Erfahrungen?« fragte ich interessiert.

»Nichts zu Heftiges«, sagte er. »Ein paar dumme Kommentare, sonst noch nichts. Meine Familie ist da cool drauf und Kalifornien und New York sind beides sehr tolerante Staaten. Ich hatte kaum Probleme in der Schule, außer der Sache mit Jenkins vielleicht. Aber nicht jeder hat es so einfach.« Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und zeigte mir in Bild daraus.

»Ist das dein Ex?« fragte ich, als ich einen blonden Jungen im Alter von etwa vierzehn Jahren sah. Er sah relativ klein und schmächtig, regelrecht verletzlich aus, aber auch hübsch, insoweit ich das bei einem Jungen beurteilen konnte. Der verdrehte sicherlich einigen Mädels den Kopf.

Cody schüttelte verneinend den Kopf und schaute melancholisch auf das Bild. »Ich hatte mal einen festen Freund, aber das ist eine andere Geschichte. Das hier ist Pete. Er ist zu Hause rausgeflogen, weil seine Eltern keine Schwuchtel unter ihrem Dach haben wollten.« Er spuckte die letzten Worte wütend aus.

»Wow«, ich verzog mein Gesicht. »So etwas gibt es immer noch?« Wenn man an Mr. Adams dachte, schien genau das gar nicht so unwahrscheinlich, aber trotzdem, es gab einen Unterschied, ob man nur daran dachte, dass es passieren konnte, oder von jemandem erfuhr, dem es wirklich passiert war.

»Natürlich«, sagte Cody, von meiner Überraschung erstaunt. »Einer seiner Brüder hat es herausgefunden und seinen Eltern gesagt. Sein Stiefvater ist durchgedreht. Es war alles andere als schön. Ein gebrochener Arm, mehrere gebrochene Rippen, eine Gehirnerschütterung; und sein ganzer Körper war grün und blau.«

Seine Auflistung schien irgendwie kalt und verbittert, aber das lag vermutlich daran, dass er diese Geschichte schon oft erzählt hatte, während ich sie zum ersten Mal hörte. Ich war entsetzt, nicht nur über das, was mit Pete geschehen war, sondern darüber, dass Josh genau diese Erfahrung machen könnte, sollten seine Eltern jemals sein Geheimnis erfahren. In diesem Moment begann ich, Joshs Angst, dass Philip ihn erpressen könnte, wirklich zu begreifen. Ich hatte vorher zwar mehr oder weniger verstanden, was er meinte, aber erst jetzt, zum ersten Mal, fühlte ich förmlich, was es für Josh bedeutete.

»Das ist furchtbar. Wie können Brüder und Eltern so etwas tun?«

Cody zuckte mit den Achseln und als er sprach, klang er sehr verbittert. »Man gewöhnt sich daran, so etwas zu hören. Jugendliche die zu Hause rausfliegen. Leute die zusammengeschlagen oder ermordet werden. Klar, die USA ist ein wunderbarer Platz für Schwule, im Vergleich zu anderen Ländern zumindest, in manchen von denen es Todesstrafe für uns gibt. Aber das heißt trotzdem nicht, dass es hier perfekt ist.«

Er schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Zwanzig bis vierzig Prozent aller Obdachlosen Jugendlichen sind schwul, lesbisch oder Transgender. Schwule Jugendliche haben eine viermal so hohe Suizidversuchsrate wie Heterosexuelle. Es ist immer noch fast überall erlaubt, Minderjährige zur sogenannten Reparativtherapie, der angeblichen Heilung von Schwulen, zu zwingen.«

Er zog eine säuerliche Miene. »Reparativtherapie ist ein totaler Euphemismus, weil es sich eigentlich um Tortur mit teilweise schweren Langzeitfolgen handelt. Und es ist trotzdem erlaubt, obwohl diese Praxis von sämtlichen medizinischen Vereinigungen und fast allen Wissenschaftlern verurteilt wird. Ich habe es vielleicht einfach, und oft erscheint es so, als ob das kein großes Thema mehr sei, aber das heißt nicht, dass es allen schwulen Jugendlichen in den USA, oder auf der Welt, so gut geht.«

»Das wusste ich nicht«, brachte ich hervor, weil mir keine passenden Worte einfielen, um auf diese erschreckenden Fakten zu antworten. »Ich habe da nie wirklich drüber nachgedacht.«

Er antwortete nur mit einem Nicken und wir gingen einige Minuten, ohne ein Wort zu sagen, bis wir eine große Lichtung erreichten. Ich schaute zu der anderen Seite herüber und beobachtete einige Jugendliche, die einen Ball hin- und herwarfen. Abgesehen von den gedämpften Rufen, die von dieser Gruppe herüberschallten, und dem entfernten Autolärm, war es ruhig.

Endlich unterbrach ich die Stille, weil ich nicht wollte, dass unser Gespräch bei einem so bedrückenden Thema endete. »Woher weißt du das alles?«

»Ach, ich lese viel und ich habe mitgeholfen, eine GSA, also eine Gay Straight Alliance an meiner alten Schule zu gründen«, erklärte Cody.

»So eine gibt es doch bei uns auch, oder?« erinnerte ich mich plötzlich.

»Das stimmt.« Cody nickte. »Vielleicht solltest du mal mit mir mitkommen, wenn ich da hingehe. Du könntest diesen Freund von dir auch mitbringen. Die Treffen sind auch für Heteros, also musst du dir keine Sorgen machen, dass irgendwer denken könnte, du wärst schwul.«

»Mal gucken«, sagte ich mit einem Achselzucken. Ich bezweifelte, dass ich wirklich gehen würde. Außer vielleicht, um Ian und Conrad anzupissen. Die Vorstellung von ihrer Reaktion auf so eine Aktion brachte mich zum Grinsen. Vielleicht würde ich das wirklich tun, nur um ihre Gesichter zu sehen.

Die Sonne verschwand bereits am Horizont und wir hatten die Wiese überquert. »Lass uns hier links abbiegen«, schlug ich vor. »Der Weg führt uns wieder aus dem Park heraus und es sollte bald spät genug sein, dass ich nach Hause gehen kann.«

Wir folgten dem Pfad eine Weile, bis wir an einem großen, überwiegend leeren Parkplatz ankamen. Ich entschied, eine Abkürzung zu nehmen und über den Platz zu gehen, anstatt ihn zu umrunden. Wir hatten gerade erst einige Schritte auf den Teer gemacht, als ich sah, wie ein mir sehr bekannter, grauer SUV mit einem sichtbaren Kratzer auf der linken Vordertür von der Straße auf den Platz fuhr und etwa sechzig Meter von uns entfernt stoppte.

Was zur Hölle hatte Philip hier zu suchen?

Sofort sprang ich hinter eines der wenigen, nahestehenden Autos und betete, dass ich mich irrte, oder dass falls ich richtiglag, er mich nicht gesehen hatte. Ich konnte mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als dass Philip jetzt von unserem Geheimnis erfuhr.

»Ähm, was genau ist bitte jetzt mit dir los?« wollte Cody wissen. Er stand immer noch mitten auf dem Platz und schaute mich verwirrt an.

»Erkläre ich später«, sagte ich und erhob meine Hand, um ihn zu stoppen. »Warte mal kurz.« Ich erhob mich vorsichtig und blickte durch das vordere Seitenfenster des schwarzen SUV hinter dem ich mich versteckte. Obwohl die Sonne unterging und es schon beinahe dunkel war, konnte ich ganz deutlich erkennen, dass es Philip war. Er verließ sein Auto und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, als ob er auf etwas oder jemanden wartete. Er schaute in etwa in unsere Richtung, also senkte ich meinen Kopf schnell wieder, damit er mich nicht entdecken konnte,

Ich wandte mich Cody zu. »Siehst du den grauen SUV wo der Typ sich gegenlehnt? Kannst du ihn beobachten und mir sagen, was er tut? Lehn dich einfach gegen das Auto und tu so, als ob du was auf deinem Handy schreibst, damit es nicht verdächtig aussieht«, befahl ich ihm. Dann realisierte ich, was für einen Ton ich mit ihm anschlug, also fügte ich ein flehendes »Bitte?« hinzu.

Er warf mir einen weiteren, fragenden Blick zu, aber tat dann, was ich ihm aufgetragen hatte. Erst einmal passierte eine ganze Weile gar nichts, aber dann sprach er plötzlich. »Alter, der guckt mich an.«

»Mach dir keine Sorgen, solange er nicht herkommt, ist alles in Ordnung«, antwortete ich.

»Nein Mann, das ist gruselig. Er hat mich gerade angestarrt und dann angefangen zu grinsen oder so. Jetzt schaut er wieder auf sein Handy«, beschwerte Cody sich. »Ernsthaft jetzt, sag mir was hier los ist.«

»Ähm, das…«, begann ich, aber Cody unterbrach mich.

»Da kommt wer zu seinem Auto.«

»Wer?« fragte ich angespannt.

»Irgend so’n Jugendlicher«, antwortete er. Auf einmal atmete er scharf ein. »Ich kenne den Typen. Er geht mit uns auf eine Schule. Seth ist sein Name, glaube ich zumindest. Ich habe ihn auf dem letzten GSA Treffen gesehen. Er ist ein Freshman, soweit ich weiß. Er ist auf jeden Fall eines der jüngsten Mitglieder. Oh, und er ist definitiv schwul.«

Ich erinnerte mich plötzlich an Josh’s Verdacht gegenüber Philip. »Was machen die beiden?« wollte ich wissen.

»Sieht so aus, als ob sie sich kennen«, kommentierte Cody. »Jetzt gibt er Seth irgendwas. Verdammt, ich kann nicht sehen, was.«

Ich wollte nicht glaube, was ich hörte, und erhob mich erneut, um selbst nachzusehen. Philip war immer noch gegen das Auto gelehnt und Seth stand relativ nah bei ihm. Sie schienen über etwas zu diskutieren. Ich konnte zwar kein Wort verstehen, aber die Gesten machten das ziemlich deutlich.

Cody trat nun auch hinter das Auto. »Ich will nicht, dass Seth mich erkennt. Ich habe keine Ahnung, worum das hier geht, aber entweder bist du total komisch oder ich habe einen ernsthaften Grund mir Sorgen zu machen. Noch hat er mich nicht gesehen und so wie du dich gerade benimmst, ist es vermutlich besser, wenn das auch so bleibt.«

»Yep«, antwortete ich einfach, weil ich zu beschäftigt damit war, Philip zu beobachten. Er zog sein Portemonnaie hervor und gab Seth mehrere Scheine. Dann öffnete er ihm die Beifahrertür und forderte ihn mit einer Geste auf, einzusteigen.

»Heilige Scheiße!« kam von meiner Rechten und ich wandte mich überrascht Cody zu, der nun neben mir stand und durch dasselbe Fenster starrte. »Hast du das gesehen?« Er blinzelte einige Male und öffnete seinen Mund, nur um ihn wieder zu schließen, als ob ihm die Worte fehlten. »Er hat… er hat gerade… das war Geld… oder? Und dann ist Seth ins Auto eingestiegen«, brabbelte Cody weiter. »Alter, ich hoffe, es ist nicht das, was ich glaube, das es ist.«

»Ich denke genau dasselbe wie du«, sagte ich durch knirschende Zähne.

Das war also die Wahrheit hinter Philips freundlicher Fassade. Meine Gefühle waren ein Strudel aus Wut gegenüber Philip, Angst um Josh und Mitleid für Seth. Was auch immer Seth dazu getrieben hatte, sich auf solche Geschäfte einzulassen, es musste aufhören.

Cody fuhr fort: »Aber es sieht ziemlich genau danach aus.«

»Wir müssen zur Polizei gehen«, forderte ich.

»Ich bezweifle, dass das eine gute Idee ist«, widersprach Cody. »Es wäre besser, erst mit Seth darüber zu reden, bevor wir irgendetwas anderes tun. Ich meine, es ist eigentlich glasklar, aber es gibt die Möglichkeit, dass wir falsch liegen. Außerdem müssten wir es erstmal beweisen. Was, wenn Seth aus Angst nichts sagt. Dann sind wir die Dummen und es wird vermutlich keine zweite Chance geben, ihn dann noch zu erwischen.«

Er hatte Recht. Außerdem, wenn Philip herausfand, wer ihn bei der Polizei angezeigt hatte, dann wäre es aus mit Joshs und meinem Geheimnis, und an die Konsequenzen davon, wollte ich gar nicht erst denken. Philip könnte sogar versuchen, sich zu rächen indem er Josh etwas antat, oder seinen Eltern gegenüber das Falsche sagte. Ich atmete bewusst langsam, um zu versuchen, mich zu beruhigen.

»Lass uns gehen«, meinte ich, sobald sie verschwunden waren. Ich wollte weg, damit ich klar denken konnte. Während wir zu Cody nach Hause gingen, versuchte ich, mir eine Lösung für dieses neue Problem einfallen zu lassen. Bevor ich irgendetwas tun konnte, musste ich mit Josh reden. Das würde ich am nächsten Nachmittag tun. Vielleicht hatte er eine gute Idee.

»Könntest du versuchen, herauszufinden, was mit Seth los ist? Möglichst ohne, dass jemand Verdacht schöpft und ohne, dass er Angst bekommt, weil er merkt, dass jemand davon weiß«, bat ich Cody. »Es ist vermutlich besser, wenn du das tust. Wenn er einem von uns vertraut, dann dir, weil du in der GSA bist und so weiter.«

»Du hast vermutlich Recht. Ich werde es versuchen«, stimmte Cody zu. »Aber wer war der Typ bitte?«

»Er arbeitet für Joshs Eltern«, informierte ich ihn.

»Oh«, sagte Cody. »Ich hoffe, er hat nie versucht, sich an Josh ranzumachen oder sowas.«

»Hat er nicht, zumindest nicht bisher«, beruhigte ich ihn. Ich vermutete, dass Josh dieses Thema lieber komplett zwischen uns behalten hätte, aber dafür war es jetzt zu spät. »Aber es ist ein Grund mehr, einzugreifen und ihn zu stoppen«, fügte ich entschlossen hinzu.

Nachdem ich mich von Cody verabschiedet hatte, ging ich nach Hause. Nun, da ich alleine war, begannen meine Gedanken chaotisch umherzuwirbeln. Philip, Seth, Ian, Conrad und dann noch all diese anderen Dinge – wenn es so weiterging, würde ich in einige Wochen einen Herzschrittmacher benötigen. »Eins nach dem Anderen«, entschied ich, als ich die Wohnung betrat. Ich schloss meine Augen für einige Sekunden und versuchte mich zu konzentrieren. Jetzt war meine Mission erst einmal, ins Bett zu kommen und einzuschlafen, bevor Ian oder Conrad mich mit der Sache mit Cody konfrontieren konnten.

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Hey Sammy,
danke für den neuen Part. Leider ist er so lang, dass ich es zeitlich nicht schaffe, ich auf einmal komplett zu lesen und zu kommentieren.
Wäre es möglich, die nächsten Posts in kürzere Abschnitte zu teilen?
LG nobody.

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Hey :slight_smile:

ich splitte die Teile eigentlich eher ungerne, weiß aber auch nicht genau, was du meinst; der Teil war nicht länger als die vorherigen.

Ich weiß, früher waren die Posts sehr viel kürzer, aber ich habe das ganze nur noch als Kapitel gespeichert, müsste also wieder neu entscheiden, wo nun gerade ein guter Punkt ist, um einen break zu machen. Ich schaue mal, ob es sich bei den besonders langen Teilen ergibt… die nächsten Kapitel sind eigentlich eher kürzer.

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Es ging nicht nur um den letzten Teil sondern insgesamt, dass alle Teile bei Gemini sehr lang sind. Es gibt ja im Autorentalk einen Thread über die ideale Kapitellänge.

Ich freu mich schon auf den nächsten Teil.

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Ist sicherlich eine Frage der Plattform und des persönlichen Geschmacks. Ich persönlich finde 6.000 Wörter einen guten Mittelwert. Aber damit bin ich hier vermutlich eher alleine. :smiley:
Naja, ich versuche mich zu bessern :rofl:

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So besser? :smiley:

Aufgestaute Aggressionen (Teil 1)


Jacob

Nachdem ich ein noch ein wenig Zeit in der Küche geschunden und dann Zähne geputzt hatte, ging ich endlich zu meinem Zimmer. Vorsichtig drückte ich die Türklinke hinunter, sodass ich Ian und Conrad nicht aufweckte, sollten sie schon schlafen. Das Licht war bereits aus, also schlich ich zu meinem Bett und begann, mich auszuziehen. Als ich bei meinen Boxershorts angelangt war, kam eine Stimme von der anderen Seite des Raumes.

»Wo warst du?« fragte Ian mit besorgtem Unterton.

»Was kümmert dich das denn?« erwiderte ich barsch.

Er seufzte. »Was ist los mit dir, Jacob? Du bist so komisch in letzter Zeit. Du redest kaum noch mit uns, kommst nicht mehr mit, wenn wir etwas unternehmen und bist immer den ganzen Tag unterwegs, und dann schadest du dir noch indem mit dieser… Schwuchtel abhängst.« Er seufzte erneut.

Das Wort alleine zu hören, dazu noch wie er es aussprach, reichte, um meine Wut an gefährliche Grenzen zu treiben. Ich schaffte es mit Müh und Not, ruhig zu bleiben und ihm weiter zuzuhören. »Conrad hat mir erzählt, was heute Mittag passiert ist, wie du einfach weggegangen bist… Irgendetwas stimmt nicht und du kannst nicht einfach vor uns davonlaufen. Früher hast du immer über alles mit uns geredet. Warum hat sich das geändert? Vertraust du uns nicht mehr? Du sagst uns ja nicht einmal mehr, wohin du gehst. Wir sind deine Brüder.«

Der logische Teil meines Gehirns riet mir, mich zu beruhigen, aber das war mir inzwischen egal. Ian tat gerade so besorgt um mich und gab sein Bestes, um für mich da zu sein, aber ich hatte da ein starkes Gefühl, dass es sehr schnell anders aussehen würde, wenn ich schwul wäre.

Dieses ganze Gerede, von wegen Vertrauen und Brüder sein, war oberflächlicher Blödsinn. All jene Dinge kamen in mir hoch, die Cody über den Jungen erzählt hatte, der deswegen zu Hause rausgeflogen waren. »Und dann würde ich in irgendeiner dunklen Gasse landen und alten Männern für’n Zwanziger einen lutschen«, dachte ich mir wütend. »Genauso wie Seth.«

Okay, ich war mir sicher, dass meine Eltern, Sarah und Ethan es niemals so weit kommen lassen würden. Jedoch die Gedanken, wie sie Josh behandelt hätten, wenn er von meinen Eltern adoptiert worden wäre, und nicht ich, waren da und das schürte meinen Zorn ungemein. Es war äußerst selten, dass ich mich mit meinen Brüdern stritt, aber in diesem Moment brannte ich nach einer Auseinandersetzung. Ich wollte Streit. Ich wollte provozieren und so viel Dampf ablassen, wie ich nur konnte.

»Ich war mit der Schwuchtel, von der du geredet hast, unterwegs«, entgegnete ich ihm garstig. »Diese Schwuchtel hat übrigens einen Namen. Er heißt Cody.«

Es gab eine längere Pause und Ian seufzte ein weiteres Mal. »Okay, dieser Typ, Cody, warum hängst du überhaupt mit dem ab?«

Man konnte regelrecht hören, wie er mit seinen Augen rollte, als er Codys Namen sagte. »Egal, lass mich in Ruhe«, sagte ich angepisst, und legte mich mit meinem Rücken zu den Beiden ins Bett. Nicht dass sie es sehen konnten, aber ich tat es trotzdem.

Plötzlich meldete sich Conrad zu Wort. »Der tut wahrscheinlich auf lieb und harmlos und so’n Scheiß und sobald du ihm vertraust wird er versuchen, dich auch schwul zu machen. Das hat schon einer dieser Hinterlader bei mir versucht. So sieht das doch wohl bei euch beiden auch aus, oder etwa nicht?«

Das war so dumm, ich wusste nicht mal, ob ich lachen oder weinen sollte. »Ja genau, und dann reiten wir zusammen auf einem Einhorn gen Sonnenuntergang,« sagte ich sarkastisch. »Warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe? Ich kann schon auf mich selbst aufpassen, keine Sorge.«

»Na ja, du benimmst dich aber nicht gerade so«, widersprach Conrad, und jetzt klang er auch angepisst. »Du hängst den ganzen Tag mit dem rum und jetzt willst du nicht mal mehr mit uns reden? Wie soll man denn das verstehen?«

»Conrad…«, warnte Ian, aber ich unterbrach ihn bevor er weiterkam.

»Kannst du mal einen Moment die Fresse halten und darüber nachdenken, was für einen Haufen gequirlte Scheiße du da von dir gibst?« Meine Stimme war deutlich lauter als in der kleinen Wohnung um diese Uhrzeit angemessen. »Was, wenn ich schwul wäre? Wärst du von mir angeekelt? Würdet ihr wegschauen, wenn irgendein Arschloch in der Schule dumme Sprüche machen, oder mich angreifen würde? Wie würdet ihr reagieren, wenn Mama und Papa mich rauswerfen? Würde es euch überhaupt interessieren, was mit mir passiert?«

Jetzt war ich so richtig in Fahrt gekommen. »Ihr seid so besessen von diesem Thema. Wäre es euch es wert, deswegen euren Bruder zu verlieren, nur wegen eurer Vorurteile? Weil ihr Angst habt, dass ihr euch anstecken könnt, als ob das eine Krankheit ist, oder so?«

Meinem Ausbruch folgte eine geschockte Stille. Als keiner der beiden etwas sagte, setzte ich mich auf und verließ das Bett.

»Jacob?« fragte Ian. »Was meinst du damit?«

»Denk verfickt nochmal selber darüber nach«, spuckte ich in seine Richtung. »Das ist mir zu blöd, ich verzieh mich.«

»Jacob, warte!« versuchte Ian mich aufzuhalten, aber ich stand bereits am Schrank und suchte einige Klamotten zusammen. »Wo willst du denn hin?«

Ich war versucht mit: »Zu meiner kleinen Schwuchtelprinzessin, wohin denn sonst?« zu antworten, aber ließ es im letzten Moment sein. »Ethan«, antwortete ich knapp, während ich zur Tür ging.

»Wir sehen uns in der Schule«, fügte ich hinzu, bevor ich aus dem Raum trat. Als die Tür geschlossen war, wich die Spannung aus der Luft, als ob ich sie in dem Zimmer hinter mir eingeschlossen hätte. Ich fühlte mich ein wenig dumm dafür, dass ich so ein Drama veranstaltet hatte.

Andererseits war ich aber immer noch extrem genervt und es war vermutlich besser, dass ich ging, bevor ich noch etwas sagte, was ich bereuen würde. Außerdem würde das die beiden vielleicht auch ein wenig zum Nachdenken bringen.

Ich zog meine Schuhe an, stopfte die Klamotten in meinen Rucksack, holte meine Zahnbürste aus dem Bad und verließ die Wohnung. Auf meinem Weg nach unten sendete ich Ethan eine SMS.

Hey, bist du noch wach? Kann ich heute bei dir pennen?

Es war mehr eine Ankündigung als eine Frage. Ich war mir sicher, dass er noch nicht schlief und konnte jederzeit bei ihm übernachten, wenn ich wollte. Ohne auf eine Antwort zu warten, machte ich mich auf den Weg zu ihm und rief währenddessen Josh an.

Als er abnahm, klang er total verpeilt: »Hey J, was geht?«

»Tut mir leid, habe ich dich aufgeweckt?«

»Mehr oder weniger.« Josh gluckste schwach. »Ich bin auf meinem Schreibtisch eingepennt und habe mit einem Bücherstapel gekuschelt, also war es vermutlich ganz gut, dass du mich angerufen hast.«

Das brachte mich zum Lachen. »Na ja, sorry trotzdem. Ich wollte mich nur mal melden und dir ein paar Neuigkeiten mitteilen. Ich hatte gerade einen ziemlich heftigen Streit mit meinen Brüdern.«

»Oh, worum ging’s?« fragte er mich, und klang auf einen Schlag deutlich wacher.

»Ist nicht so wichtig«, sagte ich schnell, aber dann erinnerte ich mich an das letzte Mal, als ich ihm wichtige Informationen vorenthalten hatte. »Obwohl, wenn ich schon dabei bin, kann ich dir wohl auch gleich alles erzählen. Als ich nach Hause kam, war ich eh schon gereizt und dann haben die noch angefangen mich über Cody und Schwule insgesamt vollzulabern. Das fand ich nicht so toll und ich glaube das sollten sie mehr oder weniger auch mitbekommen haben.«

»Mehr oder weniger?« fragte er skeptisch.

»Na ja, ich war so angepisst, ich habe meine Sachen gepackt und bin abgehauen, anstatt weiter mit ihnen zu diskutieren. Es war also auf jeden Fall mehr, als nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.«

»Alter, das musst du doch nicht meinetwegen machen«, sagte er sofort. »Nur, weil ich schwul bin, musst du dich nicht über sowas mit deinen Brüdern streiten. Das ist mein Kampf, dich betrifft das doch gar nicht.«

»Tut es wohl«, widersprach ich ihm. »Außerdem geht es nicht nur darum. Alter…« ich raufte meine Haare. »Die waren so bescheuert, ich musste einfach etwas sagen. Sie tun immer noch so, als sei ich ein kleines Kind, auf das man aufpassen muss. Außerdem geht es auch um Cody. Ich mag ihn, er ist echt in Ordnung.«

»Okay«, sagte er, und ich konnte nahezu vor mir sehen, wie er verständnisvoll nickte. »Trotzdem danke, und so. Denkst du, dass es irgendwelche größeren Auswirkungen haben wird?«

»Nicht wirklich. Na ja, vielleicht ein wenig, aber damit kommen wir schon klar. Das Thema sollte bald erledigt sein. Ich denke, ich habe deutlich gemacht, wie ich dazu stehe. Ich bin gerade auf dem Weg zu Ethan und penne dann heute Nacht bei ihm. Das sollte die Fronten für Ian und Conrad klarstellen.«

»Wenn du das sagst, dann muss ich dir wohl vertrauen«, stimmte er mir zu. »Du kennst sie besser als ich.«

»Es gibt da noch etwas«, sagte ich und mein Herz begann schneller zu schlagen, während meine Wut wiederkehrte.

»Bitte reagier nicht zu heftig… ähm, also… es sieht so aus ob du Recht mit Philip hattest. Cody und ich haben beobachtet, wie er einen Jungen im Park getroffen, ihm Geld gegeben und ihn dann mitgenommen hat. Es war definitiv Philip, den wir gesehen haben«, erzählte ich und machte eine kurze Redepause. Das war ein Fehler.

»Dieses verfickte Arschloch«, fluchte Josh. »Er tut so, als ob er dieser nette, fürsorgliche Typ wäre, wenn er bei mir ist, und direkt danach fährt er in den Park um sich Frischfleisch vom Straßenstrich zu holen? Wie krank ist das denn bitte? Scheiße, was machen wir jetzt?«

»Alter, tut mir echt leid«, sagte ich, und meinte es auch. »Schau, wir finden schon eine Lösung. Cody meinte, er kenne den Jungen aus der GSA an unserer Schule. Er versucht, mehr herauszufinden. Du musst nur noch einen Tag lang so tun, als ob alles okay wäre. Wir tauschen für das Wochenende und danach wissen wir hoffentlich bereits mehr.«

»Das hoffe ich doch«, konnte ich ihn mit knirschenden Zähnen sagen hören.

»Das wird schon alles«, versicherte ich ihm. Ein weiteres Versprechen, von dem ich nur entfernt hoffen konnte, es irgendwie zu halten. »Wie auch immer, ich bin fast bei Ethan, also muss ich Schluss machen. Gibt es noch irgendetwas, worüber wir reden müssen?«

»Mir fällt gerade nichts ein«, antwortete er, wobei er gestresst und müde klang.

»Hey, leg dich hin und penn 'ne Runde, okay? Wir treffen uns morgen, um darüber zu reden«, sagte ich zu ihm und nahm mir vor, ihm eine lange, warme Umarmung zu geben, wenn ich ihn am nächsten Tag sehen würde.

»Okay«, stimmte er zu. »Gute Nacht.«

»Nacht«, antwortete ich und legte auf.

Ich hatte eine neue Nachricht von Ethan. Klar. Was ist los? Sag Bescheid, wenn du da bist.

Ich tippte schnell: Ich bin da, und nur eine Minute später öffnete sich leise die Tür und Ethan ließ mich ins Haus. Er schien bereits im Bett gewesen zu sein, denn er trug lediglich seine Boxershorts. Wir schlichen uns hoch in sein Zimmer und ich legte meinen Rucksack in die Ecke, während er wieder unter die Decke schlüpfte. Als ich mich auszog, linste ich zu ihm herüber und bemerkte, dass er mich anschaute.

Ich erinnerte mich an Codys Vermutungen und mein Gehirn begann sofort auf Hochtouren zu arbeiten. Schaute er, weil er mich auschecken wollte und an mir interessiert war? Oder einfach nur, weil er darauf wartete, dass ich ins Bett kam. Bevor ich irgendwelche Schlüsse ziehen konnte, gähnte er und vergrub sich tiefer unter seiner Decke, sodass er mich nicht mehr sehen konnte. Ich interpretierte vermutlich einfach zu viel in unbedeutende Kleinigkeiten. Mit einem geistigen Achselzucken nahm ich meinen üblichen Platz neben ihm im Bett ein. Cody lag vermutlich falsch. Ich entschied, weiter Ausschau nach verdächtigen Signalen zu halten, aber ohne konkrete, wirklich offensichtliche Beobachtungen, erschien es mir nicht sinnvoll, groß darüber nachzudenken.

Ethan schaltete die große Deckenlampe im Raum aus, aber ließ das Licht der Nachttischlampe brennen und wandte sich mir zu. Seine blauen Augen nahmen Kontakt zu meinen auf und er starrte mich einige Sekunden lang intensiv an. »Magst du darüber reden?« fragte er sanft.

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich habe meinen Brüdern gesagt, dass, wenn sie nicht mit dem Gedanken klarkommen, dass ich schwul bin, ich es nicht mit ihnen in einem Raum aushalten kann. Dann bin ich gegangen und habe mich entschieden, heute Nacht hier zu pennen.«

Ethan starrte mich mit offenem Mund und einem vollkommen verwirrten Blick an. »Du… du bist schwul? Aber…«

Ich grinste und genoss den Moment, aber dann entschied ich, dass ich nicht schuld sein wollte, wenn Ethan einen Herzinfarkt erlitt. »Nein Mann, ich bin nicht schwul. Es ist nur so, dass ihre ganzen Sprüche über Schwule, vor allem über Cody, mich extrem angepisst haben. Ich habe mich halt gefragt, wie sie wohl reagieren würden, wenn ich wie Cody wäre, verstehst du? Also, ob sie hinter mir stehen würden, oder nicht. Ihre Reaktion war nicht sonderlich toll, also bin ich gegangen, um zu demonstrieren, dass ich darüber nicht gerade glücklich bin.«

Ich wartete einen Moment und dachte darüber nach, was ich gerade gesagt hatte, während Ethan immer noch versuchte, das alles zu verarbeiten. »Okay, ehrlich gesagt, ich war eigentlich einfach nur wütend. Ich hatte keinen wirklichen Plan, aber so ist es nun mal gelaufen. Außerdem scheint es sich als ganz gutes Ablenkungsmanöver herauszustellen. Ian ist argwöhnisch seit das alles mit Josh angefangen hat. Jetzt hat er eine Erklärung für mein und Joshs Verhalten, oder zumindest glaubt er das.«

Ethan starrte mich immer noch an.

Ich lachte. »Gibt’s heute Fliegen als Mitternachtssnack?«

»Äh ja… ich meine nein«, sagte Ethan und schloss endlich seinen Mund. »Das ist cool. Was du getan hast, meine ich.«

Er versuchte zu lächeln, aber ich sah ihm an, dass etwas nicht stimmte, oder ihn zumindest sehr nachdenklich machte. »Was ist los?« fragte ich ihn. »Bist du nicht total für Gleichstellung und so? Denkst du, dass es komisch ist, so etwas zu tun?«

Er schüttelte hastig den Kopf. »Nein, alles ok. Ich bin nur… müde im Moment. Ich find’s wirklich cool, dass du dich für Cody einsetzt. Ich denke nur gerade darüber nach, was es genau für uns alle bedeutet und wie Ian und Conrad reagieren werden.«

»Finden wir wohl morgen in der Schule heraus. Sie werden wohl mit mir sprechen wollen.«

»Wohl wahr«, stimmte er mir zu.

»Na ja ich bin müde, und du wohl auch. Lass uns pennen«, schlug ich vor. Ich keinen Sinn darin, weiter darüber zu reden.

»Du hast recht«, sagte Ethan mit einem Gähnen und schaltete das Licht aus. »Gute Nacht, J.«

»Nacht Ethan«, antwortete ich. Dann lächelte ich ihn an, obwohl er es nicht sehen konnte. »Und danke, dass ich hier pennen kann. Es ist gut, dass ich Freunde habe, auf die ich mich verlassen kann.«

»Kein Problem«, antwortete er schläfrig. »Du hättest dasselbe für mich getan.«

»Auf jeden Fall«, bestätigte ich. Minuten später war ich eingeschlafen.

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Freunde sind so wichtig!

Warum Ethan da gerade so überrascht war? Ob an der Vermutung, dass er schwul sein könnte, was dran ist?

Ich bin gespannt.

Denken Ian und Conrad vllt. dass er schwul ist, auch wenn er es verneint hat… Das könnte ich mir gut vorstellen. Hoffentlich gehen sie damit gut um.

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Ja, vor allem in dem Alter und solchen Situationen ist ein Freund sehr viel wert.

Ethan benimmt sich da sicherlich auffällig.
„Ich bin nur… müde…“
jaja :wink:

Aufgestaute Aggressionen (Teil 2)


Jacob

Am nächsten Morgen biss ich genüsslich in mein Sandwich, als wir auf die Schultore zugingen. »Hast du schon mit ihm geredet?« nuschelte ich mit vollem Mund.

Cody warf mir einen scheltenden Blick zu. »Nein.«

»Alter, wir können nicht ewig warten«, warnte ich ihn. »Wir müssen so schnell es geht mehr herausfinden und handeln.«

»Na, dann los, wenn du irgendwelche Zaubertricks draufhast, die uns helfen, dann ist jetzt der Moment, uns davon zu erzählen«, entgegnete er genervt. »Was soll ich denn tun? Hingehen und ihn fragen, ob er Sex mit alten Männern für Geld hat?«

Ich grinste. »Warum nicht?« Er hob eine Augenbraue und daraufhin seufzte ich. »Tut mir leid, ich habe auch keine bessere Idee.«

»Ich habe bereits versucht, so viel wie möglich herauszufinden, aber man kann solche Fragen nicht einfach so stellen, ohne Verdacht zu erwecken«, antwortete Cody. »Ich habe allerdings herausgefunden, dass seine Eltern ihn rausgeworfen haben, als er sich geoutet hat. Das würde erklären, warum er tut, was er tut. Abgesehen davon weiß ich aber nichts. Ich werde versuchen, morgen oder nächste Woche mehr Infos zu bekommen.«

Ich wollte ihn erneut auffordern, das so schnell wie möglich zu tun, aber das würde keinem von uns helfen. »Okay, wir sehen uns dann morgen«, sagte ich stattdessen. »Danke, dass du mir damit hilfst.«

»Kein Ding. Mir ist das genauso wichtig wie dir, aber ich will es halt nicht versauen, indem ich zu voreilig bin«, sagte er. »Wie auch immer, bis morgen.«

Wir trennten uns und ich lief die Straße hinab in Richtung des Parks. Ich wünschte mir, dass ich nur ein Problem gleichzeitig zu lösen hätte. Das wäre so viel einfacher. Stattdessen hatte ich Ian, Conrad, Seth und Philip alle gleichzeitig an der Backe hängen und in meinem Kopf schwirrte ein Haufen Gedanken herum. War Ethan nun schwul oder nicht? Ach ja, und Parker war auch noch da. Doch soweit konnte ich schon nicht mehr denken.

Ian und Conrad hatten mich glücklicherweise bisher in Ruhe gelassen. Ich hatte in der Schule ein oder zwei Mal einen kurzen Blick auf sie erhascht, aber ansonsten hatten wir uns noch nicht gesehen. Oder zumindest hatte ich sie nicht wirklich beachtet. Stattdessen hatte ich eine Menge Zeit damit verbracht, Ethan zu beobachten, ständig auf der Suche nach einem Hinweis, ob er nun auf Jungs stand, oder nicht, doch das blieb ohne Erfolg. Er war höchstens etwas ruhiger als sonst. Das Klingeln meines Handys unterbrach meine Gedanken. Ich glaube Ian folgt dir - Sarah

Ich widerstand dem Drang, mich umzudrehen und nachzusehen, ob sie Recht hatte. Stattdessen zwang ich mich dazu, einfach geradeaus weiter zu gehen. An der nächsten Kreuzung bog ich nach rechts ab, weg vom Park, und warf einen schnellen Blick über meine Schulter in die Straße hinter mir. Ich sah, wie jemand im letzten Moment hastig hinter einen Busch sprang. Schnell tippte ich eine Antwort an Sarah.

Danke! Du bist eine Lebensretterin <3

Ich lief weiter die Straße hinab, während ich darüber nachdachte, was ich tun könnte. Sollte ich einfach an der nächsten Ecke warten und ihn zur Rede stellen? Oder sollte ich lieber irgendeinen Ort aufsuchen, der vielleicht sogar meine Abwesenheit in den letzten Tagen erklären würde? Ich schlug in die Tasten und sandte Josh auch noch eine Nachricht.

Ich kann nicht zum Park kommen, Ian stalkt mich.

Bei der nächsten Kreuzung bog ich wieder rechts ab und sah unauffällig zurück. Ian war noch immer hinter mir. Offensichtlich hatte er nicht bemerkt, dass ich ihn gesehen hatte, also lief ich weiter, bis ich die Straße erreichte, die mich wieder zurück zur Schule bringen würde. Sobald ich dort ankam, umkurvte ich die Ecke des Häuserblocks, lehnte mich an einen nahegelegenen Baum und wartete auf ihn.

Als Ian endlich um die Ecke kam und mich bemerkte, blieb er stehen und sah mich ertappt an. Sein Gesichtsausdruck verriet eine Mischung aus Überraschung und einem kleinen bisschen Schuld. Ruckartig befreite er sich aus seiner Starre und kam auf mich zu.

»Hey Ian«, begrüßte ich ihn, doch mein Tonfall war alles andere als freundlich. »Machst 'nen Spaziergang?«

»Wo gehst du hin?« fragte er, anstatt darauf zu antworten.

»Das geht dich nichts an«, erwiderte ich kalt. Die meiste Wut von heute Nacht war zwar verschwunden und ich hatte sogar Schuldgefühle, ihn so zu behandeln, aber ich wollte nicht auch nur das kleinste Stückchen nachgeben. Sollte ich das tun, wusste ich, dass Ian und Conrad niemals meine Ansicht gegenüber Cody oder die Wirkung ihrer Worte verstehen würden.

Er warf mir einen verärgerten Blick zu.

»Mama hat gefragt, warum du heute Nacht bei Ethan warst.«

»Was hast du ihr erzählt?«

Er zuckte mit den Schultern. »Dass wir einen Streit hatten und sie sich keine Sorgen zu machen braucht, weil es keine große Sache war und es eh bald gegessen ist.«

»Nun, ich glaube, das kommt auf euch an. Ich werde mir nicht von euch beiden sagen lassen, mit wem ich abhängen darf, und mit wem nicht.«

Er seufzte und sah mich nachdenklich an. »Jacob…«, begann er. Ich sah ihn fragend an, während ich darauf wartete, dass er weitersprach. Endlich rang er sich dann dazu durch, den Satz auszusprechen. »Jacob, bist du schwul?«

Diese Frage überraschte mich. Es waren nicht so sehr die Worte, die mich schockierten, das hätte ich erwarten können, sondern mehr der sanfte, mitfühlende Ton. Sein Blick war beinahe wie der, den er mir geschenkt hatte, als ich ihm am Anfang meines ersten Jahres an der High-School von den üblen Beleidigungen einiger meiner Mitschüler erzählt hatte.

Ich wollte wütend auf ihn sein, doch ich konnte es einfach nicht. Stattdessen schüttelte ich meinen Kopf. »Bin ich nicht. Es tut mir leid, wenn ich dir Sorgen deswegen bereitet habe. Ich wollte euch halt klarmachen, wieso mir das wichtig ist. Ich wollte, dass ihr mich ernst nehmt und der Rest hat sich von alleine ergeben.«

Er sah mich zögernd an und Zweifel sprach aus seinen Augen. »Also bist du nicht…«

Ich lachte. »Oh Gott, hast du eine Ahnung, wie sehr ich Titten liebe? Ich habe nicht das geringste Interesse an Typen. Aber trotzdem verstehe ich dein Problem damit nicht. Wenn du denkst, dass Sex mit Männern ekelhaft ist, dann wundere ich mich ja schon, warum du überhaupt an schwulen Sex denkst. Denn ich tue das nicht.« Ich zwinkerte ihm zu. »Wie auch immer, wenn du es tust, kein Grund zur Sorge. Ich bin tolerant.«

Er blickte mich finster an. »Ich bin eindeutig keine…Ich bin nicht schwul, okay?«

»Na, hat sich da jemand gerade noch im letzten Moment gefangen?« stichelte ich ihn.

Er warf mir ein schiefes Lächeln zu. »Ich habe darüber nachgedacht, was du gestern gesagt hast. Ich glaube, ich habe eine Ahnung, worauf du hinauswillst. Ich verstehe es nicht wirklich und ich finde noch immer, dass es komisch ist, aber wenn es dir so wichtig ist, dann kann ich versuchen meine Ausdrucksweise etwas zu zähmen. Hört sich das gut an?«

Typisch Ian. Selbst wenn er nicht einer Meinung mit mir war, versuchte er immer noch, mich glücklich zu machen. Obwohl er nicht wirklich das gesagt hatte, was ich hören wollte, nämlich, dass er kein Problem mit Schwulen habe, wurde mir klar, was für einen tollen Bruder ich doch hatte. Das erinnerte mich an Josh und wie er wohl aufgewachsen sein musste, wodurch ich mich sofort schlecht fühlte.

»Hört sich gut an«, sagte ich. »Ich wünschte, du würdest das besser verstehen. Cody ist echt ein toller Kerl. Aber ich denke, ich kann nicht einfach erwarten, dass du deine Meinung über Nacht änderst. Es ist aber trotzdem ein guter Start.«

Für einen Moment sah Ian mich leicht irritiert an, wahrscheinlich, weil ich impliziert hatte, dass ich von ihm erwartete, dass er letzten Endes dieselbe Meinung haben sollte wie ich. Dann beließ er es allerdings dabei. »Vielleicht. Ach ja, Conrad ist noch nicht ganz an diesem Punkt angelangt, aber wenn du mich brauchst, dann stehe ich hinter dir, okay?« Er grinste mich an und das brachte mich automatisch auch zum Lächeln.

»Danke«, sagte ich zu ihm. » Das bedeutet mir viel.«

Er zuckte mit den Achseln. »Kein Problem. Wollen wir zurück zur Schule?«

Ich nickte und wir gingen los. Nach ein paar Minuten wandte er sich erneut mir zu. »Was hast du so dieses Wochenende vor?«

»Ich habe geplant, ziemlich viel davon bei Ethan zu verbringen«, erzählte ich ihm. »Wir müssen für unsere Abschlussprüfungen lernen.«

»Oh«, sagte er enttäuscht. »Wir wollten mit ein paar Freunden zu einem dieser kleinen Seen rausfahren und campen. Ich hatte gehofft, du könntest mitkommen.«

»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Ich muss wirklich lernen und ich habe es Ethan schon versprochen.« Das hörte sich eigentlich nach einem coolen Plan an. Ich wünschte, ich könnte mit ihnen fahren, aber ich würde nach Washington fliegen und Josh wäre vermutlich nicht allzu glücklich darüber, das Wochenende mit meinen Brüdern zu verbringen.

»Was ist mit heute? Hast du schon irgendwas vor?«

Ich konnte hören, dass er mich unbedingt dabeihaben wollte. »Eigentlich schon, aber das hat sich gerade geändert«, sagte ich grinsend zu ihm. »Ich glaube, das schulde ich euch, nach dem ganzen Drama, oder?«

Er lachte. »Es ist okay, so etwas passiert halt mal.«

Er holte sein Handy raus, und während er damit beschäftigt war, Conrad und einige andere Jungs zu einem Basketballspiel zusammenzutrommeln, tippte ich schnell eine Nachricht an Josh.

Hey, ich komme heute nicht. Ich muss ein bisschen Zeit mit Ian und Conrad verbringen, um die Wellen von dem Streit gestern zu glätten. Tut mir echt leid.

Seine Antwort kam kurz darauf.

Mach dir keinen Kopf drum. Ich verstehe das. Ich muss eh noch lernen und den ganzen Kram für deinen Trip nach Washington packen. Viel Spaß und bis dann!

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Moin,

die nächsten Kapitel sind (relativ) kurz, daher teile ich die nicht und spare mit das stattdessen für die zwei, drei deutlich längeren Kapitel auf, die noch kommen.

Eine kleine Aufmunterung


Josh

»Schönes Wochenende, Josh«, wünschte mir Mr. Fisher, als ich an ihm vorbeiging. »Viel Spaß auf deinem Ausflug nach Washington.«

»Danke!« antwortete ich und zwang mich zu lächeln. »Ihnen auch ein schönes Wochenende.«

Ich verließ das Klassenzimmer und richtete meine Augen auf den Boden, während ich mich auf den Weg aus dem Schulgebäude machte. Meine Stimmung war schon den ganzen Tag am Boden gewesen. Seit Jacob mir das mit Philip und Seth berichtet hatte, tat ich mein Bestes, um Philip so gut es nur ging zu meiden. Das hatte mehr oder weniger geklappt. Allerdings hatte Philip bemerkt, dass etwas nicht stimmte und hatte mir dauernd diese komischen, irgendwie besorgten Blicke zugeworfen. Dann hatte Jacob sich auch noch entschieden, den vorherigen Tag mit seinen Brüdern anstatt mit mir zu verbringen, und das hatte mir viel zu viel Zeit zum Denken gegeben. Inzwischen drehten sich all meine Gedanken nur noch darum, was Philip mir antun könnte und wie im Arsch mein ganzes Leben eigentlich war. Mit anderen Worten: Ich fühlte mich alleine und war deprimiert.

Jeder hat solche Phasen, in denen er nachdenklich wird und die Welt um sich herum einfach ausblendet. Je mehr man dann über seine Probleme nachdenkt, desto stärker zieht man sich selbst herunter. Sowas ist vermutlich normal, zumindest solange es sich im Rahmen hält. Man muss aber die Grenze kennen, denn wenn man sich in all den negativen Dingen um sich herum vergräbt, dann bekommt man auf Dauer keine Luft mehr. Ich hoffte sehr, dass Jacob mich aus dieser kleinen Depression retten konnte.

Gerade als ich durch das Schultor ging, sah ich Parker in der Nähe stehen, umringt von seinen Kumpels. Er warf mir einen hasserfüllten Blick zu und ließ seine Muskeln spielen. Eine Sekunde lang hörte mein Herz beinahe auf zu schlagen. Er war lange nicht so zurückhaltend mit seiner Feindseligkeit wie noch vor einigen Tagen. Versuchte er zu testen, was wirklich hinter Jacobs Drohung steckte? Ich rief mir Jacobs Ratschlag in Erinnerung und setzte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck auf, während ich mit einem Hauch von Arroganz in meiner Haltung an ihm vorbeimarschierte. Ohne ihn dabei zu beachten, versteht sich. Er schaute mich noch einen Moment lang an, aber da ich nicht reagierte, wandte er sich wieder seinen Freunden zu, die das Ganze glücklicherweise nicht bemerkt hatten. Dann bog ich auf den Fußweg ab und war damit für Parker verschwunden.

Die Schule war zwar noch nicht vorbei, aber ich würde Parker vor Montag nicht mehr sehen. Ich musste nur noch zum Park kommen und mit Jacob tauschen, und dann würde ich dieses miserable Leben wieder für ein paar weitere Tage hinter mir lassen. Seufzend wünschte ich, dass alles anders wäre, dass ich mit Jacob zusammen adoptiert worden wäre. Von seinen Eltern oder von einer anderen Familie; das war mir vollkommen egal, solange ich nicht bei meinen sogenannten Eltern, Philip und Parker sein müsste.

Als ich im Park ankam, wartete Jacob dort bereits auf mich. Sobald er mich sah, stand er auf und kam mir gut gelaunt entgegen. »Hey J, was geht? Freust du dich schon auf das Wochenende?«

Dann sah er meine Miene und verlor seinen fröhlichen Gesichtsausdruck. »Hey, was ist los?« fragte er mich sanft.

»Ach nichts, ich bin einfach nur ein bisschen depri«, antwortete ich. Ich wusste, dass mein Verhalten erbärmlich war, ich rutsche praktisch vor ihm auf meinen Knien herum, um ein wenig Mitleid zu bekommen. Das interessierte mich allerdings nicht wirklich. Ein wenig Würde gegen eine Umarmung von jemandem, der mich wenigstens ansatzweise verstand, das schien mir ein fairer Tausch.

Jacob tat genau das. Ohne eine Sekunde zu zögern, schloss er mich in seine Arme und drückte mich gegen seine Brust. Viel zu kurz, um meine Probleme verschwinden zu lassen, aber es war trotzdem wie eine Oase in einer großen, einsamen Wüste. Nachdem er mich losgelassen hatte, nahm er meinen Arm und zog mich mit sich zu Boden, so dass ich neben ihm saß. »Magst du darüber reden?« fragte er mich, als ob wir alle Zeit der Welt hätten, und nicht sofort zur Schule zurückmüssten.

Plötzlich bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so sehr auf ihn stütze, also zögerte ich. Es war, als ob ich ihn als gegeben, als festen Bestandteil meines Lebens betrachtete, aber hatte ich überhaupt ein Recht dazu? Was, wenn er keine Lust mehr auf mich und meine Probleme hatte?

Ich blickte ihn zweifelnd an und wollte ihm sagen, dass es nicht so wichtig war. Doch dann schaute er mich so ermutigend, erwartend an, als ob er mir sagen wollte: »Was auch immer es ist, ich bin für dich da«, und drückte sachte meine Schulter. »Josh, sag mir schon, was mit dir los ist.«

»Es ist nur…«, begann ich, aber dann stoppte ich wieder, unsicher, was ich eigentlich sagen wollte. »Alles, denke ich«, beendete ich den Satz schließlich. Und dann begannen die Worte zu fließen wie ein Wasserfall. »Erinnerst du dich noch, was ich dir gesagt habe, als wir das erste Mal zurückgetauscht haben? Dass ich mich so fühle, als sei ich in einem Tal gefangen gewesen, und hätte endlich die Gelegenheit gehabt, die angrenzenden Täler zu erkunden? Und dass ich dann zu meinem eigenen, langweiligen Tal zurückgekehrt sei, und das habe mir das Gefühl gegeben, eingeengt und beschränkt zu sein?«

Ich wartete einen Moment, bis er mir bestätigend zunickte. »Na ja, dieses Tal, in dem ich lebe, es ist ziemlich scheiße. Ich wünschte, ich wäre nie dort geboren worden. Ich wünschte, wir hätten im gleichen Tal aufwachsen können, im gleichen Haus, mit den gleichen Bäumen, grünen Wiesen und weißen Gipfeln um uns herum.«

Zuerst schaute Jacob mich an, als ob er mich fragen wollte, was zur Hölle ich meinte, aber dann schien er zu verstehen, was ich damit sagen wollte, also sprach ich weiter. »Ich wünschte, ich könnte einfach den Bergkamm überqueren und mit dir auf einer Alp leben, aber so funktioniert das leider nicht. Du hast gesehen, wie das Leben auf meiner Alp ist. Ich könnte dich niemals bitten, für immer mit mir zu tauschen. Eher würde ich mich eine Steilwand hinabstürzen, oder mich in einem Bergbach ertränken. Was auch immer ich mir für Lösungen überlegt habe, seit wir das alles gestartet haben, am Ende werde ich immer in meinem eigenen, beschränkten und vorurteilsverseuchten Zuhause feststecken.«

Ich stoppte einen Moment und schaute ihn sorgenvoll an. »Und auch wenn ich mich auf dich stützen kann, damit wir gemeinsam die Berge zwischen unseren Tälern erklimmen können, so fürchte ich doch, dass du eines Tages diese Last nicht mehr tragen möchtest, und du mich dann zurücklässt.

Je länger ich sprach, desto emotionaler wurde ich. Noch waren zwar keine Tränen in meinen Augen, aber ich war mir sicher, dass Jacob in meiner Stimme hören konnte, wie ernst das für mich war. Ohne diese, zugegeben komische, Metapher, hätte ich es nie geschafft, meine Gefühle auszudrücken. Die Ausdrucksweise war vermutlich etwas merkwürdig für ihn, denn er brauchte einige Momente, um über das Gesagte nachzudenken. Als er es endlich verarbeitet hatte, schaute er mir in die Augen. »Glaubst du wirklich, dass ich dich mit all dem, was gerade passiert, sitzen lassen würde?« fragte er. Es klang beinahe anklagend. »Habe ich dir je einen Grund gegeben, so über mich zu denken?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Nein, das hast du nicht, aber… ich weiß nicht.« Ich zuckte noch einmal mit den Achseln und machte eine Geste, um zu zeigen, wie nahe wir beieinandersaßen, und dass seine Hand immer noch auf meiner Schulter lag. »Es ist nur… manchmal bist du mehr wie ein großer Bruder für mich, nicht wie mein Zwilling. Du hast nicht einmal ein Problem damit, mich zu umarmen und so, obwohl ich schwul bin. Jetzt hast du sogar Streit mit deinen Brüdern deswegen. Da ging es zwar um Cody, aber ich denke der Hauptgrund für deine Reaktion war trotzdem ich. Außerdem wissen wir beide, dass dein Leben um Längen besser ist als meins. Wenn wir also tauschen, dann tust du das überwiegend für mich, oder nicht?«

Ich schaute ihn fragend an und nach einigen Sekunden verstand er, dass ich eine Antwort erwartete. »Na ja, nicht wirklich…«, sagte er langsam. »Okay, einer der Gründe, warum ich gerne mit dir tausche, ist schon genau der, aber es ist nicht der einzige Grund«, gab er zu. »Es ist ziemlich interessant und macht manchmal auch echt Spaß. Washington wird definitiv der Hammer und es ist etwas, dass ich ohne dich niemals hätte machen können, also mach dir darüber mal keine Sorgen.«

Ich lächelte ihn dankbar an, froh, dass wir so offen reden konnten. »Ich weiß nicht, ich mache mir einfach nur Sorgen, dass… du irgendwann keinen Bock mehr auf das alles hast. Ich hatte nie jemanden, der mir so nahe wie du war. Außerdem wünsche ich mir nichts mehr, als dass wir zusammen leben und zur Schule gehen. Aber ich weiß nicht, ob du das wollen würdest.«

Jacob grinste. »Das wäre super. Keine Sorgen, Zwilling sein ist nichts, was man einfach so an- und abschalten kann, wie man will. Wohl oder übel, wir werden einander nicht mehr los. Wenigstens hoffe ich, dass du das so willst, weil mir das Ganze echt gefällt.

Diese Worte zu hören war eine Sache, sie aufzunehmen und zu verinnerlichen eine andere, also schaute ich in zweifelnd und immer noch verunsichert an. Jacob erwiderte meinen Blick und er musste meine innere Unruhe gespürt haben, denn knuffte meine Schulte, legte einen Arm um mich, zog mich an sich und wuschelte durch meine Haare. »Echt jetzt.«

»Ist das nicht irgendwie komisch?« fragte ich. »Also dass wir sowas machen, wie das hier gerade?«

»Vermutlich«, sagt er. »Es fühlt sich allerdings für mich nicht komisch an. Ich könnte das vermutlich mit keinem anderen Kerl tun, nicht einmal mit Ethan, denn das wäre wirklich komisch. Aber mit dir fühlt es sich irgendwie… normal an. Genaugenommen haben wir bereits neun Monate zusammengekuschelt verbracht, als wir im Bauch unserer Mutter waren.« Er gluckste. »Wenn man so darüber nachdenkt, wir waren sogar splitterfasernackt. Also ist das hier höchstens… natürlich, falls mein Gerede irgendeinen Sinn ergibt?«

Irgendwie hatte er Recht. Ich verbrachte einen Moment damit, darüber nachzudenken, wie das wohl gewesen sein musste und das erzeugte ein warmes Gefühl in mir. Diese Wärme war vermutlich das Gefühl von Zugehörigkeit und Familie. Der Gedanke machte mich traurig und ich kuschelte mich enger an Jacob.

»Woran denkst du?« fragte er, vermutlich, weil er meine Stimmungsschwankung bemerkt hatte.

»Ach… einfach nur das hier«, antwortete ich. »Wie sich Familie anfühlt, und so.«

Er löste sich sanft aus der Umarmung und wuschelte durch mein Haar. »Ich schätze Familie fühlt sich genau so an.«

»Danke«, sagte ich und lächelte ihn an.

»Kein Ding, immer wieder gerne«, antwortete er und schaute kurz auf sein Handy. »Wir müssen aber jetzt wirklich los, falls wir keine Probleme wollen.«

»Scheiße, du hast Recht«, sagte ich. Schnell setzte ich mich auf und begann mich auszuziehen, damit wir Klamotten tauschen konnten. Als wir damit fertig waren, erinnert ich mich plötzlich an etwas und öffnete meinen Rucksack. »Warte mal kurz«, stoppte ich Jacob, der bereits gehen wollte. Vorsichtig beförderte ich eine kleine Box ans Tageslicht und überreichte sie feierlich an ihn. Dann holte ich eine zweite Box hervor und behielt sie in meinen Händen. »Es ist etwas, das ich mit Sarah gekauft habe, als wir in Schenectady waren. Ich dachte mir, wir beide sollten so etwas haben.«

Neugierig öffnete Jacob die Box und als er die Kette sah und das Gemini-Symbol erkannte, leuchteten seine Augen vor Freude auf. »Das ist ja genial! Danke!« rief er. »Das muss echt teuer gewesen sein. Verdammt! Du hättest nicht so viel Geld für mich ausgeben sollen.«

»Das war es wert«, antwortete ich ihm. »Ich wollte die haben, also war der Preis egal.«

Er schüttelte den Kopf, aber grinste dann trotzdem. »Wollen wir sie gleich anlegen?«

»Klar«, sagte ich und öffnete meine Box. Langsam hob ich die Kette mit dem Gemini-Anhänger heraus und trat an ihn heran. Er hob sein Kinn und schaute mich erwartungsvoll an. Der Moment, in dem ich ihm die Silberkette umlegte und der Verschluss klickte, fühlte sich beinahe wie ein heiliges Ritual an. Er stand ganz steif und hatte einen vollkommen ernsten Gesichtsausdruck, beinahe wie ein Soldat bei einer Medaillenverleihung. Ich trat einen Schritt zurück und hob ebenfalls mein Kinn. Dann legte er die Kette, die ich ihm zuvor gegeben hatte, um meinen Hals. Seine Finger und das kalte Silber fühlten sich komisch auf meiner Haut an, aber auf eine positive Art. Es waren Stolz, Wärme, Glück und eine brüderliche Liebe, die zugleich durch meine Wirbelsäule, meinen Bauch und meine Brust bis in meinen Hals schossen. Beinahe als hätten wir Eheringe angelegt, nur für Zwillinge. So als ob dies unsere biologische Verbindung zu etwas Offiziellem, Anerkannten machte.

Als er fertig war, umarmte er mich noch einmal. »Vielen Dank. Das war echt lieb von dir.«

Wir lösten uns voneinander und ich lächelte ihn an. »Es war das Mindeste, was ich tun konnte. Aber jetzt müssen wir wirklich los, sonst haben wir keine Chance mehr, pünktlich zu kommen.«

»Okay«, stimmte er zu. »Ich schickte dir dann eine SMS, um alles andere zu bereden.«

»Danke«, antwortete ich. »Oh und pass wegen Parker auf. Ich habe da irgendwie ein schlechtes Gefühl.«

»Keine Sorge«, versicherte Jacob mir. »Ich habe keine Angst vor dem.«

»Pass trotzdem auf dich auf«, wollte ich noch sagen, aber er entfernte sich bereits von mir. Ich zuckte mit den Achseln und machte mich auf den Weg. Etwas später bekam ich die versprochene SMS.

Okay, wie gesagt, ich habe gestern viel Zeit mit Conrad und Ian verbracht. Ian ist total klasse, aber Conrad tut so, als ob einfach gar nichts passiert wäre. Wenn er dir irgendwelche Probleme bereitet, ignorier ihn einfach, okay? Du wirst ihn sowieso kaum sehen.

Ich habe mit meinen Eltern geredet und sie haben mir erlaubt, das Wochenende bei Ethan zu verbringen. Sie haben den Streit bemerkt und nehmen an, dass wir das schon irgendwie unter uns regeln. Wo wir gerade bei Ethan sind: Cody sagte, er denkt, dass Ethan schwul sei. Was meinst du? Habt ihr Schwulen nicht sowas wie ein Gaydar?

Vielleicht hast du ja eine Idee…

Wie auch immer, genieß das Wochenende! Danke nochmal, dass ich nach Washington kann!

Ich tippte schnell eine Antwort, bevor ich in der Schule ankam und zu meinem, beziehungsweise eigentlich seinem, nächsten Klassenraum eilte. Gern geschehen, und genieß auch du das Wochenende! Pass auf, dass du nicht zu viel Aufregung beim Fliegen zeigst, oder alles vollkotzt. LOL Was Ethan angeht, ich habe keine Ahnung. Mein Gaydar war schon immer kaputt… Vielleicht sollte ich mal zur Kirche gehen und ein Neues bei Gott beantragen? LOL Er schuldet mir jedenfalls ein Vernünftiges für all diese Scheiße, in die er mich gesteckt hat.

Grinsend sendete ich die SMS ab, aber dann dachte ich darüber nach, was Jacob über Cody und Ethan gesagt hatte. Wie konnte Cody so etwas wissen? Hatte er wirklich sowas wie ein Gaydar und funktionierte es? Würde er sein Glück bei Ethan versuchen? Ich wollte mich auf keinen Fall bei Ethan outen. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass wenn ich länger wartete, Cody mir zuvorkommen könnte. Ich verzog mein Gesicht. Hoffentlich würde mir dieses Wochenende ein wenig Klarheit schaffen und vielleicht sogar eine Möglichkeit geben, meine Chancen vorsichtig auszutesten.

Mein Handy summte erneut und ich sah, dass ich eine weitere Nachricht von Jacob erhalten hatte.

»Scheiße«, fluchte Cody, als er endlich zu Ethan und mir kam. »Lasst uns gehen.«

»Was ist passiert?« fragte ich, während wir uns auf dem Weg vom Schulhof machten.

»Hab mit Seth geredet und ihn gefragt, ob er Bock hat, diesen Nachmittag mit mir abzuhängen«, antwortete Cody und schüttelte den Kopf. »Ich dachte, es wäre eine wunderbare Möglichkeit um ein wenig mehr über ihn herauszufinden. Er meinte, er habe schon Pläne. Dann hat er mich gefragt, warum ich denn mit ihm abhängen wollte. Darauf war ich natürlich nicht vorbereitet, also habe ich wie ein Idiot dagestanden und irgendeine Ausrede gestottert. Jetzt denkt er wahrscheinlich, dass ich was von ihm will, oder so.«

»Na ja, ist das nicht so?« fragte Ethan lachend.

Cody errötete. »Na ja, nicht wirklich. Er ist schon süß, aber deswegen habe ich ihn nicht gefragt, ob er was mit uns unternehmen will«, sagte er abwehrend. »Außerdem ist er zu jung für mich.«

Ethan zuckte mit den Achseln und nachdem er sich umgeschaut hatte, um sicherzugehen, dass uns niemand hören konnte, wurde er ernst. »Nach dem, was Jacob erzählt hat, kann es sein, dass er reifer als jeder von uns ist, und vielleicht auch mehr Erfahrung hat.«

»Igitt«, rief Cody. »Darüber will ich nicht mal ansatzweise nachdenken!« Er stoppte und überlegte einen Moment. »Aber, wenn da etwas zwischen ihm und mir wäre, dann würde ich ihm das nicht vorhalten können. Er tut mir einfach nur leid.«

»Mir auch«, pflichtete Ethan ihm bei und zeigte dann nach vorne. »Guckt mal, Ian und Conrad.«

Ich schaute auf und sah die beiden ein Stück vor uns stehen, offensichtlich in eine Diskussion verwickelt. Plötzlich hörte Conrad auf zu reden und bewegte sich in unsere Richtung. Ian verharrte noch eine Sekunde wo er war, aber dann folgte er seinem Bruder mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck.

»Sieht so aus, als ob sie mit dir reden wollen«, kommentierte Ethan trocken.

»Fuck, das kann ich jetzt echt nicht gebrauchen«, stöhnte ich.

Bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich sagen sollte, hatten sie uns bereits erreicht. »Hey«, begrüßte Conrad Ethan und mich, wobei er Cody ignorierte. Er schaute ihn nicht einmal an, als ob er Luft für ihn wäre.

»Hey«, antwortete ich, unsicher wie ich reagieren sollte. Ethan zog lediglich eine Augenbraue hoch, aber sagte nichts.

»Wir dachten, dass ihr vielleicht Lust hättet, mit uns abzuhängen und Basketball zu spielen«, sagte er, wieder gezielt an mich und Ethan gerichtet, wobei sein Tonfall eher wie in Befehl und nicht wie ein Angebot klang.

»Danke fürs Fragen, aber ich habe heute schon etwas vor«, lehnte ich höflich ab.

»Komm schon, du hast in den letzten Wochen so gut wie nie was mit uns gemacht«, nörgelte Conrad. Gut, dass ich nicht Jacob war, sonst hätte der Versuch, Schuldgefühle zu wecken, vielleicht sogar geklappt. »Es wird auf jeden Fall besser, als was auch immer du vorhast«, fügte er mit einem abschätzigen Blick auf Cody hinzu.

Ich wusste überhaupt nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Einerseits hätte ich ihm sagen sollen, dass er sich verpissen solle, dafür wie er sich Cody gegenüber verhielt. Andererseits war er nun mal Jacobs großer Bruder, also ging das nicht einfach so. Dazu war er auch noch verdammt groß und muskulös. Obwohl ich wusste, dass er mir nie wehtun würde, war seine Gegenwart ziemlich einschüchternd. Ich öffnete meinen Mund, um etwas, irgendetwas, zu sagen, aber am Ende stand ich nur stumm da und hoffte, dass meine Knie nicht nachgeben würden.

Ian musste mein Unbehagen bemerkt haben, denn er reagierte schnell. »Du musst nicht, wenn du nicht willst. Du kannst ja immer noch nachkommen, wenn du es dir anders überlegst.« Er schaute zu Cody herüber, dann zurück zu mir und versuchte, zu lächeln. »Vielleicht kannst du, wenn du das nächste Mal mitkommst, Cody auch mitbringen, falls er mag?«

Conrads Gesicht zeigte deutlich, was er davon hielt, aber bevor er etwas sagen konnte, gab Ian ihm einen kleinen Stoß und grinste uns gezwungen an. »Na ja, wir müssen los. Bis dann«, verabschiedete er sich.

Dann schaute er Cody an, als ob er sich nicht sicher war, ob er ihn wirklich berühren wollte. Nach ein, zwei Sekunden, bot er ihm schließlich die Hand an. Cody blickte auf seine Hand hinab, dann wieder in sein Gesicht, als ob er überlegte, ob er sie tatsächlich schütteln sollte. Er nahm sich dafür mehrere Sekunden, wartete, ob Ian seine Hand zurückziehen würde. Ian allerdings tat nichts dergleichen, sondern blieb beharrlich stehen und ließ Cody seine Zeit. Schließlich nahm Cody sie an und die Beiden gaben sich einen festen Händedruck. Dann schaute Cody Ian an und lächelte.

»Kommst du?« rief Conrad genervt. Er hatte sich bereits einige Schritte entfernt und wartete ungeduldig auf Ian.

»Tut mir leid«, sagte Ian zu Cody, und lächelte zurück. »Es war schön, dich zu treffen.«

Cody nickte ihm zu. »Geht mir genauso. Schönen Tag noch, Ian.«

Ian dankte ihm und folgte dann Conrad, während wir unseren Weg zu Cody nach Hause fortsetzten.

»Das war definitiv eine interessante Begegnung«, stellte Cody fest.

»Oh ja, tut mir leid deswegen«, sagte ich hastig, und plötzlich fühlte ich mich schuldig für das Verhalten von Jacobs Brüdern. »Die werden sich schon noch daran gewöhnen… Jacob hatte einen ziemlichen Streit mit den beiden deswegen.«

»Ist schon okay«, beruhigte mich Cody. »Ich habe schon viel Schlimmeres erlebt. Außerdem schien Ian echt okay zu sein. Er hat sein Bestes gegeben.«

»Trotzdem«, sagte Ethan. »Conrad benimmt sich wie ein totales Arschloch. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist.«

Irgendetwas in seiner Stimme klang komisch, also schaute ich zu ihm herüber. Sein Blick war auf den Boden gerichtet und er hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Nach einigen Schritten musste er meine Augen auf ihm gefühlt haben, denn er schaute auf und warf mir ein offensichtlich gezwungenes Lächeln zu.

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Immerhin ein Anfang, dass Ian sein Verhalten und Einstellung überdenkt. Hoffen wir Mal, dass er, wenn raus kommt, dass sein Bruder schwul ist, er inzwischen eine menschliche Einstellung dazu gefunden hat.

Josch soll sich nicht so viele Gedanken machen. Das bringt nichts! (Auch wenn ich es sehr gut nachvollziehen kann und selbst nicht besser bin :see_no_evil:)

Mal sehen, was in Washington passiert…

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Sowas ist doch immer etwas anderes, wenn es die Leute im direkten Umfeld betrifft. :slight_smile:

Und so ist Josh halt. Manche können einfach nicht aufhören damit. :wink:

Heftiges Spiel, unsichere Ergebnisse


Josh

Das Geräusch vom immer wieder auf den Boden aufprallenden Basketball schallte in der Einfahrt wieder. Cody musterte mich, während er dribbelte, überlegte, wie er den Ball an mir vorbeimanövrieren könnte. Ich war mir nicht sicher, ob es besser wäre, ihn sofort anzugreifen, oder einen Fehler abzuwarten. Basketball war wirklich nicht meins, aber weil Jacob es spielte, blieb mir keine Wahl. Damit musste ich mich abfinden, zumindest behauptete Ethan das. In mir regte sich das Gefühl, er nutzte diese Ausrede, um Cody und mich platt zu machen.

Nur Cody, Ethan und ich spielten. Sarahs Mutter musste über das Wochenende verreisen, weswegen Sarah als Babysitter für ihre kleine Schwester eingesprungen war und nicht von zu Hause wegkonnte. Mit nur drei Leuten Teams zu bilden wäre sinnlos gewesen. Deswegen entschieden wir uns, jeder gegen jeden zu spielen, mit dem Ziel, einen möglichst hohen Punktestand zu erreichen. Unglücklicherweise lief es für mich nicht so gut. Den Ball in meine Hände zu bekommen, war schon schwer genug, ihn dann jedoch noch in den Korb werfen erschien mir unmöglich. Ehrlich gesagt hatte ich ein wenig Angst vor dem Ball. Und wenn ich ihn dann doch mal bekam, und warf, traf ich nie dahin, wo ich ihn hinhaben wollte. Wenn Ethan nicht hin und wieder den Ball vor meinen Füßen in der Nähe des Korbs versehentlich verloren hätte, wäre mein Punktestand bei Spielende gen Null gewesen.

Ich warf einen Blick in seine Richtung, wahrscheinlich zum tausendsten Mal an diesem Nachmittag. So wie er da in seinen Shorts und seinem verschwitzten T-Shirt stand, blieb keine Zweifel, dass er der heißeste Junge in der Stadt, wenn nicht im ganzen Land war.

Als er sich den Schweiß von der Stirn wischte, stand ich regungslos da und starrte seinen Körper an. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke… Und genau diesen Moment wählte Cody, um an mir vorbei Richtung Korb zu dribbeln. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, war er schon außerhalb meiner Reichweite. Ethan versuchte den Ball abzufangen, damit Cody keinen Punkt erzielen konnte, was ihm jedoch misslang. Cody lief bis zum Korb, stoppte, und warf.

Ich versuchte nicht einmal, ihn aufzuhalten. Es war einfach zu heiß für schnelle Bewegungen und ich war viel zu genervt, als dass ich mich weiterhin sinnlos bemühen wollte. Ethan führte sowieso, Cody wurde immer treffsicherer und warf zunehmend mehr Körbe. Ich hingegen war ein hoffnungsloser Fall.

Der Ball, den Cody zuvor geworfen hatte, landete auf dem metallenen Ring, und prallte seitlich ab. Bevor einer von uns etwas dagegen tun konnte, sprang Cody, fing den Ball auf und warf ihn erneut. Diesmal war es ein Volltreffer.

Ethan joggte begeistert zu ihm herüber und gab ihm einen High Five. »Du bist gut! Wenn du noch ein wenig mehr übst, wirst du bald besser als ich!« lobte er Cody, und damit hatte er nicht Unrecht. Cody hatte sich auffallend verbessert, und das, obwohl nur etwa eine Stunde verstrichen war. Ethan war zwar wirklich nicht schlecht, aber mit mehr Übung hatte Cody vielleicht sogar eine Chance, ihn zu schlagen. Was mich betraf, war ich da nicht ganz so zuversichtlich.

Ich konnte nicht verstehen, warum Jacob dieses Spiel so sehr mochte. Als ich wieder zu Cody und Ethan blickte, bemerkte ich, dass sie das Spiel bereits fortgesetzt hatten. Cody war im Ballbesitz und Ethan bemühte sich, das zu ändern. Nach ein paar fehlgeschlagen Versuchen aus Ethans Reichweite zu gelangen, verlor Cody den Ball an ihn. Ethan flüchtete in Richtung Straße und als weder Cody noch ich ihm folgten, warf er den Ball über die ganze, lange Distanz zum Korb. Und traf.

Cody stand unter dem Korb und fing den Ball auf, bevor er den Boden berührte. Ohne zu zögern warf er ihn zurück zum Korb, verfehlte aber. »Hey Cody, warte mal eine Sekunde«, sagte Ethan, während er auf ihn zu joggte, um ihm zu erklären, wie man am besten wirft und steht, und wie nicht und was auch immer.

Mich interessierte das nicht wirklich. Stattdessen war ich damit beschäftigt, ein starkes Gefühl von Eifersucht zu unterdrücken. Mir war bewusst, dass es unfair war. Ethan wollte nur nett zu Cody sein und ich war eine Spaßbremse. Ehrlich gesagt, hätte er mir irgendetwas über das Spiel erzählt, dann hätte mich das gar nicht genug interessiert, um ihm wirklich zuzuhören.

»Das war super, weiter so!« beendete Ethan seine Lektion, nachdem Cody ein paar Mal unter seiner Anweisung das Neugelernte angewendet hatte. »Du solltest öfter spielen und nach den Sommerferien versuchen, in die Schulmannschaft zu kommen. Sie sind nicht gut, aber besser als gar nichts.«

»Meinst du das ernst?« fragte Cody skeptisch, der sich an die Wand hinter dem Korb lehnte, um einiges näher an Ethan, als notwendig. »Und die Leute würden mich im Team akzeptieren? Denkst du nicht, dass manche damit ein Problem hätten?«

»Ich glaube nicht, dass es ein großes Problem wäre«, meinte Ethan achselzuckend. »Du kannst es ja ausprobieren, du hast nichts zu verlieren.«

»Hey Jungs, ich bin gleich wieder da«, unterbrach ich das Gespräch und ging auf das Haus zu. Ich brauchte eine Pause, um mich zu beruhigen und wieder klar denken zu können. Sonst würde ich vor Eifersucht grün anlaufen und ihnen den Nachmittag verderben. Das Spiel bereitet mir keine Freude, aber mitzumachen war immer noch besser, als der Typ zu sein, der auf der Seite steht und gelangweilt zuschaut.

»Kannst du uns Cola mitbringen, wenn du zurückkommst?« rief Cody mir nach.

»Na, klar«, erwiderte ich über meine Schulter und betrat das Haus, während die beiden weiterspielten.

Drinnen war es dank der Klimaanlage angenehm kalt. Als ich durch die Eingangstür ging, atmete ich tief durch und fühlte mich sofort viel besser. In der Küche nahm ich für einen Moment Platz, genoss die kühle Luft und dachte über die Situation draußen nach. Ich war so kindisch! Der einzige Grund, warum Ethan sich so gegenüber Cody verhielt, war, dass Cody am Spiel interessiert war und ich nicht. Vielleicht kam Codys Motivation am Spiel sogar daher, dass er wusste, wie Ethan darauf reagieren würde? Am liebsten wollte ich meinen Kopf gegen eine Wand schlagen. Mit etwas mehr Enthusiasmus würde Ethan mir wahrscheinlich genauso viel Aufmerksamkeit schenken, wie Cody.

Ich nahm mir vor, wenigstens ein paar Körbe zu werfen, griff einige Colas aus dem Kühlschrank und machte mich auf den Weg nach draußen. Gerade, als ich die Küche verließ, klingelte mein Handy. Ich sah, dass es Jacobs Nummer war. Sofort stellte ich die Dosen beiseite und nahm das Gespräch entgegen.

»Hey J, was geht?« grüßte ich ihn.

»Nicht viel, abgesehen davon, dass Washington geil ist«, antwortete er fröhlich. »Deine Großmutter ist super, viel besser als deine Eltern.«

»Definitiv«, stimmte ich ihm zu. »Also gefällt es dir?«

»Ich habe zwar noch nicht viel von Washington gesehen«, antwortete er. »Aber es ist jetzt schon super. Ich habe noch nie so viel erlebt. Ich musste mich im Flugzeug echt zusammenreißen, ich war so kurz davor abzudrehen, ich hätte fast gekotzt vor lauter Aufregung. Morgen schaue ich mir die National Mall an. Als ich deine Großmutter gebeten habe, da hinzugehen, war sie echt glücklich darüber. Sie ist total nett. Du solltest sie öfter besuchen. Sie hat auch schon Pläne für Sonntag, aber hat mir noch nichts Genaues verraten. Sie hat nur gesagt, dass es eine Überraschung ist, die mir gefallen wird. Wie auch immer, sorry dass ich dich vollquatsche, ich bin total aufgedreht gerade. Das Wochenende wird der Hammer!«

So wie er darüber redete, als ob es das Beste wäre, was ihm je hätte passieren können, zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. »Es ist schön zu hören, dass es dir gefällt. Nach allem, was du für mich getan hast, hast du dir das Wochenende definitiv verdient. Es ist schön zu wissen, dass ich auch etwas für dich tun kann.«

Er lachte. »Danke! Ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen darüber machen müssen, wer wie viel für den anderen tun kann.«

»Wenn du meinst«, sagte ich langsam. »Aber es ist trotzdem schön, dass es dir gefällt.«

»Dein Vater ist übrigens zu Hause geblieben«, wechselte er das Thema. »Ich meine, nicht dass mich das stören würde. Auf seine üblichen Abendpredigten über Schwule und so ziemlich jede andere Minderheit, die es gibt, kann ich definitiv verzichten. Ich dachte nur, dass du davon wissen solltest. Macht er das öfter oder gibt es Grund zur Sorge?«

»Hat er gesagt, warum er in Albany geblieben ist?« fragte ich.

»Philip meinte, dass es irgendetwas Geschäftliches sei… ich erinnere mich nicht mehr genau; ehrlich gesagt hatte ich nicht wirklich Lust, ihm zuzuhören.«

»Das ist komisch. Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas schon einmal passiert wäre. Trotzdem, ich sehe keinen Grund zur Sorge. Es ist nicht wichtig, ob er in Albany oder Washington ist.«

»Vielleicht hat er eine Affäre mit Philip?« witzelte Jacob. »Das würde auch erklären warum er so besessen ist, wenn es um Schwule geht.«

»Igitt, auch nur daran zu denken…« Ich gab Würgegeräusche von mir. »Außerdem ist das ziemlich unwahrscheinlich. Es ist vermutlich nichts weiter als das, was Philip gesagt hat, irgendetwas Geschäftliches.

Jacob lachte. »Wenn du meinst, ich finde meine Theorie trotzdem besser.«

»Ja, ja«, seufzte ich. »Wie auch immer, Ian und Conrad haben uns heute angesprochen. Conrad war ein ziemliches Arschloch aber Ian schien sich wegen Conrads Verhalten schuldig zu fühlen und hat sich sogar bei Cody entschuldigt.«

Jacob seufzte. »Conrad wird sich schon irgendwann damit abfinden. Ian ist ein echt toller Bruder. Früher oder später werden die beiden herausfinden, dass wir Zwillinge sind und später dann vielleicht sogar, dass du schwul bist. Das, was jetzt passiert, wird die Zukunft in der Hinsicht leichter machen. Irgendwie tut es mir sogar leid, wie ich Ian behandelt habe, jetzt wo er so sehr versucht das Richtige zu tun. Falls du ihn am Wochenende siehst, zeig ihm bitte, dass du dankbar bist, wenn du das kannst?«

»Mache ich«, versprach ich.

»Super, danke! Ich muss jetzt erstmal auspacken und mich fürs Abendessen fertigmachen. Bis später und schönes Wochenende!«

»Danke, dir auch. Genieß die Zeit in Washington«, erwiderte ich und legte auf. Lächelnd schloss ich meine Augen und umschloss den Gemini-Anhänger mit meiner Hand. »Wie schön es sich doch anfühlt, einen Zwillingsbruder zu haben.«

Ich griff die Colas und verließ das Haus. Die Unterhaltung mit Jacob hatte meine Stimmung deutlich verbessert. Dann ging ich um die Ecke des Hauses zur Einfahrt und sah Ethan und Cody nebeneinandersitzen, an die Garage gelehnt und am Tuscheln.

»Hey, was geht?« fragte ich, als ich mich ihnen näherte.

Die beiden schauten überrascht auf. Sie hatten mich nicht einmal kommen hören. Ethan zwang schnell ein Lächeln auf seine Lippen und erhob sich. »Ach, nichts Besonderes.«

Es war beinahe, als hätte ich die beiden bei irgendetwas erwischt, von dem ich nichts wissen sollte. Ich warf Ethan einen neugierigen Blick zu, aber entschied mich der Sache nicht weiter nachzugehen. Wenn sie mir nicht verraten wollten, worüber sie geredet hatten, dann würde ich mich bestimmt nicht zum Affen machen und versuchen, es ihnen aus der Nase zu ziehen. Selbst wenn es ein harter Kampf gegen meine wachsende Eifersucht war.

Einige Momente lang wuchs die unangenehme Stille zwischen uns, bis Ethan sich schließlich räusperte. »Habt ihr Lust, schwimmen zu gehen? Es ist viel zu heiß heute und nach all dem Basketballtraining könnte ich echt eine Abkühlung gebrauchen«, schlug er vor, offensichtlich in der Absicht, das Thema zu wechseln.

»Ich bin dabei«, sagte Cody sofort.

Ich zuckte mit den Achseln. »Warum nicht.« Im Moment war mir alles lieber, als weiter Basketball mit den beiden zu spielen.

»Hol deine Badehose«, wies Ethan Cody an. »Josh und ich gehen zu mir und holen welche für uns. Ich bin mir sicher, dass Jacob noch welche bei mir liegen hat. Wir treffen uns dann im Schwimmbad.«

»In Ordnung«, nickte Cody. »Soll ich Sarah anrufen? Vielleicht kann sie ihre kleine Schwester einfach mitbringen. Dann könnten wir wenigstens ein bisschen Zeit mit ihr verbringen. Falls ihr da nichts dagegen habt?«

»Gute Idee. Das wird sie freuen. Ihre Schwester ist normalerweise recht pflegeleicht und geht gerne ins Schwimmbad, also sollte das kein Problem sein.« meinte Ethan. »Wir sehen uns dann da.«

»Okay, bis später«, antwortete Cody und ging ins Haus, während wir uns auf den Weg zu Ethan nach Hause machten. Sobald wir außer Hörweite waren, wandte Ethan sich mir mit einem besorgten Blick zu. »Ist alles in Ordnung? Du bist heute irgendwie komisch drauf.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Muss an der Hitze liegen«, log ich.

Ethan warf mir einen zweifelnden Blick zu und als ich nichts weiter sagte, seufzte er. »Es ist wegen des Basketballspiels, oder?«

»Ich… ja, du hast Recht«, antwortete ich und seufzte ebenfalls. Das war nicht wirklich eine Lüge, auch wenn ich dabei verschwieg, was mein eigentliches Problem war.

»Ist schon okay, wenn das nicht dein Ding ist«, meinte Ethan. »Jacob spielt auch nur wegen seiner Brüder. Er ist mit Sport aufgewachsen, verstehst du? Für ihn ist das eine Familiensache. Tut mir leid, wenn ich deine Stimmung damit versaut habe, dass ich dich gezwungen habe, mit Cody und mir zu spielen. Ich habe gemerkt, dass du genervt warst, aber ich habe halt gehofft, dass es dir gefallen würde, sobald wir eine Weile gespielt haben. Wir müssen das nicht noch mal machen, wenn du nicht willst.«

»Ist okay, mach dir keine Sorgen. Du hattest schon Recht. Wenn Jacob so viel Basketball spielt, dann sollte ich wenigstens in der Lage sein, einen Ball zu werfen und zu fangen«, versicherte ich ihm, und zog dann eine Grimasse. »Er hat vermutlich noch nie so viel für die Schule getan, wie in der letzten Woche. Es ist wohl nur fair, wenn ich etwas tue, das mir sonst nicht so liegt.« Ich machte eine Sprechpause und schaute in die Ferne. »Vielleicht kann ich es ja noch einmal versuchen. Es wäre cool, wenn du mir helfen würdest. Wir könnten es ein wenig langsamer angehen, und ohne Cody.«

Oh Gott, wie hinterhältig von mir. Ich musste mir regelrecht das Grinsen verkneifen.

Andererseits wäre es wirklich besser, erst einmal langsam ein Gefühl für den Ball zu entwickeln, bevor man versucht, ein Spiel zu gewinnen. Nein, das alles hatte nichts mit meiner Eifersucht zu tun. Definitiv nicht. Gedanklich schüttelte ich meinen Kopf darüber, wie erbärmlich ich mich in dem Moment verhielt. In der Hoffnung, dass er mir zustimmen würde, versuchte ich mich weiter zu erklären. »Ich glaube, so wäre es besser. Dann ist es nicht so hektisch und ich habe Zeit, mich an den Ball zu gewöhnen und ein Gefühl für das Spiel zu entwickeln. Ich hasse Bälle, habe ich dir das je erwähnt? Egal worum es geht, wenn Bälle dabei im Spiel sind, dann normalerweise ohne mich.«

»Echt?« Ethan schaute mich überrascht an. »Wusste ich nicht, aber hätte ich mir inzwischen fast denken können. Es ist wirklich nicht so schlimm. Vielleicht haben wir morgen ein bisschen Zeit, um dich daran zu gewöhnen… falls du das wirklich willst?«

»Gerne«, sagte ich sanft. Wenn irgendwer mich dazu überreden könnte, noch einmal freiwillig Basketball zu spielen, dann Ethan. Vielleicht hatte er sogar Recht und ich würde mich wirklich ein wenig wohler mit der ganzen Sache fühlen.

»Super, dann machen wir das«, bestätigte Ethan mit einem herzerwärmenden Lächeln.

Nachdem wir unsere Badehosen geholt hatten, machten wir uns auf den Weg zum Schwimmbad und ich begann mir erneut den Kopf über Ethan und sein Verhalten zu zerbrechen. Versuchte er einfach nur, mich eifersüchtig zu machen, damit ich endlich den Mut zusammennahm, mich bei ihm zu outen, sodass wir dann zusammen sein könnten? Nein, Wunschdenken würde mir jetzt auch nicht weiterhelfen. Vielleicht war Cody einfach nur ein guter Freund für ihn, und nichts mehr? Wenn man bedachte, wie unmotiviert ich während des Spiels gewesen war, konnte man es ihm nicht verdenken, dass er sich auf Cody konzentriert hatte, und nicht auf mich. Es musste nicht gleich eine tiefere Bedeutung hinter allem stecken.

Dann dachte ich an die heimliche Unterhaltung zwischen den beiden, die ich nach Jacobs Anruf unterbrochen hatte. Selbst jetzt fühlte ich die Eifersucht wieder sprießen. Auch nur die Erinnerung daran, wie nahe die beiden beieinandersaßen, wie Cody sich offensichtlich an Ethan herangemacht hatte… ja, ich hatte auf jeden Fall einen Grund, mir Sorgen zu machen. Ich ging noch für eine Weile alle Möglichkeiten in meinem Kopf durch, aber egal wie ich die Sache betrachtete, es sah schlecht für mich aus. Wenn ich nicht bald handeln würde, dann hatte ich schon so gut wie verloren.

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Und weil ich gerade die Zeit habe, was zu posten, kommt gleich der nächste Teil nach. :slight_smile:

Mehr als erwartet


Josh

Mein Rücken war an den Beckenrand gelehnt, meine Arme ausgestreckt, damit ich mich am Rand festhalten und entspannt über Wasser bleiben konnte und meine Augen waren auf Ethan gerichtet. Sein perfekter Körper trieb zu meiner linken, einige Meter entfernt. Seine Augen waren geschlossen, was mir die ideale Gelegenheit gab, ihn zu bewundern. Sein nasses, goldenes Haar reflektierte die Sonne, wodurch er noch umwerfender aussah als sowieso schon und seine Bauchmuskeln ließen mich in Erwägung ziehen, mit Krafttraining anzufangen. Oh, wie ich wünschte, ich könnte seine weiche Haut berühren…

Ein lautes Platschen begleitet von einer Ladung Wasser, die in mein Gesicht flog, unterbrach meine Tagträume. Meine Augen fanden den Übeltäter sofort. Es war Cody. Er schenkte mir ein beunruhigend wissendes Grinsen und bespritzte mich mit einer weiteren Ladung Wasser. Ich errötete und tauchte sofort unter, in der Hoffnung, dass er meine Reaktion nicht bemerkt hatte. Dann schwamm ich zu ihm und versuchte ihn unter Wasser zu ziehen, aber er entkam. Nach einer mehrminütigen Jagd waren wir auf der anderen Seite des Beckens und beide am Keuchen. Ich erholte mich zuerst und schoss vorwärts, um noch einmal zu versuchen, ihn unter Wasser zu ziehen, wobei ich ihm aus Versehen beinahe seine Regebogen-Badehose vom Leib riss. Nur Cody würde die Flagge der Schwulenbewegung als Badehose tragen. Wenigstens war ich dieses Mal erfolgreich.

Nun hatte ich endlich das Gefühl, mich angemessen für die Unterbrechung von so einem schönen Moment gerächt zu haben. Ich schwamm einige Meter von Cody weg und wartete, ob er hinterherkommen oder aufgeben würde. Nachdem er wieder aufgetaucht war, schaute er umher und als er mich gefunden hatte, begann er erneut zu grinsen.

»Du hast also…« begann er, aber ich fand nie heraus, was er sagen wollte. Ein aufgeblasener Plastikball traf mich am Kopf und eine Sekunde später landete jemand mit einer Arschbombe zwischen uns.

Bevor ich überhaupt registrieren konnte, was passiert war, tauchte Ian neben mir auf. Er schnappte sich den Ball und warf ihn dann zu einem seiner Kumpels, Wayne, der gleichzeitig mit ihm ins Wasser gesprungen war. Dann wandte er sich mir zu. »Bock auf eine Runde Wasserball?«

»Ian!« rief ich überrascht. »Was machst du denn hier?«

Er zuckte mit den Achseln. »Dasselbe wie du, einfach nur abhängen. Conrad und die anderen sind auf dem Beachvolleyballfeld. Seid ihr dabei?«

»Klar«, sagte ich, ohne groß darüber nachzudenken.

Er drehte seinen Kopf zur anderen Seite des Pools und rief: »Ethan, Sarah, kommt rüber. Ihr beide und Wayne gegen Cody, J und mich.«

Das brachte mich zum Lächeln. Ich war mir sicher, dass er die Teams bewusst so ausgewählt hatte, um zu beweisen, dass er nichts gegen Cody hatte. Während Sarah und Ethan zu uns kamen, schwamm ich zu Ian herüber und stupste ihn an. »Danke«, sagte ich.

»Kein Ding, Kleiner«, erwiderte er mit einem warmen Lächeln.

»Hey, ich bin kaum jünger als du, es gibt keinen Grund mich Kleiner zu nennen«, protestierte ich, aber streckte meine Zunge heraus und grinste, um zu zeigen, dass es mich nicht wirklich störte.

Ian lachte. »Ja, wie du meinst. Sorg einfach dafür, dass wir die anderen plattmachen. Ich habe eine Wette mit Wayne am Laufen.«

Und wie wir sie plattmachten. Es war beinahe Zeit fürs Abendessen, also war das Schwimmbecken relativ leer und wir konnten ohne Probleme einen kleinen Teil als unser Spielfeld beanspruchen, Tore improvisieren und anfangen. Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass wir das bessere Team waren. Cody hatte anscheinend Wasserball für seine alte Schule gespielt und während ich nicht so viel Übung wie er hatte, half es, dass ich ein schneller und ausdauernder Schwimmer war. Ich hatte nicht einmal Angst vor dem Ball, weil es nicht wirklich wehtat, selbst wenn man ihn direkt ins Gesicht bekam. Zusammen mit Ian, der eindeutig ein besserer Spieler als Wayne war, lagen wir durchgehend in der Führung. Nachdem ich beim Basketball so kläglich verloren hatte, macht dieses Spiel gleich doppelt Spaß.

Es muss etwa eine halbe Stunde später gewesen sein, als meine Kraftreserven begannen, zu erschöpfen und ich nicht mehr so sehr aufpasste wie zuvor. Der Ball kam in meine Richtung geflogen, allerdings ein wenig zu hoch, also warf ich mich nach hinten, um ihn noch zu fangen. Mein Kopf stieß mit etwas Hartem zusammen und ich sah Sterne. Für einen kurzen Moment sank ich benommen unter Wasser, aber dann erlangte ich meine Kontrolle zurück und tauchte wieder auf.

Ich drehte mich und sah Ethan, mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck. Seine Nase hatte es anscheinend voll erwischt. Obwohl er versuchte, tapfer zu sein und so zu schauen, als wäre nichts passiert, war es offensichtlich, dass er mit Tränen kämpfte. Sofort ignorierte ich meine eigenen Schmerzen und konzentrierte mich auf ihn. »Tut mir leid«, hörte ich mich selbst sagen. »Bist du okay?«

»Passt schon, ist nichts Ernstes«, winkte er Ethan mit leicht gequälter Stimme ab.

»Komm mit, du blutest«, sagte ich und zog ihn mit mir zum Beckenrand. Vorsichtig berührte ich seine Nase. »Ist nicht gebrochen,« stellte ich nach einigem Herumtasten fest. An die anderen gewandt sagte ich. »Wir machen mal eine Pause und kommen später wieder, okay?«

Sarah sau so aus, als wolle sie uns folgen, doch Ian schnappte sich schon wieder den Ball und warf ihn Cody zu. Während die anderen weiterspielten, gingen wir zu der Rasenfläche hinter dem Pool.

»Es wird langsam spät, was hältst du davon, nach Hause zu gehen?« schlug Ethan vor.

»Klingt gut, aber lass uns auf die anderen warten. Die brechen sowieso bald alle auf«, entschied ich, und dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Direkt vor uns auf dem Rasen sah ich Parker mit einigen seiner Freunde sitzen. Er war die letzte Person, von der ich gedacht hätte, dass ich sie hier sehen würde. Ich war so überrascht, ich tat einige Sekunden gar nichts tat und stand nur unentschlossen da. Unglücklicherweise waren diese Sekunden genug für ihn, um mich zu bemerken und aufzustehen.

»Ah, die kleine Schwuchtel und seine Freundin mal wieder«, höhnte er, während er sich auf uns zubewegte.

Ich stand wie angewurzelt da, überwältigt von meinen altbekannten Gefühlen der Schwäche und Hilflosigkeit. Die Konfrontation mit Parker war genau das, was ich die ganze Zeit gefürchtet hatte. Es war unmöglich, mich umzudrehen und einfach wegzugehen. Er würde mich vermutlich von hinten angreifen. Ich hatte aber auch keine Ahnung, was ich hätte sagen können.

Sein Blick war unglaublich hasserfüllt Irgendetwas stimmte nicht, Parker verhielt sich anders als sonst. Man konnte es an seinen Bewegungen sehen und in seiner Stimme hören. Sobald er weitersprach, wusste ich, was es war.

»Wer von euch ist eigentlich die Frau, hm? Musst wohl du sein, ich wette du genießt es, dich in den Arsch ficken zu lassen«, sagte er zu mir, und ich konnte ganz klar den Alkohol in seinem Atem riechen. Ich bekam Angst. Parker war so schon gemein und aggressiv, aber betrunken war er gefährlich und unberechenbar.

»Was zur Hölle denkst du eigentlich, wer du…« Ethan reagierte endlich, aber bevor er ein weiteres Wort sagen konnte, schubste Parker ihn kräftig. Ethan stolperte und fiel rückwärts zu Boden.

»Halt die Fresse, Schwuchtel«, lallte Parker, dieses Mal deutlich lauter.

Das löste eine Reaktion bei mir aus. Ohne auch nur nachzudenken, ballte ich meine rechte Hand zur Faust und schlug Parker ins Gesicht. Ich war so wütend, dass er es gewagt hatte, Ethan auch nur zu berühren, dass ich ohne Zögern meine Linke gleich auch noch in seiner Magengrube versenkte. Anscheinend schlug ich nicht besonders hart zu, oder vielleicht war er auch einfach nur zu betrunken, um den Schmerz wahrzunehmen. Anstatt sich zu krümmen, oder zu Boden zu gehen, schaute er mich lediglich überrascht an. Dann schlug er zurück, und bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich im Schwitzkasten und ich konnte sehen, wie seine Freunde sich auch erhoben.

»Wie eine Frau schlägt er auch«, knurrte er. Meine Antwort war lediglich ein Keuchen nach Luft. Mein Bauch tat so sehr weh, ich hätte mich beinahe übergeben. Ich schaute zu Ethan, der gerade wieder aufstand, und ich hoffte, dass er schnell Hilfe holen würde, anstatt zu versuchen, zu kämpfen. Mein Versuch, Parkers Schwitzkasten zu entkommen erwies sich als zwecklos. Nach Ian zu rufen war genauso vergeblich; alles was ich herausbekam, war ein Röcheln. Während ich um Sauerstoff kämpfte, musste ich zusehen, wie Ethan auf die Beine kam, nur um wieder von Parkers Freunden zu Boden geworfen zu werden, und Tränen bildeten sich in meinen Augen

Plötzlich grunzte Parker, und sein Griff löste sich. Dann wurde er von mir weggerissen. Ich sank zu Boden und konnte endlich wieder Atmen.

»Was ist dein Problem du Wichser?« schrie ihn jemand an.

»Er ist doch nur 'ne Schwuchtel«, hörte ich Parker sagen. »Was geht dich das an?«

Ich schaute auf und sah, wie Conrad Parker schubste. Parker stolperte rückwärts und trat beinahe auf eine Kamera, die zwischen ihren anderen Sachen auf dem Boden lag.

»Nenn meinen Bruder nie wieder eine Schwuchtel. Wenn du ihn auch nur schief anguckst, bekommst du es mit mir zu tun, kapiert?« schnauzte er Parker an. »Und jetzt verpiss dich hier, bevor ich die Bullen rufe.«

Hinter Conrad standen mehrere seiner Freunde vom Basketballteam. Einen Moment lang starrte Parker ihn an. Er war definitiv kein Schwächling, aber Conrad und die meisten seiner Freunde waren ein oder zwei Jahre älter, und sie alle waren gut durchtrainiert. Sarah, Cody, Ian und Wayne hatten offensichtlich mitbekommen, was los war, und kamen auch auf uns zu. Als einer von Conrads Teamkameraden sein Handy hervorholte, um zu zeigen, dass das mit der Polizei kein Witz war, reagierte Parker endlich.

»Ist ja gut, Alter«, sagte er kopfschüttelnd. Conrad sah aus, als wolle er ihn am liebsten zu Brei schlagen, aber stattdessen wandte er sich uns zu, während Parker und seine Freunde ihre Sachen packten und sich vom Acker machten.

»Wenn das Arschloch dich je wieder anmacht, sagst du mir Bescheid, verstanden?« sagte er zu mir, laut genug, dass Parker es hören konnte.

Ich nickte und nahm die Hand, die er mir entgegenstreckte, um mir beim Aufstehen zu helfen. »Danke.«

Er zuckte nur mit den Achseln und schaute mich und dann Cody mit einem Blick an, der verriet, dass ihm die Situation ein wenig unangenehm war. »Kein Ding. Wir sehen uns dann Sonntag, schätze ich.« Und damit verzogen er und seine Freunde sich wieder auf das Volleyballfeld, um ihr Spiel fortzusetzen. Ich seufzte erleichtert. Parker war weg und weder Conrad noch Ian schienen Verdacht zu schöpfen. Zum Glück hatte Parker nichts gesagt, was Jacobs und mein Geheimnis verraten könnte. Hoffentlich checkte er nicht, warum Conrad mich als seinen Bruder bezeichnet hatte.

»Bist du okay?« fragte Ethan mich sanft.

»Mir geht’s gut«, antwortete ich, und bemerkte gleichzeitig, wie sehr ich zitterte. Ethan bewegte seine Arme ein Stück, als ob er mich umarmen wolle, aber plötzlich stoppte er mit einem Blick auf die anderen. Einige Sekunden lag ein unangenehmes Gefühl in der Luft, bevor Sarah ihn kurz anblickte und mich dann in ihre Arme schloss und drückte.

»Das war gruselig«, flüsterte sie. »Warum gibt es solche Arschlöcher überhaupt? Haben die nichts Besseres zu tun, als sich an Schwächeren zu vergehen?«

»Ah, nicht so doll, ich bekomme keine Luft«, ächzte ich.

»Ups, 'tschuldigung«, sagte sie und ließ mich los, nur um mich erneut zu umarmen, diesmal sanfter.

Ich legte meine Arme um sie und schloss meine Augen. Ethan wäre zwar meine erste Wahl gewesen, aber Sarahs Nähe half auch. Als mein Adrenalinpegel endlich wieder sank und ich mich beruhigte, ließ ich sie los. »Lass uns nach Hause gehen«, schlug ich vor. »Das alles hat mir irgendwie die Stimmung versaut und ich bin eh hungrig.«

Ethan nickte zustimmend, während Ian mich zögernd anschaute. »Bist du dir sicher, dass du das Wochenende bei Ethan bleiben willst? Mama und Papa machen sich Sorgen über unseren Streit und es gibt ja keinen wirklichen Grund mehr wegzubleiben, oder? Ich meine, ist doch alles wieder gut jetzt, oder… oder nicht?

»Mach dir keine Sorgen Ian«, versicherte ich ihm und versuchte zu Lächeln. »Ich wollte sowieso bei Ethan pennen. Kannst du Mama und Papa sagen, dass es keine Probleme mehr zwischen uns beiden gibt?«

Ian schaute noch einen Moment lang unentschlossen, doch dann stimmte er zu. »In Ordnung. Wir sehen uns dann Sonntag.«

Ich nickte. »Danke für das Spiel, es hat Spaß gemacht.« An Wayne gewandt fügte ich hinzu: »Danke, dass du mitgemacht hast. Bis dann.«

Wayne warf einen Blick auf Cody und schaute dann lächelnd zu mir zurück. »Immer wieder gerne. Ian hat mir von eurer Auseinandersetzung erzählt. Ich finde, dass du das Richtige tust.«

Ich grinste. »Danke. Wenigstens einer, der Verstand hat.«

Wir gingen zu den Umkleiden und zehn Minuten später, verabschiedeten wir uns von Sarah und Cody und machten uns auf den Weg zu Ethan nach Hause.

»Meinst du, Parker wird herausfinden, was los ist?« fragte ich besorgt.

»Warum sollte er?« fragte Ethan. »Ich meine, er weiß ja nicht, dass du eigentlich in Washington bist, oder?«

»Na ja, Conrad hat mich seinen Bruder genannt, als er ihn zusammengefaltet hat und Parker sollte eigentlich wissen, dass ich keine Brüder habe«, erklärte ich.

»Hä? Daran erinnere ich mich nicht einmal«, sagte Ethan. »Es war im Eifer des Gefechts und Parker war ziemlich voll. Selbst wenn er es mitbekommen hat, wird er vermutlich nicht checken, was es bedeutet.«

»Aber was, wenn er es tut?« widersprach ich.

»Darum kümmern wir uns darum, wenn und falls es dazu kommt.« Ethan zuckte mit den Achseln. »Kann schon passieren, aber Jacob und du, ihr könnt euch sowieso nicht ewig verstecken. Früher oder später kommt das heraus. Klar, es wäre sicherlich nicht schön, aber daran ändern können wir auch nichts.«

»Ich glaube nicht, dass ich dafür bereit bin«, murmelte ich.

Ethan hielt an und schaute mir in die Augen. »Warum? Ich meine, was genau wäre so schlimm daran?«

Erst einmal wusste ich gar nicht, was ich darauf antworten sollte. »Kein Plan«, sagte ich schließlich.

»Komm schon, denk darüber nach«, drängte er mich. »Die Antwort auf diese Frage ist wichtiger, als ob Parker es herausfindet und irgendwem sagt.«

Wir gingen weiter und ich überlegte einige Minuten, was das Problem war. Endlich sprach ich wieder. »Ich schätze, ich habe Angst«, gab ich zu. »Ich habe echt keine Ahnung, wie meine Eltern reagieren würden. Bei Jacobs Familie ist es noch schlimmer. Ich fühle mich bereits dort zu Hause. Was ist, wenn sie mich nicht mögen?« Ich hielt inne und schaute ihn an. »Und was, wenn sie uns unsere Täuschung, also den Rollentausch, übelnehmen?«

»Ich bin mir sicher, dass du keine Probleme mit Jacobs Familie haben wirst«, beruhigte Ethan mich. »Ian wird dich auf jeden Fall akzeptieren, und Jacobs Mutter wird dich wie ihren eigenen Sohn aufnehmen und behandeln, so wie sie es eigentlich mit jedem tut. Ich weiß nicht, wie genau sein Vater reagieren wird, oder Conrad, aber am Ende wird auch das gut ausgehen.«

Na ja, er wusste ja auch nicht, dass ich schwul war, und wenn Conrad jemals davon erfuhr, geschweige denn, dass ich in einem Raum mit ihm geschlafen hatte, ohne dass er davon wusste… Na ja, darüber sollte ich besser nicht zu viel nachdenken. »Kann sein.« Ich seufzte. »Ich… ich mache mir halt einfach Sorgen, okay?«

»Das verstehe ich auch.« Ethan nickte. »Ich meine ja nur, ich glaube, dass du es dir viel schlimmer vorstellst, als es eigentlich ist.«

»Vielleicht hast du ja Recht«, gab ich nach, obwohl ich immer noch nicht wirklich überzeugt war.

»Habe ich doch immer«, witzelte Ethan.

»Okay, ich versuche aufzuhören, mir Sorgen zu machen«, versprach ich nach ein einem Moment, aber nur um ihn zufriedenzustellen. »Was gibt’s zum Abendessen?«

»Keine Ahnung«, antwortete Ethan. »Reste von was auch immer meine Eltern gegessen haben.«

Den Rest des Weges verbrachten wir in was sich am besten als betretenes Schweigen bezeichnen lässt. Ich versuchte permanent, mir etwas einfallen zu lassen, womit ich herausfinden könnte, ob Ethan an mir interessiert war. All meine Überlegungen waren aber erfolglos. Nach dem, was mit Parker passiert war, konnte ich mich nicht wirklich konzentrieren. Ich wollte nur noch etwas essen und pennen gehen, und nicht mehr denken müssen.

Endlich kamen wir an und Ethan schloss die Tür auf. Das Licht im Flur war aus, aber ich konnte Geräusche von einem Fernseher aus dem Wohnzimmer kommen hören. »Wir sind zu Hause«, rief Ethan.

»Abendessen ist im Kühlschrank«, rief seine Mutter zurück.

Wir gingen in die Küche und ich setzte mich an den Tisch und wartete, während Ethan zwei Teller Lasagne in der Mikrowelle aufwärmte. Außer dem Summen der Mikrowelle und entfernten Autogeräuschen und Schüssen von einer Verfolgungsjagd im Fernseher war kein Geräusch zu hören. Als die Stille drückend wurde, hatte ich das Verlangen, etwas, irgendetwas, zu sagen. »Hattest du eigentlich je eine Freundin?« platze ich heraus.

Ethan schaute überrascht auf. »Nein, du?«

Einen Moment lang war ich im Schockzustand. Hatte ich ihn das gerade wirklich gefragt? Endlich schaffte ich es, zu antworten: »Ne, ich auch nicht.«

Ich hatte keine Ahnung, was ich sonst noch hätte sagen können und Ethan führte die Unterhaltung auch nicht weiter fort, sondern starrte nur mit gedankenverlorenem Blick auf den Tisch. Ein Piepen von der Mikrowelle schreckte uns auf und Ethan holte den Teller heraus und setzte ihn mir vor. »Guten Appetit«, wünschte er mir.

Nach dem Essen gingen wir zum Wohnzimmer und Ethan steckte seinen Kopf durch den Türspalt. »Mama, Papa, wir gehen heute mal früher ins Bett, gute Nacht.«

Ich erhaschte einen kurzen Blick über seine Schulter. Seine Eltern saßen beide in legerer Kleidung auf dem Sofa. Überraschend war, dass sie beide viel größer als Ethan waren. Seine Mutter hatte relativ kurzes, blondes Haar; sein Vater hatte schwarze Haare und eine Brille. Insgesamt sahen sie beide wie gebildete, nette Menschen aus. Sie waren anders als Jacobs Eltern, schienen irgendwie distanzierter, aber ich mochte sie trotzdem sofort. In Anbetracht dessen, wie meine eigenen Eltern sich so verhielten, könnte ich aber vielleicht auch einfach voreingenommen gewesen sein.

»Gute Nacht Jungs«, wünschte uns seine Mutter.

»Danke Mama, euch auch«, antwortete Ethan und schloss die Tür. Ich folgte ihm zu seinem Raum und wir stellten unsere Rucksäcke neben seinem Bett ab. Dann setzte er sich und schaute mich an.

»Also«, sagte er endlich. »Willst du irgendetwas machen? Ein Spiel spielen? Reden? Einfach direkt schlafen gehen?«

»Ähm…« Ich war müde und Bett klang nach einer guten Idee, aber andererseits war jetzt wohl die beste Gelegenheit, mein Glück mit Ethan zu versuchen, selbst wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich das tun sollte. Außerdem wollte ich ihn nicht zwingen, meinetwegen früher ins Bett zu gehen.

Als Ethan meine Unentschlossenheit sah, nahm er die Sache selbst in die Hand. »Wie wäre es damit«, schlug er vor. »Ich mache ein bisschen Musik an und wir legen uns schon mal ins Bett und chillen einfach, bis wir einschlafen.

»Klingt gut«, stimmte ich zu.

Er ging zu seiner Anlage und wühlte durch seine CDs, während ich mich auszog und ins Bett legte. Nach einer Weile hatte Ethan sich für eine CD entschieden und legte sie ein. Ich hörte die leisen Klänge von Classic Rock von den Boxen kommen und schloss entspannt meine Augen. Es war beinahe… romantisch. Erst jetzt merkte ich, wie müde ich eigentlich war. Meine Muskeln taten von all der Bewegung des Tages weh, und endlich in einem Bett zu liegen, war wie Himmel auf Erden. Ich öffnete meine Augen erst wieder, als Ethan unter seine Decke schlüpfte. Zu gerne hätte ich seinen Körper noch einmal gesehen, aber ich hielt mich zurück. Ich wollte nicht offensichtlich starren und außerdem hatte ich ihn schon den ganzen Nachmittag im Schwimmbad bewundern können.

»Na, was denkst du gerade?« fragte Ethan nach einer Weile.

Das war die perfekte Gelegenheit, ihm alles zu erzählen. Ich hätte es einfach tun können; die Versuchung war groß, doch ich schaffte es nicht, mich zu überwinden. Egal wie sehr ich es versuchte, die Worte, die ich brauchte, um meine tiefsten Geheimnisse preiszugeben, waren blockiert. »Ach nichts Besonderes«, log ich. »Ich bin gerade viel zu müde zum Denken.«

Als ich keine Antwort bekam, drehte ich meinen Kopf langsam in Richtung Ethan. Er starrte mich durch seine ozeanblauen Augen an. Wir verharrten, so wie wir waren, für eine gefühlte Ewigkeit. Ich blinzelte, einmal, zweimal, und dann konnte ich meine Augen nicht mehr offenhalten.

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Soo, und noch ein Teil. :smiley:

Ein traumhaftes Wochenende?


Josh

Alles was ich fühlte, war Frieden und Gelassenheit. Der Raum war in ein tieforanges Licht getaucht und die Decke lag wie eine schützende Hülle über mir und Ethan. Wir waren dicht aneinander gekuschelt und die Stellen an denen unsere Körper sich berührten, pulsierten vor Hitze. Ein Seufzen entwich meinen Lippen, als er seine Arme von hinten um mich legte und mich noch näher zu sich heranzog. Ich lehnte meinen Kopf zurück, so dass sein Kinn auf meiner Schulter war, und mein Kopf an der seinen.

»Ich liebe dich«, flüsterte er, und seine Finger strichen sanft über meine Brust.

»Ich dich auch«, flüsterte ich zurück und schloss meine Augen, um jede Sekunde seiner Berührungen auszukosten. Ich hatte noch niemals etwas vergleichbar Gutes empfunden und mir entwichen leise Seufzer, als seine Fingerspitzen meine Brustwarzen berührten und sich langsam über meinen Bauch bewegten.

Die verschiedensten Szenen spielten sich hinter meinen geschlossenen Augenliedern ab. Ethan, der mich vor Parker beschützte und mir später Jacob vorstellte. Ethan, ohne den ich es niemals geschaffte hätte, mich als Jacob auszugeben, und der immer für mich da war. Ethan, dessen Lippen ein schelmisches Grinsen umspielte, als er mich davon überzeugte, in der Umkleide vor ihm zu strippen. Ein kleiner, blonder Engel mit einem Herz aus Gold und einem Körper wie Adonis.

Als seine feuchten Lippen meinen Hals berührten und er dann sanft an meinem Ohrläppchen knabberte, erschauderte ich. Er ließ sich davon jedoch nicht beirren und ich musste mich aus seiner Umarmung winden, um seinen Zähnen zu entgehen. Nach einem kurzen, spielerischen Gerangel gelang es mir, ihm zu entkommen. Unsere Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt, ich am Keuchen, er grinsend.

Für einige Sekunden verweilten wir so. Dann griff Ethan meine Schulter und drückte mich sanft nach hinten, bis ich auf meinem Rücken lag und er auf mir saß. Er starrte mir in die Augen, während seine Hände meinen Oberkörper entlangglitten, über meine Schultern und Arme, und schließlich meine Handgelenke ergriffen und in die Matratze drückten.

Durch den Stoff konnte ich ihn über mir spüren, genauso hart wie ich, und plötzlich wurde mir ganz heiß. Begleitet von langsamen Hüftbewegungen beugte er sich zu mir herunter und presste seinen Mund gegen den meinen. Seine Zunge strich zögerlich, testend über meine Lippen. Mit wild schlagendem Herzen öffnete ich meinen Mund und tastete mich schüchtern vor, bis ich seine Zungenspitze gegen meine eigene spüren konnte. Ich vertiefte den Kuss leicht, konnte nicht genug von seinem süßen Geschmack bekommen.

Uns beiden entwichen leise Seufzer, während wir gegenseitig jeden Quadratmillimeter unserer Münder erforschten. Immer noch in den Kuss vertieft, nahm er seine Hüftbewegungen wieder auf, und ich bewegte mich mit ihm.

Plötzlich sprang die Tür mit einem lauten Knall auf und wir beide schreckten auseinander. Ethan rollte sich neben mich und zog uns die Decke bis zum Hals, während ich in Horror auf die Tür blickte. Dort stand, mit beinahe purpurnem Gesicht, mein Vater, wütender als ich ihn je zuvor gesehen hatte.

Die Zeit schien für einige Sekunden anzuhalten. Ich war wie paralysiert, versuchte eine Erklärung zu finden, zu sagen, dass es nicht war, wonach es aussah, doch wusste, es war hoffnungslos. Wie auch immer er uns gefunden hatte, mein größter Albtraum hatte sich bewahrheitet.

Dann stürmte er auf uns zu und riss mich mit eisernem Griff um meinen Oberarm aus dem Bett. Ich versuchte mich zu wehren, mich ihm zu entwinden, aber je mehr ich mich sträubte, umso schwächer schien ich zu werden. Als er schließlich begann, auf mich einzuschlagen, gab ich den Kampf auf, rollte mich so gut es ging zusammen, um möglichst wenig Schaden zu erleiden und begann zu weinen.

Während er mich verprügelte, gab er durchgehend ein unverständliches Gewirr aus Beleidigungen, Flüchen und anderem Geschrei von sich. Ich versuchte mir die Ohren zuzuhalten, es auszublenden, aber das schien kein bisschen zu helfen. Nach qualvollen Minuten war er endlich mit mir fertig. Er ließ mich zu Boden gleiten, bevor er mir noch einige Tritte gab und sich dann von mir abwandte.

Seine mordlüsternen Augen fixierten Ethan. Ich bekam es mit der Angst zu tun, und versuchte etwas zu sagen, ihn anzubetteln, Ethan nichts zu tun. Ich hätte sofort mein Leben gegeben, um Ethans zu schützen. Doch meine Stimmbänder funktionierten nicht. Egal wie sehr ich mich bemühte, ich konnte keinen Ton von mir geben, noch mich bewegen.

Langsam zog er eine Pistole hervor. Mit Grauen musste ich zusehen, wie er in Zeitlupe zielte. Und dann schoss.

Für eine Ewigkeit blieb die Welt einfach stehen. Alles war gedämpft, als wäre ein dickes, nasses Tuch über meinen Kopf geworfen worden. Stück für Stück kam meine Umgebung wieder in Fokus, zuerst die Farben, dann auch der Ton.

Ich fing an auf meinen Vater einzuschlagen und zu schreien. Ich war so hasserfüllt, dass sich mein Sichtfeld rot färbte und immer weiter einschränkte. Mein Herz raste und ich hatte das Gefühl, zu hyperventilieren. Etwas griff meine Schulter, wollte mich wegziehen. Ich versuchte mich loszureißen, aber ohne Erfolg. Dann legte sich etwas von hinten um mich, hielt meine Arme gegen meine Seiten und hüllte mich ein. Ich wollte mich weiter wehren, wollte kämpfen, aber war zu erschöpft.

Eine seltsame Wärme und Ruhe breitete sich um mich herum aus und erstickte jeden weiteren Gedanken an Widerstand im Keim. Die Farben um mich herum begannen zu verschwimmen und mit einem letzten Blick auf das Bett fing ich an zu schluchzen. »Ethan.«

»Alles ist gut Josh, ich bin ja da«, klang es von allen Seiten.

»Ethan«, schluchzte ich erneut, und die Farben lösten sich endgültig in Dunkelheit auf.

»Wach auf Josh, es ist nur ein Traum«, hörte ich eine sanfte Stimme sprechen. Es dauerte einige Momente, bevor ich realisierte, was geschehen war, und meine Augen öffnete. Es war dunkel. Ich konnte Ethans Atem an meinen Nacken spüren. Erst dann wurde mir klar, dass er mich geweckt hatte und in einer Umarmung hielt. Ich unterdrückte den Reflex, schnellstmöglich Distanz zwischen uns zu bringen. Für Scham war es sowieso zu spät, und die Wärme und Sicherheit, die er mir spendete, waren viel zu angenehm, als dass ich sie freiwillig hätte aufgeben wollen. Stattdessen atmete ich mehrmals tief durch und entspannte mich.

»'Tschuldigung, dass ich dich aufgeweckt habe«, murmelte ich.

»Ist schon okay, kannst du ja nichts dafür«, erwiderte Ethan. Anstatt mich loszulassen, zog er mich noch näher zu sich. »Magst du über den Traum reden?«

»Nein«, sagte ich, ein wenig zu schnell. »Nein… aber danke.«

»Okay«, flüsterte Ethan nach einer längeren Pause. »Aber wenn du es dir anders überlegst, dann habe ich immer ein offenes Ohr für dich.«

»Ich… danke«, wisperte ich.

Ich wunderte mich, ob Ethan mich nur wegen meines Albtraums in seinen Armen hielt, oder ob es mehr zu bedeuten hatte. Ich war allerdings viel zu müde, um den Gedankengang weiter zu verfolgen. Trotzdem verhielt ich mich möglichst still, aus Angst, dass er mich loslassen würde, sobald er realisiert hatte, was er eigentlich gerade tat.

Als der Schlaf begann, mich zu übermannen, wagte ich endlich, wieder etwas zu sagen. »Danke nochmal. Gute Nacht und schlaf gut.«

»Für dich doch immer«, murmelte Ethan schlaftrunken. »Gute Nacht.«

Am nächsten Tag weckte mich das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Der Raum fühlte sich seltsam leer an, und als ich meine Augen öffnete und mich streckte, sah ich, dass Ethan weg war. Die Ereignisse der letzten Nacht kamen mir plötzlich wieder in Erinnerung. Hatte ich das alles nur geträumt, oder hatte Ethan mich wirklich nach meinem Albtraum in einer Umarmung gehalten? Irgendwie erschien es mir zu gut, um wahr zu sein.

Ich konnte die Dusche hören, also entschied ich, im Bett zu bleiben, bis Ethan fertig und zurück war. Langsam kamen die Details des Traums zurück. Was, wenn so etwas wirklich passierte? Stellte mein Vater eine Bedrohung für Ethan dar? Es schien mir unwahrscheinlich, er konnte es sich eigentlich nicht leisten, Ethan etwas anzutun. Andererseits, wenn es in der Hitze des Gefechts geschah, dann konnte ich mir gut vorstellen, dass genau so etwas passieren würde; und das machte mir Angst. Was, wenn er Ethan wirklich etwas tat?

Ich schüttelte unbewusst meinen Kopf, versuchte zu vergessen. Dieser Gedankengang half mir nicht weiter. Solange ich nicht gerade bei mir zu Hause mit Ethan rummachte, würde zumindest so etwas wie im Traum nicht passieren können. Ich hatte mein ganzes Leben lang Angst gehabt, aber das hatte sich in der letzten Zeit immer mehr geändert. Ich würde mir das von einem dummen Traum nicht verderben lassen. Die letzten Wochen hatten mir endlich einen Geschmack von Leben gegeben, und ich hatte nicht vor, einfach so aufzugeben.

Meine Gedanken wurden von dem Knarren der Tür unterbrochen. Ich schaute auf und sah Ethan ins Zimmer kommen, nur ein Handtuch um seine Hüften gewickelt und seine Haare noch feucht. Ich brauchte eine Sekunde, um dieses Bild zu verarbeiten, und dann entschloss ich, noch vor Sonnenuntergang herauszufinden, wie meine Chancen mit Ethan standen. Egal wie viel Angst ich hatte. Ich war mein verkümmertes, beinahe nicht vorhandenes Selbstbewusstsein, das mein Leben so lange bestimmt hatte, leid.

Ich schaute ihm in die Augen. »Guten Morgen«, wünschte ich ihm. »Hast du gut geschlafen?«

»Dir auch einen guten Morgen«, antwortete er grinsend. »Definitiv.«

Ich wartete einen Moment, hoffte, dass er etwas sagen würde, was mir mehr darüber verriet, was er über die letzte Nacht dachte. Als nichts kam, stand ich auf. »Ich gehe dann mal duschen.«

»Okay, wir sehen uns beim Frühstück«, sagte er und ging an mir vorbei zum Schrank.

Ich verweilte einen Moment an der Tür und schaute auf seinen Rücken, während er den Schrank nach neuen Klamotten durchwühlte. Sein Handtuch löste sich und viel zu Boden, sodass er komplett nackt war. Es schien ihn kein bisschen zu stören, er stand einfach nur da, unwissend, dass ich ihn beobachtete, mich nach ihm sehnte, und nahm sich seine Zeit, etwas zum Anziehen zu finden. Ich stellte mir vor, wie es wäre, seine Haut zu berühren, meine Finger über seinen Rücken gleiten zu lassen, und in meiner Brust bildete sich ein brennendes Gefühl, ein Verlangen nach Nähe und Liebe.

Als er sich endlich für eine Boxershorts entschieden hatte, und begann, sie anzuziehen, wandte ich mich ab und verließ den Raum. Ich war nicht gerade wild darauf, beim Glotzen erwischt zu werden. Das Bild von seinem Körper konnte ich aber weiter hinter geschlossenen Augenlidern sehen, was meine Entschlossenheit umso weiter anfeuerte.

Nach einer kurzen Dusche, und deutlich mehr Zeit vor dem Spiegel, als eigentlich notwendig, machte ich mich auf den Weg zum Frühstück. Als ich die Küche betrat, setzte Ethan gerade sein Milchglas auf den Tisch. Er schaute auf und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich einen kleinen Milchbart auf seiner Oberlippe sah.

Ich setzte mich ihm gegenüber an den Tisch und seine Mutter belud meinen Teller prompt mit Bacon und Spiegelei. Abgesehen von ein paar Worten zwischen Ethans Eltern verlief das Essen ruhig. Ethan und ich waren viel zu sehr damit beschäftigt, Essen in uns hinein zu schaufeln, um zu reden.

»Was habt ihr Jungs heute vor?« fragte uns seine Mutter, als wir aufgegessen hatten.

»Ich dachte, dass wir heute vielleicht nochmal ein bisschen im Park chillen könnten«, antwortete Ethan, wobei er mich fragend anschaute.

Ich stimmte sofort zu. »Klar, gerne.« Einen ganzen Tag mit Ethan alleine verbringen? So eine Chance würde ich vermutlich kein zweites Mal bekommen. Noch während ich einen inneren Freudentanz ausführte, begann mein Gehirn schon wieder, die Situation zu hinterfragen.

Hatte Ethan bewusst vorgeschlagen, dass wir zu zweit in den Park gehen, es möglicherweise sogar schon vor dem Wochenende geplant?

Hatte er sich vielleicht etwas Ähnliches wie ich vorgenommen, oder wollte er einfach nur ein wenig Zeit mit mir verbringen, nur so als Freund, und es gab keine tiefere Bedeutung?

In Gedanken versunken stand ich auf und stieß dabei mein halbleeres Glas Orangensaft um. Entsetzt starrte ich auf den Tisch vor mir. »Tut mir leid, tut mir wirklich leid«, brabbelte ich vor mich hin, während sich die Saftpfütze auf dem Tisch ausbreitete. Beinahe panisch sah ich mich nach einem Tuch zum Aufwischen um. Mein Kopf war hochrot. Wie konnte mir das nur passieren?

»Alles in Ordnung, so was passiert«, beruhigte mich Ethans Mutter, eine Hand auf meiner Schulter. Besorgt schaute sie mich an. »Was ist denn heute mit dir los, Jacob?«

Ethan hatte bereits ein Tuch in der Hand und war dabei, den Saft aufzuwischen. Auf die Worte seiner Mutter hin warf er mir sofort einen warnenden Blick zu.

Ich atmete tief durch, versuchte mich wieder zu beruhigen. Mit einem Achselzucken versuchte ich so entspannt wie möglich zu erscheinen. »Ich war nur in Gedanken versunken und habe mich erschreckt.« Ohne auf ihre Reaktion zu achten, half ich Ethan dabei, den Tisch von Saft zu befreien und abzuräumen. Nachdem die Küche wieder aufgeräumt war, packten wir einen kleinen Rucksack und verließen das Haus.

Ich verbrachte den kompletten Weg damit, Pläne darüber zu schmieden, wie ich herausfinden könnte, ob Ethan schwul war. Sollte ich ihn einfach fragen? Das könnte potentielle Chancen ruinieren, da es zu direkt war. Vielleicht mit Zweideutigkeiten? Das hatte zwar einen gewissen Reiz, aber nach kurzem Überlegen wurde mir klar, dass ich das bereits versucht hatte. Es würde mich vermutlich nur noch mehr verwirren. Außerdem, wenn man damit zu weit ging, dann konnte es wirklich peinlich werden. Ein simpler, unangekündigter Kuss? Definitiv zu direkt. Was auch immer mir in den Sinn kam, ich fand sofort einen Grund, warum es keine gute Idee war.

Ethan hatte die ganze Zeit fröhlich vor sich hingequatscht, und sich nicht einmal davon stören lassen, dass ich ihm nicht wirklich zuhörte oder antwortete. Erst als wir den Park betraten, hörte er plötzlich auf zu reden, ging einfach nur noch neben mir her und warf mir gelegentlich einen neugierigen Blick zu. Ich bemerkte das erst einmal gar nicht, aber als ich es dann sah, warf ich ihm ein schüchternes Lächeln zu und errötete leicht, bevor ich meine Augen wieder auf den Boden vor mir richtete.

Unser Ziel war die Stelle, an der auch Jacob und ich uns immer trafen. »An der ich mich bei Jacob geoutet habe«, schoss es mir durch den Kopf, als wir in Sichtweite kamen.

»Worüber denkst du so nach?« fragte mich Ethan, nachdem wir uns auf den Boden gesetzt hatten.

»Nichts Besonderes«, log ich. Er hob eine Augenbraue und sah mich herausfordernd an. Ich fügte hastig hinzu: »Einfach nur was gestern passiert ist, und so…«

»Machst du dir immer noch Sorgen wegen Parker?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Auch, aber vor allem habe ich mich gewundert, wie dumm ein einzelner Mensch eigentlich sein kann. Wenn man sich Parker anschaut…«

Das brachte ihn zum Lachen. »Stimmt schon.«

Ich wusste nicht, was ich als nächstes sagen sollte, und anscheinend ging es ihm genauso. Bevor die unangenehme Stille uns überwältigte, gähnte ich demonstrativ und ließ mich vom Sitzen ins Liegen gleiten. Ich stützte meinen Kopf auf meine Arme und schaute zu Ethan auf, der weiterhin im Schneidersitz dasaß und nun seine Augen schloss.

War er schwul? Ein gewisses Gefühl hatte ich da zwar, aber das konnte genauso gut auch nur Wunschdenken sein. Ich atmete tief durch und versuchte, das Ganze logisch anzugehen. Ethan hatte mir gegenüber immer wieder gewisse Anspielungen gemacht. Beinahe als ob er mit mir Flirten würde. Andererseits kannte ich ihn erst seit kurzer Zeit, und bei ihm wusste man nie genau, was man denken sollte.

Es konnte gut sein, dass er das einfach nur aus Spaß tat. Dadurch, dass ich darauf reagiert hatte, könnten wir uns dann gegenseitig hochgeschaukelt haben. Ich musste meine Augen vor Scham kurz schließen, als mir die Vorstellung durch den Kopf schoss, wie er reagieren würde, wenn ich mich aufgrund eines Missverständnisses an ihn heranmachte.

Schnell versuchte ich mich auf etwas anderes zu fokussieren. Da waren die Momente in der Gruppendusche nach dem Sport und auch die Tatsache, dass Ethan nicht gerade jemand mit Berührungsängsten war. Viele würden daraus schließen, dass er schwul war. Aber Ethan war auch ein sehr einfühlender und liebevoller Mensch. Er konnte wahrscheinlich spüren, dass diese Nähe genau das war, was ich manchmal brauchte, und hatte kein Problem damit, als Freund für mich da zu sein. Und nach dem Sportunterricht, na ja, selbst wenn er mich vielleicht etwas näher beäugt hatte, so gut wie jeder Kerl, hetero oder schwul, ist in der Hinsicht irgendwann mal neugierig. Alle vergleichen, schauen heimlich. Dass Ethan etwas offener als andere war, sollte keine Überraschung sein.

Hatte das alles also wirklich etwas zu bedeuten? Vielleicht nahm ich die Dinge tatsächlich einfach nur so wahr, wie ich sie wahrnehmen wollte. Was, wenn ich falsch lag, wenn er gar nicht mehr in mir sah als einen Freund? Ich wusste, dass er kein Problem mit Schwulen hatte, soviel war klar. Der Unterschied war allerdings, ich war ein Schwuler, der dazu auch noch auf ihn stand, und das änderte die Dinge. Damit hatten selbst viele ein Problem, die sonst eigentlich tolerant waren. Sogar wenn alles perfekt lief, und es ihn überhaupt nicht störte, dann würde das vermutlich trotzdem immer irgendwie zwischen uns hängen und unsere Freundschaft beeinträchtigen.

Plötzlich sprang mir eine verrückte Idee in den Kopf. Ich zögerte einen Moment, aber dann erinnerte ich mich an meinen Entschluss am Morgen. Ich war meine Angst satt, ich wollte nicht ewig allein bleiben, nur, weil ich mich nie traute, ein Risiko einzugehen. Ich atmete tief durch und nahm all meinen Mut zusammen. »Ethan?«

»Hm?«

»Warum hast du mir eigentlich nie gesagt, dass du schwul bist?« fragte ich ihn, und versuchte meine Nervosität hinter unschuldiger Neugierde zu verstecken.

Sobald die Worte ausgesprochen waren, wurde ich wieder von Zweifeln überwältigt. Er konnte gar nicht schwul sein. Ich war mir sicher. Ich verdiente jemanden so gutes wie ihn gar nicht. Außerdem war dies das reale Leben, nicht eine Hollywood-Romanze, in der alles immer gut endet. Ich bereitete mich darauf vor, sein Lachen zu hören, und wagte einen flüchtigen Blick in seine Richtung. Er starrte mich mit heruntergefallener Kinnlade an.

»Äh, ich… also…«, stotterte er, überrascht von meiner Frage.

Ich starrte zurück, reglos, jeder Muskel meines Körpers angespannt. Nach einigen Momenten der Bewegungslosigkeit atmete er tief ein und senkte er seinen Blick auf den Boden vor ihm. »Hat sich bisher nie so ergeben«, sagte er zaghaft. »Aber um ehrlich zu sein, ich bin mir selbst nicht einmal wirklich sicher. Es ist so verwirrend…« Er verstummte und hob seinen Kopf, sodass seine Augen meine trafen. Es war offensichtlich, dass es ihm schwerfiel, dies zu tun, doch er zwang sich trotzdem, mich anzusehen. »Du hast doch kein Problem damit, oder?«

»Ich… Moment, du bist schwul?« platzte es aus mir heraus. Ich setzte mich ruckartig auf.

Seine Augen weiteten sich. »Was?«

Wir verharrten, wie wir waren, beide unsicher, was wie von dieser Situation halten sollten. Plötzlich gab Ethan ein hölzernes Lachen von sich. »Du wusstest es gar nicht? Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich getan hast.«

»Na ja, es hat funktioniert, oder nicht?« meinte ich kleinlaut.

Er runzelte die Stirn und setzte an, etwas zu sagen. Zuerst dachte ich, er würde wütend auf mich werden, aber dann sackte er ein wenig in sich zusammen und es kam lediglich ein Seufzer. »Ja, sieht so aus. Fühlt sich irgendwie komisch an, jetzt da es raus ist. Ich weiß nicht einmal, was ich gerade denken soll.«

»Hm«, ich nickte verständnisvoll.

Gedankenverloren saßen wir da, seine Augen in die Ferne gerichtet, während meine hin und wieder zu ihm herüber und über seinen Körper wanderten. Mehrere Minuten vergingen, bevor er begann, leicht zu sich selbst zu nicken. Er wandte sich zurück zu mir.

»Wie kommt’s, dass du fragst?« wollte er wissen. Sein verspieltes Grinsen kam wieder zum Vorschein und er lehnte sich zu mir herüber. »Bist du etwa interessiert?«

»Ich… du… ich habe nicht…«, faselte ich mit knallrotem Gesicht.

»Tut mir leid«, entschuldigte er sich sofort. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Das war dumm von mir. Ich hoffe du denkst jetzt nicht, dass ich ein Creep bin, oder na ja…«

Er stoppte abrupt und eine unbehagliche Stille breitete sich zwischen uns aus. Währenddessen arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren. Sollte ich ihm gestehen, dass ich wie er war? Vielleicht sogar, dass ich mich in ihn verliebt hatte? Nur weil wir beide schwul waren, bedeutete das nicht, dass er an mir interessiert war. Oder doch?

Ich öffnete meinen Mund, um zu sprechen, doch alles, was herauskam, war ein Krächzen. Ich räusperte mich ausgiebig, versuchte mir etwas Zeit vor dem Unausweichlichen zu schaffen. Da ich jetzt über ihn Bescheid wusste, musste ich mich zumindest bei ihm outen. Es wäre nur fair, oder zumindest versuchte ich mich selbst davon zu überzeugen.

»Mach dir keine Sorgen, Ethan«, sagte ich sanft. »Ich fand das nicht schlimm oder so.« Ich schloss meine Augen, obwohl ich wusste, dass ich keinen Grund zur Angst hatte. Nur nachdem ich die Worte mehrfach in meinem Kopf wiederholt hatte, schaffte ich es, sie auch hervorzubringen. »Ich bin auch schwul.«

Eine unglaubliche Erleichterung breitete sich in mir aus. Es war, als wenn mir ein Zentner Blei von der Brust genommen worden wäre. Als Ethan jedoch nach mehreren Sekunden immer noch nichts gesagt hatte, schaute ich besorgt zu ihm herüber. Zu meiner Überraschung grinste er.

»Dachte ich mir doch!«

Meine Erleichterung verwandelte sich sofort in Grauen. »Hast du? Ist es so einfach zu sehen?«

In meiner Stimme war deutlich zu hören, wie erschüttert ich war. Ethan hob sofort seine Hände, versuchte, mich zu beruhigen. »Nein Josh, definitiv nicht. Ich bin einfach nur ein guter Beobachter. Ich bin mir sicher, dass niemand etwas weiß. Um ehrlich zu sein, selbst ich hatte nur ein paar Vermutungen, aber nichts Handfestes.

»Bist du dir sicher, dass es niemand anderes bemerkt hat?« fragte ich, immer noch nicht wirklich beruhigt.

Er rollte seine Augen. »Ja Josh, ich bin mir sicher. Solange du nicht so viele Anspielungen bei anderen Leuten machst, wie mit mir alleine, musst du dir keine Sorgen machen.«

»Vielleicht hast du Recht«, gab ich zu. Meine Miene verdunkelte sich. »Ich hoffe, du hast Recht.«

»Ich habe immer Recht«, antwortete Ethan mit scherzhaft arrogantem Tonfall.

»Ja, ja«, grinste ich. »Wie auch immer, wenn du dir so sicher bist, dass ich schwul bin, was ist mit den ganzen Sachen, die du gerade gesagt hast? Du weißt schon, dass es dir für das Flirten leidtut und ob ich ein Problem mit Schwulen habe?«

»Oh, das.« Ethan verzog sein Gesicht. »Na ja, ich habe es zwar vermutet, aber ich wusste nicht sicher, ob du es dir bereits selbst eingestanden hast. Ich weiß, das klingt bescheuert, aber ich wollte es nicht vermasseln, indem ich dich unter Druck setze, oder so.«

»Ergibt Sinn«, räumte ich ein. Wieder wusste keiner von uns, was er sagen sollte, doch dieses Mal wurden wir glücklicherweise von dem Vibrieren meines Handys gerettet.

Ich zog es aus meiner Tasche und schaute auf das Display. »Ist von Jacob«, informierte ich Ethan, und gestikulierte ihm, herüber zu rutschen, damit er mitlesen konnte.

Hey! Deine Mutter hat mir gerade gesagt, dass wir erst Sonntagabend wieder zurückfliegen. Ich schlage vor, wir treffen uns Montag früh vor der Schule, um zurückzutauschen. Du hast übrigens vergessen, das Ladekabel fürs Handy einzupacken. Der Akku ist fast alle, also wirst du vermutlich nicht vor Sonntagnacht von mir hören. - Schönes Wochenende noch!

Ethan schaute mir weiterhin über die Schulter, als ich eine kurze Antwort tippte, in der das Treffen am Montag bestätigte, und ihm auch ein schönes Wochenende wünschte. Erst als ich fertig war, bemerkte ich, wie nah Ethan mir gekommen war. Sein Atem berührte meinen Nacken wie eine sanfte Brise. Mein ganzer Körper war paralysiert. Ich wollte mich zurücklehnen, seine Arme um mich fühlen, aber gleichzeitig hatte ich unglaubliche Angst, dass er das vielleicht gar nicht wollte.

»Weiß er, dass… über dich Bescheid?« fragte Ethan unvermittelt.

»Er, äh… ja«, brachte ich hervor. Ich versuchte mein Gefühlschaos zu ignorieren und mich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Ich hab’s ihm gleich am Anfang gesagt. Ich weiß auch nicht warum, aber ich kann ihn einfach nicht anlügen. Außerdem kam es mir irgendwie falsch vor, das zu verschweigen.

»Und er hat kein Problem damit, oder? Das erklärt auf jeden Fall seine neue Einstellung zu Homophobie«, sinnierte Ethan. »Ich hatte mich schon gewundert, woher das auf einmal kam.«

»Jap.« Ein glückliches Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Er ist total super. Ich wünschte, mehr Leute wären so verständnisvoll wie er. Wenn meine Eltern von mir wüssten…« Ich stoppte und schluckte. »Ich will da nicht einmal drüber nachdenken. Die würden mich wahrscheinlich ohne Zögern rauswerfen.«

Plötzlich schloss Ethan mich von hinten in eine Umarmung. Er brauchte nichts zu sagen, seine Botschaft war unmissverständlich. Ich seufzte. »Danke Ethan«, flüsterte ich und lehnte mich in ihn hinein.

»Für dich doch immer«, murmelte er.

Mit jeder Sekunde, in der ich seine Berührung genoss, wuchs das Gefühl, dass ich Entfernung zwischen uns bringen musste. Zumindest solange ich vermeiden wollte, dass es mehr als eine Umarmung zwischen Freunden wurde. Zugleich wollte ich allerdings genau das. Ich wollte, dass Ethan mich nie wieder losließ, sehnte mich danach, dass es mehr werden würde. Mein innerer Konflikt endete abrupt, als Ethan sich von mir löste. Enttäuschung machte sich in mir breit und versetzte meinem Herzen einen Stich.

Ich drehte meinen Kopf und sah, wie er sich selbst einen halben Meter nach hinten schob, und mich angrinste. Bevor ich reagieren konnte, griff er mich und zog mich sanft mit ihm nach hinten, bis ich bequem in seinem Schoß lag, mein Kopf auf seiner Brust. »Ist das okay für dich?« flüsterte Ethan.

Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur. Und dann kuschelte ich mich näher an ihn, genoss das Gefühl seiner Finger in meinen Haaren, und wünschte mir, dass der Moment niemals enden würde.

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Washington DC


Jacob

»In einer Stunde gibt es Abendessen«, erinnerte mich Joshs Großmutter.

»Okay Oma, ich werde rechtzeitig runterkommen.« Ich grinste, als ich die Treppen hinaufstieg. Ich war in herausragender Stimmung, so herausragend, dass ich das Verlangen unterdrücken musste, auf der Treppe immer zwei Stufen auf einmal hochzuhüpfen. Das wäre keine gute Idee gewesen. Ich hatte das am ersten Tag getan und musste mir ganz schön etwas anhören. Kein Rennen im Haus, Abendessen um Punkt sieben, Licht aus um Punkt elf, sitz gerade und nicht so zusammengesunken, zieh dich immer so an, als ob du ein Meeting mit dem Präsidenten hättest und benimm dich am Esstisch als wärst du im Ritz…

Joshs Großeltern waren genauso streng wie seine Eltern, nur, dass in ihrem Haus immer jemand da war, der die Regeln durchsetzte. Das machte sie allerdings nicht zu schlechten Menschen. Ich war überrascht, wie warm seine Großmutter mich begrüßt hatte und wie glücklich sie darüber war, Zeit mit mir verbringen zu können. Es war beinahe undenkbar, dass ein Mann wie Mr. Adams in diesem Haus aufgewachsen war.

Nicht, dass das Wort Haus wirklich treffend war. Villa war deutlich angemessener. Ich konnte kaum meinen Augen glauben, als wir am Freitagabend ankamen. Das Gebäude war riesig, selbst im Vergleich zu den anderen Villen in McLean, und dasselbe galt für das zugehörige Grundstück. Es mussten mindestens einhundert Meter perfekt gepflegter Rasen zwischen der Straße und der Hausfront sein. Ein gepflasterter Weg schlängelte sich von der Straße zum Haupteingang des Herrenhauses, vorbei an einem alten Springbrunnen und einer großen Zahl von kleinen Buchsbäumen, welche in kunstvolle Formen geschnitten waren. Hochgewachsene Bäume von mindestens zehn Metern umrahmten das Stück Land von beiden Seiten, während das weiße Haus drei Stockwerke in die Höhe ragte; ein einschüchternder Anblick, erst recht, wenn man die Treppen zur Eingangshalle emporstieg.

Obwohl Josh nur selten seine Großeltern besuchte, hatte er sein eigenes Zimmer. Zumindest war es als sein festes, eigenes Zimmer gedacht, doch abgesehen von dem großen Plasmafernseher, dem überdimensionalen Bett und den teuren Eichenholzmöbeln, war es leer. Es sah eher aus wie ein Hotelzimmer als ein Raum, in dem ein Jugendlicher wohnte. Ob das so gedacht war, oder ob Josh sich einfach nie darum gekümmert hatte, es persönlicher und lebendiger einzurichten, wusste ich nicht, aber nach einem Blick auf den puren Luxus war mir das eigentlich auch egal.

Nachdem ich die Tür hinter mir verschlossen hatte, zog ich mich aus und ging in das an den Raum angeschlossene Badezimmer, um eine wohlverdiente Dusche zu genießen. Seufzend trat ich unter die entspannenden Strahlen des heißen Wassers und der frische Geruch von Kiefer verbreitete sich, als ich den Schweiß von meinem Körper wusch. Ich schloss meine Augen und massierte langsam meine Beinmuskeln, während ich an alles zurückdachte, was ich an dem Tag gesehen und erlebt hatte.

Joshs Großmutter hatte vorgeschlagen, den Tag beim Smithsonian zu verbringen. Wir begannen ziemlich früh, zumindest für einen Samstag, um zehn Uhr am National Museum of Natural History. Paul, der Gärtner, fuhr uns die etwa zehn Meilen von McLean und wir kamen gerade rechtzeitig an, als sie öffneten. Margery, das war der Name von Joshs Großmutter, hatte dieses Museum vermutlich wegen Joshs Interesse an Geschichte ausgewählt. Anfangs war ich nicht sonderlich begeistert, auch wenn ich so tat, als ob. Immerhin wäre Josh es ja gewesen. Das änderte sich allerdings schlagartig. Wir waren in dem Bereich für die Eiszeit und ich betrachtete ein ausgestopftes Mammut, unterdrückte ein Gähnen und überlegte, wie ich Mrs. Adams dazu bewegen könnte, in ein anderes Museum zu gehen, als ich einen Dinosaurier hinter einer Ecke sah. Dinosaurier sind immer cool, egal wie wenig man sich für Geschichte interessiert!

Nach etwa zwei Stunden Tyrannosaurier, Sauropoden und Raptoren bestaunen, und nebenbei sogar etwas lernen (in der Wissenschaft wird diskutiert, ob Tyrannosaurier Jäger oder Aasfresser waren), konnte ich mich wieder losreißen. Als wir das Gebäude verließen, machte Mrs. Adams einen Schritt in Richtung des American History Museum, aber ich schaffte es glücklicherweise gerade noch rechtzeitig, uns in Richtung des Air and Space Museum zu lenken. Selbst wenn die Dinosaurier spannend gewesen waren, ich denke nicht, dass ich mehr Geschichte an einem Tag überlebt hätte.

Ich wusste vorher schon, dass das Smithsonian der größte Museenkomplex der Welt ist, aber an diesem Tag wurde mir erst bewusst, wie groß das eigentlich war. Nach zwei Stunden Luft- und Raumfahrtzeugs und einer Ausstellung über unbemannte Militärflugzeuge (sau cool), einer kurzen Mittagspause im Mitsitam Café (sehr lecker) und einer weiteren Stunde in der National Art Gallery (langweilig, aber Joshs Großmutter fand es wohl toll), war ich mehr als überfüllt mit Informationen. Und trotzdem hatte ich nur einen Bruchteil von dem gesehen, was es zu entdecken gab. Nachdem wir in der Kunstgalerie fertig waren, nahmen wir ein Taxi zum Nationalzoo, um den Rest des Tages dort zu verbringen. Genau deswegen fühlten meine Beine sich dann auch so an, als wären sie mit Blei gefüllt. Die Sommerhitze und hohe Luftfeuchtigkeit machten das auch nicht gerade besser.

Während ich die Dusche verließ und mich abtrocknete, dachte ich an Josh. Er genoss sein Wochenende mit Ethan, vermutlich mit Basketballspielen und Gammeln im Park. Ich erinnerte mich an meine Unterhaltung mit Cody von vor ein paar Tagen. Konnte es sein, dass Ethan schwul war? Er schien begeistert von der Idee zu sein, das Wochenende mit Josh zu verbringen. Hatte er bemerkt, dass Josh schwul war und war an ihm interessiert? Bevor ich meinen Zwilling getroffen hatte, hätte ich den Gedanken ziemlich komisch gefunden, aber jetzt kam es mir merkwürdig normal vor. Ich musste grinsen. Wenn das der Fall war, dann hatte ich die letzten Wochen mit drei Schwulen rumgehangen. Wenn Ian und Conrad nur wüssten, dass ich mehr von denen kannte, als nur Cody.

Kopfschüttelnd fragte ich mich, aus welcher Ecke meines Gehirns diese Überlegungen entsprungen waren. Vielleicht lag es an der komischen Verbindung die Zwillinge angeblich haben? Was Ethan und Josh wohl gerade taten, das diese Gedanken hervorrufen könnte? Ich zog eine Grimasse. Bei nochmaligem Nachdenken wollte ich das eigentlich gar nicht so genau wissen.

Ich zog mich an und begab mich auf den Weg nach unten. Es waren immer noch fünfzehn Minuten, bis zum Abendessen, aber ich hatte sowieso nichts Besseres zu tun. Die Tür zum Salon war angelehnt und ich konnte leise, ins Gespräch vertiefte Stimmen hören. Sie schienen über Josh zu reden. Da ich noch nicht bemerkt werden wollte, setzte ich meinen Weg schleichend fort.

»Ich zumindest finde, dass er sich zum Positiven verändert hat«, sagte Margery.

»Wenn du meinst«, grummelte ihre Schwiegertochter.

»Mary, er ist viel fröhlicher und offener. Dir wäre das auch aufgefallen, würdest du wenigstens ab und zu Zeit mit ihm verbringen«, bemerkte die ältere Mrs. Adams. Sie sprach betont höflich, doch unterschwellig war ihre Verärgerung zu hören.

»Ich habe es euch schon seit Jahren gesagt; es ist kein Wunder, dass er so eine Memme ist, wenn er mit Dienstmädchen aufwächst, während ihr permanent verreist seid«, verkündete Joshs Großvater. »Er wurde sein ganzes Leben lang von Weibern verhätschelt.«

Ich zuckte bei den Worten zusammen. Josh besaß zwar nicht gerade viel Selbstvertrauen, aber zu hören wie seine eigene Familie so über ihn sprach?

»Charles!« empörte sich Margery. »Er ist einfach nur ein bisschen anders. Er hat mehr Gehirn und weniger Muskelkraft, das ist alles. Die Zeiten haben sich eben geändert. Es ist nicht mehr wie früher.«

Einen Moment lang herrschte Stille. Ich stellte mir vor, wie Charles mit den Augen rollte und musste ein Kichern unterdrücken, als ich mich fragte, ob er so etwas tatsächlich tun würde.

»Wie auch immer, wir haben einen Mann eingestellt, als wir nach Albany gezogen sind«, merkte Mary an. »James hat darauf bestanden, aus demselben Grund.«

»Oh ja? Wie ist sein Name?« wollte Charles wissen. »Ich hoffe er ist ein gutes Vorbild für Josh, und nicht 'ne Tunte oder sowas.«

»Philip Campbell, und nein, er sieht definitiv nicht wie… so einer aus«, antwortete Mary belustigt. Ich musste grinsen. Philip war total durchtrainiert und typisch männlich. »Er hält uns gut über Josh auf dem Laufenden und bisher gab es keine Probleme. Wenn sich Josh verändert hat, dann haben wir das vermutlich Mr. Campbell zu verdanken.«

»Ich habe euch das schon immer gesagt, und das beweist, dass ich von Anfang an Recht hatte. Er braucht ein männliches Vorbild in seinem Leben. Ich habe mich immer schon gefragt, wie ihr zwei ein Kind wie Josh zeugen konntet. Er ist kein bisschen wie du oder James. Lass uns hoffen, dass dieser Mr. Campbell richten kann, was all diese Dienstmädchen in seiner Erziehung versaut haben.«

Es gab einen weiteren Moment der Stille, und ich stellte mir vor, dass Joshs Großmutter ihren Ehemann verdrießlich anschaute. Als sie sprach, hörte ich, dass ich vermutlich richtiglag. »Wie auch immer. Wie läuft das Geschäft?« wechselte sie barsch das Thema.

Ich wartete noch einige Minuten, ohne wirklich weiter zu lauschen. Es ging um irgendwelche Verträge und Arbeitsrecht. Dann klopfte ich zögerlich am Türrahmen und steckte meinen Kopf in dem Raum. Die Unterhaltung verstummte sofort.

Joshs Großmutter warf einen Blick auf die Uhr und lächelte mich an. »Josh, Liebling, wir essen gleich. Warum gehst du nicht schon mal ins Esszimmer. Wir kommen dann gleich nach.«

Ich nickte einmal, drehte mich um und verließ den Raum. Ein kurzer Blick aufs Handy zeigte mir, dass die Batterie nun endgültig gestorben war. Hätte ich doch bloß an das blöde Ladekabel gedacht. Ich fragte mich wieder einmal, was Josh gerade tat.

Der Tisch war bereits gedeckt, der Geruch von Roastbeef stieg mir in die Nase und brachte meinen Magen zum Knurren. Unsicher, ob ich mich bereits setzen konnte, wartete ich etwas verloren mitten im Raum auf den Rest von Joshs Familie. Als diese dann endlich hinter mir durch die Tür traten, waren sie immer noch in ihr Gespräch über das Geschäft vertieft.

Mr. Adams Sr. warf mir einen merkwürdigen Blick zu und auf einmal kam es mir ziemlich dumm vor, dass ich stehend gewartet hatte. Er dachte vermutlich, dass ich mich wie ein Diener benahm, und nicht wie der Erbe einer vermögenden und einflussreichen Familie, oder so etwas. Mit errötenden Wangen machte ich zwei schnelle Schritte in Richtung meines Platzes, wobei ich fast stolperte.

Ich konnte Joshs Mutter leicht hüsteln hören und blieb einen Moment lang stocksteif stehen. Mit geschlossenen Augen zwang ich mich stumm bis drei zu zählen, bevor ich mich langsam zu Tisch setzte. Während die anderen Platz nahmen, beäugte ich besorgt das Besteck. Punkt für Punkt ging ich in Gedanken Joshs Crashkurs vom letzten Wochenende zum korrekten Benehmen in feiner Gesellschaft durch. So wirklich bereit fühlte ich mich nicht.

Nachdem Joshs Großvater das Tischgebet gesprochen hatte, lud ich mir eine vorsichtige Portion Salat auf meinen Teller. Die Gabel fühlte sich merkwürdig rutschig zwischen meinen Fingern an, als ich das erste Salatblatt in meinen Mund beförderte. Langsam kaute ich, darauf bedacht, nicht zu schlingen. Einige Bisse später traute ich mich, aufzuschauen, nur um zu bemerken, dass sich niemand so wirklich für mich interessierte. Ich atmete erleichtert auf und begann ein wenig enthusiastischer zu kauen. Erst dann realisierte ich, wie offensichtlich paranoid ich mich eigentlich verhalten haben musste.

» Josh, wie läuft es in der Schule?« fragte Margery unvermittelt.

Ich erstickte beinahe an meiner Gabel, so sehr hatte sie mich erschrocken. Nach einem kleinen Hustenanfall schaffte ich es dann endlich, zu antworten. »Sehr gut. Ich werde vermutlich Jahrgangsbester sein.«

»Und mit deinen Mitschülern ist auch alles gut? Hast du ein paar Freunde an deiner neuen Schule gefunden?«

Ich rutsche leicht auf meinem Stuhl herum und schob mir ein weiteres Salatblatt in den Mund, um Zeit zu schinden, was mir sofort einen missbilligenden Blick von Joshs Mutter einfing. »Ich, also, na ja es ist ganz in Ordnung«, log ich schließlich.

Joshs Mutter setzte an, etwas zu sagen, aber plötzlich begann ihr Handy zu klingeln. Beide der älteren Adams starrten sie an, offensichtlich genervt von der Unterbrechung des gemeinsamen Essens, aber sagten nichts, als sie nach einem kurzen Blick auf das Display den Anruf entgegennahm.

»Ja?« fragte sie barsch.

Immer tiefere Falten bildeten sich in ihrer Stirn als sie dem blechernen Plärren lauschte. Ich konnte nicht heraushören, wer es war, aber er war offensichtlich sehr aufgebracht. Plötzlich fixierten ihre Augen mich und ich bekam ein mulmiges Gefühl in meinem Magen.

Nach etwa einer Minute verstummte die Stimme endlich. Joshs Großeltern starrten Mary inzwischen mit einer unleserlichen Mine an, während ihre Augen sich keinen Millimeter von mir entfernt hatten. Sie holte einmal tief Luft und beendete das Gespräch mit einem: »Verstanden.«

»Wir müssen zurück nach Albany«, informierte sie mich knapp, »Pack deine Sachen, wir nehmen den nächsten Flug.«

»Aber Mary, ihr seid doch praktisch gerade erst angekommen«, versuchte Margery einzuwenden, »Kann nicht Josh zumindest noch hierbleiben?«

»Tut mir leid«, erwiderte Mary, »aber wir müssen jetzt wirklich los.« An mich gewendet fügte sie hinzu: »Worauf wartest du noch? Geh schon packen.«

Ich schluckte und stand auf. »Okay, ich bin gleich wieder da.«

So schnell ich konnte, ohne dabei zu laufen, begab ich mich in Joshs Zimmer und packte all seine Sachen in den Koffer. Nach einem letzten, prüfenden Blick, ob ich auch nichts vergessen hatte, griff ich Koffer und Rucksack und eilte ich wieder die Treppe hinunter. Margery wartete bereits in der Empfangshalle auf mich. In ihrer Hand hielt sie einen Beutel, anscheinend etwas vom Abendessen, das hastig zum Mitnehmen eingepackt wurde. Sie gab mir eine herzliche Umarmung und wünschte mir alles Gute mit den Jahresabschlussprüfungen, bevor sie mich mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedete.

Ich dachte noch für einen Moment, dass ich Dankbarkeit dafür fühlen sollte, dass Josh wenigstens ein Familienmitglied hatte, das ihn schätzte, aber das war sofort wieder in einem Rausch aus Verwirrung und Eile verloren.

Vor dem großen schmiedeeisernen Tor wartete bereits ein Taxi auf uns. Ich versuchte noch einige Male zu der Frage anzusetzen, was denn nun los sei, aber Mrs. Adams eisige Blicke ließen meine Worte im Hals stecken bleiben.

Als wir zwei Stunden später das Flugzeug betraten, glitt meine Hand zum hundertsten Mal zu meinem Handy. Wenn ich doch nur an das verdammte Ladekabel gedacht hätte. Hoffentlich war nichts allzu Schlimmes passiert.

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Und es geht weiter. :slight_smile:

Verschollen (Teil 1)


Josh

Ich war gerade in mein Zimmer gekommen, als mein Handy vibrierte. Sofort holte ich es hervor und klappte es auf, nur um enttäuscht zu werden. Keine Nachricht von Jacob, sondern von Ethan:

Jacob kommt bestimmt wie abgesprochen morgen früh zum Park. Mach dir nicht zu viele Sorgen, das bringt sowieso nichts. Hdl :*

Ich lächelte unwillkürlich und mein Herz klopfte ein wenig lauter, doch dann musste ich wieder an Jacob denken. Seufzend legte ich mein Handy zur Seite und begann mich auszuziehen. Als ich meine Kette abnahm, hielt ich für einen Moment inne und betrachtete den silbernen Gemini-Anhänger in meiner Hand. Ich war genervt, dass er sich nicht meldete, trotz mehrerer Nachrichten von mir. Er hätte schon längst zu Hause sein müssen und es war ja wohl nicht zu viel erwartet, sein Handy aufzuladen und ein Lebenszeichen von sich zu geben. Andererseits machte ich mir auch Sorgen. Was, wenn etwas passiert war?

»Was hast du da?« fragte Ian mit einem neugierigen Blick von seinem Bett.

Schnell schloss ich meine Hand. »Nichts Besonderes«, log ich, und merkte erst dann, wie verdächtig ich mich damit machte. Ian schaute mich komisch an, aber fragte glücklicherweise nicht weiter nach. Ich schlüpfte unter meine Decke und drehte mich zur Wand, bevor er sich es anders überlegen konnte. Sobald ich es mir im Bett gemütlich gemacht hatte, schweiften meine Gedanken zum vergangenen Wochenende.

Nachdem Ethan und ich uns am Samstagmittag ausgesprochen hatten, verbrachten wir fast den ganzen Nachmittag kuschelnd im Park. Seitdem hatte sich zwischen uns eine Art unausgesprochene Beziehung entwickelt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es anders bezeichnen sollte. Sobald niemand uns sehen konnte, saßen oder standen wir auf einmal näher zusammen. Ob an der Spielkonsole, im Esszimmer oder bei dem Basketball-Training am Sonntagmorgen, immer, wenn wir alleine waren, wurden die kleinen, beiläufigen Berührungen eine angenehme Selbstverständlichkeit. Eine Hand auf dem Rücken, ein Arm um die Schulter, enges Zusammensitzen, die Finger in den Haaren. Oder auch eine längere Umarmung, als wir uns verabschiedeten.

Geküsst hatten wir uns noch nicht. Es gab mehrere Momente, in denen ich mich fast getraut hätte. Zum Beispiel als Ethan am Samstagabend vor der Spielekonsole saß und ich ihn in aller Ruhe von der Seite betrachten konnte. Seine Zunge war leicht herausgestreckt, sodass man die Spitze zwischen seinen Lippen sehen konnte, als er konzentriert auf den Bildschirm starrte. Ich konnte mich noch genau an das Gefühl erinnern, dieser Drang, mich zu ihm hinüber zu lehnen, und ihm ein Küsschen auf die Wange zu drücken. Eine Art Brennen in der Brust, ein Magnet, der mich zu ihm zog, aber gleichzeitig ein Gefühl von Schwäche, als ob ich so, wie ich saß, festgeankert war, und ich nicht stark genug war, um mich tatsächlich zu bewegen.

Ich schloss meine Augen, rollte mich fest in der Decke ein und stellte mir vor, dass Ethan mit mir kuscheln würde. Vielleicht würde ich mich ja morgen trauen, ihn zu küssen. Oder vielleicht würde Ethan den ersten Schritt machen?

Mit dem Sonnenaufgang kam auch der Start in eine neue Woche. Ich machte mich nach einem sehr kurzen Frühstück sofort auf in den Park. Ethan wartete bereits auf mich und begrüßte mich mit einer warmen Umarmung. Nach einigen Momenten lösten wir uns voneinander und mir wurde plötzlich klar, wo wir waren. Ich schaute mich schnell um, aber glücklicherweise war niemand in der Nähe, der uns hätte sehen können. Ich wandte mich wieder Ethan zu und umarmte ihn erneut. »Hey«, sagte ich. »Wie geht es dir?«

»Jetzt sehr gut«, antwortete er zwinkernd. »Und dir?«

Ich lächelte ihn an und seufzte. »Auch gut, bis auf die Sache mit Jacob.«

»Hat er sich denn schon gemeldet?«

»Immer noch nicht, und wenn er nicht bald kommt, dann müssen wir ohne ihn los. Wir können nicht ewig warten.«

Ethan zuckte mit den Achseln. »Kann man nichts machen. Aber komisch ist es schon. Hast du schon versucht, bei dir zu Hause anzurufen?«

Ich überlegte kurz. »Nein, aber vielleicht denken wir heute Mittag nochmal darüber nach, falls er sich dann immer noch nicht gemeldet hat.«

Er nickte. »Gute Idee.«

Wir schauten noch einige Minuten in die Richtung, aus der Jacob normalerweise kommen würde, aber mussten uns dann auf den Weg machen. Mir war ein wenig unwohl dabei, wieder zu Jacobs Schule zu gehen. Eigentlich hätte ich heute zu meiner eigenen gehen und Prüfungen schreiben sollen. Ich konnte mich zwar inzwischen selbständig auf dem Schulgelände orientieren und auch einigermaßen so herüberkommen wie Jacob, aber so wirklich wohl fühlte ich mich dann doch noch nicht.

Wir brauchten zehn Minuten zur Schule und weitere fünf, um Ian und Conrad auszuweichen. Cody erwartete uns bereits am Klassenzimmer und zog uns sofort zur Seite. »Ratet mal, wen ich heute Morgen gesehen habe?«

»Keine Ahnung«, erwiderte ich mit einem Blick auf die Uhr. »Unterricht fängt gleich an, also spuck’s aus, wen?«

»Philip«, sagt er, und betonte den Namen dabei bedeutungsvoll.

»Das war doch der Typ der für deine Eltern arbeitet«, fragte Ethan mich, und wandte sich dann Cody zu: »Der, den du mit Jacob im Park gesehen hast. Bei dem Seth ins Auto eingestiegen ist?«

»Jap«, bestätigte Cody, und poppte dabei das P. »Der hat Seth heute früh auf dem Parkplatz vor der Schule aus dem Auto gelassen und ist weitergefahren.«

»Ist Seth ok? Ist dir irgendetwas Besonderes aufgefallen?« fragte Ethan besorgt.

Cody setzte zu einer Antwort an, aber in dem Moment kam unserer Lehrer in den Raum und wir mussten die Unterhaltung abbrechen und auf unsere Plätze gehen.

Die folgenden Unterrichtsstunden zogen sich ewig in die Länge. Ich konnte mich kaum konzentrieren; meine Gedanken schweiften immer wieder zu Jacob und was wohl passiert sein konnte. Erst in der dritten Stunde fiel mir überhaupt auf, dass Sarah gar nicht da war. Als ich Ethan nach ihr fragte, schaute er mich komisch an. »Die ist krank. Hat sie uns doch gestern schon gesagt.«

Ich schüttelte meinen Kopf, wandte mich wieder dem Unterricht zu und versuchte mich abzulenken, was aber leider wenig erfolgreich war. Die Mittagspause erlöste mich endlich von meiner Qual, und ich hatte meine Sachen zusammengepackt und den Klassenraum verlassen, bevor der Lehrer es schaffte, die Hausaufgaben fertig anzusagen. Ethan schien es kaum besser zu gehen, denn er war mir dicht auf den Fersen.

»Wieder zum Park?« schlug er vor, als wir das Gebäude verließen.

Ich nickte und merkte erst dann, dass er mich gar nicht ansah. »Jap.«

Auf dem Weg zum Park versuchte ich, positiv zu denken. Bestimmt war nichts Schlimmes passiert. Jacob war vorher noch nie geflogen, und meistens kamen wir relativ spät abends von unseren Wochenenden zurück, also war er wahrscheinlich einfach nur müde von der Reise gewesen und hatte morgens verschlafen. Oder mein Vater hatte noch irgendetwas mit ihm besprechen wollen und ihn deshalb zur Schule gefahren? Das war zumindest schon ein oder zweimal passiert, soweit ich mich erinnern konnte.

Tief in meinem Inneren wusste ich aber, dass ich mich damit selbst belog. Irgendetwas Ernstes war passiert, sonst hätte Jacob sich schon längst bei mir gemeldet. Mein Blick auf die leere Wiese, auf der wir uns immer trafen, zerstörte den letzten Funken selbst eingeredeter Hoffnung, den ich noch hatte. Jacob war nicht da und würde auch nicht mehr kommen.

»So ein Dreck!« fluchte Ethan.

»Wir müssen zu mir nach Hause und herausfinden, was los ist«, stieß ich hervor. Nach dem Gefühl in meiner Magengegend zu urteilen, musste mein Gesicht eine Farbe von irgendwo zwischen totenbleich und kotzgrün angenommen haben. »Wir haben das ganze Spiel mit dem Hin- und Hertauschen sowieso schon viel zu weit getrieben. Ich hätte das längst beenden müssen. Jetzt ist Jacob bestimmt etwas passiert und ich bin daran schuld.«

Ich schloss meine Augen und versuche meine Verzweiflung und die kommenden Tränen zu unterdrücken. Ethan legte seine Arme um mich und ich akzeptierte seine sanfte Umarmung. Seine Lippen streiften meine Wange und dann ruhte sein Kopf gegen meine Schulter. »Hör auf J. Wir wissen gar nicht, ob etwas passiert ist, und selbst wenn, dann hast du daran keine Schuld.«

»Aber…«, begann ich zu protestieren.

»Kein Aber. Lass uns lieber darüber nachdenken, was wir jetzt machen, anstatt darüber zu diskutieren, wer Schuld daran ist.«

Das wirkte. Ich hielt einen Moment inne und überlegte. »Meine Eltern sind um diese Uhrzeit nicht zu Hause, wenn Jacob also aus irgendeinem Grund das Haus nicht verlassen kann, dann sollten wir die Gelegenheit nutzen und jetzt hingehen.«

»Wir würden den Nachmittagsunterricht verpassen«, merkte Ethan an, nur um dann direkt einzulenken »Okay. Was ist mit Philip? Sollte der nicht da sein?«

»Der ist mittags meistens weg«, widersprach ich. »Und selbst wenn er da ist, sehe ich ja sein Auto.«

Ethan schaute mich skeptisch an. »Nur wir beide? Ich habe da gar kein gutes Gefühl bei.«

»Was soll denn schon passieren?« fragte ich, aber schluckte dann.

»Wie du schon gesagt hast, es sieht so aus, als ob wir euer Geheimnis sehr bald lüften müssen«, argumentierte Ethan. »Wenn deine Eltern das alles irgendwie herausbekommen, oder Philip, wäre es dann nicht besser, wenn wir jemanden dabeihaben, der auf unserer Seite ist?«

»Und an wen hattest du da gedacht?« fragte ich sarkastisch. »Cody? Was soll denn der machen, wenn wirklich etwas passiert? Mit seiner Handtasche um sich schlagen?« Ethan löste sich von mir und schaute mich strafend an. »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich sofort. »Das war scheiße. Ich bin viel zu fertig, um klar zu denken.«

»Ja«, stellte er trocken fest. »Ich dachte eigentlich eher an Ian. Wenn jemand uns helfen kann, dann er. Außerdem ist er sowieso der erste von Jacobs Familie, den ich einweihen würde.«

Ich stockte und schaute ihn an. Ian war soweit ziemlich fair gewesen. Er war zwar nicht perfekt, und hatte auch mit Cody seine Probleme gehabt, aber letzten Endes hatte er sich immer auf Jacobs Seite gestellt. Er gab immer sein Bestes, ein verständnisvoller, großer Bruder zu sein.

Aber was würde er mit mir anstellen, wenn Jacob wirklich etwas passiert war? Und wie würde er darauf reagieren, dass ich eigentlich gar nicht sein Bruder war. Dass ich, als Schwuler, mit ihm in einem Zimmer geschlafen hatte?

Ich atmete tief durch und entschloss mich für das einzig Richtige. Ich musste einfach auf das Beste hoffen. Jacob war jetzt wichtiger, und alles andere konnte später kommen. Irgendwie würde das schon werden. Hoffte ich.

»Da hast du Recht«, stimmte ich ihm zu und sprang auf. Sekunden später hatte ich mein Handy in der Hand und tippte eine SMS. Ian. Ich brauche deine Hilfe. Kannst du zum Springbrunnen im Park kommen?

Die Nachricht war gesendet, bevor ich überhaupt weiter darüber nachdenken konnte. Ich reichte Ethan das Handy und ließ ihn lesen, was ich geschrieben hatte.

»Na dann mal los!« sagte er und erhob sich.

Der Springbrunnen war nicht weiter als einige Minuten Fußweg von unserem Versteck entfernt. Auf dem Weg prüfte ich mehrmals, ob Ian geantwortet hatte. Als wir endlich da waren, setzte ich mich auf den Steinrand, nur um gleich wieder aufzustehen. Mein Körper fühlte sich an, als ob Ameisen über jeden Quadratzentimeter krabbelten. »Das dauert mir zu lange«, murmelte ich, und drückte auf Anrufen.

Ethan hob eine Augenbraue, aber sagte sonst nichts. Ich wartete ungeduldig, bis ich das Verbindungssignal hören konnte, und blieb dann konzentriert stehen. Wenige Sekunden später konnte ich Ians Stimme hören. »Habe deine Nachricht gelesen, bin in ein paar Minuten da«, sagte er, leicht außer Atem. »Was ist denn los? Ist alles okay?«

»Ist… ist schon gut«, sagte ich. »Erzähle ich dir, wenn du da bist.«

»Okay«, antwortete er und legte auf.

»Er ist gleich da«, erwiderte ich auf Ethans neugierigen Blick.

Bereits weniger als eine Minute später konnte ich Ian im Laufschritt auf uns zukommen sehen. Er verlangsamte sein Tempo ein wenig, nachdem er uns entdeckt hatte, vermutlich, weil er sehen konnte, dass wir uns nicht in unmittelbarer Gefahr befanden.

»Hey Jungs«, stieß er keuchend hervor, sobald er nah genug war, um nicht rufen zu müssen.

»Hey«, antwortete Ethan nur, und nickte ihm knapp zu.

Ich bekam auf einmal ganz weiche Knie. »Hey Ian, danke, dass du so schnell gekommen bist«, grüßte ich ihn. »Wir hätten da ein kleines Problem«, fügte ich hinzu, wusste dann aber nicht, was ich sagen sollte.

»Dachte ich mir irgendwie schon«, erwiderte er, wobei er immer noch sehr außer Atem klang. »Wo brennt’s denn?«

Ethan schaute Ian nachdenklich an und wandte sich dann mir zu, während ich erst Ethans Blick traf und dann zum Boden guckte. Plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals, und als ich versuchte, etwas hervorzubringen, musste ich erst einmal schlucken. Ian war hierher gerannt, hatte alles liegen lassen, alles andere ignoriert, für Jacob.

Jacob war sein Bruder, nicht ich. Wie würde er reagieren, wenn er herausfand, dass ich ihn praktisch die ganze Zeit belogen hatte? Dass er sich Sorgen meinetwegen gemacht hatte, und hierhergelaufen war, zu mir, irgendeinem Fremden, den er eigentlich gar nicht kannte? Ich räusperte mich und spürte mein Gesicht unter Ians erwartungsvollem Blick erröten. Als er aber merkte, dass ich so bald nichts sagen würde, atmete er tief durch und ließ sich auf der Bank schräg gegenüber von uns nieder.

»Ähm«, gab ich von mir, und fühlte mich unsicherer denn je.

Ethan stupste mich an.

»Na los«, flüsterte er mir ins Ohr, »Irgendwann musst du es ihm sowieso sagen.« Er grinste. »Wird schon schiefgehen.«

Auch wenn er das nicht ganz so ernst meinte, war es alles andere als ermutigend. »Ich habe gar keine Ahnung, wie ich überhaupt anfangen soll«, zischte ich zurück, und kam mir ziemlich dumm vor, als ich zu Ian herüberschaute, und realisierte, dass er das vermutlich gehört hatte.

Wie erwartet hob er eine Augenbraue und fragte mich: »Anfangen womit?«

»Mit der Wahrheit«, murmelte Ethan.

»Die Wahrheit?« wiederholte Ian.

Ich schluckte erneut. »Äh ja, die Wahrheit«, sagte ich nun lauter.

»Und die wäre?« wollte Ian wissen.

»Ich… bin nicht Jacob«, brachte ich nach einigem Zögern hervor.

»Was meinst du damit? Du bist nicht Jacob?« verlangte Ian ungläubig.

»Ich… ich bin sein Zwilling«, gestand ich. »Wir haben getauscht.«

Ian lachte falsch. »Wollt ihr mich verarschen? Sehr lustig.«

Ich starrte Ian an, wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Eine komische Mischung aus Traurigkeit und Wut kam in mir hoch, obwohl ich wusste, dass ich so eine haarsträubende Behauptung an seiner Stelle auch nicht einfach so geglaubt hätte. Ethan allerdings holte wortlos sein Handy hervor, tippte einige Sekunden darauf herum und reichte es Ian. Vermutlich zeigte er ihm ein Bild, was er von Jacob und mir gemacht hatte.

Ian starrte einige Sekunden auf das Display, dann zu mir, und dann wieder zum Handy. Langsam schüttelte er seinen Kopf. »Echt jetzt?« Er klang immer noch ungläubig, wischte aber einige Male mit seinem Finger auf dem Handy hin und her, um weitere Bilder zu sehen. Schließlich gab er Ethan sein Handy zurück und atmete schwer aus.

»Angenommen, ich glaube euch das…« Er unterbrach sich selbst. »Okay, wenn ihr mich verarscht…«

»Es ist wirklich so«, bestätigte Ethan, da ich immer noch kein Wort von mir gegeben hatte. Nach einem Blick in meine Augen legte er einen Arm um mich und drückte mich sanft an seine Seite. Instinktiv entspannten sich meine Muskeln und ich spürte, wie sich eine innere Ruhe in mir ausbreitete.

Ian schaute plötzlich intensiv auf uns zwei und wie wir saßen. »Und du bist der Grund warum Jacob auf einmal so für Schwulenrechte ist?« stellte er fest.

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, vielleicht?« erwiderte ich kleinlaut. Es kam mir gar nicht in den Sinn, seiner Vermutung zu widersprechen.

»Ich glaube, da hat Cody und gesunder Menschenverstand mindestens genau so viel mit zu tun«, meinte Ethan wegwerfend. Ihn schien das Ganze gar nicht zu schocken. Stattdessen fuhr er fort: »Aber das tut jetzt nicht wirklich was zur Sache.«

Ian schüttelte seinen Kopf und schien das Thema förmlich zur Seite zu schieben, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. »Und ihr habt mich jetzt so dringend hierher gerufen, nur um mir das zu sagen?« Er schien genervt zu sein. »Wo ist Jacob denn überhaupt?«

»Das ist ja das Problem«, platzte es aus mir heraus. »Er ist weg.«

»Weg?« echote Ian. »Er kann doch nicht einfach weg sein.«

»Doch«, entgegnete ich. Die nächsten fünf Minuten verbrachte ich damit, Ian eine Zusammenfassung der vergangenen Wochen zu geben: Ethan hatte mich im Schwimmbad getroffen und mir Jacob vorgestellt. Wir wussten es nicht genau, gingen aber davon aus, dass wir beide adoptiert waren. Wir hatten uns entschieden, Rollen zu tauschen, und das war bis zu diesem Wochenende gut gegangen.

Seit Samstag hatten wir nichts von Jacob gehört, und daher fürchteten wir, es sei etwas passiert. Nur wir wussten nicht, was, und wollten zu dem Haus meiner Eltern gehen. Bei einer Person wie meinem Vater war es uns zu riskant, das alleine zu machen.

Ian stöhnte daraufhin laut auf. »Und das Ganze mit dem Rollentausch war eure Vorstellung von einer brillanten Idee?«

»Na ja«, druckste ich. »Am Anfang schon.« Mein schlechtes Gewissen und all die Sorgen, die ich mir gemacht hatte, kamen wieder auf, aber ich traute mich in dem Moment nicht, das alles zu sagen.

»Na super«, meinte er, und drückte eine Hand gegen seine Stirn, als ob er plötzlich Kopfschmerzen hätte. »Ihr hattet euren Spaß. Habt ihr auch darüber nachgedacht, was das für alle anderen bedeutet? Mama und Papa? Vielleicht würden die auch gerne wissen, was los ist. Und jetzt ist Jacob weg und ihr habt keine Ahnung, wo er ist. Na großartig.«

Ich wurde mit jedem Wort kleiner und kleiner, bis ich mich praktisch hinter Ethan versteckte. Ian war zwar nicht laut geworden, aber man konnte ihm anhören, dass er alles andere als begeistert war. Schließlich war er fertig und starrte mich erwartungsvoll an.

»Tut mir leid«, flüsterte ich mit belegter Stimme. Ich fühlte mich schrecklich, und die Tatsache, dass er noch absolut gar nichts zu Ethan und mir und dazu, wie wir zusammengekuschelt vor ihm saßen, gesagt hatte, machte das auch nicht besser. Ich flehte ihn beinahe an. »Tut mir wirklich leid. Wir waren so dumm. Ich wollte nie, dass es dazu kommt.«

Ians Blick hielt mich noch einige Zeit länger wie ein Reh im Scheinwerferlicht gefangen, während wir alle schwiegen. Letzten Endes schien er einen Entschluss zu fassen. Langsam erhob er sich und kam auf mich zu. Ich machte mich noch kleiner neben Ethan, als ob ich versuchte, im Erdboden zu verschwinden. Ian stand wie ein Turm über mir, aber als ich aufschaute sah er nicht wütend aus. Stattdessen zog er eine Grimasse und streckte mir eine Hand entgegen.

Ich schaute ihn misstrauisch an, wagte es nicht, mich zu bewegen. Als er realisierte, wie eingeschüchtert ich war, seufzte er. »Schau, ich… Jacob ist mein Bruder; adoptiert oder nicht. Wenn du sein Zwilling bist, und ihr gut genug miteinander klarkommt, um so eine unglaublich bescheuerte Aktion durchzuziehen…« Sein Lachen klang eher wie ein Schnauben. »Na ja, wie auch immer. Jacob ist weg. Wenn wir ihn gefunden haben, dann können wir alles andere bereden, okay?«

»Okay«, wisperte ich, und ergriff die mir angebotene Hand.

Er zog mich von der Bank hoch und starrte mir einige Sekunden in die Augen. »Gut. Dann mal los.«

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Wo issn da ein p? :stuck_out_tongue_winking_eye:

So muss das! Würde ich nicht anders machen, wenn jemand aus meiner Familie oder Freunde mich so anrufen/alarmieren.

Nun ist das Geheimnis gelüftet! Bin gespannt, was passiert ist und wie Jacob reagieren wird.