Gemini

Hey,

danke. :slight_smile:

Eine Wahrheit und ein Geheimnis

Jacob

»Komm schon, J, sag’s mir endlich, was machst du heute Nachmittag?«

Ethan hatte mich schon den ganzen Tag damit genervt. Normalerweise war er nicht so schlimm. Ich entschied mich, es ihm einfach zu sagen. Er wusste sowieso von Josh.

»Ist ja gut«, sagte ich, als wir das Schulgelände verließen. »Ich treffe mich mit Josh.«

»Cool, kann ich mitkommen?« fragte er aufgeregt.

»Ähm, nichts gegen dich, aber wir wollten erst einmal etwas Zeit unter uns, weißt du? Das ist alles ziemlich verrückt und wir wollen uns einmal in Ruhe unterhalten, bevor wir irgendetwas anderes machen«, antwortete ich.

»Ach komm schon«, bettelte er. »Lass mich mitkommen. Nur für ein bisschen, dann lasse ich euch beide auch alleine.«

»Na gut, aber nur für ein paar Minuten«, gab ich nach, damit er endlich aufhörte, mich zu nerven.

Sobald ich das gesagt hatte, war Ethan total gut gelaunt. »Ok, abgemacht« grinste er.

Wir gingen so schnell wir konnten zum Park. Dank meines Mathelehrers, der nach der Stunde über mein absolut miserables Testergebnis reden wollte, war ich zu spät. Josh wartete bereits auf uns, als wir endlich ankamen. Wie beim letzten Mal, hatte er Sandwiches und Cola mitgebracht. Es war irgendwie lustig, wir waren uns so ähnlich, dass sogar den gleichen Geschmack hatten.

»Hey J«, begrüßte er mich grinsend und gab mir eine halbe Umarmung. Dann schaute er zu Ethan herüber. Ich hatte erwartet, dass er genervt sein würde, dass Ethan hier war, aber stattdessen lächelte er ihn nur schüchtern an und begrüßte ihn mit einem »Hey«.

Ethan war deutlich enthusiastischer. »Hey Josh, schön dich wiederzusehen!« rief er fröhlich. »Ich bin nicht lange hier, keine Angst, ich wollte nur mitkommen, um hallo zu sagen.«

»Kein Problem«, antwortete Josh und wurde dabei ein bisschen rot.

Wir quatschen eine Weile über die Schule und erzählten Josh, wie Ethan und ich zu Freunden geworden waren. Ethan hatte jede Menge Spaß dabei, uns beide zu beobachten und jedes Mal zu kommentieren, wenn wir etwas genauso taten wie der andere. Nach einer Weile fing er an, uns mit einem dümmlichen Grinsen auf seinem Gesicht anzustarren.

»Was?« fragte ich ihn.

»Ach, nichts«, winke er ab.

»Manchmal bist du wie ein Mädchen«, beschwerte ich mich scherzhaft. »Wenn die sagen, dass nichts ist, dann ist immer was los. Verrate uns, was du denkst.«

Er lachte. »Ich habe mich nur gefragt, da ihr beide ja so ähnlich seid, ob eure Schwänze auch gleich sind.« Er grinste. »Wenn einer von euch mehr zu bieten hat, dann wisst ihr, wer der Ältere von euch ist.«

»Du bist so bekloppt«, sagte ich, als ich meinen Kopf schüttelte. Ich verzog mein Gesicht. »Wir sind doch nicht schwul oder sowas.«

»Was auch immer«, antwortete er wegwerfend.

Danach schien keiner zu wissen, was er sagen sollte. Wir saßen im Kreis und schauten einander an, während die Situation immer unangenehmer wurde.

»Na ja, ich sollte dann wohl mal los.« Ethan erhob sich. »Bis dann.«

Nachdem wir uns von Ethan verabschiedet hatten und er gegangen war, griff ich ein weiteres Sandwich und schaute Josh erwartungsvoll an. »Heute bist du dran. Erzähl mir etwas über dich.«

Ich sah, wie er ansetzte zu sprechen, aber dann zögerte er. Eine Minute lang schaute er mich an, dann zwei, ohne ein Wort von sich zu geben. Ich wurde sauer. Gestern hatte ich ihm alles erzählt, was ich ihm nur über mein Leben erzählen konnte. Sogar die Sache mit Sarah hatte ich ihm anvertraut. Und jetzt saß er hier rum und wollte mir nichts über sich erzählen?

Bevor ich das aussprechen konnte, sprach er mit weicher Stimme.

»Es gibt da etwas, das du über mich wissen solltest. Wenn wir wirklich Zwillinge sind, wirst du es sowieso irgendwann herausfinden und ich will ehrlich mit dir sein. Vom ersten Tag an Geheimnisse zu haben, wäre einfach nur falsch.«

Er zögerte wieder und brauchte ein paar Momente bevor er weitersprach. »Wenn du danach nichts mehr mit mir zu tun haben willst, kann ich das verstehen. Ich muss dich aber bitten, zu schwören, dass du niemandem davon erzählst. Egal was passiert.«

Seine Stimme war beinahe bettelnd und er schaute mich an wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht gefangen war. Ich versuchte ihm die Nervosität mit einem Scherz zu nehmen. »Du hast doch nicht etwa wen umgebracht?« fragte ich mit einem Lachen.

Er lachte allerdings nicht mit. »Das ist kein Witz, für mich ist das wirklich wichtig. Bitte.«

Ich seufzte und schaute ihm in die Augen. »Ok, ich verspreche, nein, ich schwöre, ich werde dein Geheimnis nicht verraten, selbst wenn ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, sobald ich es weiß.«

Ich stoppte kurz und lächelte ihn bestärkend an. »Mir fällt aber nichts ein, was so schlimm sein könnte.«

Er schien ein klein wenig erleichtert und versuchte sogar zurückzulächeln, aber man sah, dass es gezwungen und nicht echt war.

»In Ordnung«, sagte er. »Also, ich bin, ähm, weißt du… gestern hast du mich gefragt, ob ich eine Freundin hätte.« Er zögerte wieder.

»Und? Hast du eine?« versuchte ich es leichter für ihn zu machen.
»Ähm… Nein«, antwortete er.

»Nein?« fragte ich. »Das war’s?«

»Na ja«, fing er wieder an. »Die Sache ist… weißt du… Ich… Ich bin halt…« Er verstummte wieder.

Ich schaute ihn nur verwirrt an.

»Ich bin schwul«, platzte es plötzlich aus ihm heraus.

»Du bist schwul?« fragte ich ihn ungläubig.

»Ja«, sagte er mit zittriger Stimme.

Ich saß bewegungslos da und versuchte zu verarbeiten, was er mir gerade gesagt hatte. Schwul? Er sah überhaupt nicht schwul aus und wie konnte er das in unserem Alter überhaupt wissen? Falls er sich outet, würde er dann einen auf total feminin machen? Ich dachte an meine Brüder. Das konnte gar nicht gut gehen. Die waren nicht besonders tolerant, wenn es um so etwas ging. Ich war nicht religiös oder so, aber trotzdem, dass er schwul war, schockte mich erst einmal ziemlich.

Ich schaute vom Boden auf und zu ihm hinüber. Er blickte angstvoll zurück und sein Körper war verspannt, fast als ob er erwartete, von mir geschlagen zu werden. Er tat mir leid. »Bist du dir sicher? Vielleicht ist es nur eine Phase. Ich kann versuchen, ein Mädchen für dich zu finden«, bot ich ihm an. »Vielleicht bist du einfach nur verwirrt.«

»Nein«, sagte er entschieden. »Ich weiß es schon sehr lange. Woher weißt du, dass du auf Mädchen stehst? Genau so wie ich weiß, dass ich auf Typen stehe.«

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte und mein Unbehagen war in meinem Blick erkennbar.

Er brach unseren Augenkontakt und schaute zu Boden. Als er anfing zu sprechen, war seine Stimme leise und traurig. »Das hast du nicht erwartet, oder? Es tut mir leid. Ich… ich habe das alles hier jetzt wohl zerstört. Ich…« Er schluchzte und fing an schneller zu sprechen.

»Ich kann nichts dagegen tun, weißt du? Ich wünschte, ich wäre anders. Wenn mein Vater das herausfindet, wird er mich verprügeln, enterben und aus dem Haus werfen.«

Er rang mit seinen Händen. »Es ist nicht so, als ob… als ob ich schwul sein will. Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich hetero, aber diese Wahl habe ich nicht. Ich… tut mir leid… Ich«, er schluchzte wieder und versuchte einen tiefen Atemzug zu machen, um sich zu beruhigen. »Ich kann verstehen, wenn du willst, dass ich jetzt gehe…« er schniefte und hörte auf zu sprechen. Seine Schultern zitterten.

Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte und versuchte immer noch zu begreifen, was es genau bedeutete, dass er schwul war. Es war unerwartet und komisch. Andererseits war meine Meinung schon immer gewesen, dass ich nicht über andere Personen urteilen sollte. Wollte ich ihn deswegen verlieren?

Wir waren Zwillinge und hatten das gerade erst herausgefunden. Es gab noch so vieles zu erleben. So etwas zu haben, davon träumten vermutlich viele. Machte es wirklich einen Unterschied, dass er schwul war? Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, ihn zu beschützen und für ihn da zu sein. Wenn ich darüber nachdachte, war meine Reaktion nicht gerade schön gewesen und irgendwie fühlte ich dafür verantwortlich, wie er sich jetzt fühlte. Ich rutschte herüber und wollte einen Arm um seine Schultern legen, aber hatte aus irgendeinem Grund Hemmungen und zögerte.

»Ist nicht ansteckend, weißte?« schluchzte er.

Ich lachte und fühlte mich auf einmal ziemlich dumm. Ich legte einen Arm um ihn und drückte ihn sanft gegen mich. »Pscht, ist schon ok«, sagte ich. »Ich schätze, egal was passiert, wir sind trotzdem immer noch Zwillinge.

Es war wie ein Energieaustausch zwischen uns, als ob er Kraft von mir ziehen würde. Dieses ganze Gespräch ging viel zu schnell für mich und ich wusste nicht, was ich denken sollte, aber es war so, als täte ich das Richtige.

Nachdem er sich beruhigt hatte, brachen wir unseren Kontakt aber saßen nahe beieinander.

»Die Sache ist«, sagte ich. »Ich kenne niemanden, der schwul ist, außer diesem einen Typen an meiner Schule.«

Ich zögerte. »Meine Brüder machen sich manchmal über ihn lustig, aber ich habe das nie getan.«

Mit sanfter Stimme fuhr ich fort. »Was ich versuche, zu sagen ist, dass ich keine Ahnung habe, wie ich damit umgehen soll, ok? Wenn ich etwas Dummes sage, oder so, dann weise mich bitte darauf hin, anstatt dich direkt aufzuregen. Das ist irgendwie alles ungewohnt für mich, aber ich will mein Bestes versuchen.

Er lächelte mich dankbar an. »Das kann ich verstehen. Ich hatte total Angst, du würdest mich wegstoßen und mich an meiner Schule outen, oder dass du angeekelt von mir wärst.«

Ich rutsche auf dem Boden herum. »Ich behaupte nicht, dass ich mich total damit wohl fühle, aber damit muss ich wohl umgehen lernen. Diese ganze Zwillingssache ist genauso neu für mich wie für dich, aber ich will das nicht verlieren, nur, weil du schwul bist. Es ist einfach zu wichtig dafür.«

Ich machte eine lange Pause. »Ich schätze, unsere Unterschiede zu akzeptieren ist die Voraussetzung, um unsere Gleichheiten zu genießen. Es würde nicht funktionieren, nur einen Teil davon zu nehmen.« Das meinte ich genau so, wie ich es sagte und versuchte das auch in meiner Stimme zu zeigen.

Er nickte gedankenverloren. »Keine Sorge, ich werde versuchen dir das nicht unter die Nase zu reiben. Ich glaube auch nicht, dass ich so bald wen finde. Das ist bei mir nicht so einfach wie bei dir.«

»Das ergibt Sinn«, stimmte ich ihm zu.

Er grinste. »Ach ja, keine Angst, wir müssen nicht unsere… ähm… wir müssen nicht vergleichen, wie Ethan das vorgeschlagen hat. Nur weil ich schwul bin, heißt das nicht, dass…«

Ich musste lachen und unterbrach ihn. »Du hast bloß Angst, dass deiner kleiner ist«, scherzte ich.

Langsam verwandelte sich sein geschockter Blick in ein Grinsen. »Haha, das hättest du wohl gerne.«

Ich streckte meine Zunge raus und wir lachten. Nachdem wir uns beruhigt hatten, waren wir beide in Gedanken. Ich brach die Stille zuerst. »Also, bist du in irgendwen verliebt?«

Er wurde knallrot und stotterte. »Ähm… Äh… Vielleicht?«

»Aber jetzt nicht in mich, oder?« fragte ich, schockiert.

»Aaaalter das wäre ja wie Selbstbefriedigung«, sagte er gedehnt und wir schmissen uns weg vor Lachen.

Als wir uns wieder beruhigt hatten, überlegte ich, weiter nachzufragen, in wen er sich verschossen hatte. Dann entschied ich aber, dass er vorerst genug durchgemacht hatte. Stattdessen grinste ich ihn an und änderte das Thema. »Also, erzählst du mir jetzt von deinem Leben?«

»Okay«, sagte er und lächelte, erleichtert, dass ich ihn nicht weiter zu seiner geheimen Liebe ausfragte.

Josh

Ich erzählte ihm von meiner Kindheit, meiner Schüchternheit und wie das Leben mit meinen Eltern und Philip war. Dann sprach ich von dem Umzug nach Albany und dass Parker mich schon das ganze Schuljahr auf dem Kieker hatte. Er gab mir einen mitleidigen Blick, als ich von den Berufen und religiösen Ansichten meiner Eltern redete.

Eigentlich wollte ich nicht schwach aussehen oder bemitleidet werden. Normalerweise versuchte ich so zu tun, als ob mein Leben in Ordnung war und mich nichts störte, aber dass Jacob wusste, wie es mir wirklich erging, schien mir okay. Irgendwie war es sogar gut und erleichternd. Seit ich mich bei ihm geoutet, und er mich so akzeptiert hatte, wie ich war, fühlte ich mich wohl mit ihm.

Ich schilderte all die Ferien, die wir auf verschiedensten Orten der Welt verbracht hatten und wie viel Geld meine Eltern hatten. Als ich erklärte, dass es zwar cool klänge, aber Geld nicht das sei, was ich bräuchte, um glücklich zu sein, nickte er verständnisvoll. Auf seine Nachfrage erzählte ich sogar, wie ich bemerkt hatte, dass ich schwul war und wie ich es seitdem vor anderen versteckt hatte.

Er sagte, er habe das Gefühl, er verstünde mich und Schwulsein jetzt besser und dass er versuche sich vorzustellen, wie es sei. »Es muss schwer sein mit Eltern wie deinen. Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen würde. Ich schätze, ich werde das nie ganz verstehen können, aber es klingt sehr kompliziert.«

Er stoppte und schaute gedankenverloren zur anderen Seite der Lichtung. »Ich frage mich, wie meine Freunde reagieren würden, wenn ich schwul wäre und mich outen würde.«

»Dann wüsstest du wohl, wer deine wahren Freunde sind«, antwortete ich nachdenklich.

Er nickte langsam. »Stimmt.«

Ich erzählte ihm, wie viel ich schwamm und was mich noch so interessierte. Als ich erwähnte, dass ich fast nur Einsen in der Schule hatte, lachte er und sagte: »Super, dann kannst du ja jetzt meine Mathe- und Geschichtsklausuren für mich schreiben.«

»Du musst dir deine Haare schneiden und so weiter, aber das mache ich auf jeden Fall für dich«, erwiderte ich ernst.

Er starrte mich an. »Das ist verrückt«, sagte er aufgeregt. »Stell dir vor, wenn wir das richtig angehen kannst du meine Schulnoten massiv verbessern. Im Austausch kann ich bei dir zu Hause abhängen, wenn deine Eltern dich mal zu sehr nerven.«

»Wow«, sagte ich genauso aufgeregt. »Wir müssen uns gut vorbereiten und alles genau durchdenken, aber das klingt verdammt cool.«

»Es gibt da aber ein Problem«, sagte ich besorgt. »Wenn du zu meiner Schule gehst, kann es sein, dass Parker dir Probleme bereitet. Ich will auf keinen Fall, dass dir etwas passiert.«

Er grinste mich an. »Keine Sorge, um den kümmere ich mich schon.«

Überzeugt war ich nicht gerade, aber ich beließ es dabei. Ich war zu begeistert von unserer Idee um mich darüber zu streiten. »In Ordnung, was brauchen wir?«

»Na ja, wir müssen wissen, wie wir uns gegenüber gewissen Personen zu verhalten haben. Dann brauchen wir möglichst viele Details über unser Leben, damit wir keine Fehler begehen.«

»Der Großteil der Arbeit liegt dann bei mir, du musst dir nicht viel über mich merken, mein Leben ist nicht gerade spannend«, witzelte ich.

»Pech gehabt«, zwinkerte er mir zu. »Aber Ethan und Sarah können dir helfen. Wir müssen auch darauf achten, dass wir genau gleich aussehen.«

»Tun wir fast schon«, sagte ich. »Wir müssen deine Haare schneiden und dann geht es nur noch um unsere Klamotten.«

Er schaute mich besorgt an. »Deine Klamotten sehen ziemlich teuer aus.«

»Das passt schon«, versicherte ich ihm. »Wir tauschen einfach. Wenn irgendwas kaputtgeht oder so, ist das nicht so schlimm. Ich habe eh viel zu viele Sachen.«

Er sah erleichtert aus. »Cool, sieht so aus, als ob unser kleines Geheimnis noch ein wenig länger bestehen bleibt. Solange keiner davon weiß, wird es deutlich einfacher so zu tun, als ob wir der jeweils andere sind.«

Wir schmiedeten noch ein wenig länger an unseren Plänen. Dann gingen wir zu einem Frisör, um Jacobs Haar schneiden zu lassen. Als wir fertig waren, sahen Jacobs Haare genauso aus, wie meine. Hätten wir die gleichen Klamotten getragen, hätten selbst Ethan und Sarah ein echtes Problem damit gehabt, herauszufinden wer von uns wer war.

An diesem Punkt entschieden wir uns, früh nach Hause zu gehen. Wir brauchten beide ein wenig Zeit, um alles zu durchdenken und Notizen für den anderen zu machen. Wir sprachen ab, uns am nächsten Morgen zu treffen, um alle nötigen Informationen auszutauschen. Es musste jede Menge Arbeit erledigt werden. Ich fühlte mich beinahe so, als ob ich mich für eine wichtige Prüfung vorbereitete.

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Huhu Sammy,

ich hab die Geschichte zwar schon mehrfach gelesen, aber sie ist einfach soo schön, dass ich es glatt nochmal lese. :wink:

Das ist echt ein super wichtiger Moment für unsere beiden J’s. Ich finde es aber echt gut von Josh, dass er sich so früh getraut hat, sich zu outen. So was wäre früher oder später wirklich rausgekommen und hätte nur böses Blut verursacht.

Hätte ich einen Zwillingsbruder, wäre ich wohl auch auf die Idee gekommen, zu tauschen, aber das kann einfach nicht 100% gut gehen. :smiley: Ich bin gespannt auf die weiteren Teile! <3

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Die Geschichte ist sehr schön und auch witzig ich weiß das es die story schonmal gab aber mach so weiter :sweat_smile:

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Ich weiß nicht, ob du das bewusst eingebaut hast, aber selbst dieses Detail zeigt den Unterschied zwischen Josh und Jacob.

Erst die Stimmung verderben und dann einfach aus dem Staub machen als wäre nichts :joy:

Glaubt Josh daran, dass Zwillinge übersinnliche Fähigkeiten haben? Wobei es bei eineiigen Zwillingen nicht selten vorkommt, dass beide auch dieselbe sexuelle Orientierung haben; auf zweieiige Zwillinge trifft das nicht zu, da diese genetisch eher wie „normale“ Geschwister sind, die zufällig am selben Tag Geburtstag haben. Apropos: Wusstet ihr, dass das nicht die einzigen möglichen Arten von Zwillingen (von siamesischen Zwillingen einmal abgesehen) sind?

das ist das erste von vielen Malen, wo wir diese typische Redewendung von dir hören werden :slight_smile:

[quote=„SammyBlue, post:21, topic:81“]
Wir waren Zwillinge und hatten das gerade erst herausgefunden. Es gab noch so vieles zu erleben. So etwas zu haben, davon träumten vermutlich viele. Machte es wirklich einen Unterschied, dass er schwul war? Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, ihn zu beschützen und für ihn da zu sein. […] »Ich behaupte nicht, dass ich mich total damit wohl fühle, aber damit muss ich wohl umgehen lernen. Diese ganze Zwillingssache ist genauso neu für mich wie für dich, aber ich will das nicht verlieren, nur, weil du schwul bist. Es ist einfach zu wichtig dafür.«[/quote]
Wären die beiden nicht Zwillinge, sondern einfach nur irgendwer, hätte er dann auch Toleranz zeigen können?

Also eins muss man Josh lassen: Er hat schon eine Umarmung von Ethan und eine von Jacob erhalten ^^

Aber letztendlich ist das doch genau das, was man von einem Ally hören will, oder? :3

Josh ist derjenige aus „gutem Hause“ und trotzdem weiß Jacob, dass es nicht „das macht Sinn“ heißt :DDD

Jetzt haben sie schon einen weiteren Mitwisser :astonished: :joy:

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Ich denke es hätte auch sehr interessant sein können, die innere Spannung und das Geheimhalten zwischen den Zwillingen zu thematisieren, also dass Josh sich erst ca. in der Mitte der Geschichte outet. Da hätte man einen sehr krassen inneren Konflikt und auch einen bedeutenden Wendepunkt für Jacob schreiben können. Aber wie Michael Ende so schön sagen würde: Das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden. :wink:

Hey! Schön dass du (wieder) dabei bist! :slight_smile:

Tatsächlich habe ich das damals ganz bewusst eingebaut. Manchmal denkt der Autor sich ja doch mal was dabei. :smiley:

Naja ich denke, die Situation war für Ethan wohl mehr awkward, als man vielleicht von außen vermuten mag. Seine Anspielung/Aussage kommt ja nicht von ungefähr und ist so ein bisschen gegen die Wand gefahren.

Ne, hier ist wohl eher Josh’s Erwartungshaltung hinsichtlich der gemeinsamen Zukunft als Zwillinge gemeint (Vertrauen / was auch immer er sich darunter vorstellt, einen echten Zwillingsbruder zu haben).

Jacob ist ja an sich recht offen und accepting. Insofern wäre die Begründung eventuell eine andere gewesen und es wäre nicht ganz so schnell gegangen, aber ja.

Immerhin ehrlich, mehr Wert als political correctness for the sake of itself.

Naja, hier gebe ich die Schuld dem Autor, nicht Jacobs Erziehung, immerhin spricht Jacob nur English. :smiley:

Das zu Lesen fühlt sich irgendwie so cringey an… naja, muss ich durch. :smiley:

Vorbereitungen


Josh

Gegen zehn Uhr am Samstagmorgen machte ich mich auf den Weg zu unserer Lichtung. Als ich ankam, wartete Jacob bereits auf mich. Ich hatte uns ein paar Flaschen Cola mitgebracht und er hatte selbstgemachte Schokomuffins dabei. Es war keine Überraschung, dass ich die genauso sehr mochte, wie er.

»Das ist alles so aufregend«, sagte ich zu ihm, nachdem ich ihm eine kurze Umarmung gegeben hatte. »Es ist irgendwie eine interessante Vorstellung, so etwas wie eine zweite Identität zu haben.« Seit ich am Tag zuvor angefangen hatte, an den Details zu arbeiten, war ich absolut begeistert von der Idee, einmal nicht ich selbst zu sein, wenn auch nur für einen Tag.

»Ja, ich fühle mich beinahe, als wäre da ein Teil meines Lebens, von dem ich bisher noch nichts wusste und jetzt ist die Zeit gekommen, den zu erforschen.«, stimmte er zu.

Wir setzten uns zusammen und holten Mappen aus unseren Rucksäcken. Wir hatten beide Profile von unseren Familienmitgliedern und den wichtigsten Personen in unseren Leben erstellt.

Ich hatte nicht besonders viele Personen, über die ich Jacob etwas sagen musste. Ein Blatt über meine Mutter, eins über meinen Vater und eins für Philip. Dann eine kurze Zusammenfassung meiner anderen Verwandten, nur für alle Fälle, und noch etwas über Parker und Mr. Fisher und meine anderen Lehrer. Mein Jahrbuch hatte ich auch mitgebracht und einen Grundriss unseres Hauses.

Zu guter Letzt war in der Mappe noch ein Lageplan von meiner Schule, ein detaillierter Tagesablauf und Wochenplan und eine Art Lebenslauf mit all meinen wichtigen Urlauben sowie anderen Ereignissen und Erlebnissen.

Ich hatte versucht jede Gewohnheit, die ich hatte, aufzuschreiben und an möglichst jedes noch so unwichtige Detail meines Lebens zu denken.

Es fühlte sich beinahe so an, als sei ich ein Agent von einem Geheimdienst, der gegen sich selbst ermittelte. Es hatte die halbe Nacht gedauert, alles zusammenzustellen und ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich so viel in so kurzer Zeit geschafft hatte. Eigentlich hätte ich am Morgen müde sein müssen, denn ich hatte höchstens vier Stunden geschlafen, aber ich war zu aufgeregt.

»Ich habe mich mal informiert«, sagte ich zu ihm, als ich ihm meine Mappe gab.

»Wenn wir wirklich identische Zwillinge sind könnten wir problemlos Identitäten tauschen, zumindest bis wir uns für den Führerschein anmelden. Unsere DNA sollte genau die gleiche sein. Das einzige woran man uns unterscheiden kann, sind unsere Fingerabdrücke. Sobald wir einen Führerschein machen wird unser Fingerabdruck benötigt. Na ja, oder wenn einer von uns ein Gesetz bricht und von der Polizei erwischt wird. In dem Fall würde ein Profil von uns erstellt werden, in dem auch unser Fingerabdruck gespeichert wird. Aber das sollten wir sowieso vermeiden«, grinste ich.

»Cool, gut zu wissen«, grinste er zurück. Dann fing er an, meine Mappe durchzublättern und ich nahm seine und tat das Gleiche. Auch er hatte wie ein Verrückter gearbeitet. In der Mappe waren detaillierte Profile über seine Familienmitglieder und eine Zusammenfassung über seine Onkels, Tanten und Cousins. Es gab einen ganzen Abschnitt über seine Mitschüler und ein paar Seiten über Ethans und Sarahs Eltern.

Er erklärte, dass er nur einen Computer hatte und er den mit seinen Geschwistern teilen musste, also konnte er nichts zu Offensichtliches machen. Alle Blätter waren handgeschrieben. Beigefügt lag ein Familienfoto und dann gab er mir ein Jahrbuch von seiner Schule. Er hatte auch einen Plan seiner Schule, aber meinte, dass ich mir darüber nicht allzu viele Sorgen machen solle, weil Ethan in fast allen seinen Kursen war. Ich solle ihm einfach folgen und er würde mir den Weg zeigen und aufpassen, dass nichts passiert.

Beim Anschauen der ersten Seiten, bemerkte ich, dass seine Handschrift die gleiche kurvige, elegante war, die ich hatte. Ein Lehrer würde den Unterschied nicht bemerken.

Das bedeutete ein Problem weniger, über das wir uns Gedanken machen mussten. Einige Seiten später sah ich allerdings eine komplett andere Handschrift.

»Ethan hat mir mit ein paar Sachen geholfen, daher die andere Handschrift«, erklärte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ohne ihn hätte ich es nie geschafft, das alles bis heute fertig zu bekommen.«

Ich griff den zweiten Beutel, den ich mitgebracht hatte, und zog ein komplettes Set Klamotten hervor. Jeans, ein T-Shirt, Socken und sogar Unterwäsche. Er tat dasselbe und grinste. »Willst schon einmal ein Gefühl davon haben, wie es ist, ich zu sein?«

»Kann nicht schaden schon mal zu üben, oder?« Ich zuckte mit den Achseln.

Zum Glück war die Lichtung weit weg von irgendwelchen Wegen, sodass uns keiner sehen konnte. Wir drehten uns voneinander weg und fingen an uns umzuziehen.

Nachdem wir fertig waren, drehte ich mich um und brachte ein Paar brandneue Schuhe aus meinem Rucksack hervor. Er tauschte sie gegen diejenigen, die er gerade getragen hatte. »Tut mir leid, dass ich kein extra Paar Schuhe bringen konnte«, meinte er. »Ich kann mir kein zweites Paar leisten.«

»Kein Ding«, antwortete ich, als ich mich hinkniete, um die Schnürsenkel zu binden. »Ich kaufe später einfach noch ein Paar von deinen.«

Der Moment, als ich zu ihm aufsah, war surreal. »Alter, du bist ich«, sagte er staunend und wir grinsten uns wieder an.

»Aber wie kannst du dir das leisten? Einfach Schuhe kaufen, der Frisör… besonders, ohne dass deine Eltern etwas merken?«

»Na ja«, begann ich. »Das einzige was mir wirklich nicht fehlt, ist Geld. Meine Eltern geben mir mehr als genug und seit ich gemerkt habe, dass ich schwul bin, habe ich immer so viel wie nur ging zur Seite gelegt. Ich wollte einen Plan B haben, falls etwas schiefgeht. Ich kann mir zwar nicht alles kaufen, was ich haben will, aber für so etwas Wichtiges geht das schon mal.«

Wir lagen beide auf dem Rasen und lernten die ganzen Sachen, die wir für unseren Rollentausch wissen mussten. Abgesehen von gelegentlichen Fragen nach zusätzlichen Infos, arbeiteten wir stumm, Seite an Seite, ohne Rast und Unterlass.

Nach etwa drei Stunden entschied ich mich, eine Pause zu machen. Ich sagte Jacob, dass ich zur Mall gehen würde, um ein zweites Paar Schuhe zu kaufen. Wir hatten Glück, dass er selber gerade erst neue Schuhe hatte kaufen müssen, sodass wahrscheinlich kein Unterschied zu sehen sein würde. Er sagte mir, bei welchem Laden er sie gekauft hatte und ich joggte los, während er im Park wartete.

Es war besser, nicht zusammen loszugehen. Je weniger wir zusammen unterwegs waren, desto kleiner war die Chance, dass wir jemanden trafen, der uns kannte. Ein falscher Moment konnte uns den ganzen Spaß versauen. Ich hatte Glück und schaffte es in kürzester Zeit, das richtige Paar Schuhe zu finden. Dann holte ich noch zwei Menüs von Burger King für uns und machte mich auf den Weg zurück in den Park.

»Ethan will später vorbeikommen«, informierte Jacob mich, als ich zurückkam. »Er weiß aber nicht, dass wir Klamotten getauscht haben. Mal schauen wie lange es dauert, bis er etwas merkt.«

Ich gab ihm seine Schuhe zurück und zog diejenigen an, die ich gerade gekauft hatte. Danach tauschten wir alle möglichen Telefonnummern aus, um sicherzustellen, dass wir die Nummern all unserer Freunde und Familienmitglieder in unseren Handys hatten. Als das erledigt war, aßen wir unser Essen und lernten weiter. Gegen 17 Uhr waren wir fix und fertig und legten die Mappen beiseite, um uns zu unterhalten und zu chillen.

»Morgen hast du die Gelegenheit, das Haus meiner Eltern anzuschauen«, sagte ich. »Meine Eltern sind weg und Philip hat frei.«

»Gute Idee«, stimmte er zu. »Du könntest dann mit Ethan zu meiner Wohnung gehen, während ich das mache. Das ist wahrscheinlich die beste Gelegenheit, um dich da schon mal umzuschauen. Meine Brüder werden weg sein und meine Mutter wahrscheinlich auch.«

»Danach treffen wir uns am besten bei mir. Solange wir mit Zeitabstand das Haus betreten, sollte keiner etwas bemerken«, schlug ich vor. »Kennst du die ganzen Verhaltensregeln, die du brauchst, um mit meinen Eltern beziehungsweise in teuren Restaurants zu essen?«

»Nein, stimmt. Wenn ich irgendwann mal mit deinen Eltern essen will, sollte ich wissen, wie ich mich verhalten muss. Wir sollten definitiv dafür üben«, stimmte er zu.

Kurz nachdem wir unsere Pause begonnen hatten, erschien Ethan.

»Hey Js«, grüßte er uns beide.

»Hey Ethan«, antworteten wir im Chor und fingen an zu lachen.

»Ihr habt also schon daran gearbeitet, Zwillinge zu sein«, bemerkte er.

»Haben wir. Genial, wie gut es funktioniert, oder, Josh?« fragte ich Jacob.

»Jap«, grinste er zurück.

Ethan schien überhaupt nichts zu bemerken und ließ sich mit einem Seufzer zwischen uns nieder.

»Du hast also jede Hoffnung für deine Geschichtsklausur am Montag aufgegeben und entschieden, dass das hier wichtiger ist?« stellte er an mich gewandt fest. Jacob hatte erwähnt, dass er am Montag eine Klausur schreiben musste. Die letzte Chance, seine Drei zu retten, aber es half sowieso nicht, zu lernen, hatte er gesagt.

»Wird schon irgendwie«, antwortete ich gelassen. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich jemals so etwas sagen würde. Mir war die Schule dafür viel zu wichtig.

Ethan zuckte mit den Achseln. »Wenn du meinst. Mehr als dich warnen, kann ich nicht.«

Dann wandte er sich Jacob zu. »Hey, wie geht’s dir Josh?« fragte er.

»Ähm, ganz okay, danke«, antwortete Jacob schüchtern. »Und dir?« Verdammt war er gut. Schaute ich wirklich so auf den Boden, wenn ich mit Ethan sprach? Ich musste besser aufpassen, wie ich mich verhielt.

»Mir geht’s gut, aber«, Ethan schnüffelte. »Irgendetwas stimmt hier nicht«, stellte er fest.

Er lehnte sich zu mir und roch an mir. »Josh, wenn du schon versuchst, Jacob zu sein, dann solltest du auch sein Deo benutzen«, tadelte er mich mit einem Grinsen.

»Verdammt, erwischt«, rief Jacob und wir mussten Lachen.

»Wenn Ethan das so einfach bemerkt, wird das alles nie funktionieren«, sagte ich entmutigt, als wir uns wieder beruhigt hatten.

»Alter, gib doch nicht so einfach auf«, widersprach Jacob mir. »Er hat eine verdammt gute Nase und weiß, dass wir Zwillinge sind. Es ist viel einfacher bei Leuten, die das nicht wissen. Selbst wenn du es in der Schule komplett verkackst, denken höchstens alle, dass ich einen komischen Tag hatte, oder sowas.«

Jacob, der Optimist. Ich war da nicht ganz so überzeugt wie er, aber früher oder später würde sowieso jemand unser Geheimnis herausfinden. In einer Stadt dieser Größe war das nur eine Frage der Zeit. Es war eigentlich ein Wunder, dass wir uns nicht früher getroffen hatten, wenn man bedachte, dass wir so nah beieinander lebten. Der einzige Grund dafür war vermutlich, dass ich so zurückgezogen war und den größten Teil meiner Zeit im Haus verbrachte.

Und wenn es sowieso herauskommen würde, dann konnten wir die Zeit, die wir hatten, wenigstens versuchen zu genießen. Außerdem hatte Jacob schon irgendwo Recht; wie sollte jemand herausfinden, dass wir Rollen getauscht hatten, wenn die Person überhaupt nicht wusste, dass es jemanden gab, mit dem wir Rollen tauschen konnten?

Wir unterhielten uns noch ein bisschen, bevor wir entschieden, uns auf den Weg zu machen. Jacob und ich drehten uns wieder voneinander und von Ethan weg, zogen uns um und verabschiedeten uns. Als ich nach Hause kam, ging ich direkt in mein Zimmer und verbrachte den Rest des Tages und die halbe Nacht damit, so viel ich nur konnte aus Jacobs Ordner auswendig zu lernen.

Am Sonntag trafen wir uns früh morgens im Park wieder.

»Meine Brüder sind Basketball spielen und meine Eltern sollten noch in der Kirche sein, wenn du bei mir zu Hause ankommst«, informierte mich Jacob.

Wir tauschten unsere Klamotten und ich erklärte Jacob, wie er mein Haus finden konnte. Dann gab ich ihm meine Schlüssel und ein Stück Papier mit dem Passwort für meinen Computer. Jacob gab mir seine Schlüssel im Tausch und Ethan und ich machten uns auf den Weg zu der Wohnung, in der Jacobs Familie lebte.

»Was, wenn ich einen Fehler mache und alles versaue«, fragte ich besorgt.

Ethan schaute mich ernst an. »Du bekommst das schon hin, mach dir keine Sorgen. Es gibt ja wohl nicht viel, was schiefgehen kann. Sie sind nicht einmal zu Hause«, beruhigte er mich.

Nachdem ich die Tür aufgeschlossen hatte und eingetreten war, schaute ich mich um. »Wie können sechs Personen in so einer kleinen Wohnung leben?« fragte ich, nahezu schockiert.

»Na ja, man muss halt mit dem auskommen, was man hat«, antwortete Ethan. Er schaute mich nachdenklich an. »Ganz schön anders als das, was du so gewohnt bist, nicht?«

»Ja. Ich meine, ich glaube nicht, dass Geld glücklich macht, aber ich glaube, ich habe nicht wirklich verstanden, was Jacob meinte, als er gesagt hat, dass er hier nicht viel Platz hat. Ein wenig mehr Geld würde sicher nicht schaden«, erwiderte ich.

Wir gingen weiter durch die Wohnung. »Scheiße, die haben ja nicht einmal ein Wohnzimmer und nur ein einziges Badezimmer«, kommentierte ich.

Der Raum, den Jacob und seine Brüder sich teilten, war der größte in der Wohnung. Trotzdem, mit den drei Schränken, einem Hochbett und einem dritten Bett, erschien er mir viel zu klein. Ich schaute durch die Schränke und stellte fest, dass keiner von ihnen besonders viele Klamotten hatte. Danach guckte ich mir die Küche und das Bad genau an, damit ich wusste, wo alles war.

Wir wollten gerade gehen, als ich hörte, wie die Tür von außen aufgeschlossen wurde. Für ein paar Sekunden verfiel ich in Panik, aber irgendwie schaffte ich es, mich zu beruhigen. So gelassen wie ich nur konnte, zog ich mir die Schuhe an und ignorierte die Tür.

»Hey Ian«, begrüßte Ethan den großen, durchtrainierten Typen, der durch die Tür kam. »Das ist also Jacobs großer Bruder«, dachte ich. »Kein Wunder, dass er vermutet hatte, dass er adoptiert ist. Ich wäre nie darauf gekommen, dass der sein Bruder sein soll.«

»Hey Jungs«, antwortete Ian. »Was geht?«

»Nichts«, versuchte ich möglichst gelassen zu antworten. »Wolltest du nicht Basketball spielen gehen?«

»Schon, aber ich hab was vergessen, deswegen bin ich nochmal zurückgekommen«, erklärte er. »Wir brauchen noch ein paar Mitspieler, habt ihr Bock mitzumachen?«

»Danke, aber wir haben schon Pläne. Vielleicht nächstes Mal«, lehnte ich ab. Er zuckte nur mit den Achseln und wir verabschiedeten uns voneinander.

»Hab ich dir doch gesagt, überhaupt keine Probleme«, sagte Ethan, als wir das Gebäude wieder verließen.

Ich fühlte mich ermutigt und grinste ihn an. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Es ist irgendwie komisch, so zu tun, also wäre ich jemand, der ich nicht bin.

Als wir beim Haus meiner Eltern ankamen, klingelte ich. Nach ein paar Momenten öffnete Jacob die Tür und wir traten ein. Kaum war die Tür hinter uns ins Schloss gefallen, fing Jacob an, aufgeregt auf uns einzureden.

»Alter, das Haus ist der Hammer! Ihr habt doppelt so viele Badezimmer wie Bewohner. Das ist einfach nur verrückt. Alles sieht so teuer aus. Braucht dein Vater wirklich drei Autos? Mal am Rande, eines von denen ist schon mehr wert, als meine Eltern zusammen in drei Jahren verdienen.

Wir zogen unsere Schuhe aus und gingen weiter durch das Haus, aber Jacob war noch nicht fertig. »Ethan, schau dir mal diesen Fernseher an. Das ist kein Fernseher, das ist ein Heimkino!« Und so ging es weiter. Ich konnte nicht anders, als zu grinsen. Das alles war so normal für mich, aber für Jacob war es so total ungewohnt und neu. Vermutlich so ungewohnt wie die Wohnung, in der er lebte, für mich.

Als wir endlich in meinem Zimmer ankamen, wendete er sich mir zu. »Ich fühle mich, wie in dieser Geschichte von Mark Twain, Der Prinz und der Bettelknabe, weißt du? Die, wo der arme Junge genauso aussieht wie der Prinz und dann tauschen sie ihre Kleidung und…«

Ich unterbrach ihn, bevor er weiterreden konnte.

»Na dann hoffen wir mal, dass sie mich am Ende des Tages wieder in mein Haus lassen«, scherzte ich mit Bezug auf die besagte Geschichte, in der die Wachen dem Prinzen nicht geglaubt hatten, dass er der Prinz war, weil er dreckig war und nur Lumpen trug.

»Ich werde ihnen sogar extra sagen, dass sie dich nicht reinlassen sollen. Mir gefällt es hier«, scherzte er zurück.

»Sei vorsichtig, was du dir wünscht«, warnte ich ihn. »Noch hast du meine Eltern nicht getroffen.«

»Touché«, grinste er und gab nach.

Wir entschieden, Italienisch zu bestellen. Pizza, Pasta und noch ein paar Sachen. Ich deckte den Tisch und erklärte alles, was Jacob so wissen musste, um in feiner Gesellschaft zu essen. Eine Mahlzeit mit meinen Eltern war wie eine Mahlzeit in feiner Gesellschaft. Als das Essen endlich da war und wir am Tisch saßen, gab ich Ethan und Jacob noch ein paar mehr Hinweise und Korrekturen. Ethans Eltern waren nicht besonders reich, aber er hatte schon einmal in einem teureren Restaurant gegessen, also kannte er die Grundlagen. Jacob hingegen hatte am Anfang sogar Probleme damit, das Besteck richtig zu halten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er alles richtig hinbekam. Ethan und ich hatten jede Menge Spaß dabei, ihn zu beobachten und musste so einige Male lachen. Es war aber alles gut gemeint und Jacob ließ sich von uns nicht unterkriegen. Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, lehnten wir uns zurück und entspannten uns.

»Denkst du, du bist gut genug vorbereitet, um morgen die Geschichtsklausur für mich zu schreiben?« wollte Jacob wissen.

Ich erstickte beinahe an meiner Cola. »Jetzt schon? Ist das nicht viel zu früh?« fragte ich ihn skeptisch.

»Quatsch, das klappt schon. Es ist nur für die Schulzeit. Wir können uns gleich nach der Schule im Park treffen und Klamotten tauschen. Ich glaube, es ist etwas anderes, wenn es um unsere Familien geht, aber das Ding in der Schule abzuziehen sollte leicht sein«, sagte er zuversichtlich.

Er wartete einen Moment, bevor er noch etwas hinzufügte. »Außerdem wartet die Klausur nicht auf uns. Ich brauche eine gute Note und ich habe überhaupt nicht gelernt. Wenn ich die Klausur selber schreibe, verkacke ich die ganz sicher. Bitte?«

»Ok, ok, ich mach’s«, gab ich nach.

Wir räumten den Tisch ab und nachdem Jacob und Ethan gegangen waren, verbrachte ich den Rest des Tages damit, immer wieder durch die Mappe zu gehen, die Jacob mir gegeben hatte. Ich verwendete auch einen ordentlichen Teil der Zeit damit, mich mental darauf vorzubereiten, Jacob zu sein. »Die Leute werden nicht wissen, dass du es bist. Sie werden denken, du seist Jacob. Sei selbstbewusst, so wie er! Genieße die Aufmerksamkeit. Du musst dir keine Sorgen machen, was andere über dich denken, weil sie Jacob in dir sehen, und nicht dich.«

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@SammyBlue
vielen Dank, dass du Gemini hier nochmal runterlädst. Lese sie gerne wieder und freue mich schon auf die Fortsetzung

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Hey,

danke für deinen Kommentar!

Es ist dann wohl auch wieder Zeit, für einen neuen Teil. :smiley:

Ein nahezu normaler Schultag

Josh

Ich schaute an mir selbst herunter. »Sicher, dass das klappt?« fragte ich Jacob.

»Wenn ich nicht gesehen hätte, wie ihr eure Klamotten getauscht habt, hätte ich es auf keinen Fall gemerkt.« kommentierte Ethan. Er gähnte. »Komm schon, gehen wir. Uns bleibt nicht viel Zeit.«

Wir waren scheußlich früh aufgestanden, weil ich sicher gehen wollte, dass alles perfekt war. Ethan hatte sich am Anfang geweigert, uns schon um sieben Uhr zu treffen, aber hatte dann nachgegeben, als er gemerkt hatte, wie nervös ich war.

Jacob grinste mich an. »Siehst du? Das wird schon. Mach dir keine Gedanken, wie du dich verhalten sollst. Antworte einfach mit einem freundlichen »hey«, wenn dich jemand grüßt, und das ist alles, was du brauchst. Ethan wird aushelfen, falls du eine Frage nicht beantworten kannst oder nicht weißt, wie du reagieren sollst.«

Ich hatte keine Ahnung wie Jacob das so leichtnehmen konnte. Ich zwang mich zu lächeln, nickte und warf Jacobs Rucksack über meine Schulter.

»Du schaffst das schon.« Er klopfte mir auf den Rücken. »Viel Glück.«

»Einen Moment«, sagte ich, als er sich abwendete. Ich zog meine Schlüssel und mein Portemonnaie hervor. »Hier. Nur für den Fall, dass etwas passiert womit wir nicht gerechnet haben.«

Er zuckte mit den Achseln und wir tauschten unsere Schüssel und Portemonnaies aus. »Ich bezweifle, dass es notwendig ist, aber schaden kann es nicht.«

»Okay, wir müssen los, sonst kommen wir zu spät«, warnte Ethan uns.

»Viel Glück«, wünschte Jacob mir noch einmal.

»Viel Glück«, erwiderte ich, und Ethan und ich machten uns auf den Weg.

»Du machst dir ziemlich Sorgen, dass etwas schiefgehen könnte, oder?« fragte Ethan mich, als wir den Park verließen und Richtung Schule gingen.

»Ich weiß nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig reagieren kann, wenn mich jemand anspricht«, sagte ich unsicher.

»Du machst dir zu viele Gedanken«, beruhigte er mich. »Wenn du einfach nur mitspielst, was auch immer passiert, dann wird das schon.«

»Ich werd’s versuchen. Du hast vermutlich Recht«, gab ich zurück.

Als Ethan und ich bei den Schultoren ankamen, sah ich Sarah auf uns zukommen. »Hey J«, grüßte sie mich, während sie mich umarmte. Ich versteifte mich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor ich mich zwang, meine Muskeln zu entspannen und ihre Umarmung zu erwidern.

Sie ließ mich los und wandte sich Ethan zu, um ihn in eine Umarmung zu ziehen. Er nutzte die Gelegenheit um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. »Das ist Josh. Wir brauchen heute deine Hilfe, um ihn ein wenig von den anderen Schülern abzuschirmen.

Überrascht trat sie einen Schritt zurück und musterte mich. »Verdammt, ich hätte das nie bemerkt«, lachte sie. Sie lehnte sich zu mir herüber und flüsterte. »Schön dich zu sehen, Josh. Ich wusste, dass Jacob seine Haare geschnitten hat, damit ihr ähnlicher ausseht, aber ich hätte nie gedacht, dass ihr so etwas schon so früh abziehen würdet.«

Ich grinste sie an und flüsterte zurück. »Es ist auch schön, dich wiederzusehen. Aber nicht vergessen: Heute bin ich Jacob.«

Wir machten uns zu dritt auf den Weg zum Klassenzimmer. Kaum waren wir durch das Schultor, da grüßte uns irgendein Typ, den ich nicht kannte. »Hey J, Ethan.«

»Hey Brian«, antwortete Ethan, bevor ich irgendetwas sagen konnte.

Ich nickte Brian zu und lächelte. »Hey.«

Nur Sekunden später grüßte uns jemand anderes und dieses Mal sagte ich mein »hey« sogar noch vor Ethan. Er grinste mich an, als wir weitergingen. »Siehst du? Ist doch gar nicht so schwer.«

Eine ganze Reihe von Leuten grüßte uns oder nickte uns zu, während wir uns auf dem Weg zum Klassenzimmer befanden. Ich lächelte allen freundlich zu und antwortete mit einem »hey« oder »hi« oder »wie geht’s?« Ethan sagte immer die Namen dazu, wenn er jemanden grüßte, damit ich sie für später wusste.

Ich hatte gefürchtet, dass ich es versauen würde, weil ich nicht so selbstbewusst wie Jacob war. Es stellte sich heraus, dass das kein Problem war. Es war komisch. Gewöhnlich war ich schüchtern, aber heute war ich nicht ich selbst. Ich war Jacob und Jacob war nicht schüchtern. So zu tun, als sei ich Jacob, war befreiend.

Am Anfang war ich angespannt und dachte über jede Bewegung nach, bevor ich sie machte. Ich musste mich beinahe dazu zwingen, zu lächeln. Nach einigen Begegnungen änderte sich das allerdings. Ich begann, es zu genießen. Alle waren freundlich zu mir, also hatte ich keine Probleme, auch freundlich zu sein. Jacob schien wirklich beliebt zu sein und das machte es deutlich einfacher für mich, meine Schüchternheit zu überwinden.

Vermutlich war ich immer noch ein wenig zurückhaltender als Jacob, aber der Unterschied war nicht so extrem, dass es merklich gewesen wäre. Ich brauchte niemanden von mir aus anzusprechen; ich wurde angesprochen.

In den ersten Pausen gab es ein paar Leute, die mir Fragen stellten oder mit uns abhängen wollten. Ethan und Sarah griffen ein, wenn ich nicht weiterwusste und wechselten entweder subtil das Thema oder beantworteten an mich gestellte Fragen so schnell es ging. Bevor ich mich versah, waren wir in der Pause vor der Geschichtsklausur. Wir saßen auf einer der Bänke auf dem Schulhof, als ein Mädchen sich zu uns setzte.

»Ethan, du musst mir helfen. Kannst du noch einmal das Wichtigste zum Amerikanischen Bürgerkrieg für mich zusammenfassen? Ich habe das Gefühl, dass ich die Klausur voll verhauen werde.«

Ethan fing an die Basisdaten zusammenzufassen und obwohl er einigermaßen Ahnung hatte, musste ich mich mehrfach davon abhalten, meinen Teil dazuzugeben. Einige Sachen waren falsch oder nur teilweise richtig. Jacob hatte allerdings keine Ahnung von Geschichte, also konnte ich nicht mitreden.

Stattdessen nutzte ich die Gelegenheit, um Ethan zu betrachten. Ich wollte nicht, dass irgendwer meine Blicke bemerkte, aber diese Situation war perfekt. Es sah einfach so aus, als würde ich ihm gebannt zuhören, obwohl ich in Wirklichkeit faszinierter von seinen Lippen als von seinen Worten war.

»Hey J« riss mich eine weibliche Stimme aus meinen Gedanken.

Ich drehte mich um und sah ein Mädchen auf einer Bank in unserer Nähe sitzen. Sie schaute mich erwartungsvoll an. Ich wusste, dass ich ihr Gesicht schon im Jahrbuch gesehen hatte und dass Jacob etwas über sie in der Mappe geschrieben hatte, aber konnte mich nicht an ihren Namen erinnern.

»Hm?« fragte ich.

»Ich versuche meine Hausaufgaben für Französisch fertig zu machen. Kannst du hier mal schnell drüberschauen und gucken, ob du irgendwelche Fehler siehst?« Ich starrte sie mit einem leeren Gesichtsausdruck an. Französisch? Ich konnte etwas Französisch, aber bestimmt nicht genug, um zu verstehen, was sie geschrieben hatte.«

»Erde an Jacob, Erde an Jacob«, rief Sarah und winkte eine Hand vor meinem Gesicht hin und her. »Du bist geistig immer noch bei der Geschichtsklausur, oder? Hast du überhaupt geschlafen oder hast du die ganze Nacht durchgelernt?«

Ich schüttelte meinen Kopf und spielte einfach mit, indem ich versuchte, so verwirrt wie es nur ging zu gucken. Sarah stand auf und ging zu dem Mädchen herüber. »Ich kann drüberschauen, wenn du magst. Ich glaube nicht, dass es heute eine gute Idee ist, Jacob das machen zu lassen. Er würde vermutlich mehr Fehler dazuschreiben, als er rausstreichen könnte.« Sie lachte und zwinkerte mir zu.

Ich nickte ihr dankbar zu und drehte meinen Kopf weg. Meine Augen verloren sich in der Entfernung. Ohne Ethan und Sarah hätte das alles hier nie geklappt. Zumindest nicht, ohne dass ich den Eindruck, den alle von Jacob hatten, nachhaltig verändern würde.

Wir gingen endlich zu dem Raum, in dem die Klausur geschrieben wurde und ich fühlte Angst in mir aufkommen. Ich hatte noch nie in einer Klausur geschummelt und das, was ich gerade tat, war vermutlich die dreisteste Möglichkeit, genau das zu tun. Ich war unruhig und schwitzte. Ethan saß zwar nicht neben mir, aber er hatte mir einen Sitzplan gezeichnet, damit ich wusste, wo mein Tisch war. Als ich mich setzte, war mein Sitznachbar, laut dem Sitzplan Dylan, bereits auf seinem Platz.

»Hey, was geht? Bist vorbereitet?« fragte er mich.

»Wird schon irgendwie«, versuchte ich zuversichtlich zu sagen, aber meine Stimme verriet mich.

»Alter, bist du nervös?« fragte er mich. »Wann warst du je nervös wegen einer Klausur?«

Oh, oh, nicht gut! »Na ja, hm«, fing ich an. »Heute ist irgendwie nicht mein Tag. Daran liegt das wohl.«

»Na ja, dann mal viel Glück mit der Klausur.« Er nickte und drehte sich zur anderen Seite, um sich mit irgendeinem Mädchen zu unterhalten.

Puh! Ich musste mich selbst besser unter Kontrolle halten.

Die Klausur war ein Kinderspiel für mich. Ich war vorzeitig fertig, trotz meiner ausführlichen Antworten zu den Fragen. Ich versuchte, komplizierte Fachbegriffe zu vermeiden, damit der Lehrer keinen Verdacht schöpfte. Damit ich keine unnötige Aufmerksamkeit erregte, tat ich so, als ob ich noch schreiben würde, bis fast jeder abgegeben hatte.

Ethan und Sarah warteten vor dem Klassenraum auf mich. Als ich dir Tür hinter mir geschlossen hatte, grinste ich sie an. »Das sollte eine Eins sein.«

»Das ist so unfair«, beschwerte Sarah sich. »Ich sollte petzen gehen.«

Ich schaute sie schockiert an. »Oh mein Gott, bitte nicht«, sagte ich schnell. Für eine Sekunde glaubte ich tatsächlich, dass sie es tun würde.

Sie lachte. »Komm runter, das würde ich nie tun«, versicherte sie mir. »Ich bin nur neidisch, dass ihr beide das machen könnt. Ich wünschte, ich hätte jemanden, um meine Klausuren für mich zu schreiben.«

Wir gingen zur Kantine, um Mittagessen zu holen und setzten uns an einen kleinen Tisch.

»Also, J, auf was für Mädchen steht Jacob so?« fragte Sarah mich, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass uns niemand hören konnte.

»Woher soll ich das denn wissen?« gab ich zurück.

»Na ja, ihr seid ja praktisch Klone. Ich dachte, du hättest eine Ahnung.« Sie machte eine kurze Sprechpause. »Oder denkst du, dass er vielleicht schwul sein könnte?« grübelte sie.

»Schwul?« fragte ich sie, wobei ich gegen einen kurzen Moment der Panik ankämpfen musste.

»Na ja, er hat noch nie ein Mädchen gedatet«, erklärte sie.

»Ich glaube kaum, dass das irgendetwas beweist. Er wartet wahrscheinlich einfach nur auf die Richtige«, winkte ich ab. Ich zwinkerte ihr zu. »Wieso, bist du an ihm interessiert?«

Sie lachte. »Warum? Angst, dass ich ihn dir bevorzugen würde?«

»Ja genau«, sagte ich ihr mit einem Grinsen. »Träum weiter.« Wenn sie nur wüsste…

Als wir mit dem Essen fertig waren, schickte ich Jacob eine SMS: Na, lebst du noch? Parker schon getroffen?

Nach einer Weile antwortete er: Hab ihn noch nicht getroffen. Ist ganz okay hier. Alter, deine Mitschüler sind alle Penner. Bisher hat keiner auch nur ein Wort mit mir gesprochen. Mr. Fisher ist cool. Wenn ich den als Lehrer hätte, würde ich Geschichte vielleicht auch mögen. Er ist der Einzige, der mich heute beachtet hat. Jetzt sitze ich auf dem Schulhof und langweile mich. Das Essen hier ist genauso schlecht wie in meiner Schule. Bis später!

Ich lächelte und seufzte, erleichtert, dass Parker ihm keine Probleme bereitet hatte. Nach der Mittagspause hatte ich noch eine Stunde und dann Schulschluss. Wir befanden wir uns gerade auf dem Weg vom Schulgelände, als jemand auf uns zukam. Conrad, entschied ich. Er sah aus wie Ian, nur größer.

»Hey«, grüßte er uns alle, bevor er sich mir zuwendete. »Jacob, Onkel James hatte dieses Wochenende einen Unfall. Wir müssen heute Nachmittag auf der Farm helfen. Tante Mary wartet auf dem Parkplatz. Ich wollte dir gestern schon Bescheid sagen, aber du warst den ganzen Tag weg und am Abend habe ich es vergessen.«

Ich fühlte Panik in mir aufkommen. So hatten wir das nicht geplant. »Ähm, okay. Kein Problem«, log ich.

Ich schaute Ethan verzweifelt an. Er guckte zuerst besorgt zurück aber dann zog er eine Grimasse und lächelte. Er nickte mir bestärkend zu, als ob sagen wollte »du schaffst das schon.«

Ich verabschiedete mich von Ethan und Sarah und folgte Conrad zum Schulparkplatz. Ian wartete bereits auf uns und an seiner Seite war eine Frau, die Jacobs Tante Mary zu sein schien.

Als wir am Auto ankamen gab sie Conrad und mir warme Umarmungen. »Danke, dass ihr uns helft, Jungs. Das ist wirklich lieb von euch.«

Conrad setzte sich neben Tante Mary während Ian und ich uns auf der Rückbank niederließen. Ich gab mein Bestes, um mein Zittern zu unterdrücken, damit es mich nicht verraten würde. Ich hatte irgendwie beinahe das Gefühl, dass ich entführt wurde.

Ich zog mein Handy hervor und sendete eine SMS an Jacob.

Ich sitze gerade im Auto deiner Tante. Dein Onkel hatte irgendwie einen Unfall und wir müssen auf der Farm helfen. Konnte nichts machen, Conrad hat mich einfach mitgenommen. Du musst zu mir nach Hause gehen und so tun, als ob du ich bist. Spiel einfach Computer oder mach was du willst. Geht das okay? Tut mir echt leid!

Jacobs Antwort kam schnell. Keine Sorge, mach ich. Ist ja nicht dein Fehler. Viel Spaß auf der Farm, harte Arbeit. :wink:

Als wir nach einer etwa zwanzigminütigen Fahrt bei der Farm ankamen, begann ich, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Ich kannte mich dort überhaupt nicht aus und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Es stellte sich allerdings heraus, dass es einfacher war, als gedacht.

Tante Mary ließ uns unsere Aufgaben wählen. Den Stall auszumisten erschien mir simpel genug. Sicherlich nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber dafür musste man weder viel wissen noch viel können, etwas falsch machen konnte ich dabei also nicht wirklich.

Conrad, Ian und ich folgten ihr ins Haus und sie gab uns Stiefel und Arbeitskleidung, damit wir unsere eigenen Klamotten nicht ruinieren würden. Ich ließ mir meine Zeit und als ich fertig war, hatten Ian und Conrad bereits das Haus verlassen. Ich griff mein Handy und rief Jacob an. Laut der Uhrzeit musste er sich gerade auf dem Weg zu mir nach Hause befinden.

»Hey J, was geht?« fragte er mich.

»Hey, ich brauche mal schnell deine Hilfe«, antwortete ich.

Ich beschrieb meine Situation und Jacob sagte mir, wo ich die Mistgabel finden würde, wohin ich den Mist packen sollte und noch ein paar andere Sachen. Als er fertig war, wünschten wir einander Glück und legten auf.

Ich ging zum Stall hinüber und als ich durch die Tür trat, war ich schockiert. Er war riesig. Das hier würde ewig dauern. Ich seufzte, griff die Mistgabel und fing an die Schubkarre zu beladen. Der Mist war viel schwerer als ich zuerst erwartet hatte. Nach ein paar Ladungen schwitzte ich wie ein Schwein. Der Geruch in der Luft war grauenhaft und jetzt wusste ich allzu gut, warum weder Ian noch Conrad besonders wild auf diese Aufgabe gewesen waren.

Ich versuchte, etwas langsamer und mit mehr Regelmäßigkeit zu arbeiten, anstatt so viel und so schnell wie möglich zu schaffen. Ich hatte den ganzen Tag Zeit, um das zu erledigen. Mit der Zeit wurde es zu einer gedankenlosen Routine: Die Schubkarre beladen, schieben, entladen, zurückschieben, wieder beladen, und so weiter. Meine Muskeln taten weh und ich fing an, mich schwach zu fühlen, aber machte trotzdem einfach weiter. Nach einer Weile gewöhnte meine Nase sich sogar einigermaßen an den Geruch.

Den Protest meiner Muskeln zu missachten, schien zu funktionieren und nach einer Weile fühlte ich mich sogar besser als zuvor. Solange ich nicht zu viel auf einmal nahm, war alles okay. Als ich etwa ein Viertel des Stalls geleert hatte, machte ich eine Pause. Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und lächelte. Es fühlte sich unglaublich gut an, zu sehen, wie weit ich gekommen war.

Tante Mary musste mich gesehen haben, weil sie aus dem Haus kam, um mir eine Cola zu geben.

»Danke«, sagte ich ihr. Die Erschöpfung war deutlich in meiner Stimme zu hören.

»Du bist wohl aus der Übung, wa?« grinste sie mich an. »Ich sollte euch Jungs mal öfter einladen. Die Stadt ist nicht gut für euch.« Sie zwinkerte mir zu, um mir zu zeigen, dass sie es nicht ganz ernst meinte.

Sie warf einen Blick in den Stall. »Gute Arbeit. Du hast ganz schön viel geschafft in der kurzen Zeit.«

Ich lächelte sie an. Das Lob fühlte sich großartig an. Nachdem ich die Dose Cola ausgetrunken hatte, machte ich mich mit frischen Kräften wieder an die Arbeit. Ich musste langsamer vorgehen, weil es eine anstrengende Aufgabe war, aber es war schön, den stetigen Fortschritt zu sehen.

Es war bereits spät, als Ian in den Stall kam und mir sagte, dass ich mit der Arbeit aufhören könne. Wir würden am nächsten Tag wiederkommen und den Rest erledigen. Ich hatte etwa die Hälfte der Arbeit erledigt. Er sagte mir, ich solle als Erster duschen gehen, er und Conrad würden noch ein bisschen arbeiten.

Ich ging ins Haus, duschte schnell, zog mich an und machte mich auf den Weg zur Veranda. Es fühlte sich großartig an, wieder sauber zu sein und gut zu riechen. Meine Muskeln taten ein wenig weh, aber die heiße Dusche hatte den Schmerz deutlich gelindert. Ian wartete bereits vor dem Badezimmer auf mich und ging direkt in die Dusche, als ich herauskam. Tante Mary hatte Abendessen für uns vorbereitet. Auf dem großen Holztisch auf der Veranda standen Salat, Pilzsuppe, gebackene Hühnerbrust und zum Nachtisch selbstgebackener Apfelkuchen.

Ich setzte mich und wartete auf Ian und Conrad. Sofort meldete sich mein Magen mit einem lauten Grummeln.

»Jacob, worauf wartest du?« fragte Tante Mary mich mütterlich. »Du siehst aus, als ob du ein ganzes Pferd verschlingen könntest. Du hast den ganzen Tag gearbeitet. Mach dir mal keine Sorgen um Ian und Conrad. Fang ruhig schon mal an.«

Es war komplett entgegen meiner Erziehung und meinen Manieren, aber das hier war anders. Ich war so hungrig, sie hatte kaum ausgesprochen, als ich anfing, meinen Teller zu füllen. Ich lächelte ihr dankbar zu und fing an, das Essen zu verschlingen. Es schmeckte köstlich, wobei nach einem Tag Arbeit auf einer Farm vermutlich alles gut schmecken würde; insbesondere, wenn man so etwas noch nie zuvor getan hatte.

Nachdem wir alle aufgegessen hatten, fuhr Tante Mary uns zurück zu Jacobs Wohnung. Es war bereits halb zehn, als wir dort ankamen.

Jacob hatte mir gesagt, dass er abends öfter mal spazieren ging oder sich mit Ethan traf und seine Eltern nichts dagegen hätten. Als wir das Auto verließen, informierte ich also Ian und Conrad, dass ich noch eine Runde um den Block gehen würde.

Ich ging die Straße entlang und zog mein Handy hervor, um Jacob anzurufen.

Es klingelte nur einmal, bevor er abnahm.

»Hey, Josh«, grüßte er mich fröhlich.

»Hey, Jacob. Ich bin gerade erst zurückgekommen und wir haben ein Problem: Du kannst das Haus zu dieser Zeit nicht mehr verlassen. Meine Eltern würden das wahrscheinlich nicht erlauben. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Wir können uns nicht vor morgen früh treffen.«

»Hey, mach dir mal keine Sorgen, ist alles in Ordnung«, versicherte er mir. »Ich weiß jetzt zwar, warum du deine Eltern nicht besonders magst, aber trotzdem; ich genieße es irgendwie, für eine Weile du zu sein. Oh und dein Computer ist ehrlich gesagt verdammt cool. Ich hätte nichts dagegen, das noch einen Tag oder zwei so weiterlaufen zu lassen. Falls du nichts dagegen hast? Wenn du das nicht möchtest, können wir uns morgen früh treffen und zurücktauschen. Es ist deine Entscheidung, aber ich hätte nichts dagegen, es erst einmal so zu lassen.«

Noch ein Tag Arbeit auf der Farm? Bäh! Ich konnte immer noch jeden Muskel in meinem Körper spüren. Andererseits war es irgendwie auch schön, mal etwas anderes zu machen. Es war harte Arbeit gewesen, ja, aber es war irgendwie auch befriedigend. Ich fühlte mich total wohl mit dem Gedanken an das, was ich geschafft hatte. Außerdem hatte ich definitiv nichts dagegen, ein paar Tage zur Schule zu gehen, ohne durchgehend ignoriert oder angegriffen zu werden. Ich konnte nicht wirklich verstehen, was Jacob so sehr an meinem Leben gefiel, aber wenn er das wollte, warum nicht?

»Klingt gut. Ich glaube ein paar Tage können nicht schaden. Wir müssen aber Notizen in der Schule machen, damit wir nichts verpassen. Nächste Woche habe ich einen Haufen Klausuren, also müssen wir spätestens dann zurücktauschen.«

»Super, abgemacht!« sagte er begeistert. »Oh und nicht zu viel gaffen, wenn meine Brüder sich umziehen. Ich will nicht, dass sie denken, ich wäre schwul.«

»Das würde ich nie tun«, sagte ich zu ihm und fühlte mich ein wenig beleidigt, dass er so etwas überhaupt von mir denken würde.

Es entstand eine lange Pause.

»Tut mir leid«, sagte er dann endlich. »Ich wollte dich nur ein wenig aufziehen. War nicht böse gemeint.«

»Ist schon okay«, lenkte ich ein. Wir verabschiedeten uns, legten auf und ich beendete meinen Spaziergang um den Block. Als ich zurückkam, war es fast zehn Uhr. Ian und Conrad waren im Begriff, ins Bett zu gehen, also zog ich mich bis zu meiner Unterwäsche aus und schlüpfte in Jacobs Bett.

Die Matratze war härter als meine. Ich hatte ein breites Doppelbett während seines nur ein normales Einzelbett war, aber ich gewöhnte mich schnell daran. Als Ian und Conrad anfingen, sich auszuziehen, drehte ich mich weg und schloss meine Augen.

Gedanken von Ian und Conrad, der Farm und dem Schultag gingen mir durch den Kopf. Ich versuchte mir vorzustellen, wie mein Leben gewesen wäre, wenn ich hier aufgewachsen wäre, anstatt bei meinen Eltern und langsam, aber sicher, glitt ich in eine friedliche Traumwelt.

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Wieder ein interessanter Teil. Der arme Josh, gleich am ersten Tag muss er so hart arbeiten.
Ich bin mal gespannt, ob Jacob sich gegen Parker wehren kann, aber solche Typen geben ja nie Ruhe.

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Hey @Einfachnurich ,

danke für deinen Review. :slight_smile:

Hier kommt der nächste Teil!

Wie es ist

Jacob

Ich schaute über den noch leeren Parkplatz und nahm einen tiefen Atemzug. Langsam ging ich auf die Schule zu. Die ersten Schüler betraten bereits die Gebäude oder standen in kleinen Grüppchen davor und unterhielten sich. Als ich an ihnen vorbeiging, grüßte mich niemand. Ich wurde nicht einmal länger als eine Sekunde von irgendwem angeschaut. Es war, als ob ich unsichtbar wäre und ich fühlte mich unwillkommen. Dann wurde mir bewusst, dass Josh das jeden Tag erlebte und das machte mich traurig und auch ein bisschen wütend.

Meine Schultern hingen, mein Schritt war langsam und meine Augen waren auf den Boden vor mir gerichtet: eine niedergeschlagene Körperhaltung. Ich hatte sie auf dem ganzen Weg hierher geübt. Josh hatte nie etwas über seine Körpersprache gesagt, aber er hatte mir erzählt, dass er keine Freunde hatte und dass die Schule für ihn schwierig war, trotz seiner guten Leistungen.

Es ergab Sinn, dass er so aussehen würde, wie die Außenseiter an meiner Schule. Die Sorte von Schülern, die jemanden argwöhnisch anschauten, wenn er versuchte freundlich zu sein. Ich verstand sie gewissermaßen, aber wusste trotzdem nicht wirklich, wie ich sie richtig ansprechen sollte und normalerweise machte ich mir die Mühe auch nicht. Josh war wie einer von denen, aber das hieß nicht, dass ich schlecht von ihm dachte. Stattdessen tat er mir leid. Wenn ich er gewesen wäre, hätte ich vermutlich viel für jemanden gegeben, der mir eine Auszeit davon gab.

Es dauerte nicht lange, sein Schließfach zu finden, sobald ich den richtigen Gang gefunden hatte. Es war das, auf dem in großen, gesprühten Buchstaben loser zu lesen war. Ich zuckte mit den Achseln und öffnete es. Josh hätte sich vermutlich beleidigt, vielleicht sogar angegriffen hiervon gefühlt und es hätte vielleicht seinen Tag ruiniert, aber mir war so etwas eigentlich egal.

Es war nur eine Schließfachtür, nicht eine Person. Sich über so etwas aufzuregen, wäre Zeitverschwendung gewesen.

Nachdem ich mir die Bücher für den Tag genommen hatte, machte ich das Schließfach zu und ging zum Klassenraum. Die Gänge füllten sich langsam und ich sah überall fröhliche Schüler, die sich grüßten und den neusten Tratsch austauschten. Ich ging einfach vorbei und ignorierte sie, so wie sie mich ignorierten.

Ein Tag der mit Mathe anfing, war gewöhnlich ein schlechter Tag und Joshs erste Stunde war Mathe. Während sich der Raum langsam füllte, bereitete ich mich auf das Schlimmste vor. Die Schüler um mich herum unterhielten sich oder versuchten ihre Hausaufgaben in den letzten Minuten zu erledigen, während ich einfach nur meine Sachen auf dem Tisch ausbreitete und wartend auf die Tafel starrte.

Der Lehrer, ein alter, gelangweilt aussehender Mann, brachte schließlich die Klasse zur Ruhe und fing mit dem Unterricht an. Josh war ein ziemlich guter Schüler und hatte Befreiungsprüfungen für mehrere der niedrigeren Kurse abgelegt. Die Sachen, die hier gelernt wurden, waren weit über meinem Horizont. Trotzdem war ich noch nie zuvor so konzentriert im Unterricht gewesen, wie in dieser Stunde. Josh hatte mir zwar gesagt, dass ich mir keine großen Sorgen machen sollte, wenn ich mal etwas nicht wusste, aber ich wollte es trotzdem nicht total vermasseln.

Ich hörte genau zu und versuchte zu verstehen, worüber der Lehrer redete. Obwohl ich nicht jedes Detail verstand, bekam ich wenigstens mit, dass es etwas mit einem Rechenvorgang zu tun hatte, mit dem man die Fläche zwischen zwei Graphen bestimmen konnte. Dazu kam, dass mich niemand ablenkte. Einige Schüler unterhielten sich flüsternd oder gaben Nachrichten auf Papierfetzen hin und her, aber niemand interessierte sich genug für mich, um mich auch nur zu beachten.

»Habt ihr das alles verstanden? Irgendwelche Fragen?« fragte der Lehrer endlich, nach einem gefühlt dreißigminütigen Monolog. Er wartete ein paar Sekunden und als niemand seine Hand erhob oder etwas sagte, fing er an, Kopien zu verteilen. »Okay, bearbeitet die Aufgaben mit dieser Methode. Ihr habt zwanzig Minuten Zeit. Bitte beeilt euch, damit wir die Ergebnisse besprechen können.«

Ich versuchte herauszufinden, was ich genau machen sollte, aber es war hoffnungslos. Das Konzept ergab Sinn, aber mir fehlten die Grundlagen, um zu verstehen, wie ich es machen sollte.

»Ich sollte Mathe ernster nehmen«, dachte ich mir, als ich versuchte, es trotzdem irgendwie zu lösen. Ich schrieb, kalkulierte und probierte alles, was ich nur konnte, aber es brachte nichts. Als die Zeit um war, hatte ich mehrere Seiten voll von Gekritzel, aber trotzdem noch keine Idee, was die Lösung war.

Anstatt nach einem Freiwilligen zu fragen, schaute der Lehrer direkt mich an. »Josh, könntest du uns das an der Tafel vorrechnen?« Ich schaute von meinem Blatt auf, beinahe ein wenig ängstlich. In seiner Stimme war keine Böswilligkeit oder Schadenfreude. Er war komplett davon überzeugt, dass dies überhaupt kein Problem für mich darstellen würde.

»Ähm«, ich schaute ihn verzweifelt an.

»Ja?« fragte er leicht ungeduldig.

»Ich weiß nicht. Ich glaube heute ist einfach nicht mein Tag, tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe bisher noch keine Lösung.«

Ich konnte fühlen, wie jeder in der Klasse mich anstarrte und meine Wangen wurden rot. Der Lehrer schaute mich verwirrt an und räusperte sich. »Okay, ähm…«, er wendete sich einem anderen Jungen in der Klasse zu. »Ben, kannst du übernehmen?«

Ben, ein eher kleiner, streberhafter Typ, stand auf und schrieb die Lösung an die Tafel, während er seine Vorgehensweise erklärte. »Hoffentlich passiert mir das nicht in jeder Unterrichtsstunde«, dachte ich. Mit immer noch roten Wangen versuchte ich, mich auf seine Erklärung zu konzentrieren, damit ich verstehen konnte, wie er die Aufgabe gelöst hatte. Ich verstand seine Erklärung sogar mehr oder weniger, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich das auch auf eine andere Aufgabe erfolgreich anwenden konnte.

Die plötzliche Aufmerksamkeit, war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Alle waren wieder damit beschäftigt, entweder Ben oder der Person neben sich zuzuhören.

Für sie war ich nur ein komischer Typ, der heute mal nicht die Lösung wusste, aber auch nicht mehr als das: Irgend so ein Typ halt.

Die nächsten Stunden verliefen ähnlich, obwohl ich mehr Glück hatte. Ich blieb still und die Lehrer schauten mich ab und zu an, als ob sie erwarteten, dass ich mich beteiligen würde, aber ließen mich dann meist in Ruhe. Wenn mir eine Frage gestellt wurde, schaffte ich es oft sogar, diese richtig zu beantworten. Viele Fragen, die im Unterricht gestellt wurden, waren so simpel, dass man auch mit wenig Wissen durchkam, wenn man nur gut aufpasste, was zuvor gesagt wurde.

»Eure Hausaufgabe ist, euch nochmal alles, was wir in diesem Semester gemacht haben, anzuschauen. Stellt sicher, dass ihr gut für die Abschlussprüfungen nächste Woche vorbereitet seid«, sagte die Biologielehrerin, eine kleine, alte Frau mit grauem Haar. Überrascht schaute ich auf die Uhr. Gewöhnlich saß ich im Unterricht und wartete ewig, dass die Zeit verging. An diesem Tag war ich allerdings so beschäftigt damit, aufmerksam zuzuhören, dass ich jedes Mal überrascht war, wenn die Glocke zur Pause läutete.

Ich packte meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg. Gerade als ich durch die Tür ging, rempelte mich wieder jemand an. Es war irgendein großer Typ, dessen Namen ich nicht wusste. Ich sagte einfach nichts und ging weiter, obwohl ich ihm wirklich gerne meine Meinung posaunt hätte. Seit Beginn des Tages war das schon so oft passiert, dass ich aufgehört hatte zu zählen.

Stattdessen dachte ich jedes Mal, wenn jemand einen unfreundlichen Kommentar machte oder mich absichtlich anrempelte, an Ethan, Sarah oder meine Brüder und lächelte innerlich. Diese Leute, die mich, beziehungsweise Josh, nicht wollten, konnten mich mal. Ich konnte gut ohne ihre Freundschaft. Ich hatte vermutlich mehr Leute, denen ich wichtig war und die mich mochten, als sie.

Meine Schultern und Arme taten weh, aber ich ignorierte es und ging weiter. Geschichte war die letzte Stunde vor dem Mittagessen und ich war ein wenig gespannt. Josh hatte mir sehr wenig über die Leute an seiner Schule erzählt und Mr. Fisher war der Einzige, über den er etwas Positives zu sagen hatte. Nach einem Tag wie diesem freute ich mich darauf, ihn zu treffen. Ich lungerte in den Fluren herum, bis die Pause vorbei war und ging dann zum Raum. Wie in allen Stunden setzte ich mich in die erste Reihe.

»Wir haben alles behandelt, was wir für die Abschlussprüfungen brauchen«, begann Mr. Fisher den Unterricht. »Deshalb würde ich heute gerne einen Exkurs machen. Die Details werden nicht relevant für die Prüfung sein, aber ich nehme an, dass ihr das Thema trotzdem interessant finden werdet.«

»Hat irgendwer hier schon einmal vom Massaker von Lawrence gehört?« Damit begann er einen langen Vortrag über den Grenzkrieg in Kansas und den Hintergrund, oder den geschichtlichen Kontext, wie er es nannte. Es war keine stumpfe Auflistung von Jahresdaten, wie ich es von meinem eigenen Geschichtsunterricht gewohnt war. Er erzählte es wie eine spannende Geschichte, beinahe als sei er selbst da gewesen. Er hatte viele Quellen, wie zum Beispiel Zeitungsartikel aus der Zeit, die er an die Wand projizierte. Nachdem Mr. Fisher den Hintergrund abgedeckt hatte, sprach er von einem der blutigsten Ereignisse in der Geschichte von Kansas.

Am frühen Morgen des 21. August 1863 attackierten mehrere hundert Guerillakämpfer Lawrence, eine Stadt auf Seiten der Nordstaaten und Zentrum für mehrere Guerillaeinheiten. Sie plünderten stundenlang und setzten beinahe den ganzen Ort in Brand. Die Stadt wurde eigentlich für sicher gehalten, aber die dort stationierte Abteilung von Soldaten, war zu ihrem Fort zurückgekehrt, sodass die Stadt praktisch schutzlos zurückgelassen wurde.

Beinahe zweihundert Männer und Jungen wurden getötet, oft vor den Augen ihrer Familien und einige erst zwölf oder dreizehn Jahre alt. Es war kein Kampf, es war eine Massenexekution. Das Motiv war eindeutig Rache. Ein Mann wurde mit einem Säugling auf seinem Arm erschossen, zwei andere wurden in ein brennendes Gebäude gejagt, sodass sie verbrannten.

Die Angreifer hatten eine Liste von Leuten, die sie töten sollten. Eines der Hauptziele, John L. Speer, entkam seiner Hinrichtung.

Dafür wurden allerdings zwei seiner Söhne getötet. Sein jüngster Sohn, ein fünfzehnjähriger Junge, sollte zwar auch hingerichtet werden, konnte aber entkommen, indem er einen falschen Namen angab.

Zwei Wochen später wurden im Gegenzug, um den konföderierten Guerillatruppen die Versorgung abzuschneiden, zehntausende Zivilisten aus der Region vertrieben; zurück blieb nur verbrannte Erde.

Nach dem Vortrag gab es eine offene Diskussion der Ereignisse, an der ich überraschenderweise interessiert teilnahm; etwas sehr Ungewöhnliches für mich. Ich hatte den Bürgerkrieg immer langweilig gefunden und es war mir normalerweise egal, was vor Hunderten von Jahren passiert war; ich lebte in der Gegenwart. Mr. Fishers lebendige Erzählung hatte allerdings mein Interesse geweckt.

Während dieser Diskussion sprach er auch über das Alter der Soldaten, die in diesem Krieg gekämpft hatten. Die Brutalität des Konflikts erschien mir umso erschreckender, als Mr. Fischer sagte, dass etwa 100.000 der Soldaten auf Seiten der Nordstaaten fünfzehn Jahre alt oder jünger waren. Er hatte keine Statistik über die Konföderation, aber erwähnte, dass die Angreifer, die Lawrence zerstörten und zweihundert Morde begangen, überwiegend Jugendliche waren. Der Jüngste soll dreizehn gewesen sein.

Einige Minuten bevor die Glocke die Pause verkündete, waren wir fertig und Mr. Fisher entließ die Klasse vorzeitig, allerdings nicht, bevor er uns etwas zu lesen aufgegeben hatte. Josh hatte mich gebeten, nach dem Unterricht ein paar Worte mit Mr. Fisher auszutauschen, also wartete ich, bis der Raum sich geleert hatte. Normalerweise würde ich so etwas für Schleimen halten, aber nach dieser Stunde war das anders, nicht weil Josh es mir aufgetragen hatte, sondern weil ich es selber wollte.

»Der Vortrag war super, Mr. Fisher«, lobte ich.

»Es freut mich, dass es dir gefallen hat, Josh. Ich hoffe, dass dir das eine bessere Perspektive von den Schrecken des Bürgerkriegs geben konnte?«

Ich schüttelte meinen Kopf. »Es ist so schockierend. Jungen in meinem Alter, die um ihr Leben kämpfen oder hingerichtet werden, für etwas das ihre Väter getan haben; es ist gruselig, auch nur an so etwas zu denken. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, in der Armee zu dienen und eine Stadt mit meinem Leben verteidigen zu müssen.«

»Vieles hat sich seitdem geändert«, sinnierte er. »Das Leben, insbesondere als Jugendlicher, ist total anders heutzutage. Es ist noch lange nicht perfekt, aber wenn man es schwer hat, sollte man sich daran erinnern, wie es zu anderen Zeiten war.«

Ich lächelte. »Das ist ein guter Ratschlag, danke.«

Dann gab es eine unangenehme Pause. Er schaute, nein starrte, mich an, besser gesagt meine Augen. Ich wusste nicht, was ich tun oder wie ich reagieren sollte, also starrte ich zurück. Nach einer längeren Zeit nickte er endlich. »Okay…« Er machte eine weitere Pause. »…Josh.«

Warum starrte er mich so an? Hatte er einen Unterschied zwischen Josh und mir entdeckt? Ich schaute schnell weg. »Na ja, ich muss dann auch zur Kantine, damit ich etwas essen kann.«

Mr. Fisher nickte. »Okay, wir sehen uns dann morgen.«

Ich floh aus dem Raum. Wusste er Bescheid? Ich nahm einen tiefen Atemzug und zwang mich, langsamer zu gehen. Selbst wenn er etwas bemerkt hatte, würde es nichts bringen, den Kopf darüber zu verlieren. So zu tun, als ob alles wie immer sei, war die beste Taktik. Falls er einen Unterschied in meinem Benehmen oder Aussehen bemerkt hatte, wusste er immer noch nicht, dass Josh einen Zwilling hatte. Er konnte vermuten, dass etwas nicht stimmte, aber das war alles.

Ich ging zur Kantine, um etwas zu essen. Als ich mich in die Schlange stellte, schaffte ich es, mich in einer Gruppe von harmlosen Freshmen zu platzieren. Dadurch konnte ich erfolgreich eine Konfrontation mit älteren Schülern verhindern. Von all dem Essen, was im Angebot war, sah der Fisch am verträglichsten aus, also entschied ich mich dafür. Ich trug mein Tablett zu einem kleinen Tisch in einer Ecke und setzte mich, alleine. Während ich die anderen Schüler beobachtete, griff ich meine Gabel und schob das erste Stück Fisch in meinen Mund.

Es war das erste Stück von Normalität an diesem Tag. Egal in welcher Schulkantine man isst, egal was serviert wird, es schmeckt immer wie Pappe. Na ja, mit ein bisschen Zitrone obendrauf, in diesem Fall, aber trotzdem Pappe. Ich zwang mich, ein weiteres Stück zu essen. Ich war hungrig und hatte das hier mit Joshs Geld gekauft. Ich würde ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich nicht wenigstens die Hälfte aß.

Während der zehn Minuten, in denen ich dort saß und versuchte, den Pappfisch zu essen, schenkte mir niemand auch nur ein bisschen Beachtung. So langsam begann mich das zu stören. Ich hatte seit Langem nicht so wenige Wörter in der Schule gesprochen. Genaugenommen konnte ich mich gar nicht erinnern, jemals so wenig gesprochen zu haben. Ich verdrückte etwa die Hälfte von meinem Essen, bevor ich aufgab und die Kantine verließ.

War das Joshs Alltag? Ich ging über das Schulgelände und beobachtete die Leute um mich herum. Wieder einmal fühlte ich mich unsichtbar. Ich setzte mich auf eine der Bänke und starrte zum Schultor auf der anderen Seite des Geländes.

Konnte ich Joshs Leben einfacher machen? Konnte ich es besser für ihn machen? Nicht wirklich. Es ging hier nicht nur um Parker, sondern darum, dass Josh von sich aus andere ausschloss. Er musste sich ändern, sonst konnte ich tun, was ich wollte und sobald wir zurücktauschten, wäre alle so wie vorher. Ich konnte ihm allerdings helfen. Eine Auszeit von all dem hier zu bekommen, mit Ethan und Sarah zu meiner Schule zu gehen, das allein sollte Wunder bewirken. Und vielleicht konnte ich auch noch einen Weg finden, Parker für eine Weile loszuwerden…

Als ich Joshs SMS über seinen Nachmittag auf der Farm las, musste ich grinsen. Ich konnte ihn mir bildlich vorstellen, mit einer Mistgabel in der Hand und mit Kuhscheiße beschmiert. Ich war mir sicher, dass die harte Arbeit und die frische Luft ihm guttun würden. Auf der Farm zu helfen, war eine anstrengende, aber auch dankbare Tätigkeit.

Wenn ich dort arbeitete, fühlte ich mich immer super, nachdem alles erledigt war und ich hoffte, dass es einen ähnlichen Effekt bei ihm haben würde.

Nach der Schule ging ich langsam zu Joshs Haus. Als er mich anrief, sagte ich ihm alles, was er wissen musste, um den Tag auf der Farm zu überstehen. Sein Nachmittag würde definitiv kein Zuckerschlecken werden. Ich war froh, dass ich gerade noch mal so davongekommen war. Ich hätte mich nie darüber beschwert, helfen zu müssen; es war einfach etwas, das man für die Familie tat. Wenn Josh das allerdings für mich erledigte, dann war das umso besser.

Wir hatten gerade aufgelegt, als ich bei dem Haus seiner Eltern ankam. Ich nahm einen tiefen Atemzug und zog den Schlüssel aus meiner Tasche. Wir hatten Glück, dass Josh so paranoid gewesen war und an wirklich alles gedacht hatte, ansonsten hätte es ein echtes Problem gegeben. Ich schaffte es erfolgreich, Philip auszuweichen, ging direkt in Joshs Zimmer, stellte den Rucksack in die Ecke und startete den Computer.

Obwohl ich mich mit Ethan oder Sarah hätte treffen können, entschied ich, den Tag drinnen zu verbringen. Bevor Josh uns getroffen hatte, waren seine Nachmittage und Abende vermutlich totlangweilig gewesen. Ich wollte irgendwie versuchen, den Tag so zu verbringen wie er das sonst tat. Es würde nicht ganz so langweilig für mich sein, wie für ihn; ich hatte sonst nie einen Computer ganz für mich. Trotzdem, hier zu bleiben würde mir eine bessere Idee davon vermitteln, wie es war, in seiner Haut zu stecken, als wenn ich mich mit Ethan und Sarah getroffen hätte.

Ich hatte mich gerade erst gesetzt, als es an der Tür klopfte und nur eine Sekunde später trat Philip ein.

»Hey Josh, wie war dein Schultag?«

»Ganz okay«, antwortete ich mit gelangweilter Stimme, während ich mich zurücklehnte.

»Okay. Ich bin mal eine Weile weg, einkaufen. Bis später«, sagte er und verschwand wieder.

Ich ging auf YouTube um mir ein paar Videos anzuschauen. Ein Video führte zum nächsten und bei meinem nächsten Blick auf die Zeitanzeige in der Ecke rechts unten auf dem Desktop war es eine Stunde später. Überrascht, dass die Zeit so schnell verflogen war, schloss ich den Browser und schnappte mir Joshs Rucksack. Er konnte die Hausaufgaben für den nächsten Tag nicht für mich machen, also musste ich versuchen, es selber hinzubekommen.

Es war nicht einmal viel, nur ein paar Matheaufgaben und etwas für Französisch. Ich entschied, mit Französisch anzufangen, weil ich das deutlich besser konnte, als Josh. Es dauerte nicht einmal zehn Minuten um den vorgegebenen Dialog zu lesen und die Fragen dazu auf Französisch zu beantworten. Danach musste ich noch ein paar Lücken in einer Konjugationsübung ausfüllen. Ich lehnte mich zufrieden zurück und schaute auf die getane Arbeit. In dem Moment klopfte es wieder an der Tür.

Bevor ich etwas sagen konnte, stecke Philip seinen Kopf ins Zimmer. »Hey Josh. Ich bin wieder da. Hast du deine Hausaufgaben schon erledigt?«

»Ich bin gerade dabei«, antwortete ich ihm.

Er nickte. »Okay, lass mich wissen, wenn du irgendwelche Probleme hast oder Hilfe brauchst.«

Er schloss die Tür hinter sich und ich seufzte und drehte mich wieder Joshs Schreibtisch zu. Mathe würde nicht so einfach zu erledigen sein, aber ich wollte Josh keine Probleme bereiten, nur weil ich zu dumm war um seine Hausaufgaben zu machen. Als ich mir die Aufgaben anschaute, merkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte. Ich ging zum Computer und googlte verständliche Erklärungen und Step-by-Step-Guides für Mathe. Die erste Aufgabe dauerte fast eine Stunde, aber danach wurde es immer einfacher.

Philip kam noch zweimal in das Zimmer, während ich an den Hausaufgaben arbeitete. So langsam konnte ich verstehen, warum Josh ihn nicht mochte. Vielleicht konnte ich Philip dazu bringen, Josh ein wenig mehr in Ruhe zu lassen, oder wenigstens auf eine Antwort zu warten, wenn er klopfte? Das würde Joshs Leben deutlich einfacher machen. Ich entschied mich, Philip das nächste Mal, wenn er das Zimmer betrat, damit zu konfrontieren.

Als ich endlich die letzte Antwort für Joshs Mathehausaufgaben geschrieben hatte, lehnte ich mich zurück und verschränkte meine Arme hinter meinem Kopf. Die lange, geistige Anstrengung war ermüdend gewesen, aber es fühlte sich großartig an, alles geschafft zu haben. Ich gähnte gedämpft und schloss meine Augen für ein paar Sekunden.

Plötzlich hörte ich ein lautes Klopfen an der Tür und schreckte hoch. Das waren wohl mehr als nur ein paar Sekunden gewesen. Als ich meine Augen öffnete, dauerte es einen Moment, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. War ich einfach so im Sitzen eingeschlafen? Ich massierte meinen steifen Hals mit meinen Händen, als Philip die Tür öffnete.

»Josh, in zwanzig Minuten gibt es Abendessen, du solltest dich besser beeilen«, informierte er mich. Er hatte das Zimmer wieder verlassen und die Tür geschlossen, bevor ich irgendetwas sagen konnte. Scheiße! Er hatte Recht. Abendessen mit Joshs Eltern schien eine wichtige Angelegenheit zu sein und ich wollte da definitiv keine Fehler begehen. Ich erhob mich vom Stuhl und fiel beinahe zu Boden, weil meine Beine eingeschlafen waren.

Fluchend humpelte ich zum Schrank und suchte nach frischen, guten Klamotten. Nachdem ich endlich alles gefunden hatte, was ich brauchte, duschte ich kurz und zog mich an. Ich verließ den Raum gerade noch rechtzeitig und machte mich auf den Weg zum Esszimmer. Als ich zur Treppe kam, war Joshs Vater bereits zu hören. Langsam schlich ich Stufe für Stufe die Treppe hinunter. Ich hoffte, dass ich keine Fehler machen würde. Josh zusätzliche Probleme mit seinen Eltern zu bereiten, war das Letzte, was ich wollte.

Ein weiterer, lauter Kommentar seines Vaters ließ mich kurzzeitig stehenbleiben, aber am Ende drückte ich die Türklinke hinunter. Ich fühlte mich irgendwie unsicher und, auch wenn ich es nicht wirklich zugeben wollte, hatte ein wenig Angst.

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omg, er wird doch nicht etwas merken und alles auffliegen lassen?

Ich bin auch mal gespannt, wenn er das erste Mal auf Parker trifft, jeje.

Vielen Dank, dass du wieder einen neuen Teil gepostet hast

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Hey,

danke für deinen Kommi! :smiley:

Ich mache dann mal gleich weiter! :slight_smile:

Konfrontationen
Jacob

»… und dann meinte er, dass ich das ganz anders sehen würde, wenn mein eigener Sohn schwul wäre. Was für ein Idiot! Ich habe erst einmal klargestellt, dass mein Sohn vernünftig erzogen wurde und ganz sicher nicht schwul ist. Und selbst wenn er es wäre, dann würde ich er eine Lektion zum Thema Moral erhalten, die er nie vergessen würde.«

Ich erstarrte, die Türklinke in meiner Hand, die Tür halboffen. Der Raum wurde still und ich zwang meine Beine dazu, sich zu bewegen. Zögerlich trat ich ein und Joshs Eltern und Philip wandten sich mir zu. Ich räusperte mich und nahm Platz, während Philip die restlichen Platten mit Essen auf den Tisch stellte.

Joshs Vater erzählte weiter über seiner Diskussion über Schwulenrechte mit irgendwelchen Aktivisten, die er am Tag getroffen hatte, während ich in meinem Essen stocherte. Nach seinen Äußerungen hatte ich meinen Appetit verloren, aber ich zwang mich zu essen und so zu tun, als würde ich zuhören. Mrs. Adams nickte immer wieder zustimmend zu den Aussagen ihres Ehemannes.

Ich unterdrückte das Bedürfnis, auf meinem Stuhl herumzurutschen und kaute lustlos auf einem Stück Fleisch. Ich wollte nur noch raus aus diesem Raum. Wenigstens ließ er mich in Ruhe mit seinem Geschwafel. Er war so egozentrisch und damit beschäftigt, seinen glorreichen Triumph über »diese Schwuchteln«, wie er sie nannte, zu feiern, dass er komplett vergaß, dass ich existierte. Die Sachen, die er sagte, wiederholten sich, als könne er nicht genug davon bekommen, sich selbst reden zu hören.

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Er war so besessen mit dieser Thematik; er tat mir nahezu leid. Hatte er keine anderen Sorgen? Die Worte, die er sagte, ließen ihn wie einen Redneck dastehen, und nicht wie einen erfolgreichen, gebildeten Mann. Dann dachte ich an Josh und daran, wie oft er sich das anhören musste und das machte mich wieder traurig.

»Wenn es nach mir ginge, dann würden diese ganzen Perverslinge alle weggesperrt werden«, beendete er endlich seine Rede und begann, Essen in sich hineinzuschaufeln. Ein Bild davon, was passieren würde, sollte Joshs Vater jemals herausbekommen, dass sein Sohn schwul ist, schoss durch meinen Kopf und jagte mir einen Schauder über den Rücken. Ich senkte meinen Blick auf meinen Teller, in einem Versuch, meinen Gesichtsausdruck zu verstecken. Ich wusste nicht, wie viel mein Gesicht verriet, aber in diesem Moment war ich absolut unsicher, wie ich mich verhalten sollte.

Als ich meine Augen schloss, konnte ich hören wie Joshs Vater das Fleisch schnitt und dann ein Stück in seinen Mund schob. Erst nachdem ich eine Weile lang Kaugeräusche gehört hatte, war ich mir sicher, dass ich meine Gesichtsmuskeln wieder voll unter Kontrolle hatte. Ich blickte auf, über meinen bereits leeren Teller und zur anderen Seite des Raums. In der Tür, die zur Küche führte, konnte ich Philip stehen sehen. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und schaute mich eindringlich an.

Ich erstarrte erneut und es war mir unmöglich, meine Augen von ihm zu lösen. Er starrte noch ein paar weitere Sekunden in meine Augen, bevor er mir ein schwaches Lächeln gab, mit den Achseln zuckte und in der Küche verschwand. Panik kam in mir aus. Hatte ich gerade etwas verraten? Hatte er meine Reaktion zu den Worten von Joshs Vater gesehen? Ich wollte aufspringen und aus dem Rau flüchten, aber zwang mich, still zu sitzen und zu warten, bis Joshs Eltern den Nachtisch aufgegessen hatten.

Sobald ich nur konnte, stand ich auf und verließ den Raum. Ich sah immer noch Philips Augen vor mir, wie sie mich fixierten. Der Gedanke, dass er Joshs Geheimnis herausfinden könnte, indem er meine Reaktion zum Schwulenhass von Mr. Adams beobachtete… Ich war ja selber nicht einmal schwul. Es war irgendwie ironisch und ich hätte gelacht, wäre es nicht so angsteinflößend gewesen.

Ich zwang mich, ruhig durchzuatmen. Eine einzige falsche Reaktion von mir würde sicher nichts verraten. Ich ließ mich auf Joshs Bett fallen und lehnte mich mit meinem Rücken gegen die Wand.

Was, wenn ich mich irrte und Philip Verdacht geschöpft hatte? Wenn das schiefging und Philip etwas zu Joshs Eltern sagte, dann würde ich mir das nie verzeihen können. Ich versuchte, das Ganze zu durchdenken. Im schlimmsten Fall, wenn sie wirklich dachten, dass er schwul sei, könnten wir das Geheimnis, dass wir Zwillinge waren, lüften. Ich würde seinen Eltern sagen, ich sei schwul und Josh hetero. Vielleicht könnte Sarah sogar so tun, als ob sie seine Freundin sei?

Bei genauerem Überlegen erschien mir die Idee dann aber doch nicht besonders gut, denn dann würden sie ihm vermutlich jeglichen Kontakt zu mir verbieten. Aber wenn ich wirklich müsste, dann würde ich das für ihn tun, entschied ich. Immerhin wäre es ja auch mein Fehler. Wir könnten uns außerdem auch heimlich treffen. Ich war immer noch in Gedanken verloren, als es an der Tür klopfte und wenige Sekunden später schaute Philip ins Zimmer. Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren sollte, also schaute ich ihn einfach nur erwartungsvoll an.

»Ähm«, begann er. »Ich mache gleich Feierabend.«

Warum sollte er mir das erzählen? Ich machte eine auffordernde Geste, um ihn zum Weiterreden zu bewegen. Er schaute über seine Schulter, macht einen Schritt in den Raum und schloss die Tür hinter sich. »Also Josh, ich weiß, dass du mich nicht magst und so weiter. Ich versuche freundlich zu dir zu sein, aber du machst das nicht gerade einfach und in diesem Jahr hatte ich viele schlechte Tage.«

Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Das hatte ich überhaupt nicht erwartet. Er machte eine Pause und setzte sich auf die Couch.

»Ist ja eigentlich auch egal. Ich wollte dir nur sagen, dass es in Ordnung ist, wenn du nicht dieselbe Meinung hast, wie dein Vater. Wir leben immerhin im 21. Jahrhundert. Ich habe deine Reaktion beim Abendessen gesehen. Mach dir keine Sorgen, dass ich ihm deswegen etwas sage. Du kannst mich manchmal echt nerven, aber sowas würde ich nie tun.«

Also dachte er einfach nur, dass Josh, beziehungsweise ich, andere Weltansichten als Mr. Adams hatte? Nichts über Schwulsein? Ich entspannte mich und atmete auf, während ich langsam nickte. »Danke Philip.« Ich bekam es sogar hin, ihm ein Lächeln zu schenken. Die Dinge, die Josh über Philip gesagt hatte, passten irgendwie nicht zu ihm. Er schien echt in Ordnung zu sein.

Er stand auf und wollte sich verabschieden, aber ich unterbrach ihn. »Übrigens Philip, ich habe keine Ahnung warum du so oft in mein Zimmer kommst, aber könntest du irgendwie… wenigstens auf eine Antwort warten, bevor du die Tür aufmachst? Ich bin kein kleines Kind mehr und ein wenig Privatsphäre wäre schon schön. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das verstehen kannst, so alt bist du ja auch noch nicht.« Ich grinste ihn an. »Es ist sau nervig, wenn so etwas nicht respektiert wird.«

Er schaute mich einige Sekunden an und dann nickte er. »Okay, kann ich verstehen.«

»Einfach so? Keine Diskussion?« fragte ich argwöhnisch.

Er zuckte mit den Achseln. »Schau, ich habe mich einfach daran gewöhnt, hier einfach so reinzukommen und habe nie darüber nachgedacht, weil deine Eltern das auch so machen; und du hast halt nie wirklich was dazu gesagt.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Ich habe nie etwas dazu gesagt?«

Er gab mir einen säuerlichen Blick. »Na ja, wenigstens haben wir nie so wie jetzt darüber geredet. Du hast es sehr deutlich gemacht, dass du mich nicht abkannst. Ich kann verstehen, dass du mich loswerden willst, aber es ist nun mal mein Job, auf dich aufzupassen. Wir hatten ein paar Konfrontationen darüber, dass ich dich ganz in Ruhe lassen soll, aber nie so wie jetzt. Du hast nie direkt danach gefragt und vor allem weder ruhig noch freundlich.«

Unsicher wie ich antworten sollte, schaute ich ihn an. Machte ich gerade einen Fehler? Ich zuckte mit den Achseln und wartete, dass er etwas sagte.

Er grinste mich an. »Was ist los, Josh, wirst du erwachsen?«

Wenn er nur wüsste. Ich musste diese Konversation beenden, bevor ich irgendwelche weiteren Fehler riskierte. »Na ja, hm. Weiß ich nicht. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass wir uns zwar nicht besonders mögen, aber dass wir versuchen, uns nicht gegenseitig das Leben schwer zu machen?«

»In Ordnung«, stimmte er mit einem Lächeln zu und verließ den Raum, während ich mich zurücklehnte, um zu reflektieren, was alles über den Tag passiert war. Joshs Zeit in der Schule war unerträglich und seine Eltern waren noch viel schlimmer, als alles, was ich mir hätte vorstellen können. Philip war allerdings etwas unerwartet. Er war komplett anders, als Josh ihn beschrieben hatte. Vielleicht hatten sie einfach nur einen schlechten Start gehabt? Vielleicht war Philip gar nicht so schlimm und Josh hatte ihn einfach nur von Anfang an abgewiesen, weil er für seine Eltern arbeitete?

Ich wollte noch eine Weile länger in dieser Rolle bleiben. Man konnte nicht gerade behaupten, dass ich es genoss, aber länger als für nur einen Tag unsere Rollen zu tauschen würde Josh definitiv helfen. Vielleicht gab mir das auch eine Chance, die Dinge ein wenig für ihn zu verbessern. Gewissermaßen war es auch spannend, so zu tun, als sei ich er und ich wollte definitiv noch Parker treffen.

Mein Handy klingelte, genau wie ich es erwartet hatte. Josh und ich würden in dieser Nacht nicht zurücktauschen können. Ich schlug ihm vor, den Rollentausch für ein paar weitere Tage laufen zu lassen und er schien begeistert von der Idee.

»Super, abgemacht!« sagte er und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es freute mich, dass ihm mein Leben so sehr gefiel und dass er glücklich war. Ich konnte einfach nicht anders, als ihn ein wenig zu sticheln, bevor wir auflegten. »Oh und nicht zu viel gaffen, wenn meine Brüder sich umziehen. Sie sollen nicht denken, ich wäre schwul.«

»Das würde ich nie tun«, antwortete er und er klang dabei ziemlich beleidigt.

Ich hätte mich selbst schlagen können. Das kam definitiv falsch rüber. Händeringend versuchte ich, die richtigen Worte zu finden, um das Ganze herunterzuspielen, aber mir fiel nichts ein.

»Tut mir leid«, sagte ich dann letzten Endes. »Ich wollt dich nur ein wenig aufziehen. War nicht böse gemeint.«

»Ist schon okay«, murmelte er. Dann legten wir auf.

Dieser Tag war der Wahnsinn gewesen. Ich musste mich von all dem, was passiert war, ablenken, damit ich nicht durchdrehen würde. Es war Zeit für eine wohlverdiente Pause. Ich schaltete Joshs Computer an und googelte die eine Sache, die ich noch nie so wirklich zuvor gesehen hatte: Pornos. Ich weiß, das klingt wahrscheinlich komisch, immerhin bin ich fast sechzehn, aber wenn man sich einen Computer mit seiner ganzen Familie teilt, dann gibt es da nicht sonderlich viel Gelegenheit zu.

Josh hatte, als er mir seinen Computer gezeigt hatte, erklärt, wie die Browser-History gelöscht wird. Er hatte ein wissendes Grinsen als er das tat. Ich war knallrot geworden, aber na ja, ich war auch nur ein Mensch, also schätze ich mal, dass es nichts gab, worüber ich mich hätte schämen müssen.

Es war irgendwie komisch. Erst nach einigem Suchen fand ich etwas Gutes und es gab viel zu viele verrückte Sachen. Ich entschied, dass es zwar ganz nett war, aber ich auch gut ohne leben konnte. Das stoppte mich allerdings nicht davon, es zu benutzen. Okay, ehrlich gesagt: Es gab einige verdammt heiße Sachen auf diesen Seiten. Am Ende dachte ich allerdings trotzdem an Sarah.

Weit nach Mitternacht fuhr ich den Computer herunter, zog mich aus und putzte meine Zähne. Joshs Bett war weich und bequem und vor allem groß. Nach einem Tag wie diesem fühlte es sich an wie eine großartige Belohnung. Ich ließ mich in die Matratze sinken und schloss meine Augen. Unter der Decke war es kuschelig warm und ich fühlte mich irgendwie sicher.

Am nächsten Morgen verließ ich das Haus und zog mein Handy aus meiner Tasche, um Josh anzurufen. Ungeduldig wartete ich darauf, dass er abnahm.

»Hey Josh. Hast du gut geschlafen?« begrüßte ich ihn fröhlich, als er sich meldete.

»Boah, fick dich!« stöhnte er. »Mir tut alles weh und ich fühle mich, als hätte ich auf einer Steinplatte geschlafen und nicht in einem Bett.«

»Willst du lieber heute zurücktauschen, bevor du zur Farm gehst?« fragte ich besorgt.

»Nah, passt schon. Ich werd’s überstehen und jetzt, wo ich mich bewege, fühle ich mich auch schon besser«, antwortete er.

»Bist du dir sicher? Du musst nicht auf der Farm arbeiten, wenn du nicht willst. Wir können uns ohne Probleme in der Mittagspause im Park treffen und zurücktauschen.«

Er überlegte einen Moment, aber dann lehnte er ab. »Ich schaffe das. Es ist harte Arbeit, aber man gewöhnt sich daran. Ich freue mich schon darauf, heute wieder zu deiner Schule zu gehen und es wäre unfair, wenn ich mir nur die Vorteile herauspicke.«

»Wenn du das so siehst«, antwortete ich. »Übrigens, ich habe gestern vergessen, etwas zu erwähnen. Philip ist total anders, als ich erwartet hatte.«

»Wirklich? Wie meinst du das?« fragte er überrascht.

Ich dachte einen Moment nach. Wie sollte ich das ausdrücken? Josh war anscheinend wirklich unfreundlich zu Philip gewesen, aber das wollte ich ihm nicht so ins Gesicht werfen. »Ich weiß nicht. Er schien wirklich nett und freundlich zu sein«, sagte ich. Ich erzählte ihm, was am Abend zuvor passiert war. »Vielleicht ist er gar nicht so schlimm. Ich schätze, es ist den Aufwand wert, nett zu ihm zu sein, oder nicht?«

»Vielleicht hast du Recht«, sagte er verhalten. »Vielleicht war ich wirklich scheiße zu ihm, ich weiß es nicht. Ich traue ihm nicht wirklich und er hat entsprechend reagiert. Ich kann ja mal schauen, ob ich netter zu ihm sein kann, aber sei bloß nicht zu freundlich zu ihm, weil ich nicht weiß, ob ich das dann auch machen kann, wenn wir wieder zurücktauschen.«

»Das ist in Ordnung, ich werde aufpassen«, stimmte ich zu. »Na ja, ich muss los. Schönen Tag und überarbeite dich nicht auf der Farm.«

»Ja, dir auch. Pass in der Schule auf dich auf«, sagte er und legte auf.

Ich ging den restlichen Weg zu Joshs Schule und schaffte es pünktlich zur ersten Stunde. Alles war wie am Tag zuvor, besonders das Gefühl der Unsichtbarkeit. In den Unterrichtsstunden wusste ich nicht immer die richtigen Antworten oder das, was ich sagte, war deutlich unter Joshs geistigem Level, aber das schien niemanden zu stören. Die Lehrer erklärten sich das vermutlich damit, dass Josh einfach eine schlechte Woche hatte und seinen Mitschülern war eh alles egal.

Ich gab trotzdem mein Bestes und machte Notizen über den Unterrichtsinhalt. Außerdem hatte ich es tatsächlich geschafft, die Mathehausaufgaben richtig zu lösen, jedenfalls die meisten Aufgaben, und das machte mich stolz. Ich konnte natürlich niemandem erzählen, wie viel mir das bedeutete, aber es brachte mich zum Lächeln und es war ein wunderbarer Moment in einem sonst eher langweiligen Schultag.

Alles lief normal, bis zum Mittagessen. Ich hatte ein paar Sandwiches dabei, damit ich keine Lebensmittelvergiftung in der Schulkantine riskieren musste. Während ich auf dem Schulhof aß, beobachtete ich meine Umgebung. Gerade als ich mein erstes Sandwich aufgegessen hatte, bemerkte ich, dass Parker sich auf dem Weg zu mir befand. Ich stand auf und schnappte meinen Rucksack, ohne ein zweites Mal in seine Richtung zu schauen.

Er schaffte es nicht aufzuholen, bis ich den Gebäudekomplex erreicht hatte, in dem die ganzen Naturwissenschaften untergebracht waren, und um die Ecke gegangen war. Nahe bei dem Gebäude befand sich eine große Hecke und dieser Ort war etwas abgetrennt, also war niemand außer uns in Sicht. Die perfekte Situation für ihn, um mich in die Ecke zu treiben.

Möge die Show beginnen! Einen Moment lang bereitete ich mich innerlich auf ihn vor, dann drehte ich mich mit einem Grinsen im Gesicht um.

»Hey Parker, ein wunderbarer Tag, findest du nicht?«

Er schaute mich verdutzt an. »Ist mir ziemlich egal, was du über das Wetter denkst«, sagte er und gab mir einen bedrohlichen Blick, als er sich vor mir aufbaute.

»Alter, geh mir aus der Sonne«, sagte ich nachdrücklich und ging einen Schritt in seine Richtung. »Ich habe echt keine Ahnung was dein verficktes Problem ist, aber ich habe keinen Bock mehr drauf. Willst du dich wirklich auf dem Schulhof prügeln? Dann mal los, und gleich danach können wir uns mit der Schulleitung unterhalten.«

Er kam mir noch näher und sprach mit einer furchteinflößenden Stimme. »Falls sie dich wieder aus dem Krankenhaus entlassen.«

»Komm schon Parker, wirf nicht mit leeren Drohungen um dich. Das würde eine wunderbare Anzeige für schwere Körperverletzung nach sich ziehen. Ich bin mir sicher, dass mein Vater sehr interessiert daran wäre, herauszufinden, wie ich im Krankenhaus gelandet bin. Du weißt, wer Mr. Adams ist, oder nicht?«

Er schaute mich an, vollkommen überrascht, dass ich mich so anders verhielt. Dann allerdings griff er mich an den Schultern und drängte mich rückwärts in Richtung Wand. Ich versuchte, mich dagegenzustemmen, aber er gab mir einen weiteren, heftigen Schubs. Kurz bevor ich gegen die Wand krachte, spannte ich meine Muskeln an und warf meine Hände nach hinten. Zum Glück hatte meine Reaktion verhindert, dass ich mir den Kopf einschlug. Meine Hände und mein Körper taten ein wenig weh, aber es war nicht schlimmer als bei einem ganz normalen Sturz.

Er machte einen weiteren Schritt in meine Richtung und ballte seine Faust. Er hob sie so dramatisch langsam, es war beinahe lustig. Es war eher ein Mittel der Einschüchterung als ein Schlag, der tatsächlich Schaden anrichten würde. Trotzdem, wenn der Schlag treffen sollte, dann würde das ordentlich wehtun.

Ohne auch nur nachzudenken, machte ich einen Halbschritt in seine Richtung, griff ihn an den Hüften und zog in an mich heran. Mit einer blitzschnellen Bewegung rammte ich mein Knie zwischen seine Beine.

Er sah es weder kommen, noch hätte er mit so etwas jemals gerechnet. Mit einem gequälten Keuchen klappte er zusammen und fiel auf den Boden. Mein Herz pochte laut in meiner Brust, als ich mich neben ihm hinkniete. Ich schaute ihm ins Gesicht und konnte seinen Schmerz beinahe selber spüren. In diesem Moment tat er mir sogar irgendwie ein bisschen leid, aber ich schob diese Gefühle beiseite. Jetzt konnte ich das hier nicht mehr anders lösen und das bedeutete, dass Schwäche zeigen keine Option war.

Meine Stimme war eiskalt, als ich zu ihm sprach. »Komm schon, Parker, dachtest du wirklich, dass ich nach hier hinten gegangen bin, nur damit du mich verkloppen kannst? Das war das letzte Mal, dass du dich mit mir angelegt hast. Wenn du je wieder versuchst, mich zu schlagen, dann gibt es eine Anzeige. Hey, wie wäre es damit, ich könnte auch laut ›Vergewaltigung‹ schreien und behaupten, dass du versucht hättest, mich zu zwingen, dir einen zu blasen. Was würden deine Eltern zu einer Anzeige für sexuelle Belästigung sagen? Und was würden sie sagen, wenn es sich um einen Jungen handelt? Ich bin sehr gut darin, mir Dinge auszudenken und ich kann sehr überzeugend sein. Wem würden sie wohl glauben? Dem religiösen Studenten mit dem Einser-Schnitt, der niemals Probleme macht oder irgend so einem Typen, der nichts als Ärger bedeutet. Ich könnte sicher sogar irgendwen bestechen, um als Augenzeuge aufzutreten. Was meinst du?«

Ich stand auf und stupste seinen Rücken mit meinem Fuß an. »Schönen Tag noch, Arschloch, und denk daran, was ich dir gesagt habe. Leg es lieber nicht drauf an.« Parker lag immer noch zusammengerollt auf dem Boden und seine einzige Antwort war ein Stöhnen.

Sobald ich um die Ecke gegangen war, fing ich an zu zittern. Was war in mich gefahren? Ich hatte so etwas noch nie getan. Ich konnte mich zwar selbst verteidigen, wenn ich musste, aber ich bekam das Gefühl, dass ich es hier total übertrieben hatte. Ich setzte mich auf eine Bank und stützte meinen Kopf auf meine Hände, während ich das Geschehen in Gedanken wiederholte.

Meine Reaktion ihm gegenüber war extrem gewesen, so viel war klar. Dann allerdings dachte ich an Josh und was Parker ihm alles angetan hatte. Ich hatte keine große Wahl in der Situation gehabt, in der ich mich platziert hatte. Ich musste mich selbst beschützen und ich wollte nicht, dass Parker Josh jemals wieder etwas tat. Was ich ihm gedroht hatte, würde ich wohl nie durchziehen, aber wenn er sich entscheiden sollte, nicht auf mich zu hören, dann würden Ian und Conrad ihm das Ganze wohl noch einmal erklären müssen.

Die waren zwar keine Schläger, aber wenn mir jemand wehtat, dann war bei den beiden Schluss mit lustig. Falls es tatsächlich dazu kommen sollte, würde ich ihnen wohl von Josh erzählen müssen, aber ich bezweifelte, dass das passieren würde. Ich war mir ziemlich sicher, dass Parker ein kleiner Möchtegerngangster war und nicht ein richtiger Schläger. Seine Stärke zog er aus der Angst seiner Opfer. Er legte sich nur mit den Schwachen an, wie eben mit Josh. Nun hing es von Josh ab, sich zumindest einigermaßen selbstbewusst zu geben, wenn Parker ihn sah. Ich hoffte, er würde das hinbekommen. Falls er das tat, würde Parker sich nicht so schnell trauen, sich wieder mit ihm anzulegen.

So verstand ich die Situation zumindest. Allerdings konnte ich irgendwie nicht das Gefühl loswerden, dass dies doch noch nicht ganz vorbei war.

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Keine Kommis? :smiley:

Naja, heute bin ich mal großzügig, einen Teil gibt es trotzdem.

Eine Enthüllung
Josh

Ich öffnete meine Augen und es dauerte eine Sekunde,
bis ich wahrnahm, dass ich mich in Jacobs Zimmer befand. Die Nachttischuhr zeigte kurz nach fünf. Ich wachte normalerweise nicht so früh auf, aber sonst ging ich ja auch nicht so früh ins Bett, wie ich das letzte Nacht getan hatte. Ich fühlte, wie sich ein Gähnen anbahnte und begann mich zu strecken.

Der einzige Laut, der meinem Mund entwich, war ein gequältes Ächzen. Selbst die kleinste Bewegung ließ meine Arme und meinen Oberkörper schmerzen. Der Nachmittag auf der Farm kam wieder in meine Erinnerung und dann, dass ich dort heute Nachmittag wieder dahingehen würde. Ich stöhnte auf. Verdammt! Warum hatte ich mich noch einmal freiwillig dafür gemeldet? Ich bedauerte es für einen Moment, aber dann dachte ich noch einmal darüber nach.

Dieser Muskelkater war auf jeden Fall erträglicher, als auch nur einziger Tag mit meinen Eltern oder an meiner Schule. Ich überlegte, weiter zu schlafen, aber stellte dann fest, dass ich dafür nicht müde genug war. Vorsichtig setzte ich mich auf und verließ das Bett. Jacob hatte gesagt, dass er sich oft gleichzeitig mit Ian und Conrad fertigmachte, aber die Vorstellung zu duschen, während sich Ian und Conrad im gleichen Raum die Zähne putzten, war mir dann doch etwas zu viel. Also schnappte ich mir Jacobs Handtuch von einem nahestehenden Stuhl und eine Garnitur frische Klamotten aus dem Schrank, bevor ich mich auf den Weg zum Badezimmer machte.

Es dauerte einige Momente, bis ich die richtige Temperatur fand. Endlich bekam ich es genauso hin, wie ich es haben wollte und trat unter den warmen Wasserstrahl. Das heiße Wasser war wie Balsam für meine schmerzenden Muskeln. Ich entspannte mich und ließ das Wasser über meinen Körper fließen.

Nach einigen Minuten realisierte ich, dass Wasser Geld kostete und ich nicht zu lange Duschen konnte. Ich wollte keine Last für Jacobs Eltern sein und ich verhielt mich sowieso schon auffällig genug. Eine Diskussion darüber, wie endlos ich duschte, würde mir da sicherlich nicht weiterhelfen.

Ich wusch mich schnell und trat aus der Dusche. Es war zwar kurz gewesen, aber nichtdestotrotz, diese wenigen Minuten heißen Wassers hatten meinem Körper Wunder getan. Der Schmerz war verschwunden und ich konnte nur noch ein leichtes Ziehen in meinen Muskeln spüren, als ich mich abtrocknete und anzog. Mit noch feuchtem Haar ging ich in die Küche, um eine Schüssel Cornflakes zu essen und ein paar Sandwiches für die Schule zu machen. Ich ließ mir meine Zeit mit dem Essen, weil ich noch beinahe zwei Stunden hatte, bis die Schule anfing. Etwa zwanzig Minuten später kam Jacobs Mutter in die Küche. »Oh, guten Morgen Jacob. Du bist aber früh wach. Hast du schlecht geschlafen?«

Ich lächelte sie an. »Ich habe gut geschlafen. Ich bin einfach nur zu früh aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen.«

»Ach so, okay. Passiert jedem mal«, antwortete sie und begann Frühstück zu machen. Ich hatte sie in der letzten Nacht nicht wirklich gesehen, also warf ich ihr immer wieder heimliche Blicke zu, während sie Spiegelei und Bacon machte und dann später, als sie aß. Sie war eine kleine, rundliche Frau mit einem fröhlichen Lächeln, das ihre Lippen nie zu verlassen schien. Ich hatte keine Ahnung, warum, aber ich konnte nicht anders, als sie zu mögen.

Die Küche füllte sich langsam, bis die ganze Familie sich am kleinen Küchentisch zusammengezwängt hatte. Es gab ein paar kleine Seitengespräche, aber alle waren noch müde, also war der Wortaustausch vorwiegend auf kurze Bitten, etwas herüberzureichen, beschränkt. Ich blieb still und versuchte möglichst müde auszusehen, damit mich keiner ansprechen würde. Niemand schien etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Als es Viertel vor sieben war, stand ich auf und stellte mein Geschirr weg.

Nachdem ich alles im Waschbecken abgelegt hatte, drehte ich mich zur Tür, um die Küche zu verlassen. Vor mir, am Ofen, stand Jacobs Mutter und machte gerade die letzten, verbleibenden Eier. Ich hätte mich zwar theoretisch zwischen ihr und dem Kühlschrank durchquetschen können, aber das erschien mir als zu unhöflich. Ich war unsicher, wie ich an ihr vorbeikommen sollte, aber bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, drehte sie sich mir zu.

»Du gehst heute früher?« fragte sie mich.

»Ja, Ethan hat mich gefragt, ob ich mich vor der Schule mit ihm treffe«, erklärte ich.

»Was der wohl wieder im Schilde führt?« Sie zwinkerte mir zu.

Ich verdrehte meine Augen und grinste sie an. »Bei ihm weiß man das nie so genau.« Irgendwie fühlte ich mich wohl mit Jacobs Mutter. Die Antwort war außerdem nicht weit von der Wahrheit. Ich wollte weitergehen, aber bevor ich reagieren konnte, zog sie mich in eine Umarmung.

Ich war komplett unvorbereitet, beinahe schockiert. Meine Mutter umarmte mich nie. Sie war so distanziert, dass ich mich nicht einmal an das letzte Mal erinnern konnte, an dem ich irgendeinen Körperkontakt mit ihr gehabt hatte. Nicht einmal durch Stoff, etw, wenn man nebeneinandersaß und sich zufällig am Arm streifte. Unser Esstisch war groß und wir saßen weit genug auseinander, sodass es keine Chance auf zufälligen Körperkontakt gab.

Es dauerte eine Sekunde oder zwei, um die Steifheit abzuschütteln, die sich zuerst in meinem Körper ausgebreitet hatte. Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren sollte, aber es schien etwas komplett Normales in Jacobs Familie zu sein, also legte ich meine Arme um sie und erwiderte ihre Umarmung.

Ich kannte sie nicht einmal wirklich, aber ihr so nahe zu sein, fühlte sich irgendwie gut an. Nach einem Moment ließ ich mich in ihre Umarmung sinken, und es fühlte sich an, als würde ich innerlich zerschmelzen.

Ich wusste nicht, wie lange es andauerte. Nur, dass ich wünschte, es würde nie aufhören und dass ich mich weiter an ihr festhalten könnte. Ich fühlte mich warm und sicher, als ob mir nichts mehr wehtun würde. Plötzlich bemerkte ich, wie unüblich ich mich gerade für Jacob benahm und fing an, mich von ihr zu lösen. Sie hielt mich noch einen Moment länger, aber jetzt fühlte es sich irgendwie unangenehm an. Jacob war ihr Sohn, nicht ich, und sie hatte mich nur so umarmt, weil sie dachte, ich wäre Jacob. Ich fühlte mich auf einmal schlecht, so als ob ich ein Eindringling in ihrer Beziehung zu Jacob war, als ob Jacob und ich das Vertrauen brächen, dass sie in ihn hatte.

»Ich wünsche dir einen schönen Tag«, sagte sie zu mir, als sie durch mein Haar wuschelte und mich anlächelte.

Ich versuchte, zurückzulächeln. »Danke, dir auch.«

Mit einem Blick über die Schulter verließ ich die Küche und sah im letzten Moment, wie Ian mir mit einem nachdenklichen Ausdruck auf seinem Gesicht hinterherstarrte. Alle Gedanken, die ich gerade gehabt hatte, verdrängte ich aus meinem Kopf. Wenn ich jetzt anfangen würde, darüber nachzudenken, dann würde ich mich nur noch mehr verraten. Ich konnte mich später damit beschäftigen. Nachdem ich mir die Zähne geputzt hatte, griff ich Jacobs Rucksack und verließ die Wohnung.

Meine Muskeln waren während des Frühstücks erträglich gewesen, aber als ich die Treppe hinunterging und die schwere Haustür aufdrückte, erinnerten sie mich wieder deutlich an die gestrige Arbeit. Es war nicht unerträglich, aber ich würde es definitiv über den Tag merken. Meine Arme und mein Rücken waren am schlimmsten, während meine Beine kaum wehtaten.

Ich ging zu der Straßenecke, an der ich mich mit Ethan verabredet hatte. Er war noch nicht da, aber das hatte ich erwartet, weil ich zu früh war. Während ich auf ihn wartete, klingelte mein Handy. Ich schaute auf das Display und sah, dass es Jacob war. Super! Endlich eine Gelegenheit, über meinen Muskelkater zu meckern. Ich grinste und nahm ab.

Er bot mir an, zurück zu tauschen, sodass ich keinen zweiten Tag auf der Farm arbeiten müsste, aber ich dachte nicht einmal eine Sekunde darüber nach, bevor ich ablehnte. Ich lebte jetzt Jacobs Leben und ein wenig Muskelkater würde mich nicht davon abhalten. Ich wollte keine halben Sachen machen und wenn das etwas Schmerz bedeutete, dann war das halt so. Er tat ja offensichtlich dasselbe für mich. Soweit war es großartig gewesen, in seinen Schuhen zu stecken und meinetwegen könnte es für immer so weitergehen. Es gab ein paar Probleme hier und da, aber im Vergleich zu meinem gewöhnlichen Leben erschienen die unbedeutend.

Dann fing Jacob an, über Philip zu reden und dass er sich anders verhalten habe. Ich war überrascht und einen Moment lang sogar etwas angepisst, dass er sich in dieser Form in mein Leben einmischte. Wenn er total freundlich zu Philip war, dann würde Philip die Veränderung bemerken und vermutlich würde ich ihn dann gar nicht mehr loswerden. Dann erinnerte ich mich an die Umarmung zwischen Jacobs Mutter und mir. Einige Dinge passierten halt einfach und man musste damit leben. Ich hatte auch nicht alles perfekt hinbekommen. Vielleicht hatte er sogar Recht und ich verstand Philip komplett falsch? Ich bezweifelte das, zumindest solange ich es nicht mit eigenen Augen sah. Trotzdem, es konnte wohl nicht schaden, es zu versuchen. Was auch immer Philip dazu brachte, mich in Ruhe zu lassen, war einen Versuch wert. Wir waren gerade fertig mit unserer Unterhaltung, als Ethan ankam.

»Na ja, ich muss los, schönen Tag noch und übernimm dich nicht auf der Farm«, sagte Jacob zu mir.

»Okay, dir auch«, antwortete ich. Bevor ich auflegte fügte ich noch leise hinzu. »Und pass in der Schule auf dich auf.«

»Hey Ethan«, begrüßte ich ihn, als ich mein Handy wieder einsteckte. Er gab mir einen Handschlag und wir gingen zusammen in Richtung der Schultore. Ich grinste ihn an. »Bereit, für einen weiteren Schultag mit mir?«

Er lachte. »Auf jeden! Wie geht’s dir? Hast du den Nachmittag auf der Farm halbwegs überlebt? Muskelkater?«

»Ist ganz okay, nicht zu schlimm«, antwortete ich, weil ich nicht schwach dastehen wollte.

»Gut«, sagte er. »Der Coach wird uns vermutlich eine Auswahl von Dingen geben, die wir tun können, weil das Schuljahr fast vorüber ist. Ich wollte mit dir laufen gehen. Du bist vermutlich gut darin, genauso wie Jacob, und so können wir uns hoffentlich unterhalten, ohne dass uns jemand hören kann.«

Ich stöhnte. »Echt jetzt? Sportunterricht?« Dann realisierte ich, dass ich mir den Stundenplan für Dienstag nicht einmal richtig angeschaut hatte. Jacob hatte montags und freitags je eine Stunde Health und den Rest der Woche Sport, erinnerte ich mich. Unser ganzer Plan war nur für Montag ausgelegt gewesen und danach hatten sich die Dinge zu schnell entwickelt, um alles zu durchdenken. Es war zu spät, um noch irgendwas deswegen zu tun. Ich musste irgendwie einen Weg finden, mit allem, was nun auf mich zukam, fertig zu werden.

»Na ja, das schaffe ich schon irgendwie«, fügte ich hinzu. »Ich habe eine gute Ausdauer vom Schwimmen und ich habe früher Crosslauf gemacht. Mein Muskelkater ist vor allem in meinen Armen, also sollte es gehen.«

»Gut, ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass dich die paar Stunden auf der Farm geplättet hätten«, kommentierte Ethan grinsend.

»Na ja, mal schauen wie es morgen aussieht. Immerhin gehe ich da heute wieder hin«, erwiderte ich und schnitt eine Grimasse.

»Du bist verrückt.« Er schüttelte seinen Kopf. »Warum tust du dir das an? Es ist ja nicht so, als ob du müsstest. Jacob würde jederzeit zurücktauschen, wenn du ihn fragen würdest. Er ist die harte Arbeit gewohnt, für ihn wäre das kein Problem. Ich weiß jetzt schon, dass ich morgen früh nicht in deiner Haut stecken möchte.«

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Lass uns später darüber reden, wir sind fast da.« Ich zeigte vor uns auf das Schultor.

Er nickte und kurz danach schlossen wir uns dem Strom von Studenten an, die sich in eines der Gebäude drängten. Ich entdeckte Sarah und begrüßte sie mit einer Umarmung. »Ich bin’s, Josh meine ich«, flüsterte ich in ihr Ohr.

»Verdammt, schon wieder?« flüsterte sie zurück. »Ich hätte nicht gedacht, dass ihr noch einen Tag macht, nach dem Nachmittag auf der Farm.«

Bevor ich mich aus der Umarmung lösen konnte, fühlte ich ihre Finger an meinen Rippen und sie begann mich zu kitzeln. Ich wand mich, versuchte für einige Sekunden, nicht zu lachen, aber dann wehrte ich mich stattdessen und kitzelte sie zurück. Sie kreischte und floh lachend vor mir.

Als wir zusammen weitergingen, lehnte sie sich zu mir herüber und flüsterte in mein Ohr. »Ich wusste es. Du bist genauso kitzelig wie er.«

Ich stecke meine Zunge heraus und schubste sie spielerisch weg. In dem Moment sah ich ein Gesicht, das mir bekannt vorkam. Er war ein großer Typ mit kurzem, braunen Haar und ein paar Sommersprossen. Ich versuchte mich zu erinnern, warum ich ihn kannte und wie sein Name war. Er hatte am vorherigen Tag mit Ian abgehangen und wir hatten ein paar Worte in der Mittagspause gesprochen. Ich erinnerte mich plötzlich an seinen Namen und ging das Risiko ein.

»Hey Connor«, begrüßte ich ihn.

»Hey J«, antwortete er mit einem Lächeln und nickte mir zu, bevor wir weitergingen. Jeder Zweifel darüber, ob der Schultag gut sein würde, war verschwunden. Das war das erste Mal, dass ich jemanden ganz von mir aus gegrüßt hatte und es war ein großartiges Gefühl; als ob ich gerade einen Riesenschritt gemacht hätte. Ich grüßte mehrere andere Schüler auf den Weg zum Klasseraum und als ich endlich auf meinem Platz neben Ethan saß, konnte ich nicht aufhören zu grinsen.

Keine Stunde später rann der Schweiß in Strömen über meine Stirn und mein T-Shirt klebte an meinem Oberkörper. Eine gnadenlose Sonne brannte auf Ethan und mich herab und keine einzige Wolke war in Sicht, während wir verzweifelt versuchten, die letzte Meile hinter uns zu bringen, bevor die Zeit um war.

»Wenn ich den Penner finde, der darauf bestanden hat, Crosslauf zu machen, bringe ich ihn um«, keuchte Ethan.

Ich gluckste und schaute ihm mit erhobener Augenbraue in die Augen, bevor ich meinen Blick wieder vor meine Füße richtete.

»Ganz genau! Wer auch immer das war, sag‘s mir und ich helfe dir, ihn bei lebendigem Leibe zu häuten«, erwiderte ich ironisch.

Am Anfang der Stunde hatte der Coach uns eine freie Auswahl von Aktivitäten gegeben, genau wie Ethan es vorausgesagt hatte. Er hatte sich begeistert für Crosslauf entschieden. Er schien wirklich wild darauf gewesen zu sein, mit mir zu laufen und reden zu können, ohne dass jemand uns zuhörte. Ich hatte selbstverständlich eingewilligt; zu aufgeregt, um vernünftig darüber nachzudenken.

Sobald wir losgelaufen waren, realisierte ich, dass ich gar keine Idee hatte, worüber ich reden sollte. Ich begann panisch darüber nachzudenken, was ich sagen und wie ich verhindern konnte, mich total zu blamieren. Nach einigen Minuten begann die Gruppe von anderen Schülern, die sich auch für das Laufen entschieden hatten, sich langsam aufzuspalten.

Als es allerdings soweit war, dass wir reden konnten, ohne gehört zu werden, hatten wir andere Probleme. Es war viel zu heiß und obwohl mein Muskelkater vor allem in meinen Armen war, konnte man nicht gerade behaupten, dass ich in bester Verfassung für einen Langlauf war. Anstatt zu reden, konzentrierten wir uns also aufs Laufen und da waren wir: Noch eine Meile vom Ziel entfernt, völlig verschwitzt und komplett erschöpft.

»Wir hätten eine Abkürzung nehmen sollen, solange wir noch konnten«, keuchte ich. »Das hier ist wahnsinnig.«

»Weißt du was?« fragte Ethan mit einem fiesen Grinsen. »Du tust mir irgendwie beinahe leid. Ich kann den Nachmittag chillen und zocken, während du auf der Farm arbeitest.«

»Ich sollte dich freiwillig melden«, grummelte ich.

»Das würdest du nicht wagen«, lachte er.

»Wer weiß«, hechelte ich. »Lass nicht zu viel reden… zu viel Aufwand.«
»Oooh, armer Josh, machst du schon schlapp?« stichelte er mich. Ich verdrehte meine Augen und konzentrierte mich einfach nur auf meine Atmung.

»Beinahe da«, keuchte ich, als wir uns dem Ziel näherten. Ethan fiel in einen Sprint und ich schloss mich ihm an. Erschöpft oder nicht, soviel Kampfgeist hatte ich noch. Als wir endlich das Ziel erreichten, war ich kurz vor einem Zusammenbruch. Ich stütze mich auf Ethan, während ich darauf wartete, dass meine Atmung wieder regelmäßig wurde. Irgendeiner der Hilfscoaches sagte uns unsere Zeit und ließ uns dann wissen, dass die Stunde beinahe um war, wir uns also schon mal umziehen konnten.

Immer noch keuchend gingen wir zur Kabine. Jacobs Schließfach war direkt neben Ethans am Ende des Raumes. Es waren insgesamt vier andere Jungen in der Ecke mit uns, aber davon abgesehen, waren wir ziemlich abgeschottet, dank einer Mauer aus Schließfächern hinter uns. Ich zog mein Shirt aus und öffnete die Tür zu Jacobs Spind. Ethan tat dasselbe und während er sein Shirt über seinen Kopf zog, blickte ich zu ihm herüber.

Nach einem kurzen Kampf, schaffte er es, seinen Kopf aus dem Shirt zu bekommen und ich bückte mich schnell und löste die Schleifen in meinen Schuhen, damit er nicht merkte, dass ich ihn angeschaut hatte. Als ich wieder hochkam, sah ich, wie die anderen vier Jungen sich auszogen und unseren Bereich verließen. Ich folgte ihnen verwundert mit meinen Augen, bis sie verschwanden und dann hörte ich plötzlich das Geräusch von Wasser, das auf den Boden prasselte.

Und da traf mich die grauenerregende Erkenntnis wie ein ungebremster Vierzigtonner. Mein Blick schoss zurück auf das Schließfach und ich sah ein Handtuch direkt vor mir liegen. Für ein paar Sekunden setzte mein Atem einfach aus.

»Worauf wartest du?« fragte Ethan, als er ein Handtuch aus seinem Rucksack zog.

Mein Herz schlug immer schneller.

»Jacob hat nie etwas vom Duschen nach dem Sportunterricht erwähnt«, zischte ich panisch.

Ethan schaute mich verwirrt an. »Na und? Duschst du etwa nicht nach dem Sport?«

»Ich hatte Sport immer in der letzten Stunde oder vor dem Mittagessen«, flüsterte ich, die Panik deutlich in meiner Stimme. »Wir müssen nicht in der Schule duschen, also gehe ich immer gleich nach Sport nach Hause, um da zu duschen.«

»Na ja, wir haben noch eine Stunde vor dem Mittagessen, also ist es wohl besser, jetzt zu duschen.« Ethan zucke mit den Achseln. »Wir sind total durchgeschwitzt und Jacob duscht immer, also wäre es sinnvoll, wenn du das auch tust, denke ich.«

Ich starrte ihn mit großen Augen an. »Verdammt, da bin ich überhaupt nicht drauf gekommen. Ich habe keine Ahnung, ob ich das machen kann. Ich habe das noch nie getan, was wenn…«, ich verstummte.

»Oh«, sagte er, als er endlich kapierte, dass ich total Schiss hatte. »Schau J, ist doch nichts Besonderes dabei. Wirklich! Du gehst halt in die Dusche und dann gehst du wieder raus, das war’s. Da muss man sich über nichts Sorgen machen.«

»Ja, aber was…«, begann ich, aber er unterbrach mich. »Mach dir keinen Kopf. Du schaffst das schon«, versicherte er mir. »Hier bist du Jacob. Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen, weil er immer nach Sport duscht. Es gibt nichts, worüber du nachdenken müsstest. Du tust einfach, was er tut und niemand wird auch nur einen Gedanken daran verschwenden.«

»Muss ich?« fragte ich und hoffte verzweifelt, er würde mir einfach sagen, ich solle es halt lassen.

»Ich denke sogar, dass du es auf jeden Fall tun solltest«, sagte er und grinste mich an. »Es ist wirklich nicht so schlimm. Uns geht die Zeit aus, also solltest du nicht lange darüber nachdenken, sondern es einfach tun.«

Ich seufzte. »Du hast wahrscheinlich Recht. Ich benehme mich kindisch. Es ist halt nur… ach egal«, unterbrach ich mich selbst. Ich würde ihm sicherlich nicht erzählen, dass ich Angst hatte, einen Ständer zu bekommen, wenn ich mit zwanzig nackten und überwiegend gutaussehenden Jungs in meinem Alter unter der Dusche war.

Ich drehte mich von ihm weg und hakte mein Daumen in den Bund meiner Boxershorts. Es konnte doch nicht so schwierig sein, oder? Es war etwas total Normales für die meisten Leute, also warum machte ich so ein großes Theater deswegen? Ich zögerte noch einen weiteren Augenblick, aber dann fasste ich einen Entschluss und schob die Boxershorts nach unten. Ich hatte meine Grenzen so oft überwunden, seit ich Jacob getroffen hatte, das hier war nur ein weiterer Schritt auf dem Weg dazu, eine neue Person zu werden, auf dem Weg dahin, Jacobs Zwilling zu sein.

Als ich aus meinen Boxershorts trat fühlte ich mich irgendwie total ungeschützt. Ich bedeckte mich schnell mit einem Handtuch und drehte mich zurück zu Ethan. Er stand immer noch dort und beobachtete mich. Ich wartete darauf, dass er sich bewegte, sich auszog und zum Duschraum ging, aber er tat nichts dergleichen.

»Was?« fragte ich mit einem verwirrten Blick.

»Mir ist gerade etwas eingefallen, als du die Boxershorts ausgezogen hast«, bemerkte er.

»Und was wäre das?« fragte ich nervös.

»Nimm mal bitte das Handtuch für einen Moment weg.«

»Was? Warum?« erwiderte ich schockiert. Warum würde er das wollen?

»Ach, komm schon, du bist eh gleich ganz nackt, sobald wir unter die Dusche gehen, also stell dich nicht so an. Mir ist nur gerade eingefallen, dass es da ein kleines Detail gibt, das unser Geheimnis verraten könnte.«

»Was denn genau?« fragte ich langsam.

»Wissen wir überhaupt, ob Jacob und du beide beschnitten oder unbeschnitten sind? Vielleicht bist du ja auch rasiert und Jacob ist es nicht?« Er grinste. »Das könnte ziemlich schwer zu erklären sein.«

»Na ja, dann sag halt, ist er’s oder ist er’s nicht?« fragte ich, vermutlich etwas übereifrig. Ich erkannte eine großartige Chance, dem hier zu entkommen. Ich konnte ihm einfach sagen, dass ich das Gegenteil von Jacob war und dann könnte ich nicht duschen gehen. Es war nicht so, dass ich unbedingt verschwitzt zur nächsten Unterrichtsstunde gehen wollte, aber in dem Moment konnte ich nicht wirklich klar denken. Die ganze Sache mit dem nackt duschen hatte mich komplett überrascht und ich hatte immer noch Angst davor.

»Oh nein, ganz sicher nicht«, schalt Ethan mich, fast als ob er meine Gedanken lesen konnte. »Kein Schummeln erlaubt. Ich weiß, was du planst. Du hast dich dazu entschieden, Jacob zu sein, also steh auch dazu. Das hier gehört genauso dazu, wie in seinem Bett zu schlafen oder das leckere Essen seiner Tante zu verschlingen.«

Ich wollte ihm widersprechen, aber er hatte Recht und ich konnte keine guten Gründe gegen seine Logik finden. Ich zögerte noch ein paar weitere Sekunden und er gab mir ein beruhigendes Lächeln. »Keine Sorge, hier laufen nur Jungs herum. Wir haben alle das gleiche Equipment. Na ja, mehr oder weniger zumindest. Also, weg mit dem Handtuch?« Als er ausgesprochen hatte, gab er mir seinen besten Hundebabyblick.

Ich starrte ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht und nickte langsam. Mir fiel keine Möglichkeit ein, aus dieser Situation zu entkommen. Nachdem ich einen tiefen Atemzug genommen hatte, löste ich das Handtuch von meiner Hüfte und hielt es in meinen Händen, sodass er alles von mir sehen konnte. Ich spürte, wie mein Kopf knallrot wurde und ich wendete meinen Blick ab. Irgendwie traute ich mich nicht, ihn anzuschauen, während er meinen nackten Körper betrachtete.

Ich konnte seine Augen regelrecht spüren, beinahe als seien sie Finger auf meiner Haut. Um mich abzulenken, begann ich, die Fliesen auf dem Boden zu zählen, in der Hoffnung, dass er etwas sagen würde. Die Sekunden tickten unendlich langsam vorbei. Irgendwann konnte ich die Spannung nicht mehr ertragen und schaute zu ihm auf. Er grinste mich breit an und seine Augen funkelten. Genoss er das hier etwa?

Ich öffnete meinen Mund, aber er war schneller. »Sieht gut aus. Lass uns gehen.«

Er drehte sich um, zog seine Boxershorts aus und griff sein Handtuch. Dann drehte er seinen Kopf zu mir zurück, zwinkerte mir zu und schlenderte in Richtung der Duschen. Ich stand noch eine Sekunde lang da und dachte über seine Worte nach. »Sieht gut aus.« Er hatte sich Zeit gelassen, meinen Körper anzuschauen. Bildete ich mir das nur ein, oder hatte es eine tiefere Bedeutung?

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Nach dem Sport zu duschen, habe ich auch immer gehasst.

Uuuhh, wie könnte man den Kommentar von Ethan verstehen? War das ein Kompliment? Hat er sich nicht denken können, welche Sorge Josch hat?

Bin gespannt, wie er den 2. Tag auf der Farm übersteht und was noch alles in der Schule passiert.

LG nobody.

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Hey!

danke für den Review. Und ja, ich fand nur den Gedanken schon furchtbar. Inzwischen ist mir das total egal :smiley:

Kapitel: Cody

Josh

Es war definitiv nicht der richtige Moment, um darüber nachzudenken, ob ich Chancen bei Ethan hatte. Ich zwang meine Beine dazu, sich zu bewegen und holte auf. Inzwischen war der Umkleideraum beinahe leer. Fast jeder war entweder in der Dusche oder kam bereits zurück. Außer uns war nur noch ein anderer Schüler auf unserer Seite des Raumes übrig.

Als Ethan und ich an ihm vorbeigingen, schloss er sich uns an. Es schien beinahe so, als hätte er auf uns gewartet. Ich schaute ihn kurz an und dann erinnerte ich mich, dass sein Name Cody war und dass er neu an der Schule war. Er war gerade erst hierhergezogen und hatte immer noch Probleme, sich hier einzufinden. Ich hatte noch nicht mit ihm gesprochen, aber anders als die meisten unserer Mitschüler hatte Ethan immer Wert darauf gelegt, nett zu ihm zu sein.

Er war ungefähr so groß wie ich und, genauso wie ich, nicht unbedingt muskulös. Sein Körper und seine Bewegungen hatten einen leicht femininen Hauch, aber gerade so nicht genug, um ihn schwul aussehen zu lassen. Es machte ihn allerdings irgendwie süß. Er schien ganz in Ordnung zu sein, wenn auch etwas zurückhaltend.

Ich hielt mich nah bei Ethan und nahm die Dusche zu seiner Rechten. Ich wagte es nicht, mich umzuschauen oder gar irgendwen genauer anzusehen, nicht einmal Ethan.

Meine Angst, dabei erwischt zu werden, war zu groß. Meine frühere Sorge, einen Ständer zu bekommen, erwies sich als grundlos. Ich war viel zu nervös und selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre es mir wahrscheinlich unmöglich gewesen, einen hoch zu bekommen.

Mit dem Gesicht zur Wand begann ich meinen Körper zu waschen. Als ich nach dem Shampoo auf der Seifenablage zwischen Ethan und mir griff, zwang ich mich, meinen Blick nicht nach unten wandern zu lassen. Auch wenn im Moment alles gut war, wollte ich das Risiko lieber nicht eingehen. Ich war gerade dabei, das Shampoo aus meinem Haar zu waschen, als ich eine laute, aggressive Stimme von der anderen Seite des Duschraumes hörte.

»Hey, du Schwuchtel! Hast du eben meinen Schwanz angestarrt?«

Ich zuckte zusammen und drehte meinen Kopf gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie ein großer Typ Cody gegen die Wand stieß.

»Hört mal alle, Cody ist 'ne kleine Schwuchtel«, rief er. Genau deswegen mied ich die Duschen in meiner Schule. Ich war dazwischen hin- und hergerissen, Mitleid für Cody zu empfinden und froh zu sein, dass es nicht mich erwischt hatte.

»Alter Jenkins, halt’s Maul«, rief Ethan mit einer total genervten Stimme, als er ein paar Schritte in ihre Richtung tat. Alle im Raum richteten ihre Blicke auf Ethan, gespannt was als nächstes passieren würde.

Ich schaute voller Bewunderung auf seinen Rücken. Ethan war klein, nur etwa 1,60m, und dieser Jenkins war ein Gigant im Vergleich zu ihm. Trotzdem war er, von allen Leuten im Raum, derjenige, der sich Jenkins entgegenstellte; und das auch nicht einfach so, sondern splitterfasernackt, während ihn alle anstarrten.

»Lass ihn los«, verlangte Ethan. »Alter, du hast dir das eingebildet. Wer würde denn bitte deinen Mikropenis angaffen wollen? Selbst wenn ich schwul wäre, hätte ich da kein Interesse dran.«

Jenkins’ Gesicht nahm einen bedrohlich finsteren Ausdruck an und er machte einen Schritt in Ethans Richtung, seine rechte Hand immer noch in einem eisernen Griff um Codys Arm. Meine Muskeln spannten sich an und mein Körper bereitete sich darauf vor, Ethan zu helfen, falls Jenkins ihn angriff. Ich hatte keine Ahnung, warum ich so reagierte. Normalerweise hätte ich mich im nächsten Loch verkrochen, aber diesmal war das anders. Es war er gegen uns, Kämpfen oder Verlieren. Falls ich mich hätte prügeln müssen, um Ethan zu verteidigen, hätte ich es getan. Ich war so darauf konzentriert, mir war nicht einmal mehr bewusst, dass ich nackt war.

Jenkins starrte Ethan an, immer noch ein wenig überrascht, dass jemand es wagte, ihn herauszufordern. Ethan drehte seinen Kopf erst zur einen Seite, dann zur anderen und nahm direkten Augenkontakt mit mehreren Jungen auf. Als er zu mir zurückschaute, konnte ich sehen, dass er ein breites Grinsen auf den Lippen hatte.

»Ist doch wahr, oder nicht?« fragte er mit einem leichten Lachen.

»Recht hat er damit«, pflichtete ein anderer Schüler bei. »Man Jenkins, was ist dein Problem? Selbst wenn Cody schwul wäre, na und? Ist mir doch egal. Lass ihn in Ruhe.«

Ein paar andere nickten und Jenkins’ Gesicht verhärtete sich. Nach ein paar Sekunden ließ er Cody endlich los. »Spinner«, murmelte er, bevor er sich sein Handtuch schnappte und in den Umkleideraum verschwand. Die Spannung im Raum verebbte so schnell, wie sie gekommen war und jeder duschte weiter, als wäre nichts passiert. Nur Ethan stand dort noch ein paar Momente und starrte Jenkins nach.

Ich realisierte plötzlich, dass ich immer noch nackt war und wendete mich wieder der Wand zu, um mich so schnell es ging zu waschen. Trotz des heißen Wassers, zitterte ich leicht. Etwa eine Minute später, machte ich die Dusche aus, schnappte mein Handtuch und machte mich auf den Weg zurück zum Umkleideraum. Als Ethan dazukam, war ich beinahe fertig angezogen. Ich setzte mich auf die Bank, drehte mein Gesicht von ihm weg, und schnappte meine Schuhe.

Beim Binden der Schnürsenkel ließ ich mir Zeit. Ohne herüberzuschauen, wartete ich darauf, dass Ethan sich fertig abgetrocknet und angezogen hatte. Die Szene, die sich gerade abgespielt hatte, wiederholte sich endlos in meinem Kopf. Ich war froh, dass es nicht zum Kampf gekommen war, aber wenn es so gewesen wäre, hätte ich Ethan geholfen. Das Zittern ließ langsam nach und hörte dann endlich ganz auf, aber ein komisches, negatives Gefühl verblieb, als ob die Angst einen bitteren Nachgeschmack in mir hinterlassen hätte.

Die Emotion war allerdings vermischt mit einer gehörigen Portion Stolz. Der Rollentausch mit Jacob hatte mich selbst in einer so kurzen Zeit merklich verändert. Vor einer Stunde hätte ich mir gar nicht vorstellen können, mich vor irgendwem auszuziehen, außer vielleicht beim Arzt. Ich hatte Angst davor gehabt. Jetzt hatte ich nicht nur nackt vor etwa zwanzig Leuten geduscht, ich hätte mich auch noch fast nackt geprügelt, nur um Ethan zu beschützen. Zugegebenermaßen, ich hatte ziemlich Schiss gehabt, aber anders als sonst, war ich nicht eingefroren. Vermutlich, weil Ethan den ersten Schritt getan hatte und weil er es war, der bedroht wurde, nicht ich.

Ich drehte meinen Kopf und schaute ihn an. Er hatte sich fertig angezogen und saß gedankenverloren auf der Bank. Ich stand auf und räusperte mich, aber er reagierte nicht.

»Hey«, sagte ich schließlich. »Wollen wir los?«

Es dauerte einige Sekunden, bevor er reagierte und mich etwas verwirrt anschaute. »Hä?«

»Na, was denkst du gerade?« fragte ich mit einem Grinsen.

Einen Moment lang schaute er mich an, als ob er erwägen würde, mir tatsächlich zu erzählen, worüber er nachgedacht hatte, aber dann schüttelte er seinen Kopf. »Ist egal. Wollen wir?«

Ich überlegte, ob ich nachbohren sollte, aber bevor ich etwas sagen konnte, grinste er mich an und stand auf. »Na los! Wir müssen rechtzeitig zur nächsten Stunde kommen.«

Er war wieder zurück zu seinem alten, energetischen Selbst und hüpfte förmlich durch den Raum und durch die Tür heraus, ohne auch nur zu gucken, ob ich ihm folgte. Ich schüttelte meinen Kopf, schnappte meinen Rucksack und versuchte ihn einzuholen. Als ich in den Flur trat, sah ich ihn auf mich warten. Ich blieb stehen und ließ meinen Blick über seinen wunderschönen Körper gleiten und einige Sekunden lang bereute ich, dass ich ihn nicht richtig angeschaut hatte, während er nackt gewesen war. Über die ganze Zeit hatte ich ihm nicht einmal einen flüchtigen Blick gegeben, zumindest nicht absichtlich.

Meine Augen hatten natürlich seinen Körper ein paar Mal gestreift, aber ich konnte mich kaum daran erinnern, was ich gesehen hatte. Vielleicht würde ich nächstes Mal, wenn wir zusammen Sport hatten, weniger aufgeregt und besorgt sein? Ich ließ den Gedanken sofort wieder fallen. Irgendwie erschien es mir falsch, ihn einfach so anzuschauen, während er nackt war und außerdem hatte ich viel zu viel Angst, dass er mich dabei erwischen würde.

Ich ging den Gang hinunter und als ich ihn erreichte, schloss er sich mir an. Nach einigen Schritten lehnte er sich zu mir herüber und legte einen Arm um meine Hüfte. »Siehst du? War doch gar nicht so schlimm, oder?« flüsterte er und zwinkerte mir zu.

Ich errötete, aber dann schubste ich ihn spielerisch weg und lachte. »Ach egal.«

Wir verließen das Gebäude und gingen über den Schulhof. Ethan schaute sich um, falls jemand nach genug war, um uns zu hören, bevor er sich wieder mir zuwandte. »Du solltest den Stundenplan besser auf weitere Überraschungen prüfen. Wer weiß, was wir noch alles so vergessen haben.«

Ich nickte und blieb stehen, um Jacobs Stundenplan aus dem Rucksack hervor zu kramen. Als wir uns wieder bewegten, schaute ich mir den Plan für den Tag genauer an. »Sieht gut aus. Obwohl, Französisch könnte ein Problem darstellen. Ich bekomme die Aussprache von meinen eigenen Sachen immer noch nicht richtig hin und Jacob ist mir zwei Jahre voraus. Ich werde das vermutlich total vermasseln.«

»Oh, oh, das ist nicht gut«, bemerkte Ethan. »Die Lehrerin liebt es, Französisch zu sprechen. Früher oder später wird sie dich ansprechen und du wirst kein Wort verstehen.«

Ich schüttelte meinen Kopf. »Boah sind wir schlecht. Wir kann man nur so etwas Offensichtliches vergessen?«

»Na ja, jetzt können wir das auch nicht mehr ändern«, kommentierte Ethan mit einem Grinsen. »Wann sind Jacobs Französischstunden nochmal genau?«

»Heute, Mittwoch und Donnerstag, immer die Stunde nach dem Mittagessen«, antwortete ich.

»Schick Jacob eine SMS und frag ihn was du tun sollst.«

Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und schickte Jacob eine SMS in der ich das Problem erklärte. Gerade als wir uns im nächsten Klassenraum setzten, fühlte ich, wie mein Handy vibrierte und zog es wieder hervor, um zu schauen, was Jacob geschrieben hatte.

Schwänz einfach. Sag Sarah, sie soll Bescheid sagen, dass du krank bist. Ich kümmere mich dann morgen um den Rest, aber das sollte kein Problem sein. Ich habe vorher nie gefehlt, also schreibt die das nur auf und das war’s.

Der Unterricht hatte noch nicht begonnen. Die Lehrerin war damit beschäftigt mit einigen Schülern zu sprechen, also stand ich auf und ging zu Sarahs Tisch in der ersten Reihe. Sie unterhielt sich mit einigen Mädchen, aber sobald sie mich kommen sah, hörte sie auf zu reden und schaute mich erwartungsvoll an. Daraufhin unterbrachen die anderen Mädchen ebenfalls ihr Gespräch und folgten Sarahs Blick. Ich fühlte mich plötzlich total unsicher und blieb wie angewurzelt stehen. Nach einem kurzen Moment realisierte ich, dass ich mich nicht einfach umdrehen und weggehen konnte, ohne verdammt dumm auszusehen, also zwang ich mich, die letzten Schritte zu gehen und lächelte Sarah an.

»Hey«, sagte ich und hielt ihr das Handy mit der SMS hin. Sie stand auf, während sie es entgegennahm, sodass die anderen Mädchen ihr beim Lesen nicht über die Schulter schauen konnten.

Als sie fertiggelesen hatte, nickte sie mir zu und gab das Handy zurück. »Geht klar.«

Ich ließ das Handy in meine Tasche gleiten und ging zurück zu Jacobs Tisch am hinteren Ende des Raums. Als ich mich auf meinem Stuhl neben Ethan setzte, fielen meine Augen auf Cody, der gerade vor uns Platz genommen hatte. Er drehte sich um und schaute Ethan an, als ob er etwas sagen wolle, aber bevor er seinen Mund öffnen konnte, begann die Lehrerin den Unterricht.

Cody wandte sich wieder der Lehrerin zu und wir mussten uns einen einschläfernden Vortrag über irgendwelche mathematischen Formeln anhören. Ich versuchte dem Unterricht zu folgen, aber letzten Endes starrte ich doch nur aus dem Fenster. Ich war in einem viel höheren Mathekurs als Jacob, also war das hier alles Kindergarten für mich.

Nach zehn endlosen Minuten verteilte die Lehrerin Übungsaufgaben für die anstehende Abschlussklausur. Als sie damit fertig war und wieder zum Lehrertisch zurückgekehrt war, öffnete sie eine Zeitung und begann zu lesen, während die Schüler an den Aufgaben arbeiteten. Sobald sie das tat, drehte sich Cody wieder zu uns um.

»Vielen Dank für… was du vorhin getan hast. Das war ziemlich mutig«, flüsterte er Ethan zu.

»Kein Problem«, flüsterte Ethan zurück. »Jenkins ist ein Arschloch und irgendwer musste es ja tun.«

»Na ja, trotzdem. Danke!« wiederholte Cody und dann wurde er rot. »Das war so peinlich, ich wäre am liebsten im Boden versunken.«

»Hey, warum isst du heute nicht zusammen mit uns Mittag?« schlug ich vor, bevor Ethan irgendetwas sagen konnte.

Cody runzelte die Stirn. »Einige Leute denken, dass ich schwul bin. Sie könnten dasselbe über euch denken, wenn sie uns zusammen sehen. Ich will keine Probleme für euch verursachen.«

»Du machst dir zu viele Sorgen«, widersprach ihm Ethan. »Keiner wird denken, dass wir schwul sind, nur, weil du bei uns sitzt. Außerdem hält mich das, was andere denken, nicht davon ab, mich mit jemandem anzufreunden.«

Cody lächelte und schaute zu mir. »Und du?«

Ich war immer noch dabei, darüber nachzudenken, was er gerade gesagt hatte und starrte ihn einfach nur an. Nach einigen Sekunden merkte ich, dass mir die Zeit ausging und räusperte mich. »Ähm, sehe ich auch so.«

»Vielen Dank. Ich bin froh, dass euch das nicht stört. Ihr seid super!« sagte Cody. »Na ja, ich mache mich mal an die Matheaufgaben.«

Damit wandte er sich wieder seinem Tisch zu. Ich schaute noch einen Moment auf seinen Rücken. War das gerade wirklich eine gute Idee gewesen? Er schien okay zu sein, aber ich wollte Jacob keine Probleme bereiten. Er hatte gesagt, seine Brüder wären nicht unbedingt tolerant. Wenn die Gerüchte über Cody wahr waren, dann würde Jacob die Reaktion seiner Brüder abbekommen. Oder vielleicht würde ich es sein, den sie deswegen zur Rede stellten. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich darauf vorbereitet war.

Ich seufzte. Jetzt war es sowieso zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Ich konnte ihm ja wohl kaum sagen, dass ich mich anders entschieden hatte und nicht mit ihm gesehen werden wollte. Möglichst unauffällig schrieb ich ein paar Wörter auf einen Papierfetzen und schob ihn zu Ethan herüber.

Was weiß Jacob alles über Cody?

Während Ethan den Zettel nahm, begann ich, meine Matheaufgaben zu lösen. Ich hörte nicht auf, bis ich alles erledigt hatte und als ich von den Blättern aufblickte, sah ich, dass Ethan mir eine Antwort geschrieben hatte. Ich schob meine Lösungen zu ihm herüber und faltete den Papierfetzen auseinander, den er mir hingelegt hatte.

Nicht viel. Er ist von Kalifornien hierhergezogen, heißt Cody Thomas und hat einen kleinen Bruder. Soweit ich weiß, haben sie sich nie groß unterhalten. Cody war bis heute ziemlich zurückhaltend. Gute Idee, ihn zu fragen, ob er mit uns essen will!

In der Mittagspause setzten wir uns an einen kleinen, abgeschiedenen Tisch für vier in einer Ecke der Kantine. Cody und ich aßen unsere mitgebrachten Sandwiches, während Ethan und Sarah sich an den Schulfraß trauten.

»Und, wie gefällt es dir so in Albany?« fragte ich Cody.

Er hatte gerade erst von seinem Sandwich abgebissen, also signalisierte er mit seiner Hand, ich solle warten, kaute ein paar Sekunden und schluckte. Als er endlich fertig war, räusperte er sich.

»Ist ganz okay, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich die Winter hier überleben werde«, grinste er. »LA war super, aber Albany ist auch eine schöne Stadt und die Schule ist nicht so schlimm, wie ich es erwartet hätte. Ich bin einfach nur froh, dass meine Eltern nicht nach Texas oder so ziehen mussten.«

»Was meinst du damit? Umziehen müssen? Und warum nicht Texas?« fragte ich.

Er lehnte sich zurück und legte sein Sandwich beiseite. »Mein Vater arbeitet für ein Großunternehmen. Deswegen ziehen wir alle paar Jahre um. Dieses Mal hat er versprochen, dass wir nicht wieder umziehen würden, bis ich mit der High-School fertig bin.«

Er schaute Ethan an. »Idioten wie Jenkins gibt es überall, aber an manchen Orten sind sie in der Minderheit, wie hier, und an anderen Orten sind sie halt in der Mehrheit. Deshalb bin ich froh, dass ich hier gelandet bin und nicht an einem der… eher intoleranten Orte.«

»Was ist mit Jenkins?« wollte Sarah wissen.

»Ach, der ist ein Arschloch, sonst nichts«, erwiderte Ethan.

Sarah rollte mit ihren Augen. »Was hat er diesmal gemacht?«

Ethan blickte zu Cody, offensichtlich unsicher, ob er Sarah erzählen sollte, was in dem Duschraum passiert war. Nach einigen Sekunden schaute Sarah mich an, aber ich sagte auch nichts. Ich war mir nicht sicher, ob es angemessen war, einem Mädchen zu erzählen, was sich in den Jungenduschen abspielte. Dazu kam, dass es mir an Codys Stelle viel zu peinlich gewesen wäre, auch nur ein weiteres Wort über die ganze Sache zu hören. Cody zögerte ebenfalls, aber als Sarah ihn anschaute, zuckte er mit den Achseln. »Er hat mich 'ne Schwuchtel genannt.«

»Wie hast du reagiert?« fragte Sarah wissbegierig.

»Ich habe gar nichts getan. Ethan hat ihm gesagt, er solle sich verpissen, bevor ich eine Chance hatte, zu antworten«, sagte Cody. Er grinste und wandte sich Ethan zu. »Danke nochmal dafür.«

Ethan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kein Ding.«

Keiner schien zu wissen, was er sagen sollte, also aßen wir still weiter. Als Sarah aufgegessen hatte, wandte sie sich Cody zu. »Ich habe allerdings auch ein paar Gerüchte gehört. Ist es wahr? Bist du schwul? Wenn es dich nicht stört, dass ich frage…«

Cody hob eine Augenbraue. »Macht das einen Unterschied? Warum würdest du das wissen wollen?«

Sarah öffnete ihren Mund, aber schloss ihn dann wieder, überrascht von der Gegenfrage. Cody schaute sie weiter fragend an und als er seinen Blick nicht senkte, sprach sie endlich. »Ich weiß auch nicht. Ich war einfach nur neugierig.«

»Wenn du es unbedingt wissen musst, es ist wahr: Ich bin schwul. Ist das ein Problem?«

»Natürlich nicht!« sagte Sarah. »Ich war einfach nur neugierig.«

Cody grinste. »Warum denn neugierig? Bist du lesbisch?«

»Äh… ähm, nein, bin ich nicht… warum denkst du das?« stotterte Sarah, während ihr Gesicht knallrot wurde.

Codys Grinsen wurde immer größer. »Also hast du gefragt, weil einer der beiden schwul ist?« Er zeigte auf Ethan und mich. »Ich meine, warum würdest du sonst fragen, wenn nicht deswegen?«

Sarah glotze ihn sprachlos an und Ethan räusperte sich, aber bevor er irgendetwas sagen konnte, lachte Cody. »Ihr solltet mal eure Gesichter sehen. Der Blick ist zu gut!«

Er wandte sich mir zu. »Was macht ihr so in eurer Freizeit?«

»Ach, einfach nur abhängen und so«, antwortete ich. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich von diesem mehr als offensichtlichen Themenwechsel halten sollte. Ich war froh, dass er mich nicht direkt gefragt hatte, ob ich schwul war, aber ich hätte nichts dagegen gehabt, Ethans Antwort zu hören.

»Meistens zocken wir Xbox bei mir, gehen ins Freibad oder spielen Basketball mit Jacobs Brüdern«, fügte Ethan hinzu.

»Cool! Habt ihr Bock zu mir zu kommen? Vielleicht heute Nachmittag?« schlug Cody vor. »Ich hab 'ne PS3 und so weiter. Ich bin zwar, was Basketball betrifft, nicht gerade begabt, aber wir können trotzdem spielen, wenn ihr wollt. Mein kleiner Bruder spielt und daher haben wir einen Korb in der Einfahrt stehen.«

»Klingt gut«, sagte ich. »Aber ich muss heute meiner Tante auf der Farm helfen. Vielleicht ein andermal?«

Cody nickte. »Okay. Was ist mit dir Ethan? Hast du Zeit?«

Ethan begann etwas zu sagen, aber ich unterbrach ihn. »Eigentlich wollte ich Ethan bitten, mir auf der Farm zu helfen.« Ich grinste. »Er schuldet mir das noch, dafür dass er mich überredet hat, Crosslauf zu machen. Mir tut immer noch alles weh.«

Ich wandte mich Ethan zu und schaute ihn bettelnd an. »Hilfst du mir? Bitte?«

»Ich habe heute auch nicht wirklich Zeit«, warf Sarah ein.

Ethan schaute unentschlossen zwischen mir und Cody hin und her. Schließlich seufzte er. »In Ordnung, ich helfe dir. Ich schätze, das bin ich dir schuldig. Tut mir leid Cody, wir können ein andermal zu dir kommen. Wie wär’s mit Freitag?«

»Klingt gut«, stimmte Cody glücklich zu. Ich warf Ethan einen dankbaren Blick zu und als er das sah, lächelte er zurück.

»Wir müssen los«, sagte Sarah, bevor irgendetwas anderes passieren konnte. »Die Pause ist fast vorbei.«

Wir standen auf und packten unsere Sachen zusammen. Am Ausgang der Kantine umarmte ich Sarah. »Vergiss nicht, der Französischlehrerin Bescheid zu sagen, dass ich krank bin. Bis morgen.« Ich gab Ethan einen Handschlag und sagte ihm, dass er sich nach der Schule mit mir auf dem Parkplatz treffen solle.

Ethan und Sarah gingen los und ich wandte mich Cody zu. »Bis morgen, und ich freue mich schon auf Freitag.«

»Ich mich auch, bis dann«, antwortete er und verabschiede mich ebenfalls einen Handschlag. Ich machte mich auf den Weg zu Jacobs Spind und plötzlich bekam ich eine Idee. Normalerweise hätte ich nie Unterricht geschwänzt, aber heute war nicht normalerweise. Ich würde sowieso in Französisch fehlen und nach allem, was heute passiert war, hatte ich Lust, mal etwas Untypisches für mich zu tun. Ich zog mein Handy hervor und sendete Jacob eine SMS.

Hey, Bock, einfach ganz zu schwänzen und dich stattdessen mit mir im Park zu treffen?

Wir hatten zur gleichen Zeit Mittagspause, also kam seine Antwort beinahe sofort. Bist du dir sicher? Was wenn deine Eltern das herausfinden? Gibt das nicht Probleme?

Ich grinste. Passt schon. Außerdem, wen interessiert’s? Es ist Zeit, einfach mal etwas anderes zu machen. Es ist mir echt egal, was meine Eltern denken! Wir sehen uns in 10 Minuten! :slight_smile:

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Und weil es gerade so schön ist, gibt es heute einen Doppelpost!

Gefährliche Geheimnisse

Jacob

»Hey, wie war dein Tag bisher?« fragte Josh, während er mich brüderlich umarmte.

»Ganz okay, denke ich.« Ich erwog, ihm zu erzählen, was mit Parker passiert war, aber entschied mich dagegen. Er schien fröhlich zu sein und ich wollte ihm nicht die Stimmung versauen, indem ich über dieses Arschloch redete. Ich würde ihm ein andermal davon erzählen. »Wie ist bei dir so gewesen?«

Wir setzten uns und er grinste. »Super! Ich genieße das total.«

Ich lächelte. Es war schön zu hören, dass es ihm gefiel. Er schien irgendwie verändert; selbstbewusster, glücklicher. Anscheinend hatte mein Plan, sein Leben ein wenig einfacher zu machen, soweit funktioniert. Ich hatte mich um Philip und Parker gekümmert und nun musste er nur noch selbstsicherer werden.

»Irgendwelche Probleme?« fragte ich.

Sein fröhlicher Gesichtsausdruck verblasste ein wenig. »Na ja. Du hättest mich ruhig über das Duschen nach dem Sport warnen können« Aber dann kam sein Lächeln zurück. »Aber es ist alles gut gegangen. Ich habe überlebt, also ist alles in Ordnung, denke ich.«

»Wovor hätte ich dich genau warnen sollen?« fragte ich verwirrt.

»Ähm, dass du nach Sport duscht halt. Ich mache das normalerweise nicht. Keiner aus meiner Klasse tut das, wie du vielleicht bemerkt hast, weil Sport in der letzten Stunde ist und bisher habe ich es immer vermeiden können«, erklärte er.

»Oh, tut mir leid«, sagte ich ehrlich. Dass musste ein ziemlicher Schock für ihn gewesen sein, wenn man bedachte, wie schüchtern und zurückgezogen er sonst war. Er grinste allerdings nur. »Keine Sorge. Zuerst war es ziemlich beängstigend, aber dann habe ich’s einfach gemacht und das fühlt sich jetzt irgendwie gut an. Es ist gar nicht so schlimm, schätze ich. Allerdings wird es wohl eine Weile dauern, bis ich mich wirklich daran gewöhne.«

Ich schmunzelte. »Ich weiß, was du meinst. Inzwischen ist es total normal für mich, aber als ich das zum ersten Mal gemacht habe, musste ich mich auch überwinden.« Dann dachte ich einen Moment nach. »Solltest du das nicht eigentlich total gut finden? Du bist doch immerhin schwul!«

Er gab mir einen strafenden Blick. »Ernsthaft? Ich habe nicht mal irgendwen angeschaut. Ich hatte viel zu viel Angst, 'nen Ständer zu bekommen oder so. Es war einfach nur peinlich, sonst nichts.«

»Na ja, aber das ist normal«, sagte ich. Verschwörerisch lehnte ich mich zu ihm herüber und sagte beinahe flüsternd. »Kaum zu glauben, aber selbst Ethan war total nervös, als er sich das erste Mal zum Duschen ausziehen musste, damals als wir noch Freshmen waren. Er war ein Spätzünder, vermutlich deswegen. Aber sag niemandem, dass ich dir das verraten habe, das würde er mir nie verzeihen.« Ich zwinkerte ihm zu.

»Das ist wirklich schwer vorstellbar«, gluckste er und dann wurde er plötzlich still und schaute herunter auf den Boden, während er rot im Gesicht wurde.

»Was?« fragte ich ihn.

»Ach, nichts Wichtiges«, antwortete er hastig. »Ach übrigens, erinnerst du dich an Cody?«

»Der Neue? Was ist mit ihm?«

»Er ist ganz in Ordnung. Wir, also Ethan, Sarah, er und ich, haben uns in der Mittagspause unterhalten und er hat uns eingeladen, zu ihm nach Hause zu kommen«, erzählte er aufgeregt. Er zögerte einen Moment. »Er ist allerdings schwul. Ich hoffe, du hast nichts dagegen. Ich wusste es nicht, bis wir schon zusammen in der Kantine saßen und dann konnte ich schlecht aufstehen und weggehen. Ethan hatte überhaupt kein Problem damit, also habe ich mich ihm einfach angeschlossen. Ich mache mir nur Sorgen, dass es ein Problem mit deinen Brüdern geben könnte.«

Ich dachte einen Moment darüber nach. Wenn Ethan diesen Typen mochte, konnte ich es eh nicht vermeiden, mit ihm abzuhängen. »Die werden sich da schon mit abfinden müssen. Falls sie fragen, schieb die Schuld einfach auf Ethan, okay?«

»Okay, super!« sagte er und schien erleichtert.

»Magst du ihn etwa?« fragte ich argwöhnisch.

»Äh Cody? Ich weiß nicht, er scheint ganz in Ordnung zu sein«, sagte er, aber dann schnitt er eine Grimasse. »Ach so, das meinst du. Keine Sorge, er ist nicht mein Typ.«

»Gut.« Ich seufzte. »Es ist eine Sache Ian und Conrad zu sagen, dass es mein Problem ist, mit wem ich abhänge, aber es ist etwas anderes, wenn du mit dem Typen flirtest, oder so.«

Er schaute finster und als er sprach war seine Stimme beinahe ein wenig verbittert. »Es ist nicht so, als ob ich nicht verstecken könnte, dass ich schwul bin, okay? Ich habe da mehr Erfahrung, als du dir vorstellen kannst.«

Ich wusste nicht, wie ich antworten sollte. Er hatte Recht. Anstatt unsere Unterhaltung fortzusetzen, starrte ich in den Wald. Nach ein oder zwei Minuten sprach er wieder. »Ich habe Ethan dazu bekommen, mir auf der Farm zu helfen. Ich bin zu platt von gestern und vom Sport, um das alleine zu schaffen.

Ich nickte. »Gute Idee. Meine Tante mag ihn. Sie wird glücklich sein, ihn wiederzusehen.« Die nächste Stunde genossen wir den Sonnenschein und unterhielten uns weiter. Ich erzählte Josh ein wenig mehr über die Farm und er hörte mir interessiert zu. Als wir nicht mehr wussten, worüber wir sprechen sollten, lehnten wir uns zurück und schlossen unsere Augen, um uns zu entspannen.

»Ich muss los«, sagte Josh, als er später die Uhrzeit auf seinem Handy sah. Er gähnte und stand auf. »Was ist der Plan für Franz?«

»Wir tauschen morgen während der Mittagspause zurück, damit ich zu Französisch gehen kann. Dann treffen wir uns nach der Schule und verbringen den Nachmittag im Park«, schlug ich vor. »Außer du hast deine Meinung über heute Nachmittag geändert?«

Er zuckte mit den Achseln. »Klingt gut. Mach dir keine Sorgen über die Arbeit auf der Farm. Das schaffe ich schon.«

»Okay, wir sehen uns morgen«

Ich lächelte, als ich ihm hinterherschaute. Seine Art zu gehen war verändert. Er sah selbstbewusster aus. Ich fragte mich, wie unser Leben wohl ausgesehen hätte, wenn wir zusammen aufgewachsen wären. Ich war mir sicher, dass meine Eltern nichts von ihm wussten. Sie hätten uns beide adoptiert, nicht nur mich. Alles hätte so anders sein können. Ich hoffte, dass wir es schafften, die Distanz zwischen uns zu überwinden, sodass es so wäre, als hätte man uns nie getrennt.

Nach weiteren zehn Minuten stand ich auf und ging in die andere Richtung; zu Josh nach Hause. Ich verließ gerade den Park, als ich Parker auf mich zukommen sah. Er ging auf demselben Weg wie ich und war von seinen Kumpels umgeben. Nur Sekunden, nachdem ich ihn bemerkt hatte, entdeckte er mich auch, und warf mir einen vernichtenden Blick zu. Er war einschüchternd, aber Furcht zu zeigen würde mir jetzt auch nicht helfen, also zwang ich mich, ihm zuzulächeln.

Je näher er und seine Freunde kamen, umso nervöser wurde ich. Als er nur noch fünf Meter entfernt war, brach er den Augenkontakt und ging einfach vorbei. Ich atmete auf. Er konnte ziemlich gruselig sein, aber anscheinend hatte meine Taktik gewirkt.

Immer noch in Gedanken über Parker betrat ich Joshs Zuhause und ging in sein Zimmer. Ich hatte gerade erst seinen Rucksack in die Ecke gestellt, als es an der Tür klopfte. Ich wartete einige Sekunden, aber niemand kam herein. Endlich realisierte ich, warum und rief: »Herein!«

Philip öffnete die Tür. »Wie geht es dir, Josh? Du bist ziemlich früh zu Hause.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Mir geht’s ganz gut. Wir sind früher als sonst aus Sport rausgekommen.«

Er schaute mich einen Moment nachdenklich an. Ich entschied, seinen Gedankengang zu unterbrechen, bevor er irgendetwas Ungewöhnliches bemerkte, oder fertig durchdenken konnte, was auch immer er im Kopf hatte. »Ich wollte jetzt duschen gehen. War noch irgendetwas?«

»Ähm, nein«, sagte Philip schnell. »Oder doch. Dein Vater hat in einer Stunde ein Meeting. Er will, dass ich ihn begleite, um seinen persönlichen Assistenten zu spielen, oder so. Wir sind aber bis zum Abendessen wieder da. Brauchst du irgendetwas bis dahin?«

»Danke, ich habe alles«, erwiderte ich. »Bis später dann.«

Er war schon fast weg, als ich ihn stoppte. »Ach ja, Philip? Danke fürs Klopfen und so… du weißt schon.«

Er lächelte. »Kein Problem.«

Einige Stunden später lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und gähnte. Zufrieden schaute ich über all die Buchstaben und Zahlen, die sich auf den Blättern vor mir befanden. Joshs Hausaufgaben zu machen, war keine einfache Arbeit, aber ich hatte das Gefühl, dass ich so langsam verstand, was bei ihm in Mathe los war. Ich hatte den ganzen Nachmittag und einen Teil des Abends daran gearbeitet und dann noch ein wenig für meine Abschlussklausuren gelernt.

Das Abendessen war nicht groß anders gewesen, als in der Nacht zuvor, aber ich gewöhnte mich langsam an Mr. Adams und dieses Mal hatte ich einfach abgeschaltet und zu allem genickt, was er gesagt hatte. Die Dinge, die er von sich gab, waren immer noch widerwärtig und ich konnte ihn als Person kaum ertragen, aber es war mir möglich, so zu tun, als ob es mich nicht störte. Nach einem weiteren Gähnen ging ich auf YouTube, um mich ein wenig vor dem Schlafengehen zu entspannen.

Wenige Lieder und Videos später, hörte ich ein Klopfen an meiner Tür.

»Herein!« rief ich und Philip trat ein.

»Hey, ich mache mich gleich auf den Heimweg«, teilte er mir mit. »Ich wollte nur kurz bei dir vorbeischauen, bevor ich gehe. Was ist los? Du scheinst so verändert in letzter Zeit.«

»Wie verändert, was meinst du?«

»Ich weiß nicht… selbstsicherer, freundlicher«

»Ähm, keine Ahnung«, log ich.

»Du warst viel weg in der letzten Woche. Hast du ein paar Freunde gefunden? Oder ist es ein Mädchen?« fragte er grinsend.

»Ähm«, gab ich von mir. Wie zu Hölle sollte ich mich da herausreden?

»Oder ist es vielleicht ein Junge?« fragte er und zwinkerte mir zu.

Ich starrte ihn geschockt an. »Wie kommst du denn darauf? Ich… Ich bin hetero, also definitiv nicht!«

Er lachte. »Keine Sorgen, ich mache nur Scherze.«

Ich schaute ihn finster an. Ich hatte ein schlechtes Gefühl bei dem Blick, den er mir zuwarf, aber wenn ich gar nichts sagte, würde ich vermutlich mehr Schaden anrichten, als Gutes tun. Philips Andeutung, dass Josh etwas mit einem Jungen haben könnte, war gefährlich. »Ich habe mich mit ein paar Leuten im Freibad angefreundet, das ist alles.«

Aus irgendeinem Grund schien das Philip fröhlich zu stimmen und er lächelte mich an. »Das ist wirklich schön zu hören.«

Die Andeutung übers schwul sein wollte mich nicht loslassen, also entschied ich mich für eine kleine, weiße Lüge. Ich zögerte einen Moment und dann setzte ich meinen besten, traumverlorenen Blick auf. »Es gibt allerdings dieses Mädchen. Sie ist total süß, aber ich glaube nicht, dass ich eine Chance bei ihr habe.«

Philip zog eine Augenbraue hoch. »Ach wirklich?«

»Ja, sie ist total toll«, sagte ich nickend. »Und wunderschön.«

»Na dann mal viel Glück«, sagte er und grinste mich an, aber irgendwie schien es vorgetäuscht. Als ob er enttäuscht wäre… oder als ob er gemerkt hatte, dass etwas nicht stimme. Bevor ich das jedoch weiter analysieren konnte, war der Moment vorbei und er öffnete die Tür, um zu gehen.

»Na ja, gute Nacht, Josh. Bis morgen«, sagte er und schloss die Tür hinter sich.

Hatte Philip Verdacht von Joshs Sexualität geschöpft? Falls das so war, dann wurzelte dieser Verdacht allerdings wahrscheinlich zurück in die Zeit, bevor Josh und ich uns getroffen hatten. Er würde so etwas nicht einfach in den Raum stellen, weil ich beim Abendessen auffällig reagiert hatte, oder? War das ein Test gewesen? Wenn es das war, dann hatte ich ihm gerade nur noch mehr Gründe gegeben, Joshs Sexualität weiter anzuzweifeln.

Es schien so, als ob er etwas wusste. Sein Kommentar in der vorherigen Nacht, als er gesagt hatte, dass Mr. Adams Ansichten veraltet wären… das war eine riskante Aktion für jemanden in seiner Position.

Die nächste Stunde verbrachte ich damit, ein paar Videos auf YouTube zu schauen und über Philip nachzudenken. Plötzlich klopfte es und im selben Moment öffnete sich die Tür und Mr. Adams trat ein.

»Hey Josh, immer noch wach, wie ich sehe.«

»Oh, ja. Ich wollte gleich schlafen gehen.«

»Ähm, wie auch immer«, sagte er. »Wir fliegen dieses Wochenende nach Washington, um deine Großeltern zu besuchen. Komm bitte Freitag direkt nach der Schule nach Hause und pack Donnerstagabend alles, was du brauchst.«

»Okay«, antwortete ich, unsicher wie ich reagieren sollte. Josh hatte nicht sonderlich viel über seine Großeltern erzählt, außer, dass sie in Washington lebten.

Mr. Adams verließ den Raum und ich rief Josh an.

»Hey, warte mal kurz«, sagte er, als er abnahm. »Eine Sekunde, okay?«

Ich hörte Stimmen und Hintergrundgeräusche und dann wie eine Tür geschlossen wurde. »Okay, ich bin draußen. Was gibt’s Neues?«

Sollte ich ihm jetzt von Philip oder Parker erzählen? Ich vermutete, dass es ihn zu sehr beunruhigen würde, also entschied ich mich dagegen.

»Ähm«, sagte ich. »Deine Eltern wollen am Wochenende nach Washington fliegen, um deine Großeltern zu besuchen und sie wollen dich mitnehmen.«

»Och nö! Gerade dieses Wochenende? Da habe ich echt keine Lust drauf. Es ist schön da und so weiter, aber warum gerade jetzt?« beschwerte er sich, aber plötzlich stoppte er. »Sag mal, warst du schon mal in DC?«

»Ich war nie wirklich weiter von dieser Stadt entfernt, als auf der Farm von meiner Tante. Warum fragst du?«

»Na ja, warum fliegst du nicht statt mir mit meinen Eltern?« schlug er aufgeregt vor. »Sie werden dich nicht groß stören; der einzige Grund, warum sie dorthin fliegen, ist das Geschäft und die Politik. Du könntest dir die Stadt anschauen, und wenn du Glück hast, nimmt meine Großmutter dich zum Shoppen mit. Tu einfach so, als ob du immer noch der liebe, süße Enkel bist, der noch fünf Jahre alt ist, und sie wird dir zu Füßen liegen.«

»Ähm…«, begann ich, aber er redete einfach weiter.

»Meine Großeltern können manchmal ein wenig nerven, aber man gewöhnt sich daran und du kannst alles behalten, was meine Großmutter dir kauft. Du könntest dich praktisch komplett neu einkleiden, wenn du das richtig angehst. Na ja, vielleicht keine neue Unterwäsche, ich würde nicht versuchen, die mit meiner Großmutter zu kaufen«, er lachte. »Aber vielleicht ein paar schöne Poloshirts und ein neues Paar Schuhe, oder zwei, und…«

»Hol endlich Luft! Du läufst wahrscheinlich schon blau an«, unterbrach ich ihn. »Würden die das nicht bemerken? Ich meine, ich kenne die Stadt doch gar nicht.«

»Da musst du dir keinen Kopf drum machen«, erwiderte er. »Ich kenne mich da auch kaum aus. Ich kann mir nie den Weg merken, wenn ich mit jemandem unterwegs bin, der sich auskennt, anstatt alleine den Weg zu suchen, und sie haben immer wen, der mich begleitet. Meine Großeltern wollen nicht, dass ich alleine in der Stadt herumlaufe. Sie haben wahrscheinlich Angst, dass ich verloren gehen könnte, oder so.«

»Na ja, es klingt auf jeden Fall ganz cool«, entschloss ich. Das könnte tatsächlich ein interessanter Ausflug werden. »Also bleiben wir bis Montag bei getauschten Rollen, außer für Französisch, und dann tauschen wir zurück?«

Ich hoffte, dass er meinen Vorschlag annehmen würde. Ich wollte ihm mehr Zeit geben, geistig von seiner Familie wegzukommen.

Obwohl es sicherlich nicht gerade ein Zuckerschlecken war, seinen Platz einzunehmen, wollte ich das für ihn tun. Wenn er das hier fast sechzehn Jahre geschafft hatte, dann würde ich ja wohl eine Woche überleben.

»Klingt gut«, sagte er fröhlich. »Mir gefällt es hier total. Ich vermisse meinen Computer und den Komfort eines eigenen Zimmers, aber deine Familie ist so viel wärmer… herzlicher, weißt du was ich meine? Ich fühle mich total schlecht, dass ich sie anlüge.

Sie glauben, dass ich du bin, also lieben sie mich, aber was, wenn sie herausfinden, dass ich nicht du bin? Ich hoffe, dass sie mich dafür nicht hassen werden.«

Er klang so traurig, als er das sagte. »Mach dir mal keine Sorgen«, beruhigte ich ihn »Ich verstehe, was du meinst. Wenn ich darüber nachdenke, wie deine Eltern so drauf sind… Na ja, du verdienst diese Auszeit wirklich und meine Eltern werden das verstehen. Dafür sorge ich dann schon.«

»Danke«, wisperte er.

Ich räusperte mich und wechselte das Thema, um die in mir aufkommenden Emotionen zu unterdrücken. »Na ja, und sonst so? Wie geht’s dir? Ich nehme an, dass du Spaß in der Schule hattest? Wie war die Arbeit auf der Farm?«

»Alter, ich bin total kaputt«, ächzte er. »Selbst Treppensteigen tut weh und ich will einfach nur noch ins Bett und schlafen.«

»Okay, dann lass Schluss machen. Je länger du schläfst, desto besser für deinen Körper«, entschied ich. »Ich bin auch total müde vom Lernen und Hausaufgaben machen.«

»Okay, gute Nacht. Schlaf gut.«

»Du auch, gute Nacht«, antwortete ich und beendete den Anruf.

Ich legte das Handy beiseite und ging ins Bad, um meine Zähne zu putzen. Sobald ich mich ausgezogen hatte und unter die Bettdecke geschlüpft war, schlief ich schnell ein und träumte die restliche Nacht von meinem unerwarteten Trip nach Washington DC.
Es war ein ziemlicher Alptraum: Ich war mit einer älteren Dame im Einkaufszentrum und wollte mir eine SpongeBob Boxershorts kaufen, aber sie schleppte mich immer wieder zurück zu den Anzügen und versuchte, mich in ein wahnsinnig teures Jackett zu zwängen. Ich weigerte mich allerdings und versuchte, ihr zu entkommen. Es endete damit, dass sie mich durch den Laden und dann über die Straßen jagte; ich nur in eine SpongeBob Boxer gekleidet, sie mit dem Anzug in ihren Händen.

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Na gut, Herzen sind ja auch was, wenn es auch keine Kommentare sind. :wink:

Kleine Einblicke


Josh

Als ich die Lichtung verließ, hüpfte ich beinahe vor lauter positiven Gefühlen. Ich war so glücklich. Endlich hatte ich Freunde, nicht nur Ethan und Sarah, sondern nun auch Cody. Dann gab es noch Jacob. Er war einfach super und ich wünschte, ich wäre mehr wie er. Im Moment war mein Leben besser, als ich es mir je hätte erhoffen können. Selbst mein Muskelkater und die Aussicht, dass dieser sich nach der Arbeit auf der Farm heute Nachmittag verschlimmern würde, konnten meine Stimmung nicht dämpfen.

Als ich einen der kleinen Pfade betrat, die zurück zu den besser besuchten Gebieten des Parks führten, sah ich ein Eichhörnchen einen Baumstamm hochklettern. Ich blieb stehen und beobachtete mit einem Lächeln, wie es auf einem der Äste saß und an etwas knabberte. In diesem Moment fühlte ich mein beinahe so frei wie das Eichhörnchen. Als ob ich jedes Hindernis überwinden und von Baum zu Baum springen könnte. Es war so anders, als mein normaler Gefühlszustand.

Schließlich löste ich mich von dem Anblick, weil ich rechtzeitig wieder an Jacobs Schule ankommen musste. Das Eichhörnchen sprang von Ast zu Ast über mir, während ich weiterging. Als ich den Park verließ, überprüfte ich die Uhrzeit auf meinem Handy und sah, dass ich nur noch ein paar Minuten hatte. Einige Sekunden lang versuchte ich zu rennen, aber meine Muskeln protestierten, also ließ ich mich wieder auf ein langsames Tempo zurückfallen. Da ich auf jeden Fall zu spät kommen würde, zog ich mein Handy wieder hervor und schickte Ethan eine SMS.

Ich komme ein paar Minuten zu spät. Geh schon mal zum Parkplatz und sag, dass ich noch auf Toilette musste. Ich treffe dich dann da.

Ich ging gerade durch das Schultor, als ich Cody auf mich zukommen sah.

»Hey J! Ça va?« rief er, als er mich entdeckte.

»Hey Cody, was geht?« rief ich zurück.

Er kam zu mir und grinste. »Hättest du nicht in Französisch sein sollen?«

»Ähm«, sagte ich. »Ich schätze ja?«

»Was hast du stattdessen gemacht?« fragte er mich zwinkernd.

»Ich war im Park spazieren. Hatte Kopfschmerzen und dachte mir, die frische Luft würde mir guttun«, log ich und versuchte dabei lässig zu klingen.

»Oh, okay.« Er schmunzelte. »Ganz alleine?«

»Ähm ja, natürlich alleine.« Mein Körper fühlte sich plötzlich zu heiß an und mein Herz schlug schneller. Hatte er Verdacht geschöpft?

Er zog eine Augenbraue hoch und grinste mich weiter an. Wusste er etwas? Unterbewusst schob ich meine schwitzenden Hände in meine Taschen. Das hier gefiel mir gar nicht. Je schneller diese Unterhaltung endete, desto besser.

»Bist du dir sicher?« fragte er mit einem weiteren Zwinkern. Er wusste etwas! Warum würde er all diese komischen Fragen stellen, wenn nicht, weil er wusste, dass etwas im Busch war.

»Hör auf, so komisch zu sein, Cody«, sagte ich, aber mit einem sanften Lachen, sodass es nicht beleidigend herüberkam. »Mit wem würde ich bitte im Park abhängen? Ich habe keine Ahnung, woher du deine Ideen nimmst.«

»Och na ja, ich habe mich nur gewundert«, sagte er lässig, aber ich konnte ihm ansehen, dass er etwas versteckte.

»Wie auch immer.« Ich hatte ein starkes Bedürfnis, einfach wegzulaufen. »Ich muss los. Meine Brüder warten auf mich.«

»Okay, viel Spaß auf der Farm, wir sehen uns morgen.«

Ich eilte zum Parkplatz und sah, dass Conrad, Ian, Ethan und Tante Mary bereits neben dem Auto warteten. Conrad und Ethan unterhielten sich angeregt, während Ian gelangweilt einen Basketball dribbelte.

»Da bist du ja endlich«, rief Ian mir zu, als er mich sah. Er dribbelte den Ball weiter hin und her, bis ich nah genug war. »Fang!« rief er plötzlich. Dann kam der Ball in meine Richtung geflogen.

Vollkommen überrascht versuchte ich verzweifelt, den Ball noch zu fangen. Meine Hände machten eine schnelle, aber vollkommen planlose Bewegung und bevor der Ball bei mir war, wusste ich schon, dass ich es versaut hatte. Der Ball flog gegen eine meiner Hände, prallte ab und hüpfte davon. Ich zog eine Grimasse. Jacob hätte den problemlos gefangen. Ethan schaute besorgt zu mir herüber und dadurch fühlte ich mich sogar noch schlechter.

»Hey«, sagte ich verlegen. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin.«

»Schon okay«, sagte Ian. Er schien überrascht, dass ich so einen einfachen Pass nicht hatte annehmen können. »Du solltest mal wieder mit uns spielen, du bist ja schon am Einrosten«, sagte er mit einem Grinsen.

Ich lief dem Ball hinterher und sammelte ihn ein. Als ich ihn in meinen Händen hatte, überlegte ich kurz, ob ich ihn zu Ian zurückpassen sollte, aber entschied mich dagegen. Mit meinem Können beim Basketball würde ich vermutlich jemanden gegen am Kopf treffen oder eine Fensterscheibe zerstören.

»Ich bin irgendwie ziemlich müde«, gähnte ich, als ich am Auto ankam, um mein Versagen zu entschuldigen. Ich hoffte, dass Ian da nicht zu viel hineinlesen würde. Er hatte mich bereits am Morgen sehr genau beobachtet, als ich Jacobs Mutter ungewöhnlich lange umarmt hatte.

Er schaute mich komisch an, aber als wir uns ins Auto zwängten, tat ich einfach so, als ob ich weggedöst sei, sodass niemand versuchen würde, mit mir zu reden. Je weniger ich mit Ian und Conrad sprach, desto besser, zumindest solange unser Geheimnis auch geheim bleiben sollte.

»Aufwachen, J«, hörte ich plötzlich Ethans Stimme neben mir. Anscheinend war ich tatsächlich eingeschlafen. Ich schnallte mich ab und verließ gähnend und Augen reibend das Auto. Wir zogen uns rasch um und machten uns an die Arbeit.

Ethan zog eine Grimasse, als ihm der Gestank aus dem Stall entgegenschlug, aber dann schnappte er sich zwei Mistgabeln, während ich die Schubkarre in Position brachte.

»Lass uns beide aufladen und dann wechseln wir uns mit dem Schieben ab, okay?« schlug er vor, während er mir eine der Mistgabeln entgegenhielt.

»Klingt gut!« nickte ich und wir begannen zu arbeiten. Meine Muskeln beschwerten sich sofort, aber ich ignorierte sie. Anstatt ganz aufzuhören, arbeitete ich lieber langsam, sodass ich die Arbeit zwar schaffen würde, aber ohne mich dabei total zu überfordern. Ich war zuversichtlich, dass der Schmerz nach einer Weile nachlassen würde, genau wie es am Tag zuvor gewesen war.

»Weißt du was?« fragte Ethan. »Wir müssen unbedingt Basketball spielen üben. Wenn wir jemals mit irgendjemandem spielen, musst du zumindest die Regeln kennen. Jacob ist zwar kein Pro, aber er kann wenigstens einigermaßen was reißen.«

Ich stöhnte. »Bloß nicht! Ich hasse Kontaktsportarten und in der Hälfte der Fälle spiele ich den Ball eh dem falschen Team zu.«

»Du denkst also in dem Eifer des Gefechts, dass du für das andere Team spielst«, kicherte Ethan. »Und das auch noch bei einer Kontaktsportart. Du solltest aufpassen, dass du nicht beim falschen Korb einlochst.«

»Du bist so versaut«, lachte ich. »Wie kann einem so etwas nur so schnell und ohne Zusammenhang einfallen?«

Er rollte mit den Augen. »Du lenkst vom Thema ab. Außerdem ist Basketball gar kein Kontaktsport…«, er wartete einen Moment für den Effekt. Dann zwinkerte er mir zu. »Aber ich kann machen, dass es einer ist.«

Das brachte uns erneut zum Lachen. Als ich mich beruhigt hatte, widersprach ich ihm grinsend. »Das, woran du denkst, geht glaube ich nicht als Basketball durch.«

»Wieso?« fragte er mit vorgetäuschter Unschuld. »Ich habe gehört, dass man dabei Endorphine freisetzt und anstrengend kann es auch sein. Das klingt für mich nach Basketball.«

»Ja, aber es ist normalerweise weder ein Mannschaftssport noch ein Wettstreit«, argumentierte ich.

Ethan warf mir ein versautes Grinsen zu. »Normalerweise…«

Ich lachte und warf meine Hände in die Luft. »Du bist unmöglich! Ich gebe auf.«

Daraufhin musste Ethan lachen und das steckte mich dann auch wieder an. Als wir uns endlich beruhigt hatten, wandte er sich wieder mir zu. »Aber jetzt mal ernsthaft, wir sollten daran arbeiten. Vielleicht können wir das morgen Abend machen, falls Jacob sich bereit erklärt, die Nacht wieder im Haus deiner Eltern zu verbringen.«

»Okay, also treffen wir uns dann abends bei dir zu Hause, nur wir beide, um Kontaktsport zu machen?« fragte ich mit einem hinterhältigen Grinsen. Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ich realisierte, wie offensiv ich mit ihm flirtete und mein Gesicht alle vorstellbaren Rottöne annahm. So war ich doch sonst nicht. Woher kam dieser Übermut?

Ethan schien allerdings nichts zu bemerken. Er war viel zu beschäftigt damit, sich kaputt zu lachen. »Falls du hoffst zu punkten«, keuchte er. »Dann mach dich aber auf ein heißes Gefecht gefasst. Ich bin nämlich ziemlich gut.«

Ich schnaubte vor Lachen und glücklicherweise schien er tatsächlich nicht zu bemerken, dass ich knallrot war. Schnell griff ich mir die beladene Schubkarre und machte mich auf den Weg aus dem Stall. Als ich wiederkam, wechselte ich das Thema, bevor ich meine Gefühle für Ethan noch offensichtlicher machte.

»Ich glaube, Cody weiß etwas«, sagte ich und fasste die Unterhaltung zusammen, die ich mit ihm am Schultor gehalten hatte. »Ich bin mir aber nicht vollkommen sicher.«

»Es klingt so, also würde er vermuten, dass etwas los ist, aber wie kann er überhaupt darauf gekommen sein? Von all diesen Leuten um uns herum kennt er Jacob am wenigsten«, kommentierte Ethan.

Wir arbeiteten eine Weile in Schweigen und dachten darüber nach. Als die Schubkarre wieder voll war, schob Ethan sie nach draußen.

Während er weg war, ging ich gedanklich über die wenigen Momente, in denen Cody in meiner Nähe gewesen war, und dann erinnerte ich mich plötzlich.

»Scheiße! Es war im Umkleideraum«, rief ich, als Ethan wieder zurückkam.

»Hä?« Ethan schaute mich verwirrt an. »Was war im Umkleideraum?«

»Er muss mitgehört haben, als wir geredet haben«, sagte ich entsetzt. »Als du mich überredet hast… Na ja, du weißt schon… zu duschen. Er war der Letzte, der noch in unserer Nähe war. Sein Schließfach war ziemlich nah an unserem. Er muss gelauscht haben.«

»Verdammt, du hast Recht«, fluchte Ethan. »Selbst, wenn er nicht alles gehört hat, könnte er schon eine Ahnung haben, was los ist.« Er begann auf- und abzugehen. »Wenn er der falschen Person davon erzählt, die falsche Frage stellt, selbst unwissend… ihr würdet ziemlich schnell auffliegen. Was sollen wir tun?«

»Wir könnten ihm die Zunge herausreißen«, schlug ich säuerlich vor.

Ethan schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Ich schätze, wir müssen mit ihm reden. Es ist besser, ihm alles zu erzählen, als zu riskieren, dass er versucht, herauszufinden, was los ist. Er könnte dabei andere Leute argwöhnisch machen und das können wir uns nicht leisten«

»Mir gefällt das überhaupt nicht«, murrte ich. »Wir kennen ihn kaum. Er scheint ja ganz okay zu sein, aber wenn er das nicht für sich behalten kann, wäre das echt zum Kotzen.«

»Na ja, es sieht kaum so aus, als ob wir da eine große Wahl haben«, entgegnete Ethan.

Ich seufzte. »Wir können ihm das doch nicht einfach so sagen, oder? Können wir nicht erstmal irgendwie herausfinden, was er eigentlich genau weiß?«

Ethan zuckte mit den Achseln. »Wenn du eine Idee hast, dann los. Ansonsten denke ich, dass es besser ist, ihn einzuweihen, als irgendetwas zu riskieren. Was, wenn er es schon längst weiß und das Falsche sagt, während Ian in der Nähe ist, oder so?«

»Mist! Du hast Recht. Hast du seine Handynummer?«

»Nein, tut mir leid. Aber es ist vermutlich eh besser, diese Unterhaltung nicht am Telefon zu führen. Du wirst ihn bis morgen früh nicht wirklich treffen können. Wir stecken hier noch bis heute Abend fest. Du könntest die Zeit nutzen, um das genau zu durchdenken. Vielleicht überreagieren wir auch und er weiß eigentlich gar nichts.«

»Ich werde mal schauen, was morgen in der Schule passiert«, stimmte ich ihm zu. »Ich kann ja versuchen herauszufinden, ob er etwas weiß. Wenn das der Fall ist… Na ja, dann muss ich es ihm wohl erzählen und ihn bitten, es für sich zu behalten.«

»Cody scheint echt in Ordnung zu sein. Selbst wenn er es weiß, wäre das nicht so schlimm.«

»Vielleicht hast du Recht«, seufzte ich. »Kannst du diese Ladung übernehmen? Ich bin total platt.«

»Klar, kein Ding«, antwortete er mir. Er wendete die Schubkarre und schob sie weg, aber nach einigen Schritten blieb er stehen und drehte sich um. »Ach ja übrigens: Ich wollte nur mal sagen, dass du dich super in deiner Rolle als Jacob machst. Das im Umkleideraum heute… das muss ein großer Schritt für dich gewesen sein. Du solltest stolz auf dich sein.«

Ich lief rot an. »Danke«, sagte ich sanft und lächelte ihm schüchtern zu.

»Ich sage dir nur, wie es ist. Dafür musst du mir nicht danken.« Mit einem Grinsen verschwand er mit der Schubkarre aus dem Stall.

Als wir wieder in Albany ankamen, legte Ethan eine Hand auf meine Schulter. »Hey, willst du bei mir übernachten? Dann könnten wir unsere Hausaufgaben zusammen erledigen«, schlug er vor, während Ian und Conrad aus dem Auto ausstiegen.

»Ähm«, machte ich. Das kam etwas spontan für mich. Eine Übernachtung bei Ethan? Auf jeden! Aber ich hatte so etwas seit Jahren nicht mehr gemacht, also überraschte mich die Idee ein wenig. »Ähm, lass mich das mit meinen Eltern klären, okay?«

Ich schnappte meinen Rucksack und stieg aus dem Auto aus. Ethan begann ebenfalls auszusteigen, aber Tante Mary stoppte ihn. »Ich kann euch noch schnell zu Ethan nach Hause fahren, ihr habt heute so hart gearbeitet, das ist das Mindeste was ich für euch tun kann.«

»Danke, aber passt schon«, sagte ich schnell. »Ich glaube ein kleiner Spaziergang nach der Arbeit würde mir guttun.«

»Bist du dir sicher?« fragte sie. Ich nickte. »Okay, dann eine gute Nacht euch beiden. Danke noch einmal für die Hilfe.«

»Kein Problem, Mrs. Baker«, antwortete Ethan mit einem Lächeln. Eine Sekunde lang verlor ich mich vollkommen in seinem Anblick. Er war so wunderschön, wenn er lächelte. Ich riss mich schnell aus meiner Trance und wir verabschiedeten uns. Während Ethan seine Eltern anrief, ging in nach drinnen, um mit Jacobs Eltern zu sprechen. Der Muskelkater in meinen Beinen machte das Treppensteigen zu einer Tortur, aber schließlich betrat ich die kleine Wohnung und fand Jacobs Mutter lesend in der Küche.

Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und betrachtete die kleine, rundliche Frau einige Sekunden lang. Sie hatte diese fröhliche, warme Aura, selbst wenn sie nur dort saß und friedlich las. Da sie mich nicht bemerkte, räusperte ich mich.

»Hey Mama«, grüßte ich sie mit sanfter Stimme.

Sie schaute von ihrem Buch auf und lächelte mich an. »Oh, hey Liebling, du bist wieder da. Habt ihr alles geschafft? Wie war’s?«

»Jap. Alles erledigt. Es hat sogar Spaß gemacht, weil Ethan mir geholfen hat«, erzählte ich und konnte nicht anders, als zu lächeln.

»Wie hast du denn Ethan dazu bekommen, dir auf der Farm zu helfen?« fragte sie und zog eine ihrer Augenbrauen hoch.

»Ach komm schon, Mama, so faul ist er gar nicht«, protestierte ich scherzhaft. »Ich habe ihn einfach freundlich gefragt und er hat eingewilligt.«

»Man höre und staune!« sagte sie grinsend. »Ich hoffe du hast nicht zu viele Hausaufgaben zu erledigen? Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass wir euch den kompletten Nachmittag und Abend an einem Schultag auf die Farm geschickt haben, aber es ging leider nicht anders.«

»Das ist in Ordnung, ist ja immerhin für die Familie. Sie würden uns auch helfen, wenn wir es bräuchten«, versicherte ich ihr. »Aber ähm, wo wir gerade davon sprechen«, fing ich an. Plötzlich fühlte ich mich total unsicher, als ob ich wieder neun Jahre alt wäre und eine Frage stellen würde zu der ich »Nein« als Antwort erwartete. »Ich dachte, dass vielleicht… weil Ethan und ich auf der Farm gearbeitet haben… und immer noch Hausaufgaben machen müssen… dass ich vielleicht bei Ethan übernachten dürfte, damit wir unsere Hausaufgaben zusammen erledigen können?«

Sie lächelte mich an. »Natürlich darfst du das.« Sie stand auf und ging zu mir herüber. »Versprichst du mir, dass ihr nicht die ganze Nacht wach bleibt?«

»Okay Mama, versprochen«, sagte ich. Die meisten Jugendlichen hätten diese Worte gesagt, nur um zu dürfen, aber nicht weil sie ihr Versprechen ernst meinten. Für mich war das aber anders. Obwohl es etwas so Kleines, Unbedeutendes war, konnte ich fühlen, dass ich ihr wichtig war und sie mein Bestes wollte.

Dann umarmte sie mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Viel Spaß, Großer. Bis morgen.«

In diesem Moment fühlte ich mich so schlecht, so falsch. Das Gespräch zwischen mir und Jacobs Mutter war so wunderbar gewesen, so… surreal, auf eine positive Weise, fast wie ein Traum, von dem ich hoffte, er würde niemals enden. Es war anders als jeder andere Moment, den ich je mit meinen Eltern erlebt hatte, doch ich wusste, dass es alles nur Schein war. Ich war nur ein erbärmlicher Lügner und sie dachte, dass ich Jacob wäre, mehr nicht. Es war nicht real; ich täuschte sie nur, und mich selbst täuschte ich auch. Ich konnte ihr nicht einmal mehr in die Augen schauen.

»Danke… Mama«, zwang ich mich selbst zu sagen. Ich merkte, wie sich ein schwerer Kloß in meinem Hals bildete. »Ich muss dann mal los. Ethan wartet schon auf mich.«

Nachdem ich mir meinen Rucksack und frische Klamotten für den nächsten Tag geschnappt hatte, ging ich nach draußen zu Ethan.

Sobald ich die Tür öffnete, um das Haus zu verlassen, bemerkte Ethan mich. »Hey, meine Eltern haben ihr Okay gegeben. Hast du alles, was du brauchst?«

Ich bekam kaum mit, was er sagte. Nach mehreren Sekunden nickte ich mechanisch und ging los in Richtung seines Hauses. Er folgte mir und wir gingen zusammen die Straße hinunter, beide in tiefem Schweigen versunken.

Die Dämmerung setzte ein und wir liefen in etwa westwärts, also hatte ich einen perfekten Blick auf den Sonnenuntergang. Ich starrte die lange Straße hinunter und fragte mich, was die Zukunft wohl brachte. Hatte ich eine Chance bei Ethan? Es gab einige Hinweise, dass er auch schwul sein könnte, aber es konnte genauso gut sein, dass es einfach nur seine Persönlichkeit war und die Art, wie er sich unter Freunden verhielt. Was würde ich tun, wenn er meine Gefühle nicht erwiderte?

Ich dachte ein wenig darüber nach. Es würde wehtun, und zwar sehr, aber vielleicht war es sogar besser so. Ein fester Freund würde es viel schwieriger machen, vor meinen Eltern geheim zu halten, dass ich schwul war. Außerdem war es schon wie ein Sechser im Lotto, Ethan auch nur als Kumpel zu haben. Ich schüttelte meinen Kopf. Wem wollte ich hier eigentlich etwas vormachen? Wenn ich ehrlich mit mir selbst war, dann sah das alles ganz anders aus. Ich wollte nicht, dass Ethan nur ein Freund war. Ich wollte mit ihm zusammen sein, ihn halten, ihn berühren, meine Arme um ihn legen. Ob wir wohl heute Nacht in einem Bett schlafen würden?

Ich unterbrach diesen Gedankengang. Wenn ich so weitermachte, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine unübersehbare Beule in meiner Hose bilden würde. Stattdessen konzentrierte ich meine Gedanken auf Cody, Ian und besonders auf Jacobs Eltern. Wie lang würde es dauern, bis jemand unser kleines Geheimnis aufdeckte? Früher oder später würden wir uns dem stellen müssen.

Würde Cody irgendjemandem davon erzählen? Und welche Reaktion konnte ich von Ian, Conrad und Mr. und Mrs. Baker erwarten? Akzeptanz oder Ablehnung?

Es war ungewöhnlich still, also schaute ich zu Ethan herüber. Genau wie ich schien er tief in Gedanken versunken zu sein. Er bemerkte nicht einmal, dass ich ihn anstarrte. Worüber er wohl nachdachte? Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass Ethan so etwas wie Sorgen, Probleme oder Bedauern kannte. Es passte einfach nicht zu seiner Persönlichkeit, aber am Vormittag, nachdem er Cody verteidigt hatte, war er genauso gewesen, vollkommen abwesend und gedankenverloren.

Sein rechter Fuß fand einen kleinen Stein auf dem Fußweg und er kickte ihn ein paar Meter vorwärts und als wir ihn wieder erreicht hatten, tat er das noch einmal, und dann immer wieder. Ich schaute ihm dabei eine Weile lang zu, aber dann blickte ich zu seinem Gesicht. Seine Augen sahen so traurig aus und er verzog sein Gesicht, als ob ihn etwas quälte. Sofort hatte ich das Verlangen, meine Hand auf seine Schulter zu legen, ihn anzuhalten und zu umarmen, aber ich widerstand. Ich wusste ja nicht einmal, ob er so eine Umarmung überhaupt von mir wollte. Außerdem hatte ich zu sehr Angst, dass er sich hieran erinnern und es falsch interpretieren würde, falls er jemals herausfinden sollte, dass ich schwul war.

Ich wollte nicht, dass es so aussah, als würde ich unsere Freundschaft ausnutzen, um ihm körperlich nahe zu kommen. Stattdessen ging ich einfach schweigend neben ihm her und schaute ab und an flüchtig zu ihm herüber. Ich passte auf, immer einen halben Schritt hinter ihm zu bleiben, so dass er nicht bemerkte, wie oft ich zu ihm herüberschaute. Als wir bereits den halben Weg hinter uns gebracht hatten, wandte er sich plötzlich mir zu.

»Hey«, sagte er mit sanfter Stimme. »Was ist los? Du bist so nachdenklich.«

Beinahe hätte ich ihm geantwortet, dass er ja wohl derjenige war, der sich ungewöhnlich still verhielt, aber ich ließ es dann. Es würde sich eine Gelegenheit finden, über Ethans Probleme zu reden, aber ich war mir sicher, dass diese nicht hier und jetzt war.

»Ach, ich… ich bin nur kaputt von der Arbeit«, erwiderte ich. Es war nicht wirklich eine Lüge, sondern eher Auslassung von einigen Details. Ich war tatsächlich müde und kaputt, und vermutlich war das sogar der Hauptgrund für meine komische Stimmung.

»Achso, ja«, sagte er und nickte langsam. »Das geht mir auch so.«

Wir kamen endlich bei ihm zu Hause an. Ethans Eltern waren ins Restaurant essen gegangen und noch nicht zurückgekommen, also schnappten wir uns ein paar Dosen Cola und gingen direkt in sein Zimmer, um unsere Hausaufgaben zu erledigen. Der Raum war nicht so groß wie meiner und er hatte kein eigenes Badezimmer, aber wenigstens musste er ihn nicht teilen, so wie Jacob. Der Mangel an Privatsphäre war eines der Dinge, an die ich mich noch nicht so wirklich gewöhnt hatte.

Die Einrichtung war genauso wie Ethan; chaotisch. Es war nicht dreckig oder vermüllt; der Boden war sauber und es lagen keine dreckigen Klamotten herum. Es sah einfach nur unorganisiert und vollgestopft aus, als ob er viel zu viele Sachen hätte und nicht wüsste, wo er sie unterbringen sollte.

Sein Schreibtisch war unter einem Haufen Papier begraben und die Wände waren praktisch mit Postern tapeziert. Auch bei den Postern gab es keine Struktur. Poster von Bands hingen direkt neben welchen von Tieren oder Sportlern. Er hatte eine Playstation und die Controller lagen auf dem Boden davor herum, als wären sie da vor fünf Minuten erst hingelegt worden und jeden Moment würde jemand kommen, um weiter zu spielen. Ich konnte diverse Sportausrüstung in den Ecken sehen und er hatte sogar Lego in den überfließenden Regalen stehen.

Insgesamt sah es so aus, als ob er sich in diesem Zimmer vom Kind zum Jugendlichen entwickelt und immer neue Sachen gefunden und hinzugefügt hatte, ohne sich jemals von etwas zu trennen. Ich blieb einige Sekunden im Türrahmen hinter Ethan stehen und nahm all dies in mich auf, bevor ich eintrat und die Tür hinter mir schloss.

»Joah, das ist mein Zimmer… ist vermutlich nicht, was du gewohnt bist, aber na ja…« sagte Ethan und dann verstummte er.

Als ich nicht direkt etwas sagte, redete er weiter. »Ähm, ich hoffe, dass es dir nicht zu chaotisch ist… Ich weiß, dass du selber eher organisiert bist, und so.«

Ich schüttelte meinen Kopf.

»Nein, passt schon. Irgendwie gefällt es mir sogar.«

»Echt?« fragte er überrascht und strahlte auf einmal.

»Ja«, bestätigte ich, und dann schaute ich noch einmal durch den Raum. Zu mir selbst dachte ich: »Ist irgendwie so wie du. Chaotisch, voller Farben, aber warm und nett.«

»Also, dann fangen wir mal an, wa?« Er ging zum Schreibtisch und begann die Arbeitsfläche frei zu räumen, indem er alle Blätter und Bücher nahm und sie in der Ecke auf den Boden legte.

»Wollen wir uns die Arbeit teilen und dann voneinander abschreiben, soweit das geht?« schlug Ethan vor. »Ich bin total müde und will einfach nur ins Bett.«

»Klingt gut«, stimmte ich zu. Normalerweise würde ich mich nicht auf so etwas einlassen. Der Sinn von Hausaufgaben war schließlich nicht, sie für den Lehrer zu machen, sondern damit man etwas lernte. Im Moment war mir das allerdings egal. Ich war zu kaputt und außerdem war ich in Gedanken ganz woanders. Wir setzten uns nebeneinander an seinen Schreibtisch und begannen schweigend zu arbeiten.

Nach etwa einer halben Stunde klopfte es an der Tür. »Herein!« rief Ethan und ein Mann mittleren Alters öffnete die Tür.

»Hey Papa«, begrüßte Ethan ihn gähnend.

»Hey ihr beiden«, antwortete sein Vater und winkte uns zu. »Ich wollte euch nur wissen lassen, dass wir wieder da sind. Es ist schon spät, also schaut, dass ihr bald ins Bett kommt.«

»Werden wir«, versprach Ethan. »Wir machen nur noch die Hausaufgaben fertig und dann gehen wir schlafen. Mach dir keine Sorgen, dass wir die ganze Nacht wach bleiben, dafür sind wir eh viel zu kaputt.«

»Okay, gute Nacht«, wünschte uns sein Vater. Ethan und ich erwiderten dasselbe und er verließ das Zimmer.

In dem Moment bekam ich einen Anruf von Jacob. Ich wollte Ethans Konzentration nicht stören und konnte nicht riskieren, dass seine Eltern das Gespräch mithörten, also sagte ich Jacob, er solle warten. Rasch griff ich mir Ethans Schlüssel und schlich mich aus dem Haus, um kurz spazieren gehen.

Als Jacob mir von dem Ausflug nach Washington erzählte, stöhnte ich auf. Ich wollte mein Wochenende mit Ethan verbringen, nicht mit meinen Großeltern. Dann realisierte ich, dass Jacob vermutlich noch nie in Washington gewesen war. Es war eigentlich echt schön dort und meine Großeltern waren viel netter als meine Eltern. Wir würden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich hätte mein Wochenende mit Ethan, und Jacob würde einen Ausflug machen, von dem ich mir sicher war, dass er ihm gefallen würde.

Ich erzählte ihm aufgeregt von Washington und er stimmte mir schließlich zu. Dann sprach ich über meine Sorgen bezüglich seiner Eltern und Ian. Er versprach mir, dass es kein Problem sein würde, aber das beruhigte mich nicht wirklich.

Dafür merkte ich allerdings, dass ich ihm wichtig war und das erzeugte ein großartiges, wohliges Gefühl in mir. Irgendwann wünschten wir uns dann gegenseitig eine gute Nacht und legten auf.

Als ich zurück in Ethans Zimmer kam, hatte er bereits seine Hausaufgaben fertig und war ins Badezimmer verschwunden. Ich erledigte schnell den Rest von dem, was ich noch machen musste und wartete dann auf Ethan.

Als er zurückkam, trug er lediglich seine eng anliegenden Boxershorts und ich erlaubte mir für eine oder zwei Sekunden seinen perfekten Körper zu betrachten, bevor ich wieder zu seinem Gesicht aufsah. Er zeigte mir wo das Bad war und als ich fertig war und zurück in sein Zimmer kam, lag er bereits im Doppelbett und starrte auf seinen Nachttisch.

Er schaute zu mir auf, als ich eintrat, genauso wie er nur in Boxershorts. Ich war mir nicht sicher gewesen, was ich zum Schlafen anziehen sollte, aber er hatte mir diese Entscheidung zum Glück abgenommen und ich passte mich ihm einfach an.

»Ähm«, brachte ich mit einem Blick auf das Sofa hervor. »Hast du Bettzeug für die Couch oder teilen wir uns das Bett, oder…?«

»Ach so«, sagte Ethan. »Ähm, tut mir leid, da habe ich nicht wirklich drüber nachgedacht. Jacob und ich teilen uns normalerweise das Bett. Ich kann dir aber was für das Sofa holen, wenn dir das lieber ist?«

»Ähm, das Bett ist schon in Ordnung, schätze ich. Du brauchst nicht extra noch aufstehen und etwas für mich holen.« Okay ehrlich jetzt? Das Bett mit Ethan teilen? Das war ein Traum. Ich musste mich praktisch zwingen, nicht zu grinsen. Er lächelte mich an und zog die zweite Decke auf seinem Doppelbett zurück, um mir sozusagen den Platz zu seiner Rechten anzubieten. Ich ging um das Bett herum und schlüpfte unter die Bettdecke.

»Alles bequem? Ist es okay wenn ich das Licht ausmache?« fragte er sanft.

Nach einem Tag wie diesem war nichts besser, als in einem Bett zu liegen. Es hätte eine Holzpritsche aus dem 17. Jahrhundert sein können und es wäre bequem gewesen. »Mir geht’s gut«, antwortete ich. »Du kannst das Licht ausmachen, wenn du willst. Mir ist das egal.«

»Okay«, sagte er und drückte den Lichtschalter über seinem Nachttisch.

Ich schloss meine Augen, aber anstatt mich gut zu fühlen, weil ich mit Ethan im Bett lag, fand ich mich auf einmal von all dem überwältigt, was an dem Tag passiert war. Der Morgen, an dem ich andere Leute von mir aus angesprochen hatte, die Dusche nach dem Sportunterricht, das Gespräch mit Cody und das Schule schwänzen, sowie der Nachmittag auf der Farm. Es war definitiv ein ereignisreicher Tag gewesen und ich hatte in den letzten achtundvierzig Stunden vermutlich mehr erlebt, als sonst im ganzen letzten Jahr.

Dann kamen allerdings Gedanken über Jacobs Eltern und Ian auf. War das, was wir taten, richtig? Ich dachte auch an meine eigenen Eltern, und was passieren würde, wenn sie hiervon erfuhren; und an Jacobs Mitschüler, insbesondere natürlich Ethan und meine Gefühle für ihn. Ich ließ ein hörbares Seufzen aus meinem Mund entkommen.

Plötzlich fühlte ich, wie Ethan sich im Bett bewegte und als ich zur Seite schaute, sah ich, dass er zu mir herübergerutscht war. Ich konnte nicht jedes Detail erkennen, aber der Mond schien hell in dieser Nacht und sein blasses Licht fiel in den Raum. Ethan lag auf seiner Seite, vielleicht einen halben Meter von mir entfernt, vielleicht sogar etwas weniger. Sein Kopf war auf seinen Arm gestützt und seine wundervollen ozeanblauen Augen beobachteten mich.

»Was bedrückt dich, Josh?«

»Ach nichts«, murmelte ich.

»Du kannst es mir ruhig sagen«, sagte er. Ich fühlte wie seine Finger meinen Arm berührten und dann legte er seine Hand auf meine Schulter. »Es hilft immer, über Probleme zu reden und was auch immer es ist, ich werde es für mich behalten, da kannst du mir vertrauen.«

Ich kämpfte noch einen Moment mit mir selbst, aber dann entschied ich mich, es einfach alles herauszulassen.

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Und da ich ja keinen auf die Folter spannen will, gibt es auch heute wieder einen Doppelpost. :slight_smile:

Zweifel


Josh

»Das alles hier«, sagte ich, während ich mich unruhig hin und her wälzte. »Das alles hier, Ethan«, wiederholte ich und raufte mein Haar. »Du weißt schon; Jacobs Eltern, Ian, die Farm«, ich gestikulierte, während ich begann, alles aufzuzählen, obwohl Ethan damit vermutlich nicht viel anfangen konnte. »Cody, die Leute von der Schule, einfach alles«, faselte ich weiter. »Glaubst du, dass wir das Richtige tun? Jacob und ich, meine ich. Mache ich das, was richtig ist?«

»Was meinst du?« fragte Ethan mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. »Was genau soll daran falsch sein?«

Ich seufzte. »Na ja… Jacobs Familie ist so toll und so nett. Ich habe ein total schlechtes Gewissen, weil ich sie täusche. Wie werden sie reagieren, wenn sie das herausfinden? Wir brechen ihr Vertrauen. Dasselbe gilt für alle anderen.«

»Oh«, sagte Ethan. Er nahm seine Hand von meiner Schulter und setzte sich auf, um sich mit dem Rücken gegen die Wand zu lehnen. »Lass mich da mal eine Minute drüber nachdenken.«

Ich drehte mich auf meine Seite, damit ich zu ihm aufschauen konnte.

»Verstehst du, was ich meine?« fragte ich, unsicher, ob ich mich verständlich ausgedrückt hatte.

Ethan nickte und sprach endlich. »Ich denke schon, aber ich glaube, dass du da zu viel drüber nachdenkst. Eine Gelegenheit wie diese haben die Wenigsten und die Umstände sind sehr kompliziert für dich. Das werden sie schon verstehen.«

Ich schüttelte meinen Kopf. »Jacob hat auch so etwas gesagt, aber darum geht es mir nicht wirklich. Das ändert nichts daran, dass es falsch ist. Anzunehmen, dass sie es schon verstehen werden, macht es nicht richtig, oder? Als ich heute bei Jacob zu Hause war, hat seine Mutter mich umarmt und wir haben geredet. Sie ist so anders als meine Mutter. Ich wünschte, ich könnte einfach… ich weiß nicht, das alles für immer mit Jacob tauschen. Gleichzeitig fühlt es sich aber auch total falsch an. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, muss ich mich zurückhalten, damit ich ihr nicht einfach die Wahrheit erzähle.

»Okay, lass uns das mal durchdenken«, schlug Ethan vor. »Angenommen, dass du ihr morgen alles erzählst, was würde passieren?«

»Ich weiß nicht. Ich schätze sie wären erst einmal geschockt. Es würde sehr schwer für Jacob und mich werden, Rollen zu tauschen, vielleicht sogar unmöglich. Außerdem würden seine Eltern mit meinen Eltern sprechen wollen und das könnte ordentlich schiefgehen. Ich will nicht, dass meine Eltern das alles hier versauen.

»Okay, du willst also nicht lügen, aber die Wahrheit zu sagen bedeutet zu viele Probleme. Deine Eltern werden es allerdings so oder so irgendwann herausfinden, oder glaubst du, dass ihr es für immer geheim halten könnt?«

»Ja«, sagte ich traurig. »Es ist irgendwie komisch. Manchmal will ich einfach nur die Wahrheit herauslassen, und manchmal will ich, dass es nie endet.«

»Das verstehe ich«, sagte Ethan. »Okay, wie wär’s damit? Morgen tauschen Jacob und du zurück, damit du das Problem erstmal nicht mehr hast. Wir können uns immer noch im Park treffen und abhängen. Am Wochenende fliegt Jacob nach Washington und wir versuchen, dich so viel wie möglich von seiner Familie fernzuhalten. Wenn wir sie lieb fragen, erlauben sie dir vielleicht, das Wochenende bei mir zu verbringen. Nächste Woche sind die Abschlussarbeiten, da werdet ihr sowieso zu nichts kommen. Wenn es danach immer noch ein Geheimnis ist, reden wir dann nochmal darüber. Was denkst du?«

Ich starrte zur Decke und dachte eine Weile darüber nach. Er hatte Recht, ich konnte Jacobs Familie größtenteils ausweichen, wenn ich es richtig drehte; zumindest bis die Sommerferien begannen. Ich würde allerdings die Umarmungen seiner Mutter vermissen. Obwohl ich bisher nur ein paar bekommen hatte, war ich praktisch schon süchtig danach.

Vielleicht würde das alles hier irgendwann ein Happy End haben und Jacobs Familie würde mich als so etwas wie einen Stiefbruder akzeptieren? Ich wünschte, ich wäre achtzehn, sodass ich einfach bei meinen Eltern ausziehen könnte.

Während ich darüber nachdachte, merkte ich, dass Ethan sich im Bett bewegte und mir noch näherkam. Als ich mich wieder ihm zuwandte, um zu sprechen, konnte ich die Wärme seines Körpers durch die Decken spüren. »Ich… ich glaube du hast Recht«, stotterte ich, total abgelenkt von seiner Nähe. Roch ich wenigstens gut? Ich war froh, dass ich gerade eben meine Zähne geputzt hatte.

»Okay, und glaub mir, wenn Jacob und du seiner Familie alles erzählen, dann werden sie das wirklich verstehen.« Er rutschte herüber und umarmte mich. Ich war zu überrumpelt, um überhaupt zu reagieren. Er hielt mich ein oder zwei Sekunden lang fest, bevor er seine Arme wieder löste und zurück auf seine Seite des Bettes glitt.

»Danke«, flüsterte ich. Ich war froh, dass er mich nicht länger festhielt. Ich war härter als jemals zuvor und das hätte er früher oder später definitiv bemerkt, wäre er mir nahe geblieben. Ich schloss meine Augen und genoss den Moment.

»Kein Ding«, flüsterte er zurück.

Ich konnte seine Berührung immer noch auf meiner Haut spüren und kuschelte mich tiefer in die Kissen und Decke, während ich mir vorstellte, er hielte mich weiter in seinen Armen. Ich wünschte ich könnte zu ihm hinüberrollen und mich von hinten an ihn herankuscheln. Sollte ich ihm gestehen, dass ich schwul war? Es einfach sagen, damit ich es hinter mir hatte? Ein Risiko eingehen und wahrscheinlich auf Ablehnung stoßen, aber wenigstens diese Gefühle der Unsicherheit beseitigen? Ich rang eine Weile mit mir selbst, aber gab letzten Endes auf. Heute Nacht war nicht die Nacht dafür.

Ich schloss meine Augen und zog meine Decke fest an mich. Zwischen meinen Beinen hatte ich immer noch ein pulsierendes Problem. Ich ließ meine Hand hinuntergleiten und streichelte über die Beule in meinen Boxershorts.

Es sah nicht so aus, als ob sich das so bald von alleine erledigen würde. Sollte ich einfach ins Bad gehen und…. Nein, irgendwie kam es mir zu komisch vor, das im Haus eines Freundes zu machen.

Nach ein paar verabschiedenden Auf- und Abwärtsbewegungen drückte ich den Kopf sanft und zog meine Hand zurück. Ich hoffe, diese Entscheidung würde nicht zu den allzu bekannten Schmerzen führen, die man bekam, wenn man so etwas unbeendet ließ.

Seufzend schaute zur anderen Seite des Bettes. »Gute Nacht, Ethan. Schlaf gut!«

»Gute Nacht, Josh. Du auch«, antwortete er sanft.

»Ich liebe dich«, fügte ich in Gedanken hinzu. Am liebsten hätte ich es laut gesagt, aber ich fühlte mich noch nicht für die Konsequenzen bereit. Ich lag noch einige Minuten wach, bevor ich es endlich schaffte, mich von all meinen Gedanken zu lösen und einzuschlafen.

»Hey Cody, warte mal kurz«, rief ich, als alle Richtung Umkleide liefen. Ich hatte schon den ganzen Tag versucht, ihn zu erwischen, aber es hatte sich nie die richtige Gelegenheit geboten.

»Was gibt’s?« fragte er, als ich aufgeholt hatte.

»Hast du in der nächsten Pause ein paar Minuten für mich? Ich muss mit dir reden.«

»Gerne. Wir können uns draußen treffen, wenn wir hier fertig sind.«

»Danke«, sagte ich und nickte ihm zu. »Dann bis gleich.«

Ethan war bereits in unserer kleinen Ecke. Die anderen Jungs um uns herum zogen sich aus, aber ich zögerte einige Momente und wartete, bis sie sich auf den Weg zu den Duschen machten. Als nur noch Ethan und ich da waren, drehte ich mich von ihm weg und begann mich ausziehen. Nachdem ich fertig war, schnappte ich mein Handtuch, hielt es vor mich und drehte mich schüchtern wieder um.

»Nervös?« flüsterte Ethan mit einem hinterhältigen Grinsen.

Er stand splitterfasernackt vor mir und zeigte nicht das kleinste bisschen Schüchternheit. Für den Bruchteil einer Sekunde wanderte mein Blick herunter, bis zu seinem Bauchnabel und weiter, aber dann fing ich mich und starrte wieder direkt in seine Augen.

»Äh, ein bisschen, schon«, stotterte ich. »Besser als gestern.«

Er grinste. »Man gewöhnt sich daran. Komm!«

Was ich gesehen hatte, war tief in mein Gedächtnis gebrannt und während wir in Richtung der Duschen gingen, tauchte das Bild immer und immer wieder vor meinen Augen auf. Mit jedem Schritt, den ich tat, konnte ich fühlen wie langsam aber sicher mehr und mehr Blut in einen ganz bestimmten Teil meines Körpers gepumpt wurde. Einen Moment lang schloss ich meine Augen und versuchte verzweifelt, meinen Körper dazu zu bringen, mir zu gehorchen, aber das machte es nur noch schlimmer.

Endlich stoppte der Gedanke an tote Hundebabys und verschrumpelte Großmütter den Prozess und ein kurzer Blick nach unten verriet mir, dass, obwohl ich nicht vollkommen hart war, er definitiv größer als gewöhnlich aussah. Glücklicherweise war ich, wenn auch nur gerade noch so, in einem Zustand, der in der Umkleide als akzeptabel gelten sollte.

Als wir den Duschraum betraten, überholte ich Ethan und nahm eine Dusche in einer der Ecken, für den Fall, dass es noch schlimmer wurde. Ethan warf mir einen komischen Blick zu, aber dann zuckte er mit den Achseln und nahm die Dusche neben meiner.

Ich war gerade erst unter den Wasserstrahl getreten und hatte angefangen, mich zu waschen, als Ethan mich wieder ansprach. »Hast du schon mit Cody geredet?«

Aus Reflex und gewohnter Höflichkeit, drehte ich meinen Kopf und schaute zu ihm herüber, bevor ich antwortete. Ich bereute sofort, dass ich meine Augen für diese Unterhaltung nicht auf die Wand fixiert hatte. Sein Körper war mir zugedreht und er wusch sich untenrum, und zwar langsam, beinahe genüsslich.

Ich versuchte, Augenkontakt mit ihm zu halten, aber es war bereits zu spät. Ich hatte alles gesehen, was es zu sehen gab und würde es auch so schnell nicht vergessen. »Ich bespreche das alles in der nächsten Pause mit ihm«, sagte ich schnell, bevor ich mich wieder den Fliesen zuwandte. Ich betete, dass mein kleiner Freund wenigstens dieses eine Mal auf mich hören würde, aber es war ein aussichtsloser Kampf. Verzweifelt schaute ich auf den Duschknopf und hoffte, etwas zu finden, womit ich das Wasser auf eiskalt schalten könnte, aber ich wusste vorher schon, dass man die Wassertemperatur hier nicht ändern konnte.

Wenige Sekunden später war jegliche Hoffnung verloren. Ich hatte keine Chance, das Ding noch zu verstecken. Schnell drehte ich mich von Ethan weg, nur um zu realisieren, dass schräg hinter mir auch jemand duschte. Wenn ich vermied, dass Ethan mich sah, riskierte ich, dass der Typ hinter mir mein nicht mehr ganz so kleines Problem bemerken würde. Ich wollte zwar definitiv nicht, dass Ethan mich in dieser Verfassung sah, aber wenigstens würde er es nicht gleich der ganzen Klasse verkünden.

Ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, aber da das nicht klappte, wusch ich mich so schnell ich konnte, in der Hoffnung fertig zu werden, bevor irgendjemand etwas bemerkte. Die ersten unserer Mitschüler verließen die Duschen bereits wieder und ich dankte Gott, dass wir so spät angefangen hatten. Auch der Junge hinter mir schnappte sich gerade sein Handtuch und die Dusche auf Ethans anderer Seite war bereits aus.

Ich sandte ein weiteres Stoßgebet, dass alles gut gehen würde, gen Himmel, und obwohl mein bester Freund sich für einen pflichtbewussten, übereifrigen Soldaten hielt und stramm stehen blieb, ging alles gut. Zumindest bis ich nach meinem Shampoo griff.

Als ich auf die Seifenablage schaute, realisierte ich, dass ich mein Shampoo in meinem Rucksack vergessen hatte. Ich drehte meinen Kopf schnell der Wand zu und begann krampfhaft zu nachdenken. Falls ich Ethan fragen würde, ob er mir sein Shampoo leihen könnte, würde er mich angucken, aber ich wollte auch nicht einfach ohne Shampoo duschen. Ich war immer noch damit beschäftigt, eine Lösung für mein Problem zu finden, als ich Ethan kichern hörte.

Ich schaute zu ihm herüber und sah, dass er mir zwischen die Beine starrte.

Innerhalb einer Sekunde schoss so viel Blut in meinen Kopf, es war ein Wunder, dass mein kleiner, tapferer Soldat stehenblieb, und mein Herz schlug so schnell, dass ich Angst hatte es würde explodieren. Ich schaute Ethan in die Augen und wollte einfach nur noch sterben. In dem Moment, in dem er den Blick der Verzweiflung auf meinem Gesicht sah, verlor er seinen verspielten Blick. Zumindest teilweise. »Das passiert, mach dir keinen Kopf drum«, raunte er mir zu.

Ich war wie eingefroren und reagierte nicht, also redete er weiter. »Ernsthaft. Ist doch kein Ding. Wenn irgendwer 'nen blöden Spruch macht, antworte einfach, dass du an die letzte Nacht denken musstest, die du mit seiner Mutter verbracht hast.«

Mein Gehirn arbeitete zwar stark verzögert, aber als es endlich aufholte, musste ich anfangen zu lachen. »Echt jetzt, Ethan? Nur du könntest dir so etwas Beklopptes ausdenken!«

»Hey, wo ist das Problem? Ich habe den Spruch schon mal benutzt und außerdem habe ich erfolgreich deinen Herzinfarkt gestoppt«, kicherte er. Verschwörerisch lehnte er sich zu mir herüber und flüsterte. »Du sieht genauso aus, wie er. Echt unglaublich.«

Ich schüttelte meinen Kopf und wurde noch röter, falls das überhaupt möglich war. »Kann ich dein Shampoo benutzen?« fragte ich schüchtern. »Ich habe vergessen, meins mitzunehmen.«

»Klar«, antwortete er und reichte mir die Flasche. Als ich sie entgegennahm, bekam er wieder sein verschlagenes Grinsen und seine Hand schwenkte zur Seifenablage. Meine Augen folgten seiner Bewegung und ich entdeckte ein kleines, altes Stück Seife, das dort lag. Das würde er doch wohl nicht wirklich tun, oder? Grinsend schob Ethan die Seife über den Rand des Halters, sodass sie auf den Boden zwischen uns fiel. Ich starrte auf die Seife herab und dann zurück zu ihm. Er zwinkerte mir zu und machte einige anzügliche Bewegungen mit seinen Hüften, bevor er mit dem Kopf der Seife zunickte, als ob er mich auffordern wolle, mich zu bücken und sie aufzuheben.

Mein Gesichtsausdruck musste unbezahlbar gewesen sein, denn Ethan schaffte es kaum, sich im Zaum zu halten. Er presste eine Hand auf seinen Mund und versuchte, ein schnaubendes Lachen zu unterdrücken, damit niemand merkte, was los war. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, aber konnte mich trotzdem nicht davon abhalten, zu grinsen. Dann fühlte ich, wie mein kleiner Soldat müde wurde und ganz langsam begann, sich zur Ruhe zu legen. Anscheinend hatten Ethans Albereien geholfen, mich genug abzulenken.

»Du bist unmöglich, weißt du das?« sagte ich zu ihm, während ich mich einseifte und ihm das Shampoo zurückgab.

»Jaja, was auch immer«, grinste er. »Brauchst du noch Hilfe oder kann ich gehen?«

»Das hättest du wohl gerne«, lachte ich. »Danke, aber ich denke ich habe alles im Griff.«

»Ich bin mir sicher, dass du alles im Griff hast«, witzelte Ethan und »Aber pass bloß auf, dass dein kleiner Soldat niemanden hier abschießt.«

Ich rollte mit den Augen und versuchte mein Grinsen zu unterdrücken. »Klar, wie du meinst.«

Immer noch glucksend verließ Ethan den Duschraum und ich folgte ihm kurz danach. Ich vermied immer noch, die anderen zu genau anzuschauen, aber ich hatte mich deutlich entspannt und war bei weitem nicht mehr so paranoid wie zuvor. Ich trocknete mich so schnell es ging ab und zog mich an. Nachdem ich Ethan gesagt hatte, dass ich ihn in der nächsten Stunde treffen würde, ging ich zum Ausgang, wo Cody bereits auf mich wartete.

»Hey J, was ist denn los?«

»Nicht hier«, antwortete ich angespannt, und

bedeutete ihm, mir zu folgen. Während wir den Flur hinuntergingen und das Gebäude verließen, um einen Platz zu finden, an dem wir ungestört reden konnten, dachte ich darüber nach, was gerade unter den Duschen passiert war.

War Ethan schwul oder trieb er einfach nur seine Späße? Oder vielleicht war er hetero und versuchte herauszufinden, ob ich schwul war?

Falls dies sein Plan war, dann wusste er inzwischen vermutlich Bescheid. So wie er sich mir präsentiert hatte… ich war mir sicher, er hatte absichtlich versucht, eine Reaktion hervorzurufen. Wenigstens hatte er nicht negativ reagiert, als das dann auch passierte. Falls er also annahm, dass ich schwul war, akzeptierte er es wenigstens. Vielleicht sollte ich wirklich versuchen, herauszufinden, ob er an mir interessiert war.

Nach dem, was er unter der Dusche getan hatte, vermutete ich, dass selbst wenn er nicht an mir interessiert war, es ihn nicht allzu sehr aus der Bahn werfen würde. Aber was sollte ich tun? Zufällig auf seine Bettseite rollen, wenn ich das nächste Mal bei ihm übernachtete? Versuchen, ihn zu küssen? Mich bei ihm outen? Ich hatte so viele Geschichten über schwule Jugendliche gelesen, aber jetzt, da ich selbst in dieser Situation war, schien all das, woran ich mich aus diesen Geschichten erinnern konnte, nutzlos.

Ich konnte ihn nicht einfach küssen und ich bezweifelte, dass es eine gute Idee war, mich im Schlaf an ihn heranzukuscheln. Er würde entweder vermuten, dass ich schliefe, oder falls ich ihn befummelte… Na ja, das würde selbst den entspanntesten Hetero die Fassung verlieren lassen. Der Versuch eines Coming-outs würde vermutlich damit enden, dass ich wie ein Idiot stotterte und mich komplett blamierte. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen. Noch mehr sexuell angehauchte Anspielungen? Vielleicht ein paar harmlose, zufällige Berührungen?

»So, worüber wolltest du reden?« fragte Cody ungeduldig.

Erschrocken schaute ich auf. Wir hatten das Gebäude schon vor einer Weile verlassen, und obwohl ich gedanklich komplett woanders gewesen war, hatte ich es irgendwie geschafft, uns in eine leere Ecke des Schulhofs zu lotsen.

»Ähm.« Verdammt, hatte ich mir nicht so etwas wie eine Taktik hierfür überlegen wollen? »Ähm, du warst gestern irgendwie komisch. Warum hast du mich so ausgefragt?«

»Ich habe keine Ahnung wovon du redest. Was meinst du?«

»Na ja, dass ich angeblich jemanden getroffen hätte. Stalkst du mich oder so?« Geht doch! Angriff ist die beste Verteidigung.

Er runzelte mit der Stirn. »Nicht gewollt.«

»Du… wie bitte?« Mein Atem stockte. »Was weißt du?«

Er lachte. »Du solltest mal dein Gesicht sehen. Ich wusste doch, dass etwas im Busch ist!«

Ich antwortete ihm nicht. Stattdessen starrte ich ihn an und wartete darauf, dass er weitersprach. Er zuckte mit den Achseln. »Ich habe dich und Ethan gestern in der Umkleide über irgendetwas Komisches reden gehört. Am Anfang hat es überhaupt keinen Sinn ergeben, aber dann habe ich mich an etwas erinnert und hatte eine Idee. Vor ein paar Tagen war ich mit meinem kleinen Bruder im Park und habe jemanden gesehen, der genauso aussieht, wie du.«

Meine Augen weiteten sich in Schock, aber er fuhr einfach fort. »Ich wollte hallo sagen, aber dann habe ich bemerkt, dass er total teure Klamotten anhatte. Nichts gegen dich, aber da wusste ich, dass es nicht du sein konntest. Ich dachte erst, dass es ein komischer Zufall war, aber nachdem ich euer Gespräch mitgehört habe, wusste ich, dass mehr dahintersteckt. Ich habe zwar keine Ahnung, was wirklich los ist, aber bisher klingt es ziemlich abgefahren.«

»Mist«, sagte ich panisch. Ich konnte mich kaum davor zurückhalten, ihn am Shirt zu greifen. Er wusste viel zu viel. Wenn er etwas sagte, während die falschen Leute in der Nähe waren, würde Ian oder vielleicht sogar Jacobs Eltern davon hören und die würden nicht lange brauchen, um alles herauszufinden. »Cody, hör zu. Du darfst niemandem davon erzählen. Bitte!«

Er erhob seine Hände. »Okay, okay. Warum erzählst du mir nicht einfach was überhaupt los ist, bevor ich irgendwelche Versprechen gebe.«

»Ich meine es ernst… versprich es«, verlangte ich. Er legte seinen Kopf schräg und schaute mich fragend an. Ich stöhnte. »In Ordnung. Ich bin Jacobs eineiiger Zwilling. Wir wurden nach unserer Geburt getrennt und haben uns gerade erst wieder gefunden. Außer dir wissen nur Ethan und Sarah davon.«

»Wow, was?« fragte er ungläubig. »Und warum haltet ihr das geheim?«

»Weil meine Eltern Arschlöcher sind und alles kaputtmachen würden«, murmelte ich niedergeschlagen. »Bitte behalt es für dich. Du kannst heute Nachmittag mit uns in den Park kommen, wenn du willst, aber bitte sag es keinem. Wir sind noch nicht dafür bereit.«

Er dachte einige Sekunden darüber nach und dann grinste er. »Es klingt zwar total verrückt, aber wenn du wirklich die Wahrheit sagst, kann ich es gar nicht erwarten, das mit meinen eigenen Augen zu sehen. Ich beteilige mich zwar gerne am neusten Tratsch, aber ein Geheimnis wie dieses kann ich, denke ich, bewahren.«

»Danke Cody!« Ich wusste nicht, wie ich mich jetzt fühlen sollte. Ich war ziemlich überrascht, dass Cody uns so schnell durchschaut hatte, aber gleichzeitig war ich auch froh, dass er versprochen hatte, zu schweigen.

Nun hatte Cody also unser Geheimnis herausgefunden und Ian hatte mir auch schon einige verdächtige Blicke zugeworfen. Zwischen diesen beiden Dingen, sowie Ethans Verhalten und meinen Schuldgefühlen gegenüber Jacobs Eltern, begann ich mich paranoid und fehl am Platz zu fühlen. Ich konnte gar nicht erwarten, dass die nächste Stunde vorbei war, damit ich Jacob im Park treffen und endlich wieder ich selbst sein konnte.

Irgendwie stimmte es mich traurig, wieder zu meinem alten Leben zurückzukommen, aber ich hatte so viele Fehler gemacht; es war vermutlich besser, einige Tage zu warten, bis sich alles beruhigt hatte.

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Danke, dass du uns gleich zwei weitere Parts spendiert hast. So ist der Cliffhanger nicht ganz so schlimm.

Die Geschichte lenkt mich gut vom Alltagsstress und der Hitze ab. Es ist so toll zu lesen, wie gut es Josh gerade geht, auch wenn er sich viel zu viele Gedanken und Sorgen macht. Er sollte einfach mal entspannen und auf sich zukommen lassen. Die Zeit und Gelegenheiten nutzen.

Ethan ist so auf geschlossen, da kann er einfach sein Glück probieren - auch wenn dieser vllt. doch nicht schwul sein sollte, wird er locker reagieren. Trau dich! :smiley:

Wenn sie jetzt wieder zurücktauschen würden, dann könnte er ja gar nicht nach Washington? :thinking:

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Hey, danke für den Kommi!

ich denke auch, wenn wir uns mal öfter etwas trauen würden, anstatt nur davon zu träumen, dann ginge es uns allen besser. :smiley:

Brüderlichkeit


Jacob

»Cody weiß Bescheid«, sagte Josh, als er sich neben mich auf die Wiese setzte.

»Verdammt. Wie hat er das bitte herausgefunden?« fragte ich überrascht.

»Er hat einen von uns hier im Park in meinen Klamotten gesehen«, erklärte Josh. »Deswegen hat er mich in der Schule wohl genauer beobachtet und letzten Endes ein Gespräch zwischen Ethan und mir mitgehört. Wir dachten, es wäre besser ihm alles zu erzählen, anstatt irgendetwas zu riskieren. Er hat versprochen, es für sich zu behalten.«

»Und du vertraust ihm genug, um dir sicher zu sein, dass er das auch tut?« fragte ich.

Josh zuckte mit den Achseln. »Sieht nicht so aus, als ob wir eine Wahl hätten. Ich habe ihn eingeladen, heute Nachmittag mit hierher zu kommen.«

Ich nickte. »Da hast du wohl Recht. Können wir jetzt auch nicht mehr ändern.« Dann blickte ich auf mein Handy. »Okay, wollen wir Klamotten tauschen? Wir haben nur ein paar Minuten Zeit, wenn wir pünktlich wieder in der Schule sein wollen.«

»Okay«, antwortete er und nachdem wir uns vergewissert hatten, dass wirklich niemand in der Nähe war, begannen wir uns auszuziehen. »Hast du dein Deo dabei?«

»Ja, hier drin.« Ich reichte ihm meinen, oder eigentlich seinen, Rucksack.

»Danke«, sagte er und gab mir seinen im Tausch. Nachdem er seine Kleidung gefaltet und auf die Schuhe gelegt hatte, stellte er sich vor mir hin, etwa anderthalb Meter entfernt. Er schob seine Daumen unter den Gummizug seiner Boxershorts und grinste mich an. »Tauschen wir die auch?«

Ich schaute an mir herunter und zögerte einen Moment. Dann grinste ich zurück. »Du willst mich doch nur nackt sehen.«

Er lachte. »Ich kann dich nackt sehen, wann immer ich will«, sagte er, zog seine Boxershorts ein Stück von seinem Körper weg und schaute hinein. »Jup, du bist hervorragend ausgestattet, Jacob. Damit wirst du noch viele Mädchen glücklich machen.«

Das brachte mich zum Lachen. »Du bist verrückt.«

Er ließ den Gummizug seiner Boxer gegen seinen Bauch klatschen und griff seine Klamotten. »Dann halt nicht. Wir müssen das nicht machen, wenn du Angst hast, den Kürzeren zu ziehen«, stichelte er mich. Ich schüttelte grinsend meinen Kopf und begann, mich anzuziehen.

Sobald wir fertig waren, schaute er auf seine Handyuhr. »Okay, ich sollte los. Ich kann mit diesem Muskelkater nicht laufen und ich will nicht zu spät sein.«

»Okay, bis später«, erwiderte ich. »Ach ja Josh? Sei vorsichtig, wenn du in Parkers Nähe bist, okay? Achte darauf, dass du möglichst selbstbewusst aussiehst. Das ist wichtig.«

Er guckte mich plötzlich sehr besorgt an. »Warum?«

»Ähm«, sagte ich. Warum hatte ich ihm das nicht schon längst erzählt? »Ich habe ihn… Na ja überzeugt, dich in Ruhe zu lassen, aber du kannst es dir nicht leisten, Schwäche zu zeigen. Ansonsten wird er das Risiko eingehen und schauen, ob ich nur leere Drohungen gemacht habe.«

»Was? Was zum Teufel hast du getan? Ich meine, was auch immer du getan hast, um dich zu verteidigen, ist okay, aber das klingt gar nicht gut. Hast du ihn etwa irgendwie herausgefordert?«

»Äh«, brachte ich hervor. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich das Richtige getan hatte. »Ich hab ihm in die Eier getreten. Dann hab ich ihm gesagt, dass wenn er es je wieder wagt, mich zu berühren, dein Vater ihn verklagen würde. Ich habe eventuell auch erwähnt, dass ich einen Zeugen bestechen und ihn wegen sexueller Belästigung anzeigen würde. Ich war mir ziemlich sicher, dass er so eine Anschuldigung weder seinen Eltern noch seinen Freunden erklären wollen würde. Bisher scheint’s zu funktionieren.«

»Wie bitte?« Es war mehr ein Aufschrei als eine Frage. »Scheiße, verdammt!«

Ich war ziemlich geschockt von seiner Reaktion. Josh war zwar nicht der liebe, religiöse Sohn, für den seine Eltern ihn hielten, aber die Wortwahl war selbst für ihn etwas heftig. Er begann auf- und abzugehen. »Scheiße! Er wird irgendeinen Weg finden, sich zu rächen, soviel ist sicher.«

»Warte mal Josh!« Er blieb stehen und warf mir einen finsteren Blick zu. Wut begann sich in mir aufzubauen. Ich hatte so viel für ihn getan und es war nicht so, als ob Parker mir eine Wahl gelassen hätte. »Es tut mir ja leid, aber wenn ich es nicht getan hätte, wäre ich verprügelt worden. Ich bin mir sicher, dass er nichts weiter machen wird.«

Ich versuchte meinen Muskeln zu entspannen und ruhig zu sprechen, aber so wirklich funktionieren tat es nicht. »Vielleicht ist er dumm, aber solange er keinen schwachen Punkt sieht, wird er nichts riskieren. Tu einfach so, als ob er dir vollkommen egal ist, wenn du ihn siehst, und dann wird das schon.«

»Ich hoffe, du hast Recht«, kommentierte Josh säuerlich. »Warum hast du mir nicht früher davon erzählt? Gibt es noch etwas, das ich wissen sollte?«

Ich schluckte. Da war die Sache mit Philip, aber wenn ich ihm das jetzt erzählte, dann würde er vermutlich total abdrehen. Er musste meinen Gesichtsausdruck gesehen haben, denn er schaute noch finsterer als zuvor. »Was ist es? Sag schon!«

»Ähm na ja, Philip«, stotterte ich. »Er hat… irgendwie… Na ja, Andeutungen gemacht…«

»Was für Andeutungen«, verlangte Josh.

»Dass du schwul wärest?« Es war kaum mehr als ein Flüstern.

Ich war davon ausgegangen, dass er mich anschreien würde, dass er durchdrehen, mich vielleicht sogar angreifen würde, aber stattdessen ließ er sich zu Boden sinken und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Ich bin sowas von am Arsch.«

Ich setzte mich ihm gegenüber, etwa zwei Meter entfernt, kreuzte meine Arme und sprach trotzig.

»Das war definitiv nicht mein Fehler. Ich bin nicht einmal schwul, also wie sollte er das von mir herausfinden. Er muss das schon länger vermutet haben, als nur die letzten Tage, also gib mir nicht dafür auch noch die Schuld.«

»Scheiße«, murmelte Josh. »Das ist jetzt auch egal, Jacob. Ich will nicht darüber nachdenken, okay?«

»Das ist nicht egal«, rief ich verletzt. »Es ist nicht so, als ob ich versucht hätte, dir Schaden zuzufügen. Ich habe versucht, es dir einfacher zu machen und anscheinend glaubst du, dass das mit Parker ein Fehler war. Keine Ahnung was mit Philip los ist, aber anscheinend gibst du mir dafür auch die Schuld. Selbst wenn du bei Parker Recht hast, was hätte ich tun sollen? Mich zusammenschlagen lassen? Und Philip? Er sah nicht so aus, als ob er vorhätte, deinen Eltern irgendetwas zu sagen. Ich habe mein Bestes gegeben, um in diese Rolle zu passen und dir ein wenig zu helfen, und das ist der Dank?«

Er schaute auf und ich sah, dass er zitterte. »Checkst du das nicht?« brüllte er. »Es geht hier überhaupt nicht um dich. Okay, es ist nicht dein Fehler, aber das macht keinen Unterschied. Checkst du nicht, was Philip alles mit mir anstellen kann, wenn er das weiß?«

Ich machte eine abwehrende Geste mit meinen Händen, überrascht, dass er so heftig reagierte. »Nein, ich check’s nicht«, warf ich zurück. »Wovon redest du bitte?«

Josh raufte sich das Haar. »Jacob, wenn er irgendeine Art Beweis hat, dass ich schwul bin, dann hat er totale Kontrolle, verstehst du das nicht? Ich bin mir sicher, dass er schwul ist, und jetzt, wo er weiß, dass ich schwul bin, wird er auf einmal total freundlich zu mir, als ob er die Situation ausnutzen will? Er hat so lange versucht, mein Vertrauen zu erlangen und kommt so oft in mein Zimmer, vor allem in den letzten Wochen, da steckt mehr dahinter, als nur dass er seinen Job macht. Er ist ein sehr gutaussehender Typ Mitte zwanzig und hat nie etwas von einer Freundin oder Frau erwähnt. Was denkst du wohl, woran das liegt?«

»Er ist nett, weil ich nett zu ihm war, und woher willst du das überhaupt alles so genau wissen?« widersprach ich.

»Ich habe verdammt nochmal keine Ahnung«, warf er zurück. »Vielleicht hat er eine Möglichkeit gefunden, meinen Browserverlauf wiederherzustellen? Darum geht es aber nicht. Er würde keine Andeutungen machen, wenn nicht mehr dahinterstecken würde. Mal ehrlich, er arbeitet für meinen Vater. Er würde sich nicht trauen, so etwas zu sagen, ohne dass er einen Plan hat.«

»Er wird doch nicht versuchen, sich an dich heranzumachen, oder?« fragte ich, als ich plötzlich verstand, warum Josh so aufgebracht war. Ich hatte gedacht, dass Philip einfach nur freundlich war, aber was Josh sagte, konnte genauso gut sein.

»Woher soll ich das wissen?« fragte er niedergeschlagen. Er ließ seinen Kopf hängen und stützte seine Stirn auf seinen Fäusten ab. Dann schauderte er sichtlich. »Ich weiß allerdings eines. Wenn er auf die nette Art keinen Erfolg hat, kann er jederzeit drohen, meinem Vater zu erzählen, dass ich schwul bin.«

»Er würde dich doch nicht erpressen und dazu zwingen mit ihm… zu… ähm…«, ich verstummte und schaute ihn geschockt an. »Ist es das, woran du denkst?

»Ich will am liebsten überhaupt nicht daran denken«, seufzte er und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. »Alles woran ich gerade denken kann, ist, dass meinem Vater nicht davon wissen darf. Scheiße, was auch immer er von mir verlangt, ich muss es tun, ansonsten bin ich richtig am Arsch.«

Ich konnte nicht auf sein Gesicht schauen, aber sah ihn wieder schaudern. Es schien beinahe so, als ob er versuche, sich selbst kleiner zu machen. Nach etwa einer Minute sprach er endlich wieder. »Es tut mir leid, wegen vorhin«, sagte er mit zitternder Stimme. »Ich… ich gebe dir nicht die Schuld. Es tut mir leid, dass… dass ich dich angeschrien habe. Es ist nur so… so viel ist schiefgelaufen und ich habe total Angst davor, was passieren könnte.«

Er gab ein gequältes Räuspern von sich, aber als er wieder sprach, klang seine Stimme immer noch komisch. »Wenn Philip es wirklich weiß, dann hat er mich vollkommen in der Hand.«

Ich rutschte zu ihm herüber. Vorsichtig berührte ich seine Schulter und legte dann meinen Arm um ihn. »Es tut mir leid, wenn ich irgendetwas falsch gemacht habe, Josh. Wirklich. Ich weiß, dass du mehr zu verlieren hast, als ich mir überhaupt vorstellen kann, also… keine Ahnung. Bitte sei mir nicht böse. Ich wollte wirklich keine Probleme verursachen.«

Er lehnte sich an mich und ich spürte, wie sein Körper sich ein wenig entspannte. »Wie konnten so viele Dinge nur in so kurzer Zeit passieren?« fragte er leise. »Ich habe einige Leute misstrauisch gemacht, dann sind da noch Parker und Philip… ich weiß nicht, es ist irgendwie zu viel auf einmal.«

Ohne darüber nachzudenken, legte ich meinen anderen Arm um ihn herum und zog ihn an mich. »Hör mal, wir müssen los, aber wir treffen uns heute Nachmittag gleich nach der Schule wieder, okay? Beruhig dich ein wenig und versuch möglichst selbstsicher auszusehen, wenn Parker in der Nähe ist. Wir können nach der Schule über alles reden. Was Philip betrifft, mach dir darüber erstmal keine Sorgen, okay? Wenn er irgendetwas in der Richtung macht, dann musst du mir auf jeden Fall sofort Bescheid sagen. Ethan und ich regeln das schon irgendwie, egal was passiert, in Ordnung?«

Er verweilte noch ein wenig in meiner Umarmung, Kopf auf meiner Schulter. Plötzlich hob er seinen Kopf, legte seine Arme um mich und klammerte sich einige Momente lang an mich, als ob sein Leben davon abhinge. »Es tut mir immer noch leid wegen vorhin.«

»Ist schon okay«, beruhigte ich ihn. »Ich verstehe, warum du so reagierst hast. Solange du verstehst, dass ich nicht wollte, dass so etwas passiert, ist alles in Ordnung. Ich bin mir sicher, du hast auch Fehler gemacht, aber das ist okay. Wenn man so etwas tut, wie wir, dann sollte man wohl damit rechnen, dass etwas schiefgeht. Jetzt müssen wir halt irgendwie damit klarkommen.«

Ich war bei Weitem nicht so ruhig, wie ich ihm vorspielte, aber es hätte nichts geholfen, ihn noch mehr zu verunsichern. Seufzend erhob ich mich. »Wir müssen los, wir sind so schon zu spät.«

Er nahm meine ausgestreckte Hand und zog sich hoch. Als er seinen Rucksack nahm, legte ich eine Hand auf seine Schulter. »Alles okay? Bis nachher hältst du durch, oder?«

»Ja, ich denke schon«, antwortete er und zwang sich, zu lächeln. Es sah eher wie eine Grimasse aus. Ich gab ihm noch eine kurze Umarmung und klopfte ihm auf den Rücken. »Ich treffe dich dann nach der Schule wieder hier. Versuch bis dahin einfach, nicht darüber nachzudenken, okay?«

Er nickte langsam. »Okay.«

Nach der Mittagspause hatte ich kaum eine ruhige Minute. Philip wollte meine Gedanken einfach nicht verlassen.

»Hey Ethan, kannst du irgendetwas mit Cody machen und ihn erst ein, zwei Stunden später zum Park bringen? Ich muss noch ein paar Sachen mit J alleine klären«, bat ich ihn, als wir den Unterrichtsraum verließen. Der Stress, den ich spürte, musste sich in meiner Stimme und auf meinem Gesicht gezeigt haben, denn Ethan sah mich neugierig an. Er zögerte einen Moment und es war offensichtlich, dass er irgendeinen Spruch auf den Lippen liegen hatte, aber als er meinen Blick sah, schluckte er ihn herunter.

»Klar. Wir sehen uns dann später.«

»Danke, hast einen gut bei mir«, sagte ich und eilte den Gang herunter. Ich wollte so schnell es ging zum Park kommen. Es war mir inzwischen völlig egal, wer was falsch gemacht hatte, es ging nur darum, dass wir das Problem in den Griff bekamen. Natürlich war ich irgendwo immer noch sauer, dass Josh so reagiert hatte, aber das war nicht mehr wichtig. Ich bezweifelte zwar, dass Philip seine Macht über Josh ausnutzen würde, denn er verhielt sich viel zu nett dafür, aber war es andererseits nicht gerade typisch für diese Sorte von Leuten, sich so zu verhalten? Ich hoffte, Josh würde die Schuld nicht bei mir suchen, wenn es so weit kam.

»Hey J, warte mal«, hörte ich jemanden hinter mir rufen. Ich drehte mich um und sah Conrad in meine Richtung kommen. Mit verschränkten Armen vor der Brust lehnte ich mich gegen die Wand und wartete auf ihn. Was auch immer er wollte, ich hatte gerade wirklich keine Zeit dafür.

»Was gibt’s?« fragte ich knapp angebunden, als er nahe genug war, um sich ohne Rufen verständigen zu können.

»Komm, wir können uns im Gehen unterhalten«, sagte er und ging weiter Richtung Treppe. Ich drückte mich von der Wand weg und schloss zu ihm auf.

»Du hängst mit irgendeinem neuen Typen rum?« fragte er, während ich neben ihm herging.

»Du meinst Cody«, stellte ich fest.

»Cody, meinetwegen, ist auch egal«, erwiderte er abweisend. »Es heißt, er wäre schwul.«

»Aha, und weiter?« fragte ich genervt. Ich richtete meinen Blick starr geradeaus, als ich ihm antwortete, anstatt ihn anzusehen. Während der letzten Tage hatte ich definitiv genug homophoben Unsinn von Mr. Adams hören müssen und jetzt wollte Conrad auch noch seinen Senf dazugeben? Ich hatte echt andere Probleme.

»Jacob! Er ist… schwul«, wiederholte Conrad und gestikulierte mit seinen Händen, als ob ich dadurch besser verstehen würde, worauf er hinauswollte Er war offensichtlich ein wenig verwirrt darüber, wie gleichgültig ich reagierte.

»Ja, ich weiß«, antwortete ich und öffnete die Eingangstür des Gebäudes. Während ich im Durchgang stand, drehte ich mich zu ihm um, zuckt mit den Achseln und trat dann nach draußen.

Er gab allerdings nicht einfach auf. »Jacob, es könnte das Gerücht umgehen, dass du auch schwul bist, weil du mit ihm abhängst. Außerdem, warum gibst du dich überhaupt mit einer Schwuchtel ab?«

Ich wirbelte herum und starrte ihn finster an. Ob es Mr. Adams Gerede war oder die Tatsache, dass ich einen schwulen Zwillingsbruder hatte… ich wusste es nicht, aber etwas hatte mich diesem Wort gegenüber deutlich empfindlicher gemacht, als ich es noch kurz zuvor gewesen war. Trotz meines vorherigen Streits mit Josh kam eine Welle der Wut über mich, als ich dieses Wort hörte. Beinahe hätte ich Conrad dafür angeschnauzt, aber ich unterdrückte diesen Impuls. Stattdessen atmete ich tief ein, und wieder aus, und versuchte mich zu beruhigen.

»Also Conrad«, sagte ich, so gelassen ich nur konnte. »Ich habe gerade echt keine Lust, darüber zu reden. Was geht es dich überhaupt an? Ich bin alt genug, um mir meine Freunde selber auszusuchen. Ich weiß, was du meinst, aber im Moment habe ich andere Probleme, okay? Trotzdem danke, dass du dir Sorgen um mich machst.«

Er starrte mich mit offenem Mund an, total überrascht von meiner Reaktion. Ich entschied, dass die Unterhaltung damit vorüber war, und ging einfach weiter. Als ich das Schulgelände verließ und Richtung Park ging, begannen meine Emotionen mich einzuholen. Ich war meinen Brüdern sehr nahe und obwohl Conrad in letzter Zeit immer distanzierter geworden war, tat es mir leid, so reagiert zu haben. Gefühle der Schuld kamen in mir auf, aber ich wehrte diese sofort ab.

Wir waren nicht mehr in den 70ern, wir waren im 21. Jahrhundert. Conrads Homophobie war lächerlich und ich würde ihm früher oder später sowieso widersprechen müssen. Ian war zwar nicht ganz so schlimm wie Conrad, aber ich nahm an, dass die beiden sich in diesem Falle einig sein würden. Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieses Thema aufkam, und nun hatte ich den Ball ins Rollen gebracht.

»Na ja, je früher, desto besser«, dachte ich, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob es nicht doch etwas zu früh gewesen war.

Sobald ich den Park betrat, verlangsamte ich meinen Schritt. Die Sonne schien und man konnte viele Familien auf der Wiese sehen. Ich sog die friedliche Atmosphäre ein und versuchte mich zu beruhigen. Conrad und Ian würden schon irgendwie damit klarkommen. Ich war zuversichtlich, dass selbst wenn Conrad einige Zeit brauchen würde, er letzten Endes aber akzeptieren musste, dass ich andere Ansichten hatte als er. Es war schön, dass ich meinen Brüdern wichtig war und sie auf mich aufpassten, aber ich war kein kleines Kind mehr und hatte auch eine eigene Meinung.

Als ich zur Lichtung kam, sah ich Josh bereits gegen einen Baum gelehnt auf mich warten. Ich ging zu ihm herüber und wir begrüßten uns mit Handschlag.

Zuerst wollte ich mich direkt hinsetzten, wo ich war, sodass ich ihm ins Gesicht schauen konnte, aber tat es dann doch nicht. Stattdessen ließ ich mich neben ihm nieder, mein Rücken an den gleichen Stamm gelehnt, Schulter an Schulter.

Mehrere Minuten lang sprach keiner von uns ein Wort. Ich schaute über die Wiese und sah eine Biene umherfliegen. Sie bewegte sich von Blume zu Blume und kam uns immer näher. Es war so ruhig, man konnte jeden einzelnen Vogel in den Bäumen über uns hören. Die Natur so in mich aufzunehmen, hatte einen beruhigenden Effekt und ich bemerkte erst jetzt, da mein Körper entspannte, wie verkrampft ich gewesen war.

Die Biene flog schließlich weiter und als ob das mein Signal gewesen wäre, räusperte ich mich und begann zu sprechen. »Wie ist es so, zurück zu sein?«

Josh zog seine Beine an die Brust und legte seine Arme um sie. »Irgendwie komisch«, antwortete er nach einer Weile. »Es ist… als ob ich die ganze Zeit in diesem kleinen Tal gelebt und dann endlich einen der Bergpässe erklommen hätte, um die umliegenden Täler zu erkunden. Jetzt, wo ich zurück bin, erscheint alles so unreal und eingeengt.«

Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich ihn wirklich richtig verstand. Dann realisierte ich, dass er mich überhaupt nicht nicken sehen konnte, weil wir in verschiedene Richtungen schauten. »Das verstehe ich, glaube ich.«

»Es ist beinahe, als würde ich all das jetzt aus einer anderen Perspektive betrachten«, fuhr er fort. »Noch vor zwei Wochen war das alles, was ich kannte. Es schien, als ob es keinen Ausweg gäbe. Jetzt erscheint mir alles so unwichtig, nichts davon nimmt mich mehr so wirklich mit, verstehst du? Bevor wir uns getroffen haben, hatte ich immer Angst davor, was in der Zukunft auf mich wartet. Ich wusste, dass wenn meine Eltern über meine Orientierung herausfinden, ich so gut wie erledigt bin.«

Er machte eine Redepause und räusperte sich. »Aber jetzt, selbst wenn alles komplett schiefgeht, habe ich immer noch dich und Ethan. Das macht alles deutlich einfacher.«

»Du solltest trotzdem vorsichtig sein«, warnte ich ihn. »Wir sind alle noch minderjährig und können nicht einfach so weglaufen und ein neues Leben woanders anfangen oder so.«

»Ich wünschte, wir könnten«, sagte er. »Aber ich verstehe, was du meinst. Ich sage ja nur, es hilft mir zu wissen, dass es Menschen gibt, denen ich nicht egal bin.«

»Also ist das von vorhin erledigt?« fragte ich und drehte meinen ganzen Körper, sodass ich ihm vernünftig ins Gesicht schauen konnte. »Es tut mir wirklich leid, falls irgendetwas davon mein Fehler war. Ich wollte wirklich keine Probleme verursachen.«

Er drehte seinen Kopf und nahm Augenkontakt auf. »Es tut mir leid, dass ich so reagiert habe. Ich war total geschockt, aber das gibt mir kein Recht, dich so anzuschreien. Ich habe genauso wie du Fehler gemacht. Ich hoffe einfach nur, dass wir das hinter uns lassen und uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren können.«

Ich nickte. »Gut. Vergeben und vergessen.« Er lächelte und umarmte mich nahezu stürmisch. Ich legte meine Arme erst zögerlich um ihn, und zog ihn dann aber in eine brüderliche Umarmung. Manchmal kam mir die Häufigkeit unserer Umarmungen komisch vor, und einen Moment lang fragte ich mich sogar, ob es etwas damit zu tun hatte, dass er schwul war, aber diese Idee verwarf ich schnell. Ich kannte seine Eltern allzu gut und ich wusste, wie distanziert und kalt sie waren. Er sehnte sich nach Liebe und Bestätigung, und eine Umarmung war eine sehr direkte, körperliche Möglichkeit, genau diese Dinge zu demonstrieren.

Auf eine merkwürdige Art und Weise konnte ich genau verstehen, warum er sich so verhielt und das stimmte mich traurig. Wenn ich so darüber nachdachte, die Umarmungen störten mich nicht. Es war etwas, an dem es mir nie gemangelt hatte, aber nach dem er hungerte, weil er es nie zuvor erlebt hatte.

Als wir uns voneinander lösten, bemerkte ich seinen übermäßig glücklichen Gesichtsausdruck. In Anbetracht der Freude, die ich ihm damit bereitet hatte, nahm ich mir vor, ihn öfter und länger zu umarmen.

»Okay, wie geht’s weiter? Steht der Plan mit Washington noch?«

Er lächelte mich an. »Willst du immer noch das Wochenende bei meinen Großeltern verbringen?«

»Auf jeden Fall«, erwiderte ich begeistert. »Ich freue mich echt darauf. Es ist etwas, das ich noch nie gemacht habe und soweit ich das beim Frühstück heute verstanden habe, werden wir mit einem Privatjet fliegen. Ich bin noch nie geflogen, aber dann auch noch gleich in einem Privatjet? Das wäre der Hammer!«

Josh war von meinem Enthusiasmus amüsiert. »Ja, die fliegen immer mit dem firmeneigenen Jet. Okay, wir bleiben erst einmal wir selbst und Freitagmittag können wir zurücktauschen. Das gibt uns genug Zeit, um unsere Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und möglichen Verdacht zu zerstreuen, sodass du das Wochenende in Washington verbringen kannst.«

»Cool«, stimmte ich zu. Damit blieb nur noch ein Problem, das wir bereden mussten, bevor Ethan und Cody zu uns kamen. Ich zögerte einen Moment, aber dann entschied ich mich einfach zu fragen. »Ähm, das ist vermutlich nicht gerade dein Lieblingsthema, aber was ist mit Parker und Philip?«

Er zuckte mit den Achseln. »Du lagst richtig mit Parker. Er hat mich so weit in Ruhe gelassen. Vielleicht habe ich Glück und das klappt wirklich so, wie du es dir überlegt hast, zumindest bis zu den Sommerferien. Ich schätze, bis dahin kann ich halbwegs selbstbewusst auftreten, zumindest solange er mir nicht zu nahe kommt.«

Ich nickte. Eine bessere Antwort hätte ich im Moment gar nicht erwarten können. Als Josh nicht weitersprach, anscheinend, weil er in Gedanken versunken war, warf ich ihm einen auffordernden Blick zu. Da dieser keine Wirkung zeigte, fragte ich letzten Endes direkt. »Was ist mit Philip?«

Er seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich habe das noch nicht ganz durchdacht, aber es gibt vermutlich sowieso nichts, was ich tun kann, außer abwarten und schauen, was passiert. Fürs Erste werde ich versuchen, Distanz zu wahren ohne ihn dabei zu verärgern.«

»Ich mache mir da irgendwie Sorgen«, gab ich zu. »Sagst du’s mir, wenn er irgendetwas Verdächtiges sagt oder macht? Selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist?«

»Was für einen Unterschied macht das schon?« fragte er niedergeschlagen. Ich warf ihm einen strengen Blick zu und zuerst schaute er weg, aber als ich nicht aufhörte, gab er endlich nach. »Okay, okay, versprochen.«

»Gut«, sagte ich erleichtert. »Weil wenn du wirklich recht damit hast… Ich will nicht, dass du… Na ja…«

»Ich weiß«, unterbrach er mich. »Ich werde mich nicht von ihm erpressen lassen, zumindest habe ich mir das vorgenommen. Ich habe Glück, dass ich Ethan und dich gerade jetzt getroffen habe. Ohne euch wäre das alles ziemlich hoffnungslos und ich will gar nicht wissen, was dann passiert wäre. Es kann immer noch vieles geschehen, aber wenn es wirklich schlimm wird, dann stehe ich nicht mehr allein da.«

Das brachte mich zum Lächeln. »Okay, lass uns versuchen, da nicht zu viel drüber nachzudenken, aber ich kann dir versprechen, dass, wenn es schiefgeht, wir alles geben werden, um dir zu helfen«, versprach ich und achtete darauf, Augenkontakt mit ihm aufzunehmen, damit er wusste, dass ich es auch so meinte.

Er dachte ein wenig darüber nach und ein dankbares Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ich bin mir nicht sicher, was man noch retten kann, wenn Philip meinen Eltern wirklich irgendwann sagen sollte, dass ich schwul bin. Es bedeutet mir allerdings viel, dass ihr bereit seid, zu helfen. Niemand hat das je grundlos getan, wenigstens nicht so sehr wie ihr. Also danke!«

Seine Stimme wurde ein wenig emotional und der Ausdruck auf seinem Gesicht, der beinahe dem von Bewunderung glich, erzeugte ein komisches Gefühl in mir. Ich erinnerte mich an meine früheren Gedanken und mein Vorhaben und rutschte herüber, um ihn zu umarmen. In dem Moment wusste ich, dass dies alles es wert war, egal welche Probleme daraus entstanden. Der Streit mit Conrad war nur ein Beispiel dafür, dass dies alles nicht so einfach war, wie wir uns das ursprünglich gedacht hatten. Das Gefühl jemanden zu haben, der genauso ist, wie man selbst, einen eineiigen Zwilling, machte das aber um ein Vielfaches wett. Wenn Josh mich brauchte, dann würde ich auf jeden Fall für ihn da sein.

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