Bleib bei mir

Was soll ich sagen- es war ein ziemlich langer Weg für die beiden Jungs bis hier hin.

Ich gebe zu, es war ein langer Weg bis zu dieser Zugfahrt nach Berlin. Hoffentlich war es nicht allzu langweilig, diesen Weg mit zu verfolgen.

Am Ende dieses Kapitels wusste ich selber nicht, wie es für Max und Cosmin weiter geht und wollte mir auch nichts aus den Fingern saugen. Würde es vielleicht das „erste Mal“ geben? Oder würde sich das das erste gemeinsame Wochenende als große Enttäuschung entpuppen?
Wie schon angemerkt ahnte ich, dass es den beiden nicht vergönnt war, drei unbeschwerte Tage in Berlin zu verbringen.
Ich hoffte natürlich, dass den Jungs in Berlin nicht Max’ Stiefmutter über den Weg läuft. Wie auch immer, ich musste einige Zeit warten, ehe ich erfahren habe, was nun passiert. Da trifft es sich gut, dass ich in den nächsten zwei oder drei Wochen nicht dazu kommen werde, in den nächsten Kapiteln auf Fehlersuche zu gehen und sie anschließend hochzuladen. Ich verspreche aber, dass unter dem letzten Kapitel dieser Geschichte das Wörtchen „Ende“ steht, auch wenn ziemlich viele Fragen offen bleiben. Aber das ist ja bei allen Geschichten so.

  1. Das Vergnügen hat einen Preis

Max

Das Hostel war ein schmuckloser grauer Betonblock und lag etwa dreißig Gehminuten vom Ausgang des Hauptbahnhofes entfernt. Bunte Plakate, auf denen junge Rucksacktouristen aller Hautfarben ferne Länder erkundeten, verzierten die Fassade im Erdgeschoss.
Max und Cosmin betraten die Lobby des Hostels. Neben der Rezeption und einem „Treffpunkt“ genannten Bereich mit mehreren Sitzecken und Tischen befand sich auch eine "Bierstube“ mit Getränkeautomaten in der Lobby, zu der allerdings der Zutritt erst ab achtzehn erlaubt war.
Trotz der noch recht frühen Abendstunde war bereits die Hälfte der knapp zwei Dutzend Tische im „Treffpunkt“ und in der „Bierstube“ mit zumeist jungen Leuten besetzt. Viele von ihnen musterten neugierig die beiden Neuankömmlinge.
Max bemerkte, dass einige Mädchen sich offenbar nicht so richtig entscheiden konnten, wem sie mehr Blicke zuwerfen sollten, ihm oder doch eher Cosmin. Das weiße Kapuzenshirt betonte Cosmins exotische Erscheinung und mit den schulterlangen pechschwarzen und verfilzten Locken wirkte Cosmin einmal mehr wie jemand, der bislang in irgendeinem Dschungel zu Hause gewesen war. Cosmin schien die Blicke der jungen Frauen nicht zu bemerken.

Kein Wunder, dass der noch Jungfrau ist!

Max und trat an die Rezeption heran.
„Hi, was kann ich für euch tun, Jungs?“, begrüßte sie ein vielleicht dreißig Jahre alter Mann mit schwarzem Vollbart auf der anderen Seite des Empfangstresens. Max reichte ihm die Buchungsbestätigung, die beiden Einverständniserklärungen und die Personalausweise.
„Hi! Wir haben hier ein Zimmer für drei Nächte gebucht.“
„Hm… lass mich mal kurz schauen“, sagte der Mann und klimperte auf einer Computertastatur herum.
„Aha, hab dich, Max. Ein Doppelzimmer de luxe.“ Der Blick des Mannes huschte ein paar Mal zwischen Max und Cosmin hin und her. „Wolltet ihr das mit dem Doppelbett oder doch lieber mit den beiden Einzelbetten?“, fragte der Mann und Max entging nicht das Lauern in dessen Stimme. Er war sicher, dass er das Zimmer mit einem Doppelbett gebucht hatte.
"Äh… "

Wenn ich jetzt „Doppelbett“ sage ist das wie ein Schild auf der Brust, auf dem „Ich bin schwul“ drauf steht.

Der Mann grinste und schob zwei Schlüsselkarten und die beiden Ausweise der Jungen über den Tresen. „Ihr seht aus, als würdet ihr lieber in Einzelbetten schlafen, Jungs. Zimmer 503, Aufzug oder Treppen hoch bis in den fünften Stock. Euer Zimmer ist auf der rechten Seite mit Blick fast bis zum Alex.“
Die Jungen brachten ein schwaches „Danke“ über die Lippen und als sie die Treppen hinauf in die fünfte Etage stiegen, sah Max, dass Cosmin ebenso wie er selber die Schultern hängen ließ.

Cosmin hätte auch lieber das Zimmer mit Doppelbett genommen!

Doch im Zimmer erlebten beide eine Überraschung. Zunächst war es mindestens so geräumig wie ein normales Hotelzimmer mit einem Tisch und zwei Sesseln an einem Fenster mit Blick auf den Fernsehturm. Beim Anblick des Doppelbettes machte Max’ Herz in der Brust einen Freudensprung. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich auch Cosmins Miene wieder aufgehellt hatte.
„Also ich finde die Einzelbetten hier gar nicht so übel“, grinste Cosmin und deutete aufs Bett. „Such dir eine Seite aus, Maxi.“
„Ich hab mich dran gewöhnt, links von dir zu pennen“, erwiderte Max. Er inspizierte das Bad. Beim Anblick der Duschecke verspürte er ein kurzes Kribbeln in den Lenden. Die Dusche war groß genug für zwei Personen.
„Hast du einen Plan für heute Abend?“, fragte Cosmin, der über Max’ Schulter hinweg ins Bad spähte.

Eine gemeinsame Dusche vielleicht?

Max wandte sich zu Cosmin um. „Klar! Wir verprassen hier die Kohle, die der Chinese Tang für uns verdient hat. Also geben wir heute Abend Kohle bei einem Chinesen aus.“

Fast vier Stunden dauerte ihr erster - und wie sich herausstellen sollte - einziger gemeinsamer und zugleich unbeschwerter Ausflug auf dieser Tour. Zunächst fuhren beide Jungen mit der S-Bahn zum Alexanderplatz. Allerdings flohen sie schon bald vor dem Gedränge auf dem Platz und den umliegenden Straßen zum Spreeufer.
Nach dem Abendessen in einem chinesischen Restaurant kehrten sie zu Fuß in ihr Hotelzimmer zurück.

Kaum hatten sie das Zimmer betreten, zog Cosmin Max an sich und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. „Danke Maxi, du warst ein echt toller Fremdenführer heute Abend.“
Max zuckte mit der Schulter. „Was für’n Kunststück. Ich wohne hier seit siebzehn Jahren. Äh Cos-Mi…“
Er vermisste etwas das nachmittägliche Training, seine Muskeln schienen sich geradezu nach Liegestützen zu sehnen. „… wenn du möchtest, geh du als erster ins Bad. Ich zieh so lange ein paar Serien durch.“
„Okay. Aber morgen früh mache auch ich bei deinen Serien mit.“ Cosmin wandte sich um und kramte in seinen Sachen. Und wie schon an den anderen beiden gemeinsamen Abenden verschwand er mit seinem Schlafanzug in der Hand im Bad, ohne zuvor auch nur ein einziges Kleidungsstück abzulegen.
Max stieß einen tiefen Seufzer aus.

Wieso ist er so verklemmt?

Dann entkleidete er sich selber bis auf den Slip und ließ sich zu Boden fallen.
Erst nach fünf Hunderter Serien Liegestütze, viele davon einarmig, und mehreren Dehnungsübungen fühlte er sich halbwegs ausgepowert. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, legte er sich auf seine Seite des Bettes und starrte auf die Badtür.
Endlich öffnete sie sich und im selben Moment stockte Max der Atem. Anders als sonst trug Cosmin kurze und eng anliegende Schlafanzughöschen und Max’ Augen klebten regelrecht an den schlanken, schokoladenfarbenen Beinen und der Ausbuchtung an dem Höschen darüber, die mehr verriet als das Höschen verbarg.
Max stöhnte leise auf.

Da hätte er auch gleich Dessous anziehen können!

Er spürte, dass sich etwas in seinem Slip zu regen begann. Hastig griff er nach der Waschtasche auf seinem Nachtschränkchen, positionierte sie so, dass sie wenigstens halbwegs seine Erregung verdeckte und glitt vom Bett. „Wieso trägst du 'ne kurze Hose heute?“
Cosmin legte seine Sachen auf einem der beiden Sessel ab und wandte sich zu Max um. Erneut musterte ihn Cosmin aus glühenden Augen, erst die Beine, den Bauch und die Brust, dann heftete er mehrere Sekunden lang seinen Blick auf die Waschtasche oder auch auf das, was sie verstecken sollte. Und erneut fragte sich Max, ob so ein Raubtier seine Beute anstarrt.
„Ich… findest du kurze Hosen bescheuert, Maxi?“
Max schluckte.

Tut er nur so oder weiß er wirklich nicht, was gerade mit mir los ist?

„Du siehst… umwerfend darin aus“, stammelte Max und flüchtete ins Bad, weil der kleine Max - inzwischen gar nicht mehr so klein - drauf und dran gewesen war, sein Köpfchen aus dem Slip zu schieben.
In der Duschecke schlüpfte er aus dem Slip und drehte das warme Wasser auf, aber nur, damit Cosmin das Plätschern hören konnte. Es war Max klar, dass er die Nacht neben Cosmin nur dann überstehen würde, wenn er sich vom Druck befreite, der in seinen Lenden pulste.
Er umfasste sein steifes Glied und wollte gerade mit der Massage beginnen, als plötzlich die Badtür aufschwang. Cosmin betrat das Bad, im selben Moment flutschte Max’ Hand vom Glied. Gleich darauf versuchte er es, mit beiden Händen halbwegs zu überdecken.
„Cos-Mi!“, keuchte er. „Schon mal was von Anklopfen gehört?“
„Glaub schon“, sagte Cosmin mit heiserer Stimme.
Und dann schloss er die Badtür hinter seinem Rücken, ohne den Blick von dem abzuwenden, was Max’ Hände zu verbergen suchten.
"Maxi, ich will dich… "

Cosmin

So richtig wusste Cosmin gar nicht, was er alles wollte. Küssen? Ihn überall berühren? Max’ steifes Glied weiter reiben oder gar mit ihm … ficken?
Cosmin hatte, als er vorhin aus dem Bad gekommen war, in Max’ Augen dasselbe Verlangen, dieselbe Begierde gesehen, die er selber verspürte.
Wie es Cosmin erwartet hatte, kräuselten sich unterhalb von Max’ Bauch, in einer Region, die bislang vor seinen Blicken verborgen geblieben war, ebenfalls blonde Haare. Mit den Augen wanderte er weiter über Max’ vom Wasser benetzten flachen Bauch hinauf zum Gesicht. Der Schrecken wich aus Max’ gerötetem Gesicht, seine Augen hefteten sich auf eine Beule, die Cosmins enge Schlafanzughose zu zerreißen drohte.
Cosmin schluckte.
„Wir könnten zusammen duschen, glaub ich…“
„Cos-Mi, du hast noch den Schlafanzug an“, japste Max und schien nicht so recht zu wissen, wo er seine Hände lassen konnte.
Cosmin riss sich die Schlafanzugjacke über den Kopf und spürte, dass Max ihm die Hose vom Leib zerrte. Hose und Jacke landeten auf dem Fliesenboden und Raubtieren gleich fielen beide Jungen übereinander her. Zunächst fochten sie wilde Kämpfe mit ihren Zungen und rieben ihre Erektionen aneinander, während das Wasser aus dem Duschkopf über ihre aufgeheizten Körper rann.
Doch bald schon erkundeten sie sich gegenseitig mit ihren Händen und überzogen Brust, Hals und Nacken des anderen mit Küssen.
Cosmin hörte Max stöhnen, hörte sein eigenes Stöhnen. Begierde überrollte ihn wie ein Tsunami und schien seinen Verstand mit sich zu reißen.
Seine rechte Hand glitt in Max’ Pofalte, doch Max wand sich aus Cosmins Umarmung.
„Warte Cos-Mi. Nicht so“, japste er und kramte ein Fläschchen aus seiner Waschtasche.
„Was ist das?“, keuchte Cosmin und zog Max wieder an sich.
„So’n Öl zum Baden. Nimm das. Damit riechen wir wie ein Blumenstrauß aus dem Hintern, aber ich hab’ gelesen, dass es dann nicht weh tut oder so“, erklärte Max.
Für einen Moment fragte sich Cosmin, ob Max jedes Mal Badeöl in seiner Waschtasche mitschleppte. Oder hatte Max geahnt, dass sie derart intim werden würden?
Kaum hatten sich beide ihre Finger mit Öl bekleckert, roch es im Bad wie in einem Rosengarten.
Erneut glitt Cosmins rechte Hand in Max’ Pofalte, drang mit einem ölbeschmierten Finger in Tiefen ein, die er noch nicht einmal bei sich selber erforscht hatte. Währenddessen begann Max, Cosmins Pobacken zu massieren. Jäh keimte in Cosmin der Wunsch auf, Max’ Finger in sich zu spüren.
Max’ Finger erfüllte ihm diesen Wunsch.
„Cos-Mi“ hauchte Max und küsste Cosmins Ohrläppchen. „Ich habe keine Kondome dabei, weil… ich dachte, du willst das nicht.“
Cosmin stöhnte leise, als der Finger noch etwas tiefer in ihn eindrang. Irgendwo in einem hinteren Winkel seines von der Begierde getrübten Verstandes stellte er sich die Frage, wozu zwei Jungen ein Kondom benutzen sollten. Sie konnten weder schwanger werden noch bestand die Gefahr, dass sie sich gegenseitig mit einer Geschlechtskrankheit ansteckten.
„Es geht doch bestimmt ohne“, japste er und verbiss sich in Max’ Schulter, um nicht laut aufzustöhnen.
„Dann lass uns im Bett weiter machen.“
„Okay“, keuchte Cosmin, doch er presste Max’ Hüfte noch fester an sich.
Erst nach weiteren fünf Minuten gelang es den beiden, sich wenigstens so lange voneinander zu lösen, dass sie sich den Schweiß von den überhitzten Körpern spülten und danach halbwegs abtrocknen und sich gegenseitig zum Bett ziehen konnten. Dort fielen sie erneut übereinander her wie ausgehungerte Raubtiere. Max erwies sich zunächst als das stärkere Raubtier und zwang Cosmin unter sich, wobei er freilich nur auf wenig Gegenwehr stieß.
Doch plötzlich spürte Cosmin einen scharfen Schmerz am Po. Er umschloss mit der rechten Hand Max’ Erektion und hinderte sie daran, sich in ihn hinein zu zwängen. Schon nach ein paar weiteren solcher Versuche bemerkte er an seiner Hand, dass Max sein Pulver verschossen hatte.
Nun war freilich noch ein hungriges Raubtier übrig. Das andere, nunmehr erschlaffte Raubtier, wurde zur Beute.
Zunächst schien es Cosmin, als würde Max ihn ebenfalls zurück zu halten. Doch dann begriff er, dass Max versuchte, sich für ihn zu öffnen. Und plötzlich spürte er an seiner fast schon schmerzhaften Erektion die feuchte Hitze in Max’ Körper. Dessen Aufstöhnen knipste Cosmins Verstand völlig aus und wie im Rausch stieß er immer tiefer in den Körper hinein, den er am liebsten nie wieder loslassen wollte…

Cosmin erwachte, weil irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Sehr schnell fand er heraus, dass sich dieses irgendetwas zwischen seinen Beinen befand. Wie ein diabolischer Herzschlag pulste ein dumpfer Schmerz durch seinen Penis.
Er tastete ihn mit den Fingern ab und zuckte mit einem Stöhnen zurück, als er sich der Eichel näherte. Doch anders als am Abend zuvor war sein Stöhnen nicht angefüllt mit Lust und Begierde, sondern mit Schmerz.
Neben sich hörte er ein leises Wimmern. Cosmin drehte sich auf die andere Seite. Im schwachen Lichtschein, der durch das Fenster drang, sah er, dass sich Max unter der Decke in Fötusstellung krümmte. Max hielt einen Zipfel seines Kissens fest, als wolle er ihn in der Faust zerquetschen.
„Scheiße… tut das weh…“
Cosmin vergaß für einen Moment den eigenen Schmerz, stützte den Kopf auf einen Arm und starrte auf die schlafende Gestalt neben sich. Und jäh flutete die Erinnerung an all die Dinge durch seinen Kopf, die vor ein paar Stunden hier im Bett passiert waren.
Dreimal hatte er sich in Max ergossen. Beim ersten Mal hatte es sich angefühlt wie ein Vulkanausbruch. Cosmin hatte in Max’ Schulter gebissen, um einen Schrei zu unterdrücken. Danach war seine Erektion nur für ein paar Minuten halbherzig abgeklungen und kehrte zurück, bevor er sich von Max gelöst hatte.

Und beim dritten Mal? Cosmin vermutete, dass sich Max anfangs dagegen gewehrt und den Sex schließlich bestenfalls ertragen hatte.

Ich hab nur an mich gedacht!

Heiße Scham rauschte bis in Cosmins Ohren und brachte sie zum Glühen. Auch, weil er Dinge getan hatte, die ihm bislang ziemlich abstoßend vorgekommen waren. Allerdings regte sich bei den Erinnerungen auch sein Glied und ein Stromstoß aus Schmerz schoss durch seinen Bauch.
Hastig rechnete Cosmin Dreierpotenzen aus, um eine Versteifung des Gliedes zu verhindern.
Er strich Max die schweißnassen Haare aus dem Gesicht und küsste dessen Stirn.
„Es tut mir Leid, Maxi!“, hauchte er ihm ins Ohr und wälzte sich ächzend wie ein alter Mann aus dem Bett.
Im Bad erlebte er gleich zwei böse Überraschungen. Die erste Überraschung war, dass ihm beim Urinieren vor Schmerzen schwindlig wurde und er fast vom Klo kippte, als sein Harnstrahl aus dem Glied heraus schoss.
Und die zweite stellte sich ein, als er anschließend sein Glied untersuchte. Es war stellenweise, ebenso wie sein Schamhaar, mit Blut verkrustet. Der obere Teil des Gliedes war geschwollen und bläulich verfärbt. Zudem war die Eichel mit knallroten Pusteln übersät, die wie Feuer brannten.
Ein eisiger Schreck durchzuckte Cosmin.

Was zum Teufel habe ich mir da eingefangen?

Cosmin stellte sich unter die Dusche und reinigte Glied und das Gebüsch darüber. Er konnte keine Verletzung finden, die eine Blutung verursacht hatte.
Ein böser Verdacht keimte in ihm auf.
War das Maxis Blut?
Zurück im Zimmer trat er an Max’ Seite des Bettes heran, schlug vorsichtig die Decke zurück und beleuchtete mit dem Handy Max’ nackten Körper. Für einen Moment setzte beim Anblick der nackten Gestalt Cosmins Atem aus. Erneut versuchte er, durch die Berechnung der nächsten Dreierpotenzen seine Erregung zu unterdrücken. Dabei half ihm allerdings auch der Anblick mehrerer Blutflecken auf den Badetüchern unter Max’ Gesäß.
„So ein Mist!“, fluchte Cosmin leise, während er Max’ blutverkrusteten Anus beleuchtete. Behutsam betastete er Max’ Po, um festzustellen, ob Max noch blutete.
„Oh Schei-iiiiii!!!“, jaulte Max, sein Körper bäumte sich auf und fiel wieder zurück.
Cosmin setzte sich auf die Bettkante. „Maxi?“
„Scheiße, was ist mit meinem Hintern los?“, keuchte Max und wälzte sich stöhnend zu Cosmin herum.
„Ich glaub’, das war ich“, sagte Cosmin leise.
Max’ Blick wanderte erst über Cosmins nackten Körper und von dort weiter zur Zimmerdecke. Dann griff nach dem Arm, mit dem sich Cosmin auf dem Bett abstützte. „Cos-Mi, Du musst öfter mal striffeln!“
„Ich… äh…striffeln? Wie meinst du das?“
Max stöhnte leise, während er offenbar versuchte, seinen Hintern in eine halbwegs schmerzfreie Position zu drehen. „Du hast mich dreimal hintereinander begattet, fast ohne Pause. Wie geht so was?“
Cosmin zuckte mit der Schulter. „Ich weiß nicht, was mit mir los war, Maxi. Es tut mir echt Leid. Für dich war es bestimmt total beschissen.“
Max zog Cosmin zu sich heran und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Ich hatte noch nie so einen Abgang wie gestern Abend, Cos-Mi. Das andere… naja, vielleicht haben wir was falsch gemacht?“
Seine Hand glitt über Cosmins Bauch, doch noch ehe sie das Gebüsch darunter erreichte, rutschte Cosmin beiseite. „Nicht! Ich hab mir da was weggeholt“, stöhnte er vor Schmerz, als sich sein Glied zu versteifen begann.
Max versuchte sich aufzurichten und mit einem leisen Aufschrei fiel sein Kopf auf das Kissen zurück. „Scheiße, bei mir im Arsch brennt’s wie Feuer. Was hast du dir weggeholt? Bei mir?“
„Mein Zigeunerschwänzchen, Maxi. Ich kann nicht mal mehr richtig pinkeln“, keuchte Cosmin und beleuchtete seinen halb erigierten Penis mit dem Handy.
„Ach du Scheiße!“, rief Max. „Und das hast du dir bei mir geholt?“
Cosmin rückte wieder dichter an Max heran. „Ich weiß nicht, ich hatte so etwas noch nie. Maxi, ich kann wenigstens noch sitzen oder laufen. Komm, ich versuche, das Blut von deinen Po zu wischen und vielleicht sehe ich ja was.“
„Ich muss pinkeln.“
„Okay, ich helfe dir aufs Klo“, sagte Cosmin und knipste die Leselampe über Max’ Nachtschränkchen an. Max glitt, auf dem Bauch liegend, vom Bett und Cosmin griff ihm unter die Arme, um ihm beim Aufrichten des Oberkörpers zu helfen.
„Geht’s?“, fragte Cosmin besorgt.
Max wankte mit zusammengekniffenen Pobacken ins Bad. „Ich pinkle lieber im Stehen, hilf mir mal beim Zielen.“
„Maxi! Das sagst du nur so!“, schnaubte Cosmin, griff aber dennoch zu, sodass sich Max an der Wand abstützen konnte. Allerdings erwies sich das Zielen als gar nicht so einfach, weil sich der kleine Max in Cosmins Hand offenbar wieder recht wohl fühlte und zu wachsen begann.
Anschließend standen beide zum zweiten Mal zusammen nackt unter der Dusche, doch jetzt spülte Cosmin mit lauwarmen Wasser aus der Handbrause das verkrustete Blut von Max’ Po.
„Maxi, ich will jetzt bloß gucken, ob du noch blutest. Nicht erschrecken“, sagte Cosmin und öffnete mit zwei Fingern den Schließmuskel. Er konnte keinen Riss entdecken. Dann schob er den Zeigefinger bis zum Ende des ersten Gliedes in die Öffnung. Max keuchte erschrocken auf.
„Tat das weh?“, fragte Cosmin und untersuchte seine Fingerspitze.
„Nee, aber ich dachte, du willst den ganz reinstecken.“
„Kein frisches Blut. Das ist glaub ich ein gutes Zeichen.“
Wenig später lagen sie wieder im Bett unter ihren Decken, Max auf dem Bauch, Cosmin auf dem Rücken. Cosmin hatte das Licht ausgeknipst und hoffte, dass ein paar weitere Stunden Schlaf beiden etwas Linderung ihrer Schmerzen bringen würden. Er seufzte leise. Ihn plagte angesichts der Schmerzen, die Max nun wegen ihm ertragen musste, das schlechte Gewissen.
Er tätschelte Max’ Rücken. „Maxi?“
„Hm… ?“
„Hab’ ich dir sehr weh getan als ich… du weißt schon.“
"Das Vergnügen lag nicht auf meiner Seite, würde ich sagen, obwohl… ", Max kicherte leise, „… dich so in Ekstase zu erleben… ich schätze, das wird meine neue Vorlage beim Striffeln.“
„Ich bin deine neue … äh… Striffelvorlage?“
„So neu nun auch wieder nicht.“ Max bettete den Kopf auf dem angewinkelten Arm und erwiderte Cosmins Blick. „Cos-Mi?“
„Hm… ?“
„Raus mit der Sprache, wer ist deine Vorlage?“
Cosmin schwieg. Noch vor ein paar Wochen hätte er es nicht für möglich gehalten, dass er mit jemanden über ein solches Thema reden würde. Andererseits - er lag nackt mit einem anderen Jungen im Bett und litt zusammen mit ihm an den Folgen eines verunglückten Geschlechtsverkehrs.
„Komm schon, ich erzähl dir auch alles“, drängelte Max.
Cosmin wandte seinen Blick der Zimmerdecke zu. „Damals nach der ersten Sportstunde, bevor du diesen Blödmann von der Tür geschubst hast, habe ich dich fast nackt gesehen. An dem Abend habe ich dich zum ersten Mal… sozusagen als äh… zuerst als Vorlage genommen.“
Er hörte, dass Max neben ihm nach Luft schnappte.
Hastig fuhr er fort: „Nur zu Beginn, weil mir das selber ziemlich komisch vorkam. Und dann, als wir Freunde wurden, hab ich das meistens vermieden und es mit Camelia versucht.“
„Wieso?“
„Zuerst, weil mir deine Freundschaft so viel bedeutet. Ich wusste ja nicht, dass du auch äh… das willst. Erst als du mich zum ersten Mal geküsst hast, habe ich dabei wieder… äh… an dich gedacht, sozusagen. Ich hatte immer Angst, dass wenn wir merken, dass es bei uns mit dem Sex nicht so richtig klappt, dass dann alles zerbricht. Also auch unsere Freundschaft.“
„Das mit dem Sex ist ja nun schiefgegangen. Aber nix zerbrochen, oder?“
Cosmins Blick kehrte zu Max zurück. „Im Gegenteil, jetzt wasche ich dir sogar schon den Hintern.“
„Und ich würde für dich dasselbe tun. Also nimm lieber mich und nicht diese Camelia als Vorlage.“

  1. Medizin für den Freund und den Freund des Freundes

Cosmin

Das Handy auf seinem Nachtschränkchen zeigte 09:21 Uhr an, als Cosmin zum zweiten Mal an diesem Tag aufwachte. Zunächst warf er einen Blick auf die andere Hälfte des Bettes und sah, dass Max unter der Decke mit angewinkelten Beinen auf der Seite lag. Max stöhnte leise im Schlaf, vom Schweiß durchnässte Haarsträhnen hingen ihm im Gesicht.
Cosmin schlüpfte vorsichtig aus dem Bett, um Max nicht aufzuwecken und betrachtete im Tageslicht, das nun durch das Fenster flutete, seinen Penis. Anders als er gehofft hatte, war die schmerzhafte Schwellung nicht zurückgegangen, sah aber immerhin nicht noch übler aus. Nach wie vor war die Eichel mit knallroten Pusteln übersät.
Während er sich bequeme Sachen überstreifte, schaute er aus dem Fenster. Die Straßen glänzten noch in der Nässe des nächtlichen Regens, aber der blaue Himmel, bemalt mit weißen Schäfchenwolken, schien schönes Wetter zu versprechen. Die Kugel des Fernsehturms gleißte in den Strahlen der Herbstsonne.
Cosmins Blase meldete sich und nun bereute er bitter die beiden Biere, die er sich beim Abendessen genehmigt hatte.
Wie schon am frühen Morgen fühlte sich das Urinieren an, als würde Salzsäure durch seinen Penis fließen.
Cosmin schwankte, benommen vom eben ertragenen Schmerz, aus dem Bad zurück ins Zimmer. Er sah, dass Max neben dem Bett stand und ächzend wie ein alter Mann in seinen Slip stieg.
„Geht es dir besser, Maxi?“, fragte Cosmin und griff nach Max’ Schulter, wobei ihm nicht ganz klar war, ob er Max stützte oder sich selber an ihm abstützte. Noch immer schien sich das Zimmer um ihn zu drehen.
„So lange ich nicht sitze oder mit dem Hintern wackle oder… ich darf gar nicht ans Kacken denken. Ich werd’ nichts mehr essen, bis das vorbei ist“, knurrte Max und deutete auf Cosmins Schoß. „Wie geht’s deinem Schwänzchen?“
„Ich werd’ nichts mehr trinken bis das vorbei ist“, stöhnte Cosmin. „Maxi, vielleicht sollten wir einen Arzt…“
„Scheiße, nein!“, fluchte Max. „Wenn das mein Alter erfährt… Ich bin über den versichert.“
Cosmin wollte lieber nicht wissen, wie sein eigener Vater reagieren würde und verwarf ebenfalls den Gedanken an einen Arzt.
„Ich könnte versuchen, in einer Apotheke Medikamente für uns zu kaufen“, schlug er vor.
„Schön wär’s. Aber heute ist ein Feiertag, schon vergessen?“, widersprach Max.
Cosmin setzte sich auf die Bettkante und wischte auf dem Handy herum.
„Maxi, wie weit ist es bis zum Oranienburger Tor?“
„Tut mir Leid, Cos-Mi, ich kann nicht raus heute.“
„Brauchst du nicht. Aber dort gibt’s eine Apotheke, die auf hat heute.“
„Echt? Zu Fuß zwanzig Minuten, höchstens.“
Cosmin bemerkte, dass sich Max im Bett wieder unter seine Decke verkriechen wollte. Er rutschte etwas beiseite.
„Wie willst du erklären, wie das mit meinem Hintern und deinem Pimmel passiert ist“, ächzte Max, während Cosmin ihm die Decke über den nackten Rücken zog.
Cosmin seufzte. „Ich werde mir irgendwas ausdenken. Zum Glück sieht man mir nicht an, wenn ich rot werde dabei.“

Mit Hilfe der Navigation auf seinem Handy erreichte Cosmin nach einem halbstündigen Slalom durch das Gedränge auf den Fußwegen des Berliner Stadtzentrums die gesuchte Apotheke in einer Ladenzeile. Ein Schild an der Tür verkündete, dass am Feiertag eine Abgabe von Medikamenten nur gegen Rezept oder bei begründeten Notfällen möglich sei.
Cosmin verschnaufte einen Moment vor der Tür. Statt bequemer Jogginghosen trug er die engen Jeans und spürte inzwischen bei jedem Schritt die Schwellung an seinem Glied. Er betrat den Verkaufsraum. Ein gläserner Tresen beherbergte neben den darin ausgestellten Medikamenten auch drei Kassen, allerdings war nur eine der Kassen besetzt. Dort bediente eine junge Apothekerin einen älteren Herrn.
Während Cosmin die Frau aus den Augenwinkeln musterte, versuchte er Worte zu finden, mit denen er Max’ Problem und das eigene beschreiben konnte. Endlich verabschiedete sich der alte Mann und Cosmin trat an den Kassenbereich und hoffte, dass in den nächsten Minuten kein anderer Kunde die Apotheke betreten würde.
„Hallo, ich benötige dringend Schmerztabletten für einen Freund“, sagte er und sah die Verkäuferin aus großen Rehaugen an.
Allerdings schien sie sich von einem Rehaugenblick nicht beeindrucken zu lassen. „Hallo. junger Mann, Sie müssen mir auch sagen, was für Schmerzen Ihr Freund hat.“
Cosmin räusperte sich. „Er hat äh … im Po geblutet.“
Die Frau runzelte die Stirn. „Und er war nicht beim Arzt? Ohne zu wissen, was die Blutung verursacht, kann ich Ihnen nicht irgendein Schmerzmittel verkaufen.“
„Die Verletzung im Po ist erst in der letzten Nacht passiert“, sagte Cosmin leise.
Wie es schien, hatte er nun auch die Neugier in der Verkäuferin geweckt. „Eine Verletzung? Reden wir jetzt von Sex?“
Cosmin warf einen Blick über die Schulter zur Tür und nickte dann. „Er hatte sozusagen Sex mit einem Freund.“
„Und blutet er immer noch?“
„Er hat mir gesagt, dass kein neues Blut mehr zu sehen ist.“
Die Frau seufzte. „Auch wenn ich Ihnen Medikamente für Ihren Freund verkaufe, sollte er sich unbedingt von einem Arzt untersuchen lassen. Es ist nicht allein mit Schmerztabletten getan. Er benötigt auch Medikamente, die die Wundheilung unterstützen und die eine Infektion verhindern.“
Sie wandte sich zu den Wandschränken um, auf denen Medikamente in kleinen Kartons, in Fläschchen oder in Tuben aufgereiht waren. Cosmin nutzte die Gelegenheit, um für sein Glied eine weniger schmerzhafte Position zu finden. Die Frau kehrte mit mehreren kleinen Packungen an den Tresen zurück und tat so, als hätte sie Cosmins Fummelei an seiner Hose nicht bemerkt.
„Ich gebe Ihnen Zäpfchen mit, ein Öl zur Anwendung im Po und einen Saft. Das ist kein Abführmittel, sondern er verdünnt den Stuhl, sodass Ihr Freund beim Stuhlgang nicht solche Schmerzen hat. Außerdem Schmerztabletten. Haben Sie denn genügend Geld dabei?“
Cosmin fischte einen Hundert - Euro- Schein aus der Tasche seines Shirts.
Die Frau nickte. „Ich schreibe auch auf die Verpackungen, wie Ihrem Freund die Medikamente verabreicht werden müssen. Hat er jemanden, der ihm dabei hilft?“
„Ich… ich glaube der Freund von meinem Freund wird das machen.“
Die Frau lächelte freundlich. "Ich denke, das ist er Ihrem Freund schuldig. Nun… "
Zwei alte Damen betraten den Verkaufsraum und schienen sich nicht daran zu stören, dass die Verkäuferin Cosmin bediente.
„Guten Tag“, sagte die größere der beiden Frauen und winkte mit einem Zettel. "Ich brauche für meinen Mann… "
„Bitte gedulden Sie sich einen Moment.“ Die Verkäuferin deutete auf ein Tischchen mit zwei Stühlen neben dem Eingang. „Nehmen Sie solange dort Platz, bis ich hier mit dem jungen Mann fertig bin.“
Leise vor sich hin brabbelnd machten beide Frauen kehrt und setzten sich an den kleinen Tisch.
„Nun noch eine Frage zum Freund Ihres Freundes. Ist bei ihm alles in Ordnung?“
Cosmin schüttelte den Kopf und beschrieb leise das eigene Problem.
„Hatte denn Ihr Freund vorher schon andere Freunde als den Freund Ihres Freundes?“
Erneut schüttelte Cosmin den Kopf. „Die haben das beide äh… zum ersten Mal gemacht.“
„Gut, dann ist es wohl keine Geschlechtskrankheit“, erwiderte die Frau leise mit einem Seitenblick zum Eingangsbereich. „Trotzdem sollten Ihr Freund und der Freund Ihres Freundes künftig Kondome verwenden. Außerdem gibt es Möglichkeiten, solchen Verletzungen vorzubeugen.“
„Ich glaube, der Freund meines Freundes wird so etwas lieber nicht nochmal machen“, entgegnete Cosmin hastig.
Die Frau lächelte wieder. „Nun gut. Sagen Sie dem Freund Ihres Freundes, er soll viel trinken. Durch den Urin werden Keime aus dem Harnleiter gespült. Ich gebe Ihnen ein kühlendes Gel und etwas gegen die Entzündung. Das Gel soll der Freund Ihres Freundes auf der Schwellung verreiben. Er bekommt auch Tabletten, die die Schmerzen beim Urinieren etwas lindern. Und er sollte über Möglichkeiten Bescheid wissen, wie sich solche Verletzungen vermeiden lassen. Es könnte ja sein, dass es sich der Freund Ihres Freundes irgendwann anders überlegt.“
Sie suchte nach weiteren Medikamenten, dieses Mal für Cosmins Problem und erklärte, wie all die Medikamente angewendet werden müssen. Zusätzlich beschrieb sie jede einzelne Medikamentenverpackung mit Hinweisen.
Um fast achtzig Euro leichter und dennoch zufrieden verließ Cosmin wenig später die Apotheke.
Mit dem, was vom Hundert-Euro-Schein übrig war, kaufte er in einem Fastfood- Laden zwei Burger und mehrere Limonadendosen.

Als er nach der Einkaufstour ins Zimmer zurückkehrte, sah er, dass Max im Bett auf dem Bauch liegend telefonierte.
Mit einer Reißverschlussgeste am Mund signalisierte er Cosmin, keinen Ton zu sagen. „Das würde ich ja gerne, Vater. Aber was soll ich machen? Sie ist jetzt schon wieder auf dem Klo und kotzt.“
Max lauschte ins Handy und Cosmin vernahm eine Männerstimme, die etwas von Möbeln sagte, die entsorgt werden müssten.
„Nee, lass die in der Wohnung. Dann brauche ich mich nicht um neue zu kümmern, wenn ich dort einziehe.“
Wieder eine Pause und während er in seine Jogginghose stieg, hörte Cosmin, dass die Männerstimme mehrmals den Namen Julia erwähnte.
„Ja, richte ich ihr aus, Vater.“
„…“
Max rollte mit den Augen. „Ja, das hätte ihr gefallen.“
„…“
Max knirschte mit den Zähnen. „Nein! Nicht solange diese… Deine Frau dort ist.“
„…“
Nun schien Max nahe dran zu sein, das Handy an die Wand zu klatschen. „Der Schwachkopf sollte lieber beten, dass er mir nie über den Weg läuft, okay?“
„…“
„Ja Vater, ich melde mich. Machs gut!“
Max warf leise fluchend das Handy neben sich aufs Bett. Cosmin unterbrach das Studium der Medikamentenpackungen, die er auf seiner Seite des Bettes ausgebreitet hatte. „Worum ging es denn?“
„Mein Alter wollte, dass ich zu meinem Haus komme“, schnaubte er. „Die Wohnung, in der ich nächstes Jahr mit dir wohnen will, wird frei heute und ich sollte bei der Übergabe dabei sein.“
Cosmin seufzte leise. Der Gedanke, mit Max zusammen zu leben, war verlockend und beängstigend zugleich. „Und wer ist Julia?“
Max grinste anzüglich. „Meine Freundin. Obwohl, ich glaub’, letzte Nacht war ich Julias Freundin.“
„Und der Schwachkopf?“
"Die Tussi von meinem Alten hofft, dass Weihnachten ihr Balg zu uns kommt. Mein Alter will, dass ich ihn kennenlerne. Cos-Mi, sollte der mir je über den Weg laufen… "
Max ließ offen, was er dann mit seinem Stiefbruder anstellen würde und Cosmin wollte die Details auch gar nicht wissen.
„Maxi?“
„Ziemlich im Eimer heute!“
„Musst du kacken? Oder warst du schon?“
Max starrte Cosmin entgeistert an. „Das verkneife ich mir lieber! Du willst mich doch nicht etwa schon wieder…“
„Ich bin doch nicht irre!“, funkte Cosmin dazwischen und schüttelte ein Fläschchen. „Ich will dir was davon in den Hintern träufeln. Dann soll ich dir noch ein Zäpfchen dort rein stecken.“
Max stöhnte leise, ließ sich jedoch von Cosmin ohne Murren den Slip vom Hintern ziehen.
Während Cosmin ihm die vorgeschriebene Anzahl Tropfen des Balsams in den Anus träufelte, kehrten seine Gedanken zurück zu dem, was er nur ein paar Stunden zuvor mit demselben Hintern angestellt hatte.

War das wirklich ich gewesen?

Er schob dem Balsam ein Zäpfchen hinterher und huschte ins Bad, um sich die Hände zu waschen.
Danach verabreichte er Max eine Verschlusskappe voll von dem Stuhlverdünnersaft und eine Schmerztablette zusammen mit einer Limonade. Anschließend wandte sich Cosmin dem eigenen Problem zu.
Für die Eichel hatte ihm die nette Apothekerin entzündungshemmende Tropfen und für die Schwellung das kühlende Gel mitgegeben. Er zog die Jogginghose aus.
„Leg dich neben mich, Cos-Mi. Jetzt bin ich der Doc!“
„Maxi, wenn ich einen… äh Steifen kriege, tut es weh“, wand Cosmin ein, legte sich aber trotzdem zu Max ins Bett. Notfalls würde er mit den Dreierpotenzen weiter machen müssen.
Max kniete sich neben Cosmin, zog ihm den Slip bis zu den Knien herunter und rümpfte die Nase. „Mann, dein Schwänzchen ist der blanke Lustkiller. Was muss ich tun?“
Cosmin erklärte, wie Tropfen und Gel angewendet werden sollten und als Max behutsam die Vorhaut zurückzog, multiplizierte Cosmin im Kopf 19683 mit 3, um die zehnte Dreierpotenz zu berechnen.
Eine weitere Dreierpotenz ersparte sich Cosmin, das Gel kühlte fast genauso gut wie Eiswasser und sein Glied blieb in Max’ Händen schlaff wie eine leere Bananenschale.
Der Geruch der Burger strich an den Nasen der Jungen vorbei und bald schon vergaßen Max und Cosmin, dass sie vorläufig nichts mehr essen beziehungsweise trinken wollten. In der Hoffnung, die Schmerztabletten würden für einen halbwegs schmerzfreien Aufenthalt auf dem Klo sorgen, stillten sie nach dem Verarzten ihrer Blessuren Hunger und Durst.

Allerdings ließ die Wirkung der Medizin auf sich warten.
Max wankte nach der Mahlzeit so wie schon am Morgen zum Urinieren aufs Klo wie jemand, bei dem sich der Darm bereits in der Hose entleert hat. Und Cosmin japste vor Schmerz auf, als sein Urin ins Klobecken plätscherte. Er schwor sich, es zumindest an diesem Tag mit der Entkeimung der Harnröhre nicht allzu genau zu nehmen und auf weitere Getränke zu verzichten.
Wie von der Apothekerin empfohlen wiederholten beide Jungen nach vier Stunden das gegenseitige Verarzten ihrer Blessuren. Bei den Schmerztabletten legte Cosmin ihre Empfehlung etwas großzügiger aus und schluckte gleich zwei Pillen.
Danach unternahm Cosmin einen Ausflug zum Hauptbahnhof. Der Supermarkt im Bahnhof hatte auch am Feiertag geöffnet und bot Lebensmittel zu halbwegs erschwinglichen Preisen an. Neben Brot, Wurst und Backwaren für das morgige Frühstück kaufte Cosmin mehrere Becher mit Instantnudeln. Er hatte gesehen, dass man dem Wasserspender in der Lobby des Hostels auch heißes Wasser entnehmen konnte. Anschließend durchstöberte er noch den Buchladen und entschied sich schließlich für einen Science – Fiction - Roman.
Als er mit den Einkäufen ins Zimmer zurückkehrte sah er, dass sich Max wieder unter seine Decke verkrochen hatte und dort vor sich hin zitterte, als hätte er Schüttelfrost.
Cosmin stellte die Einkaufstüte beiseite und hockte sich an Max’ Seite des Bettes. „Maxi?“
Max antwortete mit einem leisen Stöhnen. Cosmin beugte sich über Max und sah, dass Max schlief.
Er lugte unter Max’ Decke. Max war nur mit einem Slip und einem dünnen, ärmellosen T- Shirt bekleidet. Cosmin warf einen Blick auf den Slip. Zumindest konnte er keine Blutflecken entdecken. Er hauchte einen Kuss auf Max Schulter und sah, dass die Rötung, die seine Zähne in der vergangenen Nacht dort hinterlassen hatten, etwas verblasst war. Er legte seine eigene Bettdecke über Max’ zitternden Körper und machte es sich neben Max bequem, um in das im Bahnhof erstandene Weltraumabenteuer einzutauchen.

„Cos-Mi, wo bist du?“

Cosmin legte das Buch beiseite, stützte den Kopf auf seinen angewinkelten Arm, beobachtete Max’ unruhigen Schlaf und strich ihm die Haare aus der Stirn. Offenbar hatte Max leichtes Fieber, die Stirn fühlte sich warm an.
„Ich bin hier bei dir“, hauchte Cosmin ihm ins Ohr.
Max riss die Augen auf. Sein Blick fiel auf Cosmin.
„Oh Mann, du bist hier“, sagte er, zog Cosmin an sich und bettete seinen Kopf auf Cosmins Schulter.
Cosmin kämmte mit den Fingern Max’ weiches Haar. Er bemerkte, dass Max nicht mehr zitterte. „Ich war doch nur was zu essen kaufen.“
"Was für ein beschissener Traum! Ich bin aufgewacht und du warst spurlos verschwunden. Ich hab dich überall gesucht, aber auch eure Wohnung war leer. Du warst mit deinem Vater verschwunden… "
Unter den Bettdecken knurrte Max’ Bauch. „Cos-Mi, ich brauch was zu beißen.“
„Ich glaub, du hast Fieber. Ich mache dir was Warmes zu essen, das hilft bestimmt. Und keine Sorge, ich werde ganz bestimmt nicht verschwinden, schon gar nicht spurlos.“

Während Cosmin im in der Lobby zwei Becher Instant-Nudeln mit heißem Wasser befüllte, wanderte sein Blick zu den Tischen und Sitzecken im „Treffpunkt“ und im „Bierabteil“. Wie schon am Vortag waren mehr als die Hälfte der Tische besetzt. Junge Leute aus aller Herren Länder saßen dort beieinander, diskutierten lauthals, lachten miteinander oder vergnügten sich bei Brett- und Kartenspielen.
Cosmin seufzte leise.

Maxi und ich, wir sollten auch dort sitzen

Es wäre bestimmt interessant gewesen, Leute aus anderen Ländern kennenzulernen. Stattdessen würden sie sich gleich wieder gegenseitig die Blessuren verarzten, die sie seinem ungezügelten Sexrausch zu verdanken hatten.
Er wollte gerade nach den mit heißem Wasser befüllten Nudelbechern greifen, als er im Stimmengewirr auch rumänisch gesprochene Worte vernahm. Cosmin versuchte aus den Augenwinkeln zu erspähen, welche der jungen Leute aus Rumänien sein könnten und bemerkte, dass ihm mehrere Frauen interessierte Blicke zuwarfen.
Würde er sich beim Sex mit einer Frau auch so verlieren wie es ihm in der vergangenen Nacht passiert war?
Die Blicke der Frauen streichelten sein Selbstvertrauen. Allerdings ließen sie nicht jene Saite anklingen, die schon am ersten Schultag in Schwingung geraten war, als er Max das erste Mal gesehen hatte.
An einem Tisch ein paar Schritte von ihm entfernt saßen zwei asiatische Mädchen, die nur wenig älter als er selber zu sein schienen. Cosmin vermutete, dass sie aus Vietnam oder Thailand waren. Sie lächelten ihm wie einem alten Bekannten zu. Er fragte sich, wie Max wohl auf ein solches Lächeln reagieren würde. Vermutlich gar nicht. Cosmin lächelte zurück und wandte sich mit einem entschuldigenden Achselzucken und zwei dampfenden Nudelbechern in den Händen zum Fahrstuhl um.

Max leerte seinen Becher im Stehen. Trotz der Schmerztabletten hatte er den Versuch, sich wenigstens zum Essen an den Tisch zu setzen, schon nach wenigen Sekunden aufgegeben. Zudem schienen die Tabletten bei Max wie ein Schlafmittel zu wirken. Cosmin ließ während des Essens Max nicht aus den Augen aus Sorge, Max könne im Stehen einschlafen und wie ein gefällter Baum umkippen.
Nach dem Essen verarztete Cosmin zum dritten Mal an diesem Tag Max’ Hintern. Während er den Balsam in dessen Po träufelte, fielen Max die Augen zu. Cosmin versenkte noch ein Zäpfchen und drückte einen Kuss auf Max’ Schulter, bevor er sie zudeckte.
„Schlaf gut, mein schöner Freund“, flüsterte Cosmin Max ins Ohr und nahm anschließend selber das Verarzten seines Gliedes vor.

Zunächst legte er sich neben Max ins Bett und begann in seinem neuen Buch zu lesen. Doch bald schon erwachte von Neuem die Neugier auf das bunte Völkergemisch unten in der Lobby. Vor allem hoffte er, junge Leute aus Rumänien zu treffen. Zumindest solche, die kein Problem mit ihren dunkelhäutigen Landsleuten hatten.
Er hinterließ auf Max’ Nachtschränkchen eine Nachricht:

„Maxi, ich bin unten in der Lobby. Klingle mich an, wenn du aufwachst.“

  1. Sergiu

Cosmin

Als er wenig später mit seinem Buch in der Hand die Lobby betrat, fiel sein erster Blick auf den Tisch, an dem vorhin die beiden Asiatinnen gesessen hatten. Der Tisch war jetzt frei und Cosmin atmete auf. Er wollte in aller Ruhe nach den Rumänen Ausschau halten und wählte einen der Sessel in der Leseecke des „Treffpunktes“. Inzwischen waren im „Bierabteil“, wo an Automaten Getränke und Snacks angeboten wurden, fast alle Tische besetzt. Vom „Treffpunkt“ mit der Fernseh- und Leseecke trennte es ein mit Blumen dekorierter Raumteiler aus Holz. Cosmin tat, als würde er im Buch lesen und lauschte dem vielsprachigen Stimmengewirr.

„Salut!“

Cosmin blickte verdutzt auf. Neben ihm stand ein attraktiver Mann. Sein ansonsten kurzes brünettes Haar fiel in lockeren Strähnen in die von der Sonne gebräunte Stirn, unter der Nase und auf dem Kinn lag der Schatten eines Dreitagebartes. Die dunkelbraunen Augen strahlten Wärme aus, ein schüchternes Lächeln lag auf den Lippen des Mannes. Er mochte zwanzig Jahre alt sein und er machte auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck. Cosmin hoffte, dass dem „Salut“ keine Anmache folgen würde.
„Hallo!“, grüßte Cosmin zurück.
„Entschuldige, wenn ich dich störe, aber du siehst aus wie jemand, der meine Sprache spricht“, sagte der Mann auf rumänisch.
Cosmin atmete erleichtert auf. Offenbar sucht der junge Mann keinen Freund für eine Nacht.
Er erwiderte das Lächeln des Mannes. „Echt? Und in Rumänien fragen sie mich, woher ich komme, weil ich nicht so hundertprozentig wie ein Roma aussehe. Mein Name ist Cosmin.“
„Cosmin, es freut mich. Ich bin Sergiu. Weißt du, du bist dunkler als die … ahm Romi, die ich kenne. Und keiner von denen hat so lockige Haare wie du.“
„Mein Vater ist aus dem südlichsten Zipfel Rumäniens, vielleicht liegt es daran“, erklärte Cosmin, ohne auf den Anteil einzugehen, den er von seiner Mutter geerbt hatte. Sergiu hatte unterdessen einen Blick auf das Buch in Cosmins Händen geworfen. „Du sprichst auch deutsch?“, fragte er verblüfft.
Ein Schatten dimmte kurz Cosmins Lächeln.

Dass ein Tzigan mehr als nur eine Sprache spricht, hättest Du wohl nicht erwartet, was?

Sergiu schien Cosmins Gedanken zu erraten. „Sorry Cosmin, ich meinte, ich kann zwar englisch, aber ich könnte kein auf englisch geschriebenes Buch lesen.“
Das Lächeln kehrte auf Cosmins Lippen zurück. „Ich auch nicht, Sergiu. Aber deutsch ist sozusagen meine Muttersprache. Ich stamme aus der Nähe von Leipzig, das ist nicht ganz zweihundert Kilometer südlich von Berlin.“
„Interessant. Ich hatte dich gestern schon gesehen und mir gedacht, dass du aus Rumänien sein könntest. Du hattest mit einem blonden Mann hier eingecheckt, der so ein bisschen wie ein Popstar aussieht.“
Cosmin seufzte leise bei dem Gedanken an Max. „Wir sind in derselben Klasse. Er ist mein bester Freund. Und du, woher bist du und was machst du hier in Berlin?“, fügte er rasch hinzu, um das Gespräch von Max weg in eine unverfängliche Richtung zu lenken.
Sergiu zog sich einen freien Sessel heran und nahm neben Cosmin Platz. „Ich bin eigentlich aus der Nähe von Sibiu. Aber seit einem Jahr studiere ich an der Uni in Bukarest Architektur, mein älterer Bruder ist dort Dozent im Fachbereich Technische Wissenschaften.“
„Architektur?“, fragte Cosmin überrascht. „Ich will ab dem nächsten Jahr auch Architektur studieren.“
Nun war es Sergiu, der den Mund aufklappte.
„Und wo?“
Cosmin war nicht sicher, ob er in Sergius Augen einen Hoffnungsfunken hatte aufblitzen sehen. Er mochte Sergiu, allerdings ohne sexuelle Hintergedanken. Es gab nur ein männliches Wesen, auf das er mit einem Kribbeln in den Lenden reagierte und das lag fünf Etagen höher mit einem schmerzenden Hintern im Bett.
„In Dessau vielleicht, oder hier in Berlin.“
Falls Sergiu von der Antwort enttäuscht war, ließ er sich das nicht anmerken. Vielmehr breitete sich noch größeres Erstaunen auf seinem Gesicht aus.
„Ich war bis gestern für ein paar Tage zusammen mit einem Freund in Dessau. In diesem Semester ist mein Bruder Gastdozent dort an der Hochschule.“
„Was für ein Zufall… Ich wohne in Dessau. Schade, dass wir uns nicht schon dort begegnet sind“, erwiderte Cosmin. Doch im gleichen Moment korrigierte er sich in Gedanken. Max war offensichtlich an neuen Bekanntschaften genauso interessiert wie an alten Wasserstandsmeldungen und wäre sicher nicht begeistert gewesen, hätte Cosmin in Dessau für Sergiu die Rolle des Fremdenführer übernommen statt mit Max zu trainieren.
„Bleibst du noch in Berlin?“
Sergiu schüttelte bedauernd den Kopf. „Morgen Nachmittag fliegen wir nach Bukarest zurück. Cosmin?“
„Hm?“
„Bist du manchmal in Rumänien?“
In Cosmins Erinnerung tauchte plötzlich eine Szene aus Max’ Selbstfindungsstunden in der Schwimmhalle auf, als der Bengel versucht hatte, Max anzubaggern. Das Gesicht des Burschen hatte regelrecht getrieft vor Lüsternheit. In Sergius Gesicht hingegen las er nichts weiter als freundliches Interesse.
„Selten. Vielleicht im nächsten Sommer wieder. Warum?“
Sergiu zuckte mit der Schulter. „Solltest du nach Bukarest fliegen… ich könnte dir mal unsere Uni zeigen. Sie ist auf Architektur spezialisiert. Und… naja, ich glaube bei uns ist das Studium lockerer als hier. Zumindest ist das Valis Eindruck. Vali, also Valentin ist mein Bruder, der zur Zeit in Dessau ist.“
Cosmin nickte. „Du bist sehr nett, Sergiu. Wenn dir das nichts ausmacht, ich würde mir deine Uni gerne mal anschauen. Was habt Ihr dort für Fachbereiche?“
Sergiu schien sich über Cosmins Interesse zu freuen und erzählte, welche Kurse er belegte und welche Pläne er für die Zeit nach dem Studium hatte. „Ich habe vom vielen Reden einen trockenen Hals“, sagte er schließlich und erhob sich. „Möchtest du auch ein Bier, Cosmin?“
Cosmin hob abwehrend die Hände. „Lieber nicht, ich habe gestern eins zu viel getrunken.“
Sergiu schlängelte sich an den mit jungen Leuten besetzten Tischen vorbei zu einem der Automaten im „Bierabteil“. Cosmins nachdenklicher Blick folgte ihm.
Würden wir in der selben Stadt leben, wären wir bestimmt Freunde, überlegte Cosmin.
Sergiu kehrte mit einer Büchse Bier und einer kleinen Packung Orangensaft zurück und reichte Cosmin den Saft.
„Und du Cosmin? Wie geht es dir hier? Du bist jetzt in der zwölften Klasse, nicht wahr?“
Cosmin bedankte sich für den Saft, öffnete die Packung jedoch nicht.
„Ja genau, im nächsten Frühjahr haben wir die Abiturprüfungen.“
Er erzählte vom Umzug von Wurzen nach Dessau, ging aber nicht auf die Probleme ein, die er im letzten Schuljahr in der neuen Klasse mit einigen Mitschülern gehabt hatte.
„Wo ist eigentlich dein Freund?“, fragte Sergiu, als Cosmins Erzählpausen immer länger wurden.
Da Cosmin auf eine solche Frage vorbereitet war, brauchte er nicht lange nach einer Antwort zu suchen.
„Wir waren gestern Abend in einem chinesischen Restaurant. Ich glaube, irgendwas hat er nicht vertragen. Er hatte letzte Nacht ziemliche Bauchschmerzen und schläft jetzt ein bisschen.“
"Na hoffentlich geht es ihm morgen… "
Ein Mann mit kurzem, dunklem Haar und wild wucherndem Vollbart, zwei oder drei Jahre älter als Sergiu, betrat die „Leseecke“. „Hey Sergi, Sibiu hat Cluj mit drei zu eins geschlagen“, rief er und dann verharrte sein Blick auf Cosmin.
„Ah Cosmin, das ist Fußballfan Adrian. Wir wohnen in Bukarest zusammen.“
Sergiu schien die Überraschung in Cosmins Gesicht richtig zu deuten und er ergänzte: „Wir teilen uns eine Wohnung wegen der Miete, aber jeder hat natürlich ein eigenes Schlafzimmer. Adrian wird im nächsten Semester mit dem Architekturstudium fertig. Adi…“ Sergiu wandte sich zu Adrian um.
„Das hier ist Cosmin. Er wohnt übrigens in Dessau und jetzt halte dich fest: Er geht dort auf das Gymnasium und fängt im nächsten Jahr auch ein Architekturstudium an. Wahrscheinlich in Dessau oder hier in Berlin.“
Adrian musterte Cosmin mit gerunzelter Stirn. „Das ist ja mal was ganz Neues. Ein Tzigan, der in Deutschland Architektur studiert?“
Cosmin bemerkte, dass aus Sergius Gesicht jegliche Farbe wich.
„Er ist einer der Besten in seiner Klasse“, ergänzte Sergiu, obwohl Cosmin nichts dergleichen erzählt hatte.
Cosmins unterdrückte das Brodeln in seiner Brust. Er verstand nicht, wieso ein netter Kerl wie Sergiu mit einem Idioten wie Adrian zusammen leben konnte.
„Ja, weißt du Adrian“, konterte Cosmin und er zauberte ein charmantes Lächeln auf seine Lippen. „Ich habe es mit Klauen und Betteln versucht. Aber in letzter Zeit läuft es nicht mehr so gut. Also will ich umsatteln.“
„Klingt wie eine gute Idee“, sagte Adrian, ohne Cosmins Lächeln zu erwidern. Er nickte Sergiu zu. „Ich habe Hunger, Sergi. Gehen wir?“
Sergiu deutete auf die Bierbüchse in seiner Hand. „Ich trinke das Bier noch aus.“
Adrian zuckte erneut mit der Schulter. „Ich warte draußen“, sagte er und stiefelte zum Ausgang.
„Oh Gott, Cosmin. Tut mir Leid. Ich hätte nicht gedacht, dass sich Adi wie ein ldiot benimmt“, sagte Sergiu, als Adrian außer Hörweite war.
Cosmin winkte ab. „In meiner Klasse habe ich auch solche Typen, aber die benehmen sich nicht nur wie Idioten, das sind Idioten.“
Er angelte das Handy aus der Tasche seiner Jogginghose. „Gib mir deine Nummer, Sergiu. Ich schreib dir eine Nachricht und dann hast du auch meine Nummer, okay?“
Sergius Gesicht hellte sich wieder auf. „Okay. Ich schicke dir ein paar Fotos von unseren Vorlesungen und so. Und wenn du in Bukarest bist, führe ich dich herum.“ Er erhob sich und stellte die leere Bierbüchse neben den Papierkorb. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Cosmin“, sagte er und nahm Cosmins rechte Hand in seine Hände.
„Das hoffe ich auch. Ciao Sergiu!“
Vom Ausgang warf Sergiu einen Blick über die Schulter zurück zu Cosmin, winkte ihm noch einen Gruß zu und verließ das Hostel.

Ich habe mich verändert, ging es Cosmin durch den Kopf, während er anschließend über seine Begegnung mit Sergiu nachdachte. Er verkroch sich nicht mehr in ein selbstgebautes Schneckenhaus. Und Adrians provozierende Bemerkung über Tzigani – Zigeuner waren an ihm abgeperlt wie Regentropfen an einer Fensterscheibe. Hatte Max’ Selbstsicherheit ein bisschen auch auf ihn abgefärbt?
Cosmin googelte auf dem Handy nach einer auf Architektur spezialisierte Uni in Bukarest und wurde sofort fündig. Als er sich die Informationen zu den Fachbereichen anschaute, poppte eine WhatsApp- Nachricht von Sergiu auf.
„Sorry nochmal wegen Adi. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“
Cosmnin seufzte leise.

Hör auf, dich für diesen Heini zu entschuldigen!

„Das mit Adi habe ich schon vergessen. Euch auch einen schönen Abend“, schrieb er zurück.
Wenig später erhob er sich aus dem Lesesessel. Inzwischen war es neun Uhr abends und höchste Zeit, mal nach Max zu schauen.

Max

„Scheiße!“

Max blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und sah auf seinem Handy, dass es bereits kurz vor neun Uhr abends war. Aber er fluchte weniger wegen des verschlafenen Abends, sondern vielmehr, weil sein Darm geradezu um eine Entleerung zu betteln schien.
Sein Blick huschte durch das Zimmer. Wo war Cosmin?
Er robbte vom Bett und erblickte Cosmins Nachricht. Was trieb Cosmin unten in der Lobby? Eine Erinnerung blitzte hinter Max’ Stirn auf: Cosmin, der mit anderen Menschen nur dann redete, wenn es sich nicht umgehen ließ und der den Blick entweder auf den Boden oder auf einen Punkt fernab von anderen Leuten richtete.
Cosmin hat sich verändert, seine Scheu verloren. Hat er sich das von mir abgeguckt?, überlegte Max, während er ins Bad schlurfte und versuchte, beim Gehen so wenig wie möglich den Hintern zu bewegen.

Im Bett ist er wie ein ausgehungerter Wolf über mich hergefallen!

Max ließ sich mit zusammen gebissenen Zähnen auf die Kloschüssel sinken und der Schmerz fegte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf.
Immerhin hatte der Verdünnungssaft gehalten, was die Verpackung versprach, außerdem konnte Max nach überstandener Verrichtung kein Blut in dem Dünnpfiff entdecken.
Nach dem sich dessen Geruch verzogen hatte, gönnte er sich eine heiße Dusche.
Cosmins Stimme drang durch die geschlossene Badtür. „Maxi?“
Noch ehe Max antworten konnte, öffnete sich die Badtür.
„Ich hab gehört, dass du duscht“, sagte Cosmin, als wolle er sich für sein Eindringen entschuldigen. Sein Blick wanderte über Max’ entblößten Körper. Max entging nicht die Begierde, die in Cosmins Augen aufblitzte. Cosmin deutete auf die Kloschüssel.
„Hast du… ?“
Max tat, als würde er sich kaum auf den Beinen halten können.
„Ja, ich hab’s überlebt. Kein Blut, aber es war wie Klobürsten kacken.“
Cosmin schluckte. „Soll ich dir helfen?“
Max war nahe dran, Cosmin zu sich unter die Dusche zu ziehen. „Du hast noch deine Sachen an.“
Ein schiefes Grinsen huschte über Cosmins Gesicht. Er verschwand aus dem Bad und kehrte ein paar Sekunden später nackt zurück. Die Schwellung an seinem Glied war zwar etwas zurückgegangen, aber es sah immer noch fast so wie eine unreife Aubergine aus.
Max zog Cosmin an sich, die Lippen der Jungen fanden zueinander, heißes Wasser rann über ihre aneinander gepressten Körper. Doch plötzlich begann Cosmin zu zittern, als käme Eiswasser aus der Dusche.
„Ich kann nicht, Maxi“, keuchte er, löste sich aus Max’ Umarmung und hielt sein auf doppelte Größe angeschwollenes Glied in beiden Händen, als hätte er Angst, es könne abfallen.
Max stellte die Dusche ab und rubbelte Cosmin und sich selber mit seinem Badehandtuch trocken.
„Komm Cos-Mi, ich bringe dich ins Bett und mach’ dir das Gel da drauf“, sagte er und zog Cosmin mit sich zurück ins Zimmer.
Im Bett ließ Cosmin das Verarzten seines Gliedes mit geschlossenen Augen über sich ergehen. Als Max das kühlende Gel auf der Schwellung verrieb, fiel die Erektion in sich zusammen.
„Tut’s noch weh?“
Cosmins eben noch vor Schmerzen verkrampften Gesichtszüge entspannten sich.
„Es geht wieder. Ich … ich weiß nicht, wieso ich…“
Max hauchte einen Kuss auf Cosmins Lippen. „Dein Schwänzchen sieht schon viel besser aus als heute Morgen. Und vorne ist es nicht mehr so rot. Ich schätze, ein paar Tage noch und du kannst wieder 'rum machen damit.“
Cosmin seufzte leise und richtete sich auf. „Leg’ dich auf den Bauch, Maxi!“
Max stieß den angehaltenen Atem aus. „Hey, ich sagte in ein paar Tagen.“
„Quatsch! Ich will nicht 'rum machen, sondern dir die Tropfen in den Hintern träufeln“, erwiderte Cosmin.

Nach dem Cosmin Max’ Po verarztet hatte, verkrochen sich beide Jungen unter ihre Bettdecken. Max ließ seinen Arm auf Cosmins Bauch ruhen und Cosmin umklammerte Max’ Arm mit beiden Händen.
„Was hast du eigentlich da unten in der Lobby gemacht?“, fragte Max.
„Vielleicht habe ich einen neuen Freund kennengelernt“, sagte Cosmin und fügte hastig hinzu: „Nee, nicht was du jetzt denkst, Maxi. Wie du weißt stehe ich nicht auf Männer. Normalerweise.“
Cosmin erzählte von seiner Begegnung mit Sergiu.
„Maxi, ich fände es schön, wenn wir auch ganz normale Freunde hätten. Ohne Sex und so“, beendete Cosmin seine Erzählung. „Vermisst du so was nicht?“
Max erwiderte Cosmins forschenden Blick und zuckte mit der Schulter. „Ich weiß nicht. Hätte ich noch andere, normale Freunde und würde mit denen abhängen, ich wäre tausend Mal lieber mit meinem unnormalen Freund zusammen. Nur er und ich. Wozu brauche ich dann aber normale Freunde?“

  1. Max lernt wieder laufen

Max

Max wagte es zunächst auch am nächsten Tag noch nicht, das Zimmer zu verlassen. Die Tropfen, die ihm Cosmin schon ein halbes Dutzend Mal in den Hintern geträufelt hatte, schienen aber endlich zu wirken. Cosmin begab sich am Vormittag auf eine kurze Einkaufstour und kehrte mit Baguettes aus einem neben dem Hostel gelegenen Fastfood- Laden und neuen Lebensmittelvorräten aus einem nahen Supermarkt zurück.
Immerhin konnte Max sein Baguette am Tisch sitzend verzehren, auch wenn er wie schon vor nicht einmal drei Wochen im Sessel immer wieder eine neue Position für seinen Hintern suchen musste.
Nach dem Mittagessen verarzteten sich die Jungen gegenseitig und Max bemerkte, dass die roten Pusteln an Cosmins Glied verblassten und die Schwellung ebenfalls zurückgegangen war, wenngleich das Glied immer noch ein bisschen wie eine Gurke aussah.
Den Nachmittag verbrachten sie mit ihren Handys im Bett. Cosmin brachte Max Spiele wie Dame, Mühle und Rommy bei. Obwohl Max bei Dame und Mühle jede Partie verlor, genoss er es, mit Cosmin zu spielen.

Einzig der Gang aufs Klo blieb für Cosmin eine Tortur. Er versuchte, den Tag fast ohne Getränke zu überstehen, weil sein Urin sich immer noch wie flüssiges Feuer anfühlte. Und Max ignorierte das Knurren seines Magens und hoffte, dass sich so die nächste Verrichtung auf den nächsten Tag hinaus schieben ließ.
Für das Abendessen hatte Cosmin neben den belegten Baguettes verschiedene Salate im Supermarkt gekauft.
Max setzte sich zu Cosmin an den Tisch und bemerkte, dass er fast schon ohne Schmerzen im Sessel sitzen konnte. Er gönnte sich von den Salaten dennoch nur wenige Happen. Cosmin starrte ihn wieder mal aus glühenden Augen an, während er am Baguette nagte.
„Cos-Mi!“
„Hmm…?“, erwiderte Cosmin mit vollem Mund und ohne den Blick von Max abzuwenden.
„Du guckst, als ob du mich fressen willst!“
Cosmin schluckte den Bissen hinunter. „Vielleicht gab es Vampire unter meinen rumänischen Vorfahren?“ Er rückte etwas näher an Max heran, strich Max’ schulterlange Haare etwas zurück, sodass die Halsschlagader frei lag und küsste sie. „Hm… ja, du hast einen guten Geschmack.“
Max fühlte ein Kribbeln, das sich vom Hals bis zu seinen Lenden ausbreitete.
„Maxi, jetzt guckst du auch so, als ob du mich fressen willst“, grinste Cosmin.
Max seufzte bei dem Gedanken an die kommende Nacht. Sie würden nebeneinander im Bett liegen und Abstand halten müssen. „Ich schätze, ich muss damit bis zu den Weihnachtsferien warten.“
Cosmin hauchte einen weiteren Kuss auf Max’ Halsschlagader. "Vielleicht übernachtet mein Vater noch mal auswärts bis dahin… ", sagte er leise und zog sich wieder auf seine Seite des Tisches zurück.
Offenbar hatte sich Cosmin etwas zu lebhaft ausgemalt, wie es wäre, von Max gefressen zu werden, denn Max sah eine verräterische Beule in Cosmins Jogginghose.
Max hörte sein Handy bimmeln. Er warf einen Blick auf das Display und erbleichte. „Mist! Videoanruf von Leon. Ich wette, er will eine Julia sehen, die es nicht gibt.“
„Geh nicht ran!“, schlug Cosmin vor.
Max schüttelte energisch den Kopf. „Vergiss es! Leon würde merken, dass was faul ist hier. Versteck dich 'ne Sekunde im Bad. Ich sag ihm, du kotzt mal wieder wegen deiner Tage.“
Cosmin murrte leise, verzog sich jedoch ins Bad.
Leons Gesicht erschien auf dem Display. Er befand sich offenbar in einem Karateklub, aus dem Hintergrund drangen Kampfgeräusche aus dem Handy. „Champ, was soll der Schwachsinn!“, wetterte Leon drauflos. „Ich habe gerade mit deinem Vater geredet. Du bist in Berlin? Mann, du hast einen Schlüssel für meine Bude, hast ein eigenes Zimmer dort und trotzdem steigst du mit deiner Kleinen in einem billigen Hotel ab?“
Max Hirnzellen arbeiteten fieberhaft an einer Ausrede. „Äh… Onkelchen, Julia wollte sozusagen… weil man hier viele andere Leute trifft“, stammelte er schließlich und bemerkte, dass sein Onkel sich im Zimmer umschaute.
„Wo ist deine Freundin?“
Max zog ein Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen und deutete mit einem Nicken zur Badtür. „Sie hat ihre Tage und kotzt mal wieder. Das passiert bei ihr öfter, weißt du?“
Leon schüttelte den Kopf. „Junge, Junge. Maxi! Du solltest dir ihre Tage in deinen Kalender eintragen. Wie geht es mit dem Reaktionstraining voran?“
Max’ Gedanken wanderten zu Cosmin, der wahrscheinlich nicht sehr erfreut darüber wäre, noch länger auf dem Klodeckel zu hocken und auf das Ende des Videochats zu warten. Er tat so, als würde er Geräuschen aus dem Bad lauschen.
„Ich trainiere mit meinem Schulfreund, ich fange seine Schläge ab und… du Onkelchen, ich glaube, ich sollte mal nach Julia gucken. Das da im Bad hört sich gar nicht gut an. Ich bimmle dich morgen Abend an, okay?“
„Maxi! Lass das nicht schleifen, dieser Tang killt dich sonst. In den Weihnachtsferien wirst du meine Schläge abfangen und nicht die von deinem komischen Freund! Dann bis morgen, Kleiner!“
Leons Gesicht verschwand vom Handydisplay.
„Cos-Mi! Du kannst raus kommen!“, rief Max erleichtert.
Cosmin huschte zurück ins Zimmer und winkte mit einem Fläschchen. „Zeit für deine Tropfen, Maxi!“

Zum dritten Mal an diesem Tag verarzteten die Jungen gegenseitig ihre Blessuren.
„Cos-Mi, ich muss morgen, wenn wir zurück nach Dessau fahren, wieder wie ein normaler Mensch laufen können“, sagte Max, nach dem er das kühlende Gel auf Cosmins Glied verrieben hatte. „Draußen ist es dunkel. Wir gehen ein Stück und du sagst mir, ob ich normal laufe oder so, als hätte ich einen Stock im Arsch.“
Cosmin nickte zustimmend. „Es sieht fast schon wieder normal aus. Wäre ich vorgestern Nacht nicht auch hier gewesen, ich würde nicht mal ansatzweise ahnen, warum du beim Gehen den Hintern zusammen kneifst.“
„Ach ja? Und warum genau kneife ich den Hintern zusammen?“
Cosmin blieb eine Antwort schuldig und fragte stattdessen: „Gibt es denn ein paar dunkle Gassen hier in der Nähe?“
„Am Spreeufer gibt’s lauschige Plätzchen, nicht weit von hier. Da treiben sich jetzt höchstens noch ein paar Kiffer oder Schwarzangler 'rum.“

Der Weg zu den lauschigen Plätzchen am Spreeufer erwies sich jedoch für Max als Spießrutenlauf. Schon in der Lobby des Hostels hatte Max das Gefühl, alle Leute im „Treffpunkt“ und im „Bierabteil“ würden sich plötzlich nur noch dafür interessieren, was mit seinem Hintern passiert war. Cosmin hingegen versicherte, dass ihm die Leute immer so hinterher gucken würden und sein Gang eigentlich ganz normal sei.
Auf den Gehwegen zum Spreeufer tummelten sich offenbar mehr Fußgänger als üblich. Zumindest hatte Max diesen Eindruck.
„Was steht bei mir hinten auf der Jacke drauf?“, schnaubte er, als sie endlich einen Park in der Nähe der Uferpromenade erreichten. Das Rascheln frisch gefallener Blätter übertönte den fernen Straßenlärm. Mit Schnörkeleien verzierte, altmodisch anmutende Laternen beleuchteten einen Pfad, der durch den Park führte. Irgendwo vor ihnen ertönte Gelächter und Gegröle. Nicht einmal hier würde Max vor neugierigen Blicken sicher sein.
Cosmin warf einen Blick auf Max’ Rücken. „Dior steht da drauf. Wieso?“
Sie schlenderten auf dem Pfad tiefer in den Park hinein. Hinter einer Wegbiegung erblickten sie eine Gruppe junger Männer, die auf zwei Parkbänken lümmelten und sich bei Koks und Bier irgendwas Lustiges erzählten.
„Und wieso gucken dann alle, als ob ‚Besorg’s mir von hinten!‘ drauf steht?“, nörgelte Max und spähte unauffällig zu der Männergruppe. Er zählte fünf Kerle, drei davon schienen Araber zu sein, die anderen beiden Deutsche.
„Maxi! Hör auf, solchen Stuss zu reden. Kein Mensch käme auf so eine blöde Idee.“ Nun musterte auch Cosmin die Männer und verlangsamte sein Tempo. „Maxi, die sehen ziemlich brutal aus. Lass uns umkehren.“
„Vergiss das!“, zischte Max zurück. „Wenn wir den Schwanz einziehen, ist das wie 'ne Einladung für die. Wir gehen ganz normal an denen vorbei und tun so, als wären wir taub.“ Er wischte auf dem Display seines Handys herum und reichte es Cosmin. „Falls die auf Zoff aus sind… Du bist der Kameramann!“
Zögernd griff Cosmin nach dem Handy. „Maxi, mit deinem Hintern kannst du nicht…“
„Klar kann ich. Der tut mir nicht zum ersten Mal weh, schon vergessen?“
Nur noch wenige Schritte trennten Max und Cosmin von den fünf jungen Männern, als deren Gelächter jäh verstummte. Aus den Augenwinkeln sah Max, dass einer der beiden Deutschen seine glimmende Kippe weg warf und anzüglich grinste.
Max versuchte so normal und gleichgültig wie möglich an der Gruppe vorbei zu gehen. Je mehr Mühe er sich dabei gab, um so mehr kam es ihm vor, als würde er wie ein Storch an den Kerlen vorbei stelzen.
„Guck dir diese beiden Schwuchteln an, Scholle!“, grölte jemand, gerade als Max erleichtert ausatmen wollte.
„Ja!“, brüllte ein anderer, vielleicht der, der Scholle genannt wurde. „Ich glaube, die Blonde lässt es sich öfter mal von hinten besorgen, oder? Hey Süße! Lass mich auch mal ran!“
Max fühlte Zorn heiß wie Lava durch seine Adern branden. „Sagtest du nicht, da steht Dior drauf?“, zischelte er Cosmin zu.
Cosmin beschleunigte nun seine Schritte. „Vielleicht rufen die das jedem hinterher…?“
„Hey ihr Tunten! Ihr nicht hören? Los Scholle, schnappen wir Weiber!“
Max hörte das Rascheln von Schritten im Laub hinter sich. „Okay Cos-Mi, die Kamera läuft, ich brauch’ jetzt Platz, verdufte!“
Cosmin wich zurück. „Maxi, da sind zwei hinter dir.“
„Schon gemerkt. Gleich sind’s zwei weniger“, presste Max zwischen den zusammen gebissenen Zähnen hervor. Er lauschte mit angespannten Muskeln. Wie Trampeltiere stürmten Scholle und einer seiner Kumpane heran.

Jetzt!

Max knickte die Beine ein, um den Schwung zu verstärken und in einer halben Drehung flog sein rechter Fuß nach oben und klatschte in ein stoppelbärtiges Gesicht. Der Angreifer quiekte kurz und kippte zur Seite. Daneben legte zwar einer der drei Araber eine Vollbremsung ein, doch er segelte über Max’ ausgestrecktes Bein. Max verpasste ihm einen Tritt in den Hintern und sah, dass ihm nun auch der zweite Deutsche entgegen stürmte. Er schwang eine leere Bierflasche wie eine Keule über seinem Kopf.
„Du! Ich schlag dir die Fresse…“

Watsch!

Max’ Faust zertrümmerte die Flasche und gleich darauf knallte sein rechter Fuß gegen das Kinn des Mannes.
Der Mann schrie auf und fiel auf die Knie. Max sah, dass die zwei übrigen arabisch aussehenden Männer auf halbem Wege zu ihm unschlüssig stehen blieben und vernünftigerweise den Rückwärtsgang einlegten. Er wandte sich zu den anderen beiden Angreifern um. Der Araber blickte ihn hasserfüllt an, zischte etwas in seiner Muttersprache und lief in großem Bogen um Max herum zurück zu den Parkbänken.
Max zog Scholle auf die Füße. „So Süßer. Nun sag mir noch mal, was du mit mir machen wolltest!“
Der Mann leckte sich das Blut von der geplatzten Oberlippe. Max’ Finger krallten sich um das stopplige Kinn des Mannes. „Komm schon Scholle. Du wolltest auch mal ran bei mir, oder?“
Scholle starrte Max an, als hätte er den Leibhaftigen vor sich. „Das war doch nur ein Spaß“, wimmerte er.
„Und sehe ich so aus, als würde ich solchen Spaß verstehen?“, fragte Max leise und hob langsam die andere Hand. Aus vor Angst geweiteten Augen verfolgte Scholle diese Bewegung. „Ich … glaube… nicht“, stammelte er. Cosmin trat neben Max und griff nach Max’ erhobener Hand.
„Ich glaube, Scholle hat sich eingekackt und möchte nach Hause gehen und sich sauber machen. Stimmt doch, Scholle, oder?“
Scholle sah Cosmin fast schon dankbar an. „Ich… ich glaube, du hast Recht“, erwiderte er und als Max ihn los ließ, stapfte er nicht etwa zu den Parkbänken zurück, sondern schlug die andere Richtung ein.
„Der hat sich wirklich eingekackt“, raunte Cosmin in Max’ Ohr. „Er läuft jetzt so wie du gestern gelaufen bist.“
„Scheiße, echt? So sah das aus bei mir?“, fluchte Max und kickte den gezackten Flaschenhals beiseite. Er zerrte auch den letzten der Angreifer auf die Füße. „Dreckskerl!“, schrie der auf, spuckte etwas aus, das verdächtig nach Bruchstücken von Zähnen aussah. Dann riss er sich los und sprintete zu seinen drei Kumpanen zurück.
Max zuckte mit der Schulter. „Dreckskerl klingt immerhin besser als Schwuchtel“, grinste er.
Cosmin griff nach Max’ rechter Hand und beleuchtete sie mit dessen Handy. „Keine Splitter. Wie hast du das mit der Flasche gemacht?“
Max winkte ab. „Leons Spezialtraining. Lass uns zurück ins Hostel gehen. Das war genug Training für heute.“
Cosmin nickte und starrte Max aus großen schwarzen Augen an. „Maxi! So wie du die erledigt hast… das ist ein bisschen… beängstigend.“
Max erwiderte Cosmins Blick und war drauf und dran, Cosmin an sich zu ziehen. „Unsinn! Du könntest mir eine nach der ander’n scheuern und ich würde mich nicht wehren.“

Während des Kampfes hatte Max nicht einmal den Hauch eines Schmerzes in seinem Hintern gespürt. Doch auf dem Rückweg zum Hostel verschwand das Adrenalin aus seinem Blut und beim Gehen fühlte sich Max, als würde ihm eine Flaschenbürste im Gedärm stecken.
„Cos-Mi, ich brauche eine Extraportion deiner Tropfen. Sonst muss ich morgen hier bleiben“, stöhnte er, als sie endlich ihr Zimmer betraten.

Obgleich die Tropfen keine Wunder wirkten und die morgendliche Verrichtung am nächsten Tag für Max alles andere als angenehm war, checkten sie mittags aus. Auf dem halbstündigen Fußmarsch zum Hauptbahnhof ließ sich Max mehr als ein Dutzend Mal von Cosmin bestätigen, dass sein Gang völlig unverdächtig wirkte und ihm keiner der anderen Fußgänger auf den Hintern starrte.
Je näher sie dem Bahnhof kamen, um so mehr verdüsterte sich Cosmins Gesicht.
Max fragte sich, ob Cosmin sauer war, weil er in den drei Tagen kaum was von Berlin gesehen hatte.
„Cos-Mi, was ist los? Du bist enttäuscht, oder? Spuck’s aus!“, sagte Max, als sie eine Anzeigetafel mit den Abfahrtszeiten studierten und Cosmin ein Gesicht zog, als wäre ihm eine Laus über die Leber gelaufen.
Cosmin seufzte tief. "Enttäuscht? Nee! Maxi, wenn wir den Zug um eins nehmen, bin ich halb vier zu Hause. Und dann? Ich werde mich in meinem Zimmer zu Tode langweilen, weil… " Er verschluckte den Rest, doch Max ahnte, dass es Cosmin genauso ging wie ihm selber.

Ich werde ihn vermissen, sobald wir uns in Dessau voneinander verabschiedet haben. Obwohl wir morgen wieder fast den ganzen Tag zusammen sein werden.

Allerdings verwarf er die Idee, auch den Abend mit Cosmin bei sich im Zimmer oder auf dem Dachboden zu verbringen. Seine Großmutter würde es sicher etwas merkwürdig finden, wenn sie nach den drei Tagen in Berlin auch heute Abend wie Kletten aneinander hingen.
„Vergiss um eins, Cos-Mi! Um drei ist zeitig genug. Wir ziehen uns hier irgendwo einen Burger rein, okay?“
Cosmins Gesicht hellte sich etwas auf. „Okay!“
Max spürte, dass Cosmin noch mehr auf der Zunge lag.
„Maxi… Dein Training, wäre es nicht besser, wenn wir ab morgen nach der Schule zuerst bei mir zusammen Hausaufgaben machen?“, fragte Cosmin, ohne von der Anzeigetafel aufzublicken. „Da ist mein Vater noch nicht zu Hause und ich könnte dir dann wenigstens einmal am Tag mit den… äh Tropfen helfen, die du mindestens vierzehn Tage nehmen sollst“, ergänzte er rasch.
Eine Hitzewelle brandete von Max’ Lenden bis hinauf zu seinen Ohrenspitzen.

Und ich kann dir weiter das Gel auf’s Schwänzchen schmieren.

„Ich glaube, das ist eine gute Idee.“

Eine Bewährungsprobe stand Max an diesem Tag noch bevor und das war die Ankunft in Dessau. Zwar hatte er seiner Oma versichert, dass der zwanzigminütige Fußmarsch für ihn kein Problem wäre. Aber sie bestand darauf, ihn und Cosmin vom Bahnhof abzuholen.
Anders als zwei Wochen zuvor waren im Zug nach Dessau fast alle Plätze besetzt. Anders als zwei Wochen zuvor würde ihn auch kein junger Mann mit dem Aussehen eines orientalischen Märchenprinzen auf dem Bahnsteig erwarten. Dieser junge Mann saß heute mit ihm zusammen aus dem Zug.

Max’ Großmutter erwartete beide Jungen auf dem Parkplatz neben dem Bahnhofsgebäude. Einmal mehr hatte Max das Gefühl, beim Gehen die Beine zu bewegen, als würden sie wie bei einer Marionettenpuppe an Fäden hängen. Cosmin raunte ihm zu, dass er sein Gang völlig normal aussehe und falls seiner Großmutter etwas Ungewöhnliches an seinem Gang aufgefallen war, ließ sie es sich nicht anmerken.
Sie lächelte und ihr Blick huschte zwischen Max und Cosmin hin und her, als die Jungen an sie heran traten.
„Wenn man euch beide so sieht, könnte man denken, ihr seid Brüder. Oder wenigstens Halbbrüder“, begrüßte Oma Lisa die Jungen und drückte erst Max und dann auch Cosmin an sich.
Cosmin wollte sich von Max verabschieden, doch sie schob ihn zum Heck ihres VW Tiguan. „Leg deinen Rucksack rein dort, Cosmin. Wir fahren zuerst bis zu dir.“
Max und Cosmin setzten sich auf die Rückbank. „So. Und nun erzählt mal, was ihr Schönes in Berlin getrieben habt“, forderte Oma Lisa die Jungen auf, kaum dass sie den VW gestartet hatte.
Max warf Cosmin einen vielsagenden Blick zu.

Wenn Du wüsstest!

„Es war… äh… ziemlich lustig, Omi“, stammelte er und versuchte fieberhaft, sich ein paar Erlebnisse zusammen zu basteln.
Cosmin half ihm rasch aus der Patsche. „Wir hatten echt ein tolles Wochenende, Tante Lisa“, sagte er und begann von mehreren Berliner Sehenswürdigkeiten zu erzählen, als hätte er sie tatsächlich mit eigenen Augen gesehen.
„Du meine Güte“, rief sie verblüfft, nachdem Cosmin seine Aufzählung beendet hatte. „Ihr müsst ja pausenlos unterwegs gewesen sein.“ Als sie an einer Ampelkreuzung warteten, richtete sie im Rückspiegel ihren Blick auf Max. „Hast du Cosmin auch mal dein Haus gezeigt?“
Max winkte ab. „Cosmi wollte sich all diese Sachen angucken und nicht mein Haus“, antwortete er und sah, dass Cosmins Gesicht alles andere als Zustimmung signalisierte.
„Und deinen Vater, hast du ihn wenigstens mal besucht?“
„Nicht so lange diese Tussi dort ist“, schnaubte Max.
Oma Lisa seufzte leise. „Maxi, du bist sein einziger Sohn.“
Max knirschte mit den Zähnen, als wolle er sie zermalmen. „Falsch! Dieser Balg von der Tusse ist jetzt auch sein Sohn!“, fauchte er.
"Ach Maxi… ", erwiderte seine Großmutter und seufzte erneut.
Sie erreichten das Plattenbauviertel.
Max ergriff Cosmins Hand. „Wir seh’n uns morgen früh, Cos-Mi“
Cosmin lächelte schwach. „In alter Frische. Danke für das Wochenende, Maxi.“ Er wandte sich zu Max’ Großmutter um. „Vielen Dank Tante Lisa, dass Sie mich nach Hause gefahren haben.“

„Was für ein lieber Kerl“, sagte sie, nachdem sie den VW gewendet hatte. Sie warf Max im Rückspiegel einen Blick zu. „Es ist schön, dass ihr euch gefunden habt.“
Würdest du das auch denken, wenn du wüsstest, was zwischen uns läuft?, fragte er sich und erwiderte: „Das glaube ich auch.“

Tja, dumm gelaufen!
Aber immerhin ist den beiden nicht die böse Stiefmutter über den Weg gelaufen :slightly_smiling_face:
In zwei oder drei Tagen erfahrt ihr, wie es weiter geht.

  1. Sich bloß nicht dabei erwischen lassen!

Cosmin

Der nächste Morgen bescherte den ersten Frost des Herbstes. Als Cosmin ins Freie trat, sah er dichte Nebelschwaden, die durch die Lichtkegel der Straßenlampen und der Scheinwerfer vorbei fahrender Autos waberten. Der Nebel hatte die Wiesen und Bäume mit Raureif überzogen.
Keine zehn Minuten später erreichte er die Treppe zum Eingang des Rathauses. Max hielt mit einer Hand sein Fahrrad, mit der anderen zog er Cosmin kurz an sich.
„Cos-Mi, du siehst selbst dann zum Anbeißen aus, wenn du in so dicken Sachen eingepackt bist wie heute“, raunte er ihm zu.
Cosmin verpasste Max einen Stupser in die Rippen. „Wie du weißt, finde ich dich auch zum Anbeißen“, grinste er in Anspielung auf einen blassrosa Fleck an Max’ Schulter, den seine Zähne dort hinterlassen hatten.
Er deutete auf den Fahrradsattel. „Konntest du drauf sitzen?“
Max stöhnte leise. „Ich besorg’ mir einen Gelsattel heute. Cos-Mi, schieb’ du mein Rad und sag mir, ob ich so laufe wie unser Freund Scholle vorgestern.“
Cosmin hätte lieber mit Max geplaudert. Stattdessen lief Max drei Schritte vor ihm über den Marktplatz und warf hin und wieder verstohlene Blicke zu den anderen Schülern, die ebenfalls zur Schule trotteten.
„Und?“, fragte Max, als Cosmin das Rad in einen der Fahrradständer auf dem Vorplatz der Schule schob.
„Sag mal Maxi, hast du eine Windel in der Hose?“
Aus Max’ Gesicht wich jegliche Farbe. „Oh Scheiße!“, fluchte Max. „Ich mach blau heute!“
Cosmin griff nach Max’ Hand, die sich das Rad schnappen wollte. „Hey! Das war ein Scherz! Maxi, krieg dich ein. Noch normaler laufen geht nicht.“
Zwar zog Max wie üblich die Blicke einiger Mädchen auf sich, als sie den Klassenraum betraten. Aber keines der Mädchen schien sich mehr als sonst für seinen Gang oder seinen Hintern zu interessieren. Chris und seine Kumpane, die bereits auf ihren Plätzen fläzten, vermieden wie immer jeden Blickkontakt mit Max und Cosmin.
„Siehst du“, zischte Cosmin in Max’ Ohr, nachdem sie sich an ihre Bank gesetzt hatten. „Kein Mensch hat irgendwas gemerkt.“
„Bist du sicher?“, zischte Max zurück.
„Hundertprozentig.“
Doch in der ersten Hofpause zeigte sich, dass Cosmin seine Prozentangabe zumindest etwas nach unten korrigieren musste. Als sie ihren gewohnten Pausenplatz unterhalb der Kletterwand ansteuerten, hatten es sich die Jungen der Parallelklasse bereits auf der Mauer gemütlich gemacht. Max schien im Moment mal keine Sorgen mit seinem Hintern zu haben. Er studierte die Kletterwand über den Köpfen der Jungen. Vermutlich versuchte er herauszufinden, ob der Sportlehrer Herr Recke während des langen Wochenendes neue Routen geschraubt oder alte Routen modifiziert hatte. Cosmin bemerkte, dass der schmächtige Junge mit der Hornbrille plötzlich jegliches Interesse an dem verlor, was sich seine Klassenkameraden erzählten und seine Augen zuerst auf Max’ Beine heftete. Dann, nur für einen Sekundenbruchteil, kreuzten sich ihre Blicke und Cosmin spürte sofort, dass der Bursche mit der Hornbrille ahnte, weshalb Max’ Gang heute ein kleines bisschen schwerfälliger war als sonst.
Cosmin und Max setzten sich auf ihren Stammplatz und Max reichte Cosmin ein in Alufolie gewickeltes Baguette.
„Meine Oma… sie glaubt, wir hätten in Berlin gehungert.“
Während sie an ihren Baguettes knabberten, ließ Cosmin seinen Blick hinter einem Vorhang aus schwarzen Zotteln zur Seite gleiten. Das Pärchen aus der Parallelklasse tuschelte miteinander und nun blickt auch Simon, der Junge mit den blondierten Haarsträhnen, aus den Augenwinkeln in ihre Richtung.
Cosmin mochte beide, auch wenn er noch nie ein Wort mit ihnen gewechselt hatte. Aber es war ihm unangenehm, dass sie offenbar ahnten, was er mit Max im Bett getrieben hatte.
Er verstaute den Rest des Baguettes in der eigenen Brotdose, fischte sein Handy aus der Hosentasche und wischte darauf herum.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du den Wettkampf am Samstag gewinnst“, sagte Cosmin leise, doch immerhin laut genug für die beiden Lauscher.
„Hä?“ Max warf Cosmin einen verdutzten Blick zu.
„Hier hab ich’s… im Finale.“ Cosmin hielt Max das Handy hin, auf dem er irgendein youtube- Kampfsportvideo geöffnet hatte. „Scholle verpasst dir diesen Tritt in den Hintern und nur ein paar Sekunden später wird der Kerl ausgezählt und verliert.“
Nun war es Max, der hinter einer Gardine aus blonden Haarsträhnen nach links zu den Jungen der Nachbarklasse linste.
„Hör bloß auf, Cos-Mi!“, erwiderte er und ein Grinsen huschte über sein Gesicht. „Von Scholles Arschtritt tut mir immer noch der Hintern weh.“
Wie es schien, schluckten Simon und sein schmächtiger Freund den Köder. Das Getuschel der beiden verstummte und sie wandten sich wieder den anderen drei Jungen ihrer Klasse zu.
Nach der sechsten Stunde wollte Max im Fastfoodladen des Einkaufzentrums am Rathaus für beide einen Mittagsimbiss besorgen. Doch Cosmin lehnte es ab, sich erneut von ihm aushalten zu lassen. Er kaufte im Supermarkt eine Packung Wiener Würstchen und ein paar Brötchen und anschließend machten sich beide Jungen auf den Weg ins Plattenbauviertel.
„Du hast doch hoffentlich deine Tropfen dabei?“, fragte Cosmin, als sie den Hauseingang des Plattenbaus erreichten, in dem er mit seinem Vater wohnte. Am Fahrradständer vor dem Haus verriegelte Max das Schloss an seinem Fahrrad.
„Jawohl, Doc. Und die komischen Zäpfchen habe ich auch hier drin“, erwiderte er und deutete auf seinen Schulrucksack.
Sie betraten das Treppenhaus. Plötzlich blieb Cosmin wie angewurzelt stehen. „Hier riecht’s nach Mici!“
„Was zum Geier ist ein Mietsch?“
„Mici, das sind Hackröllchen und mein Vater mag sie am liebsten mit etwas Schafsfleisch. Und genau danach riecht’s hier.“
Max schnupperte und rümpfte die Nase. „Ist dein Alter etwa zu Hause?“
Cosmin zuckte mit der Schulter. „Normal kommt er erst nach vier…“
Er stapfte die Treppe hinauf und schloss die Wohnungstür auf. Ein Schwall Bratengeruch schlug ihm entgegen. Was suchte sein Vater um diese Zeit in der Wohnung?
„Tata?“
Sein Vater stürmte aus der Küche. „Cosmine, du kommst genau richtig“, rief er auf rumänisch. "Heute war ich mal der Koch und… " Er bemerkte Max, der noch im Treppenhaus stand und aussah, als ob er am liebsten auf der Stelle kehrt gemacht hätte.
„Äh, hallo Herr Munteanu“, sagte Max, doch es klang wie „Hey Mann, du störst!“
„Hallo Max! Komm rein, Junge. Du kannst bestimmt auch eine Portion Mici vertragen.“
Cosmin sah, dass Max nahe dran war, sich die Nase zuzuhalten. „Wir haben Würstchen für uns. Wieso bist du schon zu Hause? Ist was passiert auf Arbeit?“, fragte er auf deutsch.
„Keine Sorge! Es lief einfach gut heute. Fünf Stunden gearbeitet und acht kriege ich bezahlt. Ist das nicht toll, Cosmine?“, erwiderte der Vater, nun ebenfalls auf deutsch.
Cosmin versuchte, halbwegs erfreut zu klingen. „Hört sich gut an, ja.“
Er sandte ein Stoßgebet in den Himmel, dass so etwas in Zukunft nicht öfter passieren solle. „Morgen auch wieder?“
„Der Chef hat einen Großauftrag hier in der Stadt. Vielleicht habe ich Glück und er setzt auch mich hier ein.“
Cosmin bemerkte, dass Max ein Gesicht zog, als hätte er Zahnschmerzen.
„Super, Tata. Ich drücke die Daumen …“
Er schob Max in sein Zimmer und zischte ihm ins Ohr: „… dass der Chef ihn an an die Ostsee oder in den Schwarzwald auf Montage schickt.“
„So ein Mist“, nörgelte Max. „Was machen wir jetzt?“
„Ich mache uns die Würstchen warm. Wir futtern was, machen die paar Hausaufgaben und fahren dann zu dir“, schlug Cosmin vor. „Deine Oma kommt nur selten nach oben auf den Dachboden, wenn wir dort trainieren.“
Max ließ sich auf einen der beiden Stühle an Cosmins Schreibtisch fallen. „Ich hoffe, das verkneift sie sich heute.“

Max’ Großmutter war zwar erstaunt, dass beide Jungen viel zeitiger als sie erwartet hatte zum gemeinsamen Training anrückten. Doch sie begnügte sich mit Max’ Begründung, dass die Klasse an diesem Tag von Hausaufgaben fast völlig verschont geblieben war und auch keine Kontrollen oder Klausuren bevor standen.
Ihr Arbeitstisch in der Nische des Wohnzimmers war mit Steuerberechnungen übersät. Cosmin vermutete, dass Max’ Oma viel zu beschäftigt mit diesen Unterlagen war und zumindest in der nächsten Stunde keinen Gedanken daran verschwenden würde, was zwei Jungs auf ihrem Dachboden trieben.
Obwohl Cosmin inzwischen Dutzende Male Max beim Umziehen beobachtet hatte, konnte er es sich nicht verkneifen, den Blick über Max’ straffen Bauch und dessen muskulöse Beine schweifen zu lassen, als Max in seine Sportsachen stieg. Andererseits entging es Cosmin nicht, dass auch Max ihn mit den Blicken verschlang.
Cosmin schnappte sich das Fläschchen mit dem Balsam und die Packung mit den restlichen Zäpfchen von der Holzbank, auf der sie ihre Sachen abgelegt hatten und nickte zu den Matten unterhalb der Kletterwände.
„Leg dich dort auf den Bauch, Maxi!“
„Wie Sie wünschen, Doc“, grinste Max. „Soll ich mir schon mal die Hosen runter ziehen?“, fragte er und ließ sich auf den mit Matten gepolsterten Boden sinken.
Cosmin hockte sich zwischen Max gespreizte Beine.
„Das erledige ich für dich“, antwortete er und zog ihm Kletterhose und Slip bis zu den Kniekehlen hinunter, das Turnhemd hingegen schob er hinauf bis zu den Schulterblättern.
Mit den Fingern zeichnete Cosmin die Muskelstränge an Max’ Rippen nach, dann hauchte er einen Kuss auf beide Grübchen an Max’ Pobacken.
Max schnappte nach Luft. „Cos-Mi, du suchst an der falschen Stelle, mein Hintern ist weiter unten“, japste er.
Cosmins Finger strichen über Max’ mit Gänsehaut überzogenen Rücken. Es erschien ihm immer noch wie ein Wunder, dass nur er allein Max’ Körper auf diese Art berühren durfte.
„Hab mich schon gefragt, wo das Loch hin ist“, kicherte er und begann endlich, wie vorgeschrieben zwanzig Tropfen in den Anus zu träufeln. Nachdem er auch das Zäpfchen darin versenkt hatte, erhob er sich und bemerkte die pyramidenförmige Beule, die sich aus der Vorderseite seiner Trainingshose heraus wölbte. „Rühr dich nicht vom Fleck!“, rief er Max zu und flitzte zu der kleinen Toilette des Dachbodens, um sich die Hände zu waschen.
Als er zurückkehrte, heftete sich Max’ Blick auf die verräterische Beule in Cosmins Trainingshose.
Cosmin hockte sich erneut zwischen Max’ Beine. Doch plötzlich rollte sich Max herum und zog Cosmin an sich. Cosmin las in seinen Augen dieselbe Begierde, die in ihm wie kochende Lava brodelte. Max presste seine Lippen auf Cosmins Lippen und ihre Zungen umschlangen sich, als wollten sie zu einer verschmelzen. Cosmins rechte Hand tastete sich an eine Stelle von Max’ Turnhose heran, aus der sich eine Beule steil wie ein Termitenhügel heraus wölbte. Er stöhnte leise auf, als Max’ Hand die Beule in der eigenen Trainingshose erreichte.
Max löste sich etwas von Cosmin. „Tut es noch weh?“
„Nur ein bisschen“, keuchte Cosmin. Er versuchte, die richtigen Worte für das zu finden, wonach er sich im Moment am meisten sehnte. „Vielleicht machen wir das Gel drauf, wenn wir… äh… fertig sind.“
Max verstand. Seine Zunge stieß erneut in Cosmins Mund vor und mit seiner Rechten zerrte er bei Cosmin die Trainingshose und den Slip von der Hüfte.

„Maxi? Cosmin, seid ihr da oben?“

Eine Sekunde verharrten beide Jungen, als wären sie zu Marmorskulpturen erstarrt, dann sprang Max auf und riss Cosmin mit sich.
„Scheiße!“, fluchte Max. Bei beiden Jungen bedeckten in Sekundenschnelle Hosen und Turnhemden die eben noch entblößten Lenden. Doch die Beulen in den Hosen würden alle Fragen über die Art ihrer sportlichen Betätigung beantworten. Sie hörten sich nähernde Schritte auf der Treppe zum Dachboden. Max blickte gehetzt um sich. Dann zeigte er auf die Beule in Cosmins Hose. „Setz dich und deck das zu!“
Mit drei Sätzen hangelte er zur Decke, umklammerte zwei knubblige Griffe und schwang die Beine nach oben. „Rekordversuch! Ich tu nur so“, keuchte er, als er wie eine Spinne an der Decke klebte und so seine Erektion zu verbergen suchte. Cosmin hatte sich unterdessen auf die Bank gesetzt, das Handy aus dem Klamottenhaufen gefischt und bedeckte damit seinen Schoß. Aus den Augenwinkeln sah er Oma Lisa näher kommen. Sie trug eine Schüssel, auf der sich Weintrauben häuften.
Sie sah erst zu Cosmin, dann kopfschüttelnd zur Decke. „Komm runter dort, Max. Ihr beide seht aus, als würdet ihr eine Pause brauchen.“
„Erst wenn ich meinen alten Rekord gebrochen habe“, schnaubte Max.
Cosmin tat so, als würde er etwas vom Handy ablesen. „Er muss noch fast drei Minuten durchhalten, Tante Lisa.“
„Verrückter Kerl“, sagte sie lächelnd und stellte die Schüssel voller saftiger Trauben neben Cosmin auf der Bank ab. Sie beobachtete noch ein paar Sekunden lang, wie sich Max an der Decke festhielt und Cosmin befürchtete bereits, dass sie das Ende des angeblichen Rekordversuches abwarten wolle.
Doch dann nickte sie Cosmin zu. „Macht danach eine Pause und lasst euch die Trauben schmecken.“
Kaum hatte sie den Dachboden verlassen, hörte Cosmin ein Keuchen von der Decke. „Cos-Mi…!“
Max’ Hintern und Knie zitterten, als würden sie unter Strom stehen. Cosmin stolperte mit erhobenen Händen zu der Stelle, über der Max an der Decke hing. Gleich darauf rutschten Max’ Finger von den Griffen und beide Jungen plumpsten wieder einmal ineinander verschlungen auf die Matten.
„Mann, war das knapp. Ohne Magnesia hätte ich mich nicht länger festhalten können“, japste Max, als sie sich aufrappelten. Er schielte erst auf die eigene und danach auf Cosmins Beule. „Vielleicht sollten wir damit warten, bis dein Alter in Rumänien ist und du 'ne sturmfreie Bude hast.“

Das war freilich leichter gesagt als durchzuhalten.

Anders als es sich Cosmin erhoffte, wurde sein Vater vom Chef weder an die Ostsee noch in den Schwarzwald oder gar in die Pampa geschickt, sondern auf eine Baustelle in Dessau.
Als die Jungen am nächsten Tag nach der Schule die Wohnung der Munteanus betraten, war sein Vater zwar auf Arbeit, aber Cosmin fand benutztes Geschirr auf dem Küchentisch. Offenbar hatte sein Vater zusammen mit einem Kollegen eine Arbeitspause in der Wohnung verbracht.
„Kannst du deinen Alten nicht anrufen und fragen, wann er nach Hause kommt?“, fragte Max, während er Cosmin half, das benutzte Geschirr vom Tisch zu räumen, um Platz für den eigenen Mittagsimbiss zu schaffen.
„Maxi, das habe ich ihn heute morgen schon mal gefragt und nicht wirklich was erfahren“, erwiderte Cosmin mit einem Schulterzucken. „Er ist nicht auf den Kopf gefallen und reimt sich irgendwann zusammen, warum ich ihn ständig danach frage.“

Max

Max war nahe dran zu verzweifeln.
Endlich hatten sie Scheu und Hemmungen voreinander überwunden. Doch nun schien es keinen Ort zu geben, wo sie ungestört den Heißhunger, den sie aufeinander empfanden, stillen konnten.
Immerhin wagten sie es, sich nach dem Mittagsimbiss ihre verheilenden Blessuren zu verarzten. Die Schwellung an Cosmins Penis war ebenso wie die Rötung der Eichel fast völlig verschwunden. Und Max hoffte, dass er sich den widerlich schmeckenden Stuhlverdünnungssaft schon bald ersparen konnte, ohne bei der Darmentleerung vor Schmerzen die Zähne zusammen beißen zu müssen.

Es war wie verhext! Weder an diesem Tag noch am nächsten kehrte Cosmins Vater vorzeitig von der Arbeit zurück. Ebenso wenig tauchte während des gemeinsamen Trainings seine Großmutter auf dem Dachboden auf.

Als sie am Donnerstag nach der Schule die Wohnung der Munteanus betraten und sie verwaist vorfanden, fühlte Max wie brodelnde Hitze von seinem Bauch bis in die Ohrenspitzen schoss.
Während er seine Jacke an einer der wenigen nicht allzu überfrachteten Haken der Flurgarderobe hängte, bemerkte er, dass Cosmin ihn mit dem glühenden Dracula- Blick anstarrte.

Ihm geht es wie mir!

Aber er wagte es nicht, Cosmin an sich zu ziehen. Wahrscheinlich würden sie sich nicht mehr bremsen können. Max wollte lieber nicht darüber nachdenken, was wäre, sollte Cosmins Vater sie beim Sex erwischen.
Er stellte zwei mit Hamburgern gefüllte Boxen und zwei Pommes- Packungen, die er in einem Fastfoodladen am Markt erstanden hatte, auf dem Küchentisch ab.
„Nein, nichts passiert, Tata.“ Cosmin folgte Max in die Küche, das Handy am Ohr. „Max wollte dich was wegen einer Solaranlage für seine Oma fragen, aber er ist nur bis um vier bei uns“, erklärte er auf deutsch, vermutlich weil er wollte, dass es auch Max verstand.
Max fuhr herum und warf Cosmin einen verdutzten Blick zu. Cosmin bedeutete Max mit dem Zeigefinger am Mund, nicht dazwischen zu reden.
„Ach schade. Naja, es eilt ja nicht, glaub’ ich. Mach’s gut bis nachher!“
Cosmin grinste, als ob er seinen Ohren mit den Mundwinkeln einen Besuch abstatten wolle. „Schlechte Nachricht, Maxi. Mein Vater wird es heute leider nicht bis um vier nach Hause schaffen.“
Max erwiderte Cosmins Grinsen. „Eine Solaranlage für meine Oma… ?“
Er zog Cosmin an sich und erst als ihn Minuten später sein knurrender Magen an die Burger auf dem Küchentisch erinnerte, lösten sich die Lippen der Jungen voneinander.
Nach dem Essen ließen sie in Cosmins Zimmer den Schreibtisch rechts liegen und zogen sich gegenseitig zur Couch.
Max wollte sich auf die Couch fallen lassen, doch Cosmin hielt ihn zurück. „Warte, wir ziehen sie aus, dann haben wir mehr Platz für die Hausaufgaben!“
Kaum hatte Cosmin die Couch ausgezogen und mit einem Badetuch bedeckt, gab es für beide Jungen kein Halten mehr. Sie fielen einmal mehr wie ausgehungerte Raubtiere übereinander her, zerrten sich gegenseitig die Sachen vom Leib. Anders als eine Woche zuvor im Berliner Hostelzimmer versuchten sie, dem Hinterteil des anderen nicht allzu nahe zu kommen. Stattdessen überzogen sie sich gegenseitig mit Bissen und saugenden Küssen und genossen es,sich gegenseitig mit den Händen zu verwöhnen. Das feuchtheiße Finale zögerten sie so lange wie möglich hinaus. Ein Duett heftiger Atemstöße kündigte schließlich den Gipfel an, das sie eng umschlungen beinahe gleichzeitig erreichten.
Danach lag Cosmin mit geschlossenen Augen und dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen in Max’ Armen. Max strich ihm die verschwitzten Haarsträhnen aus der Stirn und von dem ihm zugewandten Ohr. Er fand die kleine L- förmige Narbe, die auch seiner Mam aufgefallen war und während er sie küsste, fragte er sich einmal mehr, wie Cosmin zu ihr gekommen sein mochte oder ob sie einfach nur ein Muttermal war. Sein Blick wanderte über Cosmins weiche, mädchenhafte Gesichtszüge. Noch immer erschien es Max wie ein Wunder, dass er Cosmin nicht nur gefunden hatte, sondern dass sie auch diese für beide völlig neue Leidenschaft teilten. Vor ein paar Wochen hatten ihn seine Gefühle für Cosmin zugleich schockiert und mit heißer Scham erfüllt. Und nun? Nun war er sich sicher, den Menschen gefunden zu haben, mit dem er sein Leben verbringen wollte.
Plötzlich schlug Cosmin die Augen auf und lauschte zur halb offen stehenden Zimmertür.
Max lauschte ebenfalls. Er hörte draußen im Treppenhaus den gedämpften Widerhall sich nähernder Schritte.
„Mein Vater… !“, stieß Cosmin aus, sprang auf und wischte sich mit dem Badetuch hastig die Nässe vom Bauch. „Schieb das Sofa zurück!“, zischte er Max zu und sprintete zur Zimmertür.
„Der ist zwei Stunden zu früh!“, wetterte Max, rubbelte mit dem Handtuch über Schoß und Bauch und schob das Sofa zusammen.
Cosmin hatte unterdessen die Zimmertür zugeworfen und stemmte sich splitternackt dagegen. Max hörte, dass die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.
„Maxi, beeil dich!“, zischte Cosmin.
„Was meinst du, was ich hier tue?“, maulte Max zurück, während er sich seine Sachen überstreifte.
„Cosmine?“ Die Türklinke ruckte.
„Tata! Ich mache Klimmzüge an der Tür. Nicht aufmachen!“, rief Cosmin auf deutsch. Max sprang mit seinem T- Shirt in der Hand hinzu und stemmte sich ebenfalls gegen die Tür.
Er sah bereits einen Albtraum wahr werden, doch die schlurfende Schritte im Flur entfernten sich von der Zimmertür.
Irgendwas rumänisch Gesprochenes drang durch die Zimmertür. „Ja, bin gleich soweit!“, erwiderte Cosmin wieder auf deutsch und schlüpfte in seine Jogginghose. Kaum hatte er sich auch das Unterhemd über den Kopf gezogen, öffnete er die Tür.
Cosmins Vater verstaute etwas im Flurschrank und trat nun mit einigen Broschüren in der Hand in Cosmins Zimmer.
„Hallo Max, Junge!“ Er winkte mit den Broschüren. "Das hier soll ich dir von meinem Chef für deine Großmutter geben. Da kann sie sich schon mal informieren und… " Er rümpfte die Nase. „Hier riecht’s irgendwie. Cosmine, du musst mal lüften.“
„Wir haben gerade trainiert, schon vergessen?“, murrte Cosmin.
„Ah, verstehe. Also Max. Mein Chef kommt gerne persönlich zu euch, aber du kannst auch mich fragen.“
„Das ist sehr nett, danke Herr Munteanu“, krächzte Max und griff nach den Broschüren. „Meine Oma kann es bestimmt kaum erwarten, das zu lesen.“
Cosmins Vater warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich muss wieder los, Jungs. Gegen fünf bin ich wieder hier.“
Er wandte sich zum Gehen und verharrte an der Türschwelle und kratzte sich verlegen das pechschwarze Strubbelhaar. „Ähm Cosmine, ich … es tut mir Leid, dass ich dich so oft allein lassen muss“, erklärte er seltsamerweise auf deutsch, als wolle er, dass Max mithörte. „Aber am Wochenende… ich werde am Wochenende mit Horst in Wernigerode privat eine Anlage montieren und bleibe wohl bis Sonntag.“
Max gab sich alle Mühe, einen Freudenschrei zu unterdrücken und bemerkte, dass Cosmin versuchte, ein langes Gesicht zu ziehen.
„Vielleicht hat ja Max Zeit und ihr unternehmt was zusammen.“

  1. Ein begehrter junger Mann

Max

Da sie am nächsten Tag die Wohnung der Munteanus für sich hatten, radelten Max und Cosmin nach der Schule direkt zu Oma Lisas Haus und verausgabten sich dort mehr als zwei Stunden lang beim Kampf-, Kletter- und Krafttraining.
Max wäre anschließend am liebsten sofort mit Cosmin zu dessen Wohnung aufgebrochen. Auch wenn sie am Vortag ihren Heißhunger aufeinander etwas gestillt hatten, konnte er es kaum erwarten, Cosmin ungestört an sich zu ziehen.
Doch seine Großmutter hatte bereits den Wohnzimmertisch gedeckt und der Duft nach selbstgebackener Pizza erfüllte das Erdgeschoss, als sie nach dem Training und einer Katzenwäsche die Treppe zum Wohnzimmer hinunter stiegen.
Während sich beide Jungen die mit Lachsschinken oder Thunfisch belegten und knusprigem Käse überzogenen Pizzastücke schmecken ließen, saß Max’ Großmutter mit ihnen am Tisch und nippte an ihrem Kaffee.
„Habt ihr denn heute noch etwas anderes vor als Matheaufgaben rechnen?“, fragte sie, nachdem keiner der beiden mehr nach den auf dem Backblech verbliebenen Pizzastücken griff.
Max grinste in sich hinein.

Eine ganze Menge! Aber die Einzelheiten verrate ich lieber nicht.

Er fand, dass es an der Zeit war, jeglichen Verdacht im Keim zu ersticken. „Wir gucken am Abend mal bei einer Disko da im Stadtzentrum vorbei. Vielleicht bleibe ich über Nacht bei Cosmin… falls er kein Mädel von dort abschleppt. Er hat 'ne sturmfreie Bude bis Sonntag.“
Oma Lisa wandte sich an Cosmin. „Hat dein Vater nichts dagegen, dass Max so oft bei euch übernachtet?“
Cosmin schüttelte den Kopf. „So oft ist es ja nicht, Tante Lisa, erst das dritte Mal. Außerdem kann mein Vater Max gut leiden.“ Offenbar fand auch Cosmin, dass er jeden Verdacht im Keim ersticken müsse.
„Wir dürfen sogar seinen Fernsehsessel nehmen, der lässt sich zu einer Liege ausziehen. Max braucht bei mir also nicht auf dem Boden zu schlafen.“
An Max gewandt fuhr er fort: „Aber eigentlich wolltest du doch ein Mädel äh… suchen, oder?“
Max warf Cosmin einen vielsagenden Blick zu. „Aber nur eine, die mich nicht gleich heiraten will wie deine komische Prinzessin da in Rumänien.“
Seine Großmutter wusste bereits, dass sich ein reiches rumänisches Dorfoberhaupt Cosmin als künftigen Schwiegersohn ausgeguckt hatte und räusperte sich. „Max, lass das! Cosmin wird wissen, was das Beste für ihn ist.“

Cosmin

„Du willst mich doch nicht wirklich in diesem komischen Fernsehsessel deines Alten pennen lassen, oder?“, fragte Max, als sie kurz darauf zurück ins Stadtzentrum radelten.
„Das würde ich zwar gerne“, erwiderte Cosmin und zauberte ein schiefes Grinsen auf seine Lippen. „Aber der lässt sich nicht mehr ausziehen.“
Kurz bevor sie das Plattenbauviertel im Stadtzentrum erreichten, empfing Cosmin eine Nachricht seines Vaters.
„Cosmine, mein Junge. Wir sind jetzt erst in Wernigerode angekommen. Tut mir Leid, aber ich werde wohl wirklich erst Sonntag Nachmittag zu Hause sein.“
Lasst euch Zeit!, erwiderte er insgeheim, als er die Wohnung betrat und schrieb zurück: „Kein Problem. Ich werde mich schon nicht zu Tode langweilen.“

Max umfasste Cosmins Hüfte und Schulter, kaum dass sich die Wohnungstür hinter ihnen geschlossen hatte. Cosmin sah die Begierde in Max’ Augen und spürte ein Kribbeln, dass sich in den eigenen Lenden ausbreitete.
Er hauchte einen Kuss auf Max’ Lippen. „Maxi, lass uns erst die Hausaufgaben machen.“
Max schob eine Hand unter Cosmins Shirt. „Wir lassen Druck ab, dann machen wir Hausaufgaben“, flüsterte er Cosmin ins Ohr. Vielleicht wäre Cosmins lahmer Widerstand endgültig wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen, doch in diesem Moment klingelte sein Handy.
Max jaulte leise, als Cosmin ihn in sein Zimmer schob.
„Fahr schon mal den Computer hoch, Maxi.“
Cosmin ahnte bereits, wer ihn anrief. Heute war der 7. November - seine Mutter hatte ihren 34. Geburtstag. Und tatsächlich zeigte das Display seines Handys „Die Mutter“ an.
Er trottete in die Küche.
„Was gibt’s?“, zischte er ins Telefon.
„Ich hatte gehofft, dass du mich wenigstens heute mal anrufst, Cosmin“, nörgelte seine Mutter am anderen Ende der Leitung. „Es wäre für mich das schönste Geburtstagsgeschenk gewesen.“
„Alles Gute zum Geburtstag. War das alles, Mutter? Ich muss noch Hausaufgaben machen.“
„Ach Cosmin, du bist noch sturer als der Sohn meines Mannes. Verstehst du nicht, dass ich dich sehen möchte und dass ich wissen will, wie es dir geht?“
„Erklär’s mir!“, erwiderte Cosmin schroff.
"Das werde ich. Komm in den nächsten Ferien nach Berlin. Mein Mann möchte dich doch auch kennenlernen… "
„Ihr wohnt jetzt also in Berlin?“, fragte Cosmin, doch seine Mutter fuhr hastig fort: „Ich könnte für dich ein schönes Hotelzimmer buchen, wenn du nicht bei uns wohnen willst. Vielleicht verstehst du mich besser, wenn wir mal ein paar Tage zusammen sind. Und wenn dir Berlin gefällt, könntest du dort auch studieren. Ich miete für dich ein schickes Apartment.“
„Vom Geld deines Mannes?“
"Cosmin, ich… "
„War der Kerl nicht aus München?“, fuhr Cosmin ihr ins Wort.
"Cosmin, bitte… Ich könnte dich in den Weihnachtsferien in Wurzen abholen und … "

… und rauskriegen, dass wir seit über einem Jahr nicht mehr dort wohnen.

Cosmin warf einen Blick zur halb offen stehenden Tür seines Zimmers.
„Wir reden später drüber“, sagte er, um seine Mutter nicht allzu heftig abblitzen zu lassen.
„Ich muss jetzt wirklich mit den Hausaufgaben anfangen. Mach’s gut!“
„Wer war’n das?“, fragte Max, als Cosmin kurz darauf sein Zimmer betrat. „Deine Alte?“
Cosmin setzte sich zu Max an den Schreibtisch.
„Ja genau, ich glaube, die ist mit ihrem reichen Macker umgezogen. Sie wohnt auch in Berlin und will, dass ich in Berlin studiere.“
Max kraulte Cosmins Zotteln. „Gute Idee…“
Vielleicht hatte sich Max während Cosmins Telefonat mit seiner Mutter etwas abgekühlt; er maulte nicht, als Cosmin begann, das Internet nach Essays zu Goethes Faust zu durchforsten. Der Deutschlehrer Herr Schneider verlangte bis zum nächsten Dienstag nicht nur, dass die Schüler das Buch gelesen haben mussten, sondern wollte von jedem auch eine mindestens fünfseitige persönliche Stellungnahme als pdf- Datei. Vermutlich ließ sich so schneller überprüfen, ob es sich bei einem Aufsatz um ein Plagiat handelte oder nicht.
Cosmin druckte mehrere interessant anmutende Abhandlungen aus und drückte Max anschließend das Buch in die Hand. „Komm mit zur Couch!“
Max wendete verblüfft das Buch in seiner Hand. „Und was soll ich damit?“
„Natürlich lesen!“, grinste Cosmin und zog die Couch aus. „Leg’ dich auf den Bauch!“
Die Runzeln über Max’ Augenbrauen gruben sich noch tiefer in seine Stirn. „Okay, und wie geht’s jetzt weiter?“, fragte Max, nachdem er sich auf der Couch ausgestreckt hatte.
„Wir lesen“, kicherte Cosmin, legte sich auf den Rücken und bettete seinen Kopf auf Max’ Hintern.
„Hey!“, protestierte Max und versuchte Cosmins Kopf abzuschütteln. „Mein Hintern ist kein Kopfkissen!“
„Krieg’ dich ein, Maxi. Dein Hintern mag es, wenn ich ihn mir mal als Kopfkissen ausborge.“
Max gab seinen Widerstand auf.
Während Max lustlos in Goethes Faust herum blätterte, studierte Cosmin die ausgedruckten Essays zum Thema. Doch schon nach wenigen Seiten machten sich die zwei Stunden Training auf Oma Lisas Dachboden bemerkbar und die Buchstaben begannen vor seinen Augen zu zerfließen…

Sein Handy und sein Computer bimmelten ein Duett und rissen Cosmin aus einem Traum, dessen Bilder sich schneller verflüchtigten als der Rauchkringel einer Zigarette.
Max fuhr vom Sofa hoch und katapultierte dabei Cosmin von seinem Hintern.
Offenbar war auch Max eingenickt, er blinzelte verwirrt.
„Was’n das für’n Krach?“
Cosmin stöhnte leise. „Auch das noch, ein Videoanruf von meiner komischen Prinzessin aus Rumänien.“
Max war plötzlich hellwach. Er stieß Cosmin von der Couch. „Los, nimm am Computer an! Ich will die auch mal sehen und der meine Meinung flüstern.“
Cosmin fühlte einen leisen Schrecken durch seinen Brustkorb zucken. „Maxi! Sie darf nicht merken, dass wir beide… äh… sozusagen so zusammen sind. Mein Vater kriegt sonst Probleme dort. Und wenn es mein Vater erfährt…“
Max verdrehte die Augen. „Cos-Mi! Geh endlich ran!“
Cosmin kramte hastig den Verlobungsring aus den Jeans und steckte ihn an den Mittelfinger der linken Hand. Ihm entging nicht, dass Max die Nase rümpfte.
Camelias von pechschwarzen Haaren umrahmtes Gesicht erschien auf dem Computermonitor. Die Haare schimmerten im Licht des Kronleuchters in ihrem Zimmer und waren wie von einer kräftigen Brise zerzaust. Cosmin vermutete, dass sie unmittelbar vor ihrem Anruf mit einem Fön nachgeholfen hatte.
Ihre geschminkten Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund. „Cosmi mein Liebster, ich kann dich nicht sehen.“
Heilfroh darüber, dass Max nichts davon verstand, ruckelte Cosmin an der Webcam.
„So besser?“, fragte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.
Ihr hübsches Gesicht rückte noch etwas näher. „Wer ist dieser schöne Junge da neben dir?“ Es war das erste Mal, dass sie am Beginn eines Videochats nicht schaute, ob er auch wirklich den Ring trug.
Cosmin wandte sich kurz zu Max um, der ihm neugierig über die Schulter schaute und übersetzte Camelias Frage.
„Sag ihr, ich passe auf dich auf, Cos-Mi!“, erwiderte Max und wischte auf seinem Handy herum. „Ich passe auf, dass du im nächsten Sommer keine Dummheiten machst.“
Cosmin räusperte sich. Vielleicht konnte er Camelias Hochzeitsgelüsten mit Max’ Hilfe einen Dämpfer verpassen. „Das ist mein Freund Max, er ist so etwas wie ein… äh… Bruder für mich. Er sagt gerade, er will nicht, dass ich so schnell heirate. Ich hatte dir ja gesagt, dass hier viele Männer erst mit dreißig heiraten.“
Camelias Blick verfinsterte sich. Nun starrte sie Max nicht mehr an, als fasse sie auch ihn als möglichen Bräutigam ins Auge sondern eher so, als wolle sie ihm das Gesicht zerkratzen. „Was geht das den an, wann du heiratest?“
„Sie will wissen, was dich das angeht, wann ich sie heirate“, raunte Cosmin Max zu.
Max erwiderte Camelias Blick und grinste. „Weil du zu mir gehörst.“
Cosmin sah, dass Max eine Übersetzungs- App auf seinem Handy gestartet hatte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. "Maxi, nicht… „, zischte er.
„Hey, ich verpetz’ uns nicht, okay?“, beruhigte ihn Max und ließ sein Handy auf rumänisch weiter reden:
„Cosmin macht nächsten Sommer mit mir eine Tour durch Amerika. Danach studieren wir zusammen und erst wenn das Studium fertig ist, heiratet man hier. Klar soweit?“
Camelias Augen verengten sich zu Schlitzen. „Cosmin? Du wirst dir von dem blöden Kerl nichts vorschreiben lassen, oder?“
„Er schreibt mir gar nichts vor, sondern sagt nur, was er denkt“, erwiderte Cosmin und fand, dass es besser war, den Chat zu beenden, bevor sich Max und Camelia an die virtuelle Gurgel gingen. „Lass uns nächste oder übernächste Woche wieder reden, wir haben heute noch sehr viele Hausaufgaben zu erledigen…“
Cosmin atmete erleichtert auf, als Camelias Gesicht ein paar Augenblicke später vom Bildschirm verschwand. Zugleich betete er, dass ihm nicht auch noch Onkel Radu auf die Nerven ging, falls sich Camelia bei ihm über Max beschwerte.
Max zog ihn in seine Arme und begann, den Reißverschluss an Cosmins Jeans aufzuziehen.
„Du hast eine hübsche Freundin Cos-Mi“, hauchte Max, während er mit den Lippen Cosmins Hals liebkoste. „Aber meine Freundin ist tausend Mal hübscher.“
Cosmin spürte, wie sich etwas in seiner Hose Max tastender Hand entgegen reckte und glitt mit seinen Händen unter Max’ Shirt. „Deine Freundin…?“
Sie zogen sich gegenseitig auf die Couch, ohne sich an den Zetteln mit den Essays zu stören, die unter ihren verschlungenen Leibern raschelten.
" … hat ein braunes Schwänzchen“, säuselte Max in Cosmins Ohr und zerrte Cosmin die Jeans von den angewinkelten Beinen.

Am Samstagnachmittag radelten beide Jungen gegen 15 Uhr zur Kletterhalle auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei. Allerdings legten sie bei Max’ Großmutter einen Zwischenstopp ein. Max hatte sie mittags angerufen, um ihr zu sagen, dass er auch die nächste Nacht bei Cosmin verbringen würde. Zwar hatte sie nichts dagegen, aber sie wollte offenbar sicher sein, dass dabei die Bäuche der Jungen nicht zu kurz kommen würden und drückte ihnen zwei Beutel mit Baguettes, Salaten und selbstgebackenem Kuchen in die Hände, als sich die beiden von ihr verabschiedeten.
Die Kletterhalle war an diesem Nachmittag recht gut besucht. Max zählte vier Seilschaften an den Kletterwänden, die vom Erdgeschoss aus starteten, während an der Kinderwand im Obergeschoss die Kinder zweier Familien herum turnten. Max und Cosmin stiegen in der Umkleide des Obergeschosses in ihre Klettersachen, legten die Gurte an und schritten zu den Wänden, die bis hinauf zu der mit Klettergriffen bestückten Decke führten. Dort kraxelten zwei Frauen, gesichert von ihren Männern, nach oben und ein ungefähr fünfzigjähriger Mann mit Halbglatze und Zopf versuchte bei seiner Route vergeblich, einen Wandvorsprung zu überwinden.
Auf einer Holzbank am Zugang zu diesen Wänden saßen zwei etwa sechzehnjährige Mädchen in Straßenkleidung. Das größere der beiden erschien etwas zu pummelig, als dass es sich an einer senkrechten Wand festhalten könnte. Das andere Mädchen war eine zierliche Blondine, bei der ein Dutzend geflochtene Zöpfe ein süßes Gesicht einrahmten. Max fragte sich, ob beide dieselben Mädchen waren, die er schon einmal vor zwei Wochen hier gesehen hatte. Sie schienen nur Augen für ihre Handys zu haben.
Er erblickte an der Wand vor ihm ein paar neu geschraubte Routen zum Dach und im selben Moment entschwand sein Interesse zu erfahren, warum die beiden Mädchen hier ihre Zeit vertrödelten.
„Was willst’n klettern, Cos-Mi?“
Cosmin starrte unschlüssig auf den Mann, der vergeblich versucht hatte, den Wandvorsprung zu überwinden und sich nun von seinem Sicherungsmann abseilen ließ. „Vielleicht versuche ich es mal? Aber irgendwie bin ich nicht so gut drauf heute.“

Das glaube ich dir auf’s Wort. Wie oft haben wir es letzte Nacht eigentlich miteinander getrieben? Drei Mal?

Max wischte die Gedanken daran beiseite. Seine Kletterhose wäre für ein steifes Glied wie ein Präsentierteller.
Der Mann und sein Seilpartner verzogen sich zu einer anderen Route und beide Jungen linsten auf das Schildchen am Einstieg zur Route mit dem Wandvorsprung.
„Eine glatte Sieben, Cos-Mi. Nimm erst mal was Leichteres zum Warmmachen.“
Cosmin nickte und entschied sich für eine benachbarte Route, die er schon vor zwei Wochen problemlos durchstiegen hatte. Max sah, dass Cosmin trotz der anstrengenden Nacht gut voran kam. Sein Blick schweifte hin und wieder zu den anderen Kletterern und streifte dabei auch die Bank mit den beiden Mädchen. Anders als ein paar Minuten zuvor starrten sie jetzt nicht mehr auf ihre Handys, sondern verfolgten wie gebannt Cosmins anmutige Kletterbewegungen. Max fiel auf, dass die hübsche Blondine Cosmin mit demselben Blick anschmachtete, den er gestern schon einmal gesehen hatte, nämlich bei Cosmins rumänischer Möchtegern - Braut Camelia.
Max wandte sich wieder Cosmin zu, der nun das Ende der Route erreichte.
„Und Maxi? Womit fängst du an?“, fragte Cosmin, nachdem er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Er schien die bewundernden Blicke des blonden Mädchens nicht zu bemerken.
Die Route mit dem Wandvorsprung erschien Max geradezu wie geschaffen, um die Armmuskulatur und die Finger aufzuwärmen, aber da Cosmin diese Route als nächstes klettern wollte, nahm er sich eine der leichteren Routen durch das Dach als Aufwärmübung vor.
Während er wenig später wie eine Spinne an der Decke hing, warf er einen verstohlenen Blick zur Bank mit den beiden Mädchen hinunter. Die Große starrte zu ihm nach oben, doch die zierliche Blondine schien Cosmin immer noch mit ihren Augen zu verschlingen.
Max schnaubte genervt und hangelte weiter zum Ende der Route.
Anschließend wagte sich Cosmin an die Route mit dem Wandvorsprung. Mit ein paar kraftvollen Zügen gelangte er bis zum Vorsprung und begann nach einer Verschnaufpause, den überhängenden Teil der Wand zu erklimmen. Max fieberte bei jedem von Cosmins Zügen mit und spannte die eigenen Muskeln an, als würden sie so Cosmins Kletterei unterstützen. Doch in einem versteckten Winkel seines Hirns keimte - gedüngt von erwachender Eifersucht - der Wunsch, Cosmin möge am Vorsprung wie schon der Kletterer vor ihm scheitern. Vielleicht würde dann die Blondine aufhören, Cosmin wie einen Popsänger anzuschmachten.
Cosmin kämpfte sich tapfer bis zum Ende des Vorsprungs hinauf und mit einem letzten kraftvollen Zug schwang er sich über die obere Kante des Hindernisses.
„Maxi, ich hab’s geschafft!“, jubelte Cosmin vom oberen Ende der Route.
Max winkte mit dem gereckten Daumen zurück.
„Cos-Mi, du kletterst erst seit zwei Monaten und schaffst schon eine Sieben im Vorstieg“, sagte er mit ehrlicher Bewunderung in der Stimme, nach dem er Cosmin abgeseilt hatte. „Du bist ein Naturtalent.“
„Ach was!“ Cosmin stupste Max in die Rippen. „Ich habe einen guten Kletterlehrer.“ Er schälte sich aus seinem Klettergurt. „Da am Überhang habe ich mir ehrlich gesagt fast in die Hosen gekackt. Ich gehe erst mal auf’s Klo.“
Max beobachtete, dass Cosmin an der Bank mit den beiden Mädchen vorbei ging und ihnen allenfalls einen flüchtigen Blick zuwarf. Anders die Mädchen. Besonders die kleine Blonde verrenkte sich den Hals.
Max verdrehte die Augen und wandte sich zu einer neu geschraubten Neuner - Route um, deren oberer Teil quer durch die Decke des Raumes führte.
„Max?“
Max fuhr herum und traute seinen Augen nicht. Vor ihm stand das blonde Mädchen. Ihr Gesicht war puterrot angelaufen, auf den Lippen lag ein schüchternes Lächeln.
„Kennen wir uns?“, fragte Max, ohne ihr Lächeln zu erwidern.
„Naja, wir gehen auf dieselbe Schule wie du und Cosmin. Wir sind in der 11A, bestimmt hast du uns schon mal in der Hofpause oder so gesehen.“
Nicht dass ich wüsste, erwiderte Max in Gedanken. Er war alles andere als begeistert, dass sie Cosmin offenbar schon länger auf dem Kieker hatte.
Max schwieg.
„Also mein Name ist Maja, wie diese Biene… Und meine Freundin, das ist Julia“, ergänzte sie und deutete auf das dickliche Mädchen, das hinter ihnen auf der Bank saß und sie beobachtete.
„Hm…?“ Max kannte keine Biene, die Maja hieß. Und Julia passte ganz und gar nicht zu dem Bild, das er von seiner nicht existierenden Freundin gemalt hatte. Er warf einen Blick zur Kletterwand. Offensichtlich verstand Maja den Wink mit dem Zaunpfahl. Sie reichte Max einen Briefumschlag. „Kannst du den Brief bitte Cosmin geben, Max? Bitte…“
Max wendete den Brief in seiner Hand. „Kannst du ihm das hier nicht selber geben?“
Maja nagte an ihrer Unterlippe. „Ich trau mich nicht“, sagte sie.
Max tat so, als wäre ihm völlig egal, was im Brief stand und versenkte ihn in seiner Hosentasche. „Okay, ich wollte immer schon mal Postbote spielen. Ich mach’s.“
„Danke Max!“, rief sie und Max befürchtete bereits, dass sie ihm einen Schmatzer verpassen wolle.
„Wir sehen uns dann am Montag in der Schule.“ Sie winkte Max zu. Offenbar war sie froh, dass sie die Briefübergabe hinter sich hatte. Maja machte auf dem Absatz kehrt und stieß fast mit Cosmin zusammen, der vom Klo zurückkehrte. Zusammen mit Julia lief sie zur Treppe ins Erdgeschoss und warf von dort Cosmin einen letzten Blick zu.
„Wer war das?“, fragte Cosmin, nachdem das Getrappel der Schritte beider Mädchen auf der Treppe verhallt war.
Max zuckte mit der Schulter. „Irgend so 'ne Maja. Interessiert sich für’s Klettern.“
Cosmin grinste schief. „Schien so, als würde sie sich auch für dich interessieren.“
Max war im Moment nicht so richtig nach Grinsen zumute. Wie es schien, zog Cosmin die Mädchen an wie Honig die Wespen.
„Ich muss jetzt auch mal pinkeln!“, sagte er und sprintete zur Toilette eine Etage tiefer. Dort schloss er sich in eine der beiden Kabine ein und zerrte den Brief aus seiner Hosentasche. Ohne zu zögern riss er den Umschlag auf und griff nach dem darin steckenden Zettel.

„Hallo Cosmin,
ich bin Maja aus der 11A. Vielleicht erinnerst Du Dich an mich. Wir haben vor 3 Wochen zusammen im Kaufland in einer Schlange gestanden und ich habe Dich was zu Rumänien gefragt, weil mein Bruder mit dem Motorrad hinfahren wollte. Ich finde Dich sehr nett und total süß. Du bist ganz anders als die Jungs, die ich kenne. Wenn Du möchtest, könnten wir uns mal nach der Schule treffen oder was zusammen unternehmen. Ich schreibe Dir meine Handynummer auf die Rückseite. Bitte melde Dich mal.
Maja“

Max fluchte leise.
Ich hätte der sagen sollen, dass Cosmin so gut wie verheiratet ist.
Er stapfte die Treppe zurück ins Obergeschoss. Dort ging er jedoch nicht sofort zurück zu den Kletterwänden. Stattdessen machte er einen kleinen Umweg zum Umkleideraum und verstaute Majas Brief im hintersten Winkel seiner Brieftasche. Maja würde nicht nur den Brief nochmal schreiben müssen. Sie würde auch einen anderen Postboten benötigen.

  1. Die Verdopplung eines Missverständnisses

Max

Den Rest des Tages verbrachten beide Jungen auf der Couch in Cosmins Zimmer. Anders als am Abend zuvor stillten sie ihren scheinbar unersättlichen Hunger aufeinander sofort nach der Rückkehr vom Kletterzentrum. Doch nach dem von Max’ Großmutter spendierten Abendessen lagen sie zwar nackt, aber wie gesättigte Raubkatzen nebeneinander auf der Couch. Cosmin drückte Max erneut Goethes Faust in die Hand. Obwohl nur noch zwei Tage blieben, um das Buch nicht nur zu lesen, sondern auch ein mindestens fünfseitiges Essay darüber zu schreiben, weigerte sich Max, weiter in diesem Buch herumzublättern.
„Cos-Mi, erzähl du mir, was ich über diesen Faust und seinen Kumpel Mephisto wissen muss!“
Cosmin erwies sich als überraschend guter Erzähler. Max hätte es nicht für möglich gehalten, dass er bis zum Ende durchhalten würde, zumal er in der Kletterhalle alle Neunerwege und die einzige Zehnerroute durchstiegen hatte. Schließlich stellte er Cosmin sogar Fragen, die Goethe im Buch unbeantwortet gelassen hatte.

Am Sonntag verarztete Cosmin nach dem späten Frühstück Max’ Hintern und versenkte darin das letzte Zäpfchen aus der Packung, die er neun Tage zuvor in Berlin gekauft hatte. Inzwischen fühlte sich für Max der Gang aufs Klo wieder völlig normal an. Er ließ sich dennoch das Balsam in den Hintern tröpfeln, was freilich nur daran lag, dass Cosmin ihn verarztete.
Anschließend begannen sie an Cosmins mit ausgedruckten Abhandlungen übersäten Schreibtisch ihre Arbeit an den eigenen Essays. Für Max endete sie bereits nach der Überschrift, weil ihm einfach kein vernünftiger Satz einfallen wollte, mit dem sein Aufsatz beginnen könnte. Er öffnete Leons letzte Nachricht. Sein Onkel hatte ihm mehrere Links zu brandneuen Kampfsportvideos geschickt. Während Cosmin mal in den aus dem Internet gefischten Abhandlungen stöberte und mal etwas in den PC eintippte, verfolgte Max die lautlos gestellten Demonstrationen eines thailändischen Martial - Arts - Meisters auf seinem Handy.
Cosmin beugte sich zu ihm herüber und schnaubte. „Maxi! Dein Aufsatz schreibt sich nicht von alleine!“
„Halt die Luft an Cos-Mi“, entgegnete Max und deutete auf die teilweise arg zerknitterten Zettel auf dem Schreibtisch. „Du bist auch nicht besonders kreativ. Wenn Schneider deinen Text mit so einer Plagiatsoftware prüft, bist du genauso am Arsch wie ich, okay?“
Cosmin zog ein Gesicht, als hätte ihn Max beim Klauen erwischt. „Naja, ich geb’ zu, dass ich heute lieber was anderes machen würde“, sagte er und stupste Max den Ellenbogen in die Rippen. „Hey, guck nicht so! Ich weiß genau, woran du schon wieder denkst! Aber ein bisschen kreativ bin ich ja…“ Er tippte auf die Zettelwirtschaft auf dem Schreibtisch. „Ich bastle mir den Text so zurecht, dass er Herrn Schneiders Schnüffel - App locker überlistet.“
„Kannst du nicht auch was für mich basteln?“
„Vielleicht“, seufzte Cosmin und schob mehrere der Zettel auf Max’ Seite des Schreibtisches. „Wenn du dir wenigstens durchliest, was die anderen hier geschrieben haben.“

Mit der Ausarbeitung von Max’ Essay begannen beide Jungen nach dem Mittagessen. Sie bastelten gerade an der fünften Seite, als Cosmins Vater nach Hause zurückkehrte und durch die geöffnete Zimmertür in Cosmins Zimmer spähte. Er war zwar erstaunt, dass zwei siebzehnjährige Jungen einen Sonntagnachmittag damit verbrachten, einen fünfseitigen Aufsatz über ein Hunderte Jahre altes Buch zu schreiben; zugleich freute er sich darüber, dass Cosmin nicht allein im Zimmer herum hockte.
„Na, dann will ich nicht weiter stören“, sagte er nach der Begrüßung, verharrte aber auf der Türschwelle.
„Tata, dein Essen steht schon in der Mikrowelle“, sagte Cosmin und für Max klang es wie „verzieh dich und mach endlich die Tür zu“.
„Danke Cosmine… ich… ähm… wir werden nächstes Wochenende dort in Wernigerode weiter machen, wenn das Wetter nicht allzu schlecht ist. Es ist nicht schön, dass ich dich ständig alleine lasse, aber…“ Er warf Max einen beinahe schon flehenden Blick zu.
Max versuchte, seine Freude halbwegs im Zaum zu halten. „Keine Sorge Herr Munteanu. Cosmi ist ja nicht alleine, wir werden wieder was zusammen machen“, sagte er und unterdrückte ein Grinsen. Unter dem Tisch hatte Cosmin seinen Fuß angestupst.
Kaum hatte sein Vater das Zimmer verlassen, wischte Cosmin auf seinem Handy herum. „Schlechte Nachricht, Maxi! Nächstes Wochenende soll’s schönes Wetter geben.“
„Wirklich bedauerlich…“

Als sich Max am späten Nachmittag von Cosmin verabschiedete, hatte er ein Essay auf dem Handy, das jeder Plagiaterkennungs - App standhalten würde und mindestens eine Zwei verdiente. Den im hintersten Winkel seiner Brieftasche versteckten Zettel hatte er längst vergessen.

Vielleicht wäre er bereits am darauffolgenden Tag in einer der Hofpausen an den Zettel erinnert worden, doch es regnete vormittags in Strömen, sodass die Schüler die großen Pausen entweder im Klassenraum verbringen durften oder, falls der nachfolgende Unterricht in einem der Fachkabinette stattfand, in der Eingangshalle des Schulhauses.
Einen Tag später jedoch kletterte die Sonne in einen wolkenlosen Morgenhimmel, nachdem sie die nächtlichen Nebelschwaden aufgelöst hatte.
Wie in jeder Hofpause hockten Max und Cosmin neben fünf Jungen aus der Parallelklasse auf der Begrenzungsmauer unterhalb der Kletterwand. Cosmin knabberte an einem von Max’ Müsliriegeln und blätterte dabei in einem Buch. Hin und wieder warf er einen Blick nach links zu den anderen Jungen. Max nahm an, dass Cosmin ihren Gesprächen lauschte.
Leon hatte ihm weitere Links zu asiatischen Kampfsportvideos geschickt und Max verfolgte auf dem Display seines Handys, wie ein Chinese, der ihn auch bezüglich des Kampfstils etwas an Tang erinnerte, einen Amerikaner zerlegte.
Irgendwo im Getümmel auf dem Pausenhof gerieten ein paar Jungen aus den unteren Klassen lauthals aneinander.
Max blickte auf und erstarrte.
Ein paar Schritte weiter, am Rande des Gewimmels standen Maja und Julia. Sie taten so, als wären sie in eine Zeitschrift vertieft, die Julia in den Händen hielt. Doch Maja erwiderte beinahe sofort Max’ Blick und darin sah Max riesige Fragezeichen.
Er stieß einen stummen Fluch aus. Auch ihm waren oft genug die Herzen der Mädchen zugeflogen. Aber er konnte sich nicht erinnern, das eines auch nur annähernd so hartnäckig gewesen war wie diese Maja.
Am liebsten hätte er ihr „Verzieh’ dich! Cosmin gehört zu mir!“ zugerufen. Stattdessen zuckte er mit der Schulter und bedeutete Maja mit den Händen, dass sie sich wohl noch etwas gedulden müsse.
Cosmin hatte offensichtlich seine stumme Unterhaltung mit Maja bemerkt. Er stieß Max in die Seite.
„Ist das nicht die Kleine aus der Kletterhalle?“
Max fühlte sich ertappt. „Scheint so. Keine Ahnung, was die will.“
Cosmin starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an und seufzte. „Du meinst sicher, wen die will. Ich könnte es dir verraten.“
Max wischte sich einen Vorhang aus Haaren in die Stirn und spähte zu den beiden Mädchen. Julia schien sich tatsächlich für das zu interessieren, was in ihrer Zeitschrift stand. Doch Majas Blick war wie festgenagelt auf Cosmin gerichtet, und nur manchmal glitt er für eine Sekunde zu Max hinüber. Sofern Cosmin nicht auf beiden Augen blind war, musste er es inzwischen begriffen haben, wen Maja anhimmelte.
Die Schulklingel schrillte und zu Max’ Erleichterung tauchten beide Mädchen gleich darauf im Gewimmel auf dem Schulhof ab.

Doch schon in der nächsten Hofpause ging dasselbe Spiel von vorne los. Scheinbar zufällig verharrten Maja und Julia nur wenige Schritte entfernt von der Mauer an der Kletterwand und vertieften sich in die Zeitschrift. Und erneut warf Maja Max Blicke zu, die voller Fragezeichen waren.
Max bemerkte, dass Cosmin seine Stirn hinter schwarzen Zotteln verschwinden ließ.
Ein leiser Stich durchbohrte seinen Brustkasten. War es möglich, dass die Kleine Cosmins Interesse geweckt hatte?
Max entschloss sich, der Sache ein Ende zu bereiten. Unauffällig schüttelte er den Kopf, um Maja zu signalisieren, dass sie bei Cosmin abgeblitzt war. Die Fragezeichen in Majas Augen verdoppelten ihre Größe. Max nickte in Cosmins Richtung, dann deutete er mit dem rechten Zeigefinger auf den Ringfinger der linken Hand. Sofern Maja auch nur etwas Hirn im Kopf hatte, sollte sie endlich verstanden haben, dass Cosmin bereits vergeben war. Und in der Tat zog sie ein Gesicht, als wolle sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Bis zum Ende der Hofpause starrte sie Cosmin an wie ein ein lang ersehntes Weihnachtsgeschenk, das man ihr wieder weggenommen hatte. Und Max entging nicht, dass Cosmin, versteckt hinter dem Vorhang seiner schwarzen Zotteln, zurück starrte.
Als endlich die Schulklingel das Ende der Hofpause verkündete, sandte er Stoßgebete in den Himmel, dass er Majas Hoffnungen in Grund und Boden zerstört hatte.

Und zunächst schien es, als wären seine Gebete erhört worden. Am nächsten Tag ließen sich Maja und Julia in keiner der Hofpausen blicken. Allerdings war seine Freude über das Fernbleiben der Nebenbuhlerin alles andere als ungetrübt. Während sie auf der Mauer saßen und kaum ein Wort miteinander redeten, reckte Cosmin nahezu ununterbrochen den Hals und Max ahnte, nach wem er Ausschau hielt.
Zudem fiel Max beim nachmittäglichen Training auf dem Dachboden seiner Großmutter etwas auf, das ihm einen Stich mitten ins Herz versetzte.
Als er Cosmin in einer Trainingspause an sich zog und küsste, erwiderte Cosmin zwar den Kuss. Doch Cosmins Zunge fühlte sich an, als würde sie aus leblosem Gummi bestehen. Danach wagte es Max nicht mehr, auch nur ans Küssen zu denken.
Der darauffolgende Tag, ein Donnerstag, war genauso verregnet wie der Wochenbeginn. Wie jeden Morgen trafen sich Max und Cosmin am Rathaus und wie jeden Morgen umarmten sie sich kurz. Aber Max spürte, dass diese Umarmung nicht die unsichtbare Mauer überwand, die wie aus dem Nichts zwischen ihnen entstanden war. Während sie anschließend schweigend nebeneinander über den Marktplatz zur Schule trotteten, bohrte sich eine Frage immer wieder wie ein Giftpfeil durch Max’ Hirn.

War es das zwischen uns?

Wie schon am Montag verbrachten die Schüler wegen des Regens die großen Pausen entweder in den Klassenräumen oder in der Eingangshalle. Einerseits fand Max das Wetter nervig. Es war kein Vergnügen, vor und nach der Schule fast drei Kilometer bei strömenden Regen durch die Stadt zu radeln. Andererseits bestand keine Gefahr, dass ihnen während der Hofpause dieses nervige Mädel über den Weg lief.
Obwohl für das Wochenende frühlingshaft warmes und sonniges Wetter vorhergesagt wurde, begann der Freitag ebenso nass wie der Donnerstag geendet hatte.
Nach der ersten Doppelstunde blieben die Schüler deshalb im Klassenraum und versammelten sich zu Grüppchen. In einer Ecke, soweit wie nur möglich von Max und Cosmin entfernt, erzählten sich Chris und seine Kumpane Witze, über die wahrscheinlich nur sie selber lachen konnten. Die meisten der anderen Jungen lungerten am Lehrertisch herum und redeten über Mopeds. Die Mädchen hingegen saßen in Zweier- oder Dreiergrüppchen beieinander und Max hörte sie über Jungs, Schminke oder Klamotten tuscheln.
Er reichte Cosmin ein Baguette aus seiner Brotdose. Nach kurzem Zögern griff Cosmin zu.
Max spürte einen Kloß im Hals. Ab heute Nachmittag hatte Cosmin eine sturmfreie Bude, aber Max glaubte nicht mehr daran, dass sie das Wochenende dort zusammen verbringen würden.
„Cos-Mi…“
„Hm…?“, machte Cosmin ohne vom Baguette aufzuschauen.
„Sag mal was!“
Cosmin wandte sich kurz zu Max um, seine Augen blieben ausdruckslos. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Max seufzte. „Vielleicht… "
„Äh Max…?“ Michel, das etwas pummelige Bleichgesicht der Klasse, trat an die Schulbank der beiden Jungen heran. Max blickte verbüfft auf. Es war das erste Mal seit langem, dass Michel ihn ansprach.
„Hier vor dir“, erwiderte er.
Michel nickte zur Tür. „Da draußen auf dem Flur steht so ein blondes Mädchen aus der Elften, glaube ich. Sie will was mit dir reden.“
Max bemerkte, dass die Mädchen an den Nachbarbänken verstummt waren und nun auf Max’ Reaktion zu warten schienen. Cosmin hingegen sah aus, als wäre er zur Salzsäule erstarrt.
„Okay!“ Zähneknirschend erhob er sich. Er würde dieser Nervensäge die Meinung geigen. Max streckte sich und ging zur Tür. Davor stand Maja und knetete ihre zarten Hände.
" Gehen wir ein Stück!“, sagte Max schroff und lief ein paar Schritte weiter, bis er sicher war, dass Lauscher an der Tür nicht mehr mithören konnten. Maja tippelte ihm hinterher und griff nach seinem Arm.
„Max, bitte. Was hat Cosmin gesagt?“
Zu mir sagt er gar nichts mehr!, dachte er und schnaubte: "Hast du das nicht kapiert? Der Bursche hat in Rumänien eine feste Freundin, mit der er… "
Max unterbrach sich. In diesem Moment trottete Cosmin an ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Scheiße!, fuhr es Max durch den Kopf. Jetzt denkt er, ich mache mich an die Kleine ran, auf die er selber scharf ist!
„Was ist mit der Freundin?“, fragte Maja, nachdem Cosmin außer Hörweite war.
„Er ist mit ihr verlobt, okay? Sie werden im nächsten Sommer heiraten!“

Das saß!

Tränen sprangen aus Majas hellblauen Augen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief lief zur Treppe, die eine Etage tiefer führte.
Max kehrte in den Klassenraum zurück. Die Mädchen an den Nachbarbänken starrten ihn an, als würden sie auf Neuigkeiten warten.
„Weiter machen!“, sagte er und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
Zwar hatte er der Kleinen für den Moment den Wind aus den Segeln genommen, aber früher oder später würde sich Cosmin an sie ran machen. Das konnte er nicht verhindern.
Und dann?
Cosmin kehrte von der Toilette zurück. Ohne ein Wort zu verlieren, setzte er sich neben Max auf seinen Stuhl. Fast so, als wäre die Zeit um drei Monate zurückgedreht worden, beobachtete Max Cosmin aus den Augenwinkeln, versteckt hinter einem Vorhang blonder Strähnen.

Er sieht wieder so traurig aus wie auf dem Gemälde meiner Mam. Ob er merkt, dass auch ich am Boden bin?

Die restlichen Stunden verstrichen. Cosmin blieb einsilbig und Max fragte sich immer und immer wieder, wie er es ertragen könne, Cosmin und Maja als Pärchen zu sehen.
Nach dem Unterricht trotteten sie wortlos nebeneinander her,
Cosmin starrte auf seine Füße und Max schob sein Fahrrad nicht nur, er hielt sich daran fest. Am Rathaus stoppte Cosmin und Max rutschte das Herz in die Hose.

Jetzt wird er mir sagen, dass er allein nach Hause gehen will!

Cosmin schaute zu Max auf, oder besser - knapp an ihm vorbei.
„Kommst du mit?“
Max nickte und gab sich locker.
„Klar. Ich glaub, wir müssen was bequatschen.“

Als sie den Plattenbau mit der Wohnung der Munteanus erreichten, sah Max, dass zwei Etagen über Cosmins Zimmer der neugierige Mitbewohner nach längerer Pause mal wieder aus dem Fenster guckte. Von ihm hätte Cosmins Vater möglicherweise erfahren können, wer am bevorstehenden Wochenende bei Cosmin übernachtete. Max seufzte leise. Zumindest deswegen musste er sich nun nicht mehr den Kopf zerbrechen.
Sie fanden wie erwartet Cosmins Wohnung verwaist vor. In seinem Zimmer hockten sie sich auf die Couch, allerdings soweit voneinander entfernt, wie das auf der Couch möglich war.
„Spuck’s endlich aus, Cos-Mi! Ich werd’s überleben.“
Cosmin warf Max einen überraschten Blick zu, dann kehrte die Traurigkeit in seine Augen zurück.
„Maxi…“
„Hm…?“
Cosmin schien nach Worten zu suchen.
Max seufzte erneut.

Ja, wie soll man sagen, dass man Schluss machen will, weil man in jemand anderen verknallt ist?

„… Denkst du, dass wir trotzdem Freunde bleiben?“

Ich weiß es nicht, Cosmin. Wahrscheinlich werde ich versuchen, euch aus dem Weg zu gehen.

Max räusperte sich. „Ich werde nie vergessen, wie gerne wir uns gehabt haben“, sagte er leise und unterdrückte Tränen, die sich in seine Augen zwängen wollten. Dann erhob er sich.
„Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“
Mit hängenden Schultern schlurfte er zur Tür. Insgeheim hoffte er, Cosmin würde aufspringen und ihn zurückhalten. Doch Cosmin blieb wie ein Häufchen Elend auf seiner Seite der Couch sitzen.

Wenigstens scheint es ihm Leid zu tun. Oder hat er bloß Schiss, dass ich ihm die Kleine wegschnappe?

An der Türschwelle verharrte er und fischte seine Brieftasche aus der Hose, während er sich zu Cosmin umdrehte. „Das hier brauche ich ja nun nicht mehr vor dir zu verstecken.“
Max legte Majas Brief neben Cosmin auf die Couch und verließ das Zimmer.
Würde er es jemals wieder betreten?

Cosmin

Cosmin hörte, dass Max im Flur seine Jacke überstreifte und sah eine Träne auf seine Hose tropfen. Unschlüssig griff er nach dem zusammen gefalteten Zettel, den Max auf dem Sofa hinterlassen hatte. Cosmin vermutete, dass ihm Max darauf mitteilte, warum er Schluss machte. In seinem Kopf materialisierte sich das Bild des blonden Mädchens. Er wusste inzwischen, dass die Kleine Maja hieß. Sie war zweifellos ein süßes Ding, aber dass Max sich Hals über Kopf in sie verlieben würde, hätte Cosmin nicht für möglich gehalten. Er knüllte den Zettel zusammen und hörte, wie sich die Wohnungstür hinter Max schloss.

Warum hat er so herum gemehrt?

Statt den Zettel wie beabsichtigt in den Papierkorb zu werfen, faltete Cosmin ihn auseinander. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und sah eine Handynummer.
Das ist nicht Maxis Schrift!, stellte er verwundert fest und wendete den Zettel.
„Hallo Cosmin…“, las er und mit jedem weiteren Wort, welches er las, wurden seine Augen größer.
Noch ehe er den Brief zu Ende gelesen hatte, sprang er auf und rannte in den Flur, wo er hastig in seine Schuhe schlüpfte, nach Jacke und Schlüssel griff und aus der Wohnung stürmte. Auf der Treppe nahm er drei oder vier Stufen auf einmal und sprintete auf die Straße. Max war bereits hinter der Hausecke verschwunden. Cosmin hetzte hinterher und sah Max etwa hundert Meter vor sich Richtung Rathaus radeln.
„Maxi! Warte!“
Fast so, als hätte Max genau darauf gewartet, legte er eine Vollbremsung hin und schaute Cosmin beim Sprinten zu.
„Maxi!“, japste Cosmin außer Atem, als er Max erreichte. „Komm mit mir zurück! Du hast gesagt, wir müssen was bequatschen. Aber wir haben das noch nicht gemacht.“
Max schaute Cosmin aus großen Augen an, dann wendete er sein Fahrrad. „Okay, lass uns quatschen. Das hatten wir heute noch nicht.“

  1. Adventszeit

Cosmin

Zurück in der Wohnung setzte sich Max wieder an das äußerste Ende der Couch, doch dieses Mal nahm Cosmin neben ihm Platz.
„Maxi, ich dachte, diese Maja wäre auf dich scharf und du hättest sich in sie verliebt.“
Nun war es Max, der entgeistert aufschaute.
„Ich? Mich in die verliebt?“
Er lachte humorlos auf. „Schwachsinn! Ich wollte nicht, dass du dich in die verliebst! Darum habe ich dir den Wisch erst jetzt gegeben. Die hat mich in der Kletterhalle angequatscht und wollte, dass ich für sie Postbote… Warte mal. Bist du etwa gar nicht in die verknallt?“
„Natürlich nicht“, rief Cosmin und wagte es, einen Arm um Max’ Schulter zu legen. „Ich hab bereits eine feste Freundin, schon vergessen? Sie hat auch blonde Haare… aber einen… äh… Pimmel.“
„Oh mein Gott!“, sagte Max und legte nun ebenfalls einen Arm um Cosmins Schulter. „Haben wir gerade miteinander Schluss gemacht, obwohl wir das gar nicht wollten?“
„Ich wollte es nicht“, sagte Cosmin leise.
„Ich auch nicht“, flüsterte Max. „Cos-Mi, ich hatte keine Ahnung, wie ich es ohne dich aushalten soll.“
„Ich auch nicht“, erwiderte Cosmin und diesmal war es wohl eine Träne der Freude, die auf seine Hose tropfte. Er lehnte seinen Kopf an Max Schulter und spürte Max Finger, die seinen Nacken kraulten.
„Ich werde Maja nächsten Montag sagen, dass ich in Rumänien eine feste Freundin habe und mit ihr schon verlobt bin.“
Max kicherte. „Nicht nötig, Cos-Mi. Das habe ich bereits erledigt.“
Er umfasste Cosmins Gesicht, Cosmin hingegen tauchte in Max’ strahlend blaue Augen ein und dann berührten sich ihre Lippen. Zaghaft zunächst, als müssten sie sich davon überzeugen, dass die unsichtbare Mauer zwischen ihnen wirklich gefallen war. Doch schon nach wenigen Augenblicken drangen sie mit den Zungen in den Mund des anderen ein. Erst nach Minuten lösten sie sich voneinander. Ihre Augen verrieten, welche Worte auf ihren Zungen lagen. Wie auf ein Kommando erhoben sie sich, um die Couch auszuziehen. Eng umschlungen sanken sie darauf zurück. Mit einer Hand tasteten sie sich an die Beule im Schoß des anderen heran, mit der anderen zerrten sie sich gegenseitig die Sachen von den überhitzten Leibern.
Auch wenn ihre ersten gemeinsamen, intimen Erfahrungen erst zwei Wochen zurück lagen, gelang es ihnen, den Höhepunkt nicht nur hinaus zu zögern, sondern sich gegenseitig so zu stimulieren, dass sie ihn fast gleichzeitig erreichten.
Anschließend blieben sie nackt auf der Couch liegen. Cosmin hatte seinen Kopf auf Max’ Schulter gebettet und zeichnete mit den Fingern Max’ verschwitzte Gesichtszüge nach, während Max mit den Fingern Cosmins Zotteln kämmte.
Cosmin versuchte, den Gedanken an die Leere, die sich in den vergangenen Tagen in ihm ausgebreitet hatte, zu verdrängen. Eine solche Leere hatte er schon einmal gefühlt. Das war vor dreieinhalb Jahren gewesen, als ihn seine Mutter über Nacht verlassen hatte, weil ihr ein reicher Schnösel wichtiger war als der eigene Sohn.
Max hatte diese Leere ausgefüllt.
„Maxi?“
„Cos-Mi?“
„Ich möchte nicht, dass uns so was nochmal passiert.“
„Ja, das mit dieser Maja war echt krass. Hätte ich dir diesen blöden Zettel nicht gegeben…“
" … und hätte ich ihn nicht gelesen…"
„Scheiße Cos-Mi, wir hätten uns wegen einer Kirsche getrennt, die keiner von uns vernaschen wollte.“
Beide schwiegen.
Vielleicht hätten wir uns irgendwann gefragt, warum der andere immer noch nicht mit dieser Maja zusammen ist, überlegte Cosmin.
„Cos-Mi?“
„Hm…?“
„Da gibt’s noch eine Kirsche.“
„Du meinst Camelia, richtig?“
„Richtig!“
Cosmin seufzte leise. Aus dieser Sache musste er irgendwie heraus kommen. Aber so, dass sein Vater keine Schwierigkeiten mit Onkel Radu bekommen würde.
„Maxi, ich mache Schluss, wenn mein Vater nach Weihnachten aus Rumänien zurückkommt.“
„Du bist nicht in sie verknallt? Nicht mal ein bisschen?“
Cosmin rutschte etwas höher, sodass er Max in die Augen blicken konnte. „Letzten Sommer, als wir damit anfingen, uns zu küssen und so… ich dachte, dass es sich so anfühlt, wenn man verknallt ist. Aber jetzt… nein, ich bin nicht in sie verknallt. Nicht mal mehr ein bisschen. Und du, was ist mit dir, Maxi? Du hast in den Herbstferien mit deiner Caroline herum geknutscht.“
„… und nicht mal einen Steifen davon gekriegt. Also auch für dich zum Mitschreiben - da ist nichts mehr, weswegen du Schiss haben müsstest. Kommen wir nun zu den Kerlen.“
„Zu welchen Kerlen?“
„Da wäre dieser Sergej, der dir ständig Fotos und so was schickt.“
Cosmin zuckte mit der Schulter. "Du meinst Sergiu. Ja, er ist nett und das meiste, was er mir geschickt hat sind Skripte von seinen Kursen. Aber das hier… ", Cosmin küsste Max’ Mundwinkel, „… das könnte ich nicht machen bei ihm, weil… ich knutsche normalerweise keine Kerle. Für dich, zum Mitschreiben.“
„Der Kerl will dich zu sich locken“, vermutete Max und Cosmin fragte sich, ob er damit vielleicht sogar Recht haben könnte.
„Das wäre doof… für ihn.“
Max umfasste Cosmins Gesicht erneut mit beiden Händen. „Dann wird uns so was nicht nochmal passieren?“
Cosmin ließ seine Stirn auf Max’ Stirn sinken. „Nein…“, hauchte er und ein weiteres Mal fanden die Lippen der Jungen zueinander.

Cosmin erwartete, dass er Maja am Montag auf einer der beiden Hofpausen sehen würde und er ihr bei der Gelegenheit so nett wie möglich einen Korb geben könne.
Doch Maja war hartnäckiger, als es Cosmin vermutet hatte. Während er am nächsten Tag mit Max in der Kletterhalle die Treppe zum Obergeschoss hinauf stapfte, hörte er Max leise fluchen. Cosmin folgte Max’ Blick und sah wie schon am letzten Samstag Maja und ihre Freundin auf der Bank am Zugang zu den Kletterwänden sitzen. Er wollte seinen Blick wieder abwenden, aber als hätte Maja einen inneren Radar, wandte sie ihm in diesem Moment ihr Gesicht zu und ihre Blicke kreuzten sich.
Cosmin drehte sich blitzschnell um und stolperte hinter Max in den Umkleideraum.
„Mann, ist die nervig! Ich hab der doch gezwitschert, dass du nicht zu haben bist“, wetterte Max, während er seine Jacke in einem der abschließbaren Kleiderschränke verstaute.
Cosmin hängte seine Jacke daneben. „Maxi, reg dich ab! Ich sag es ihr eben selber. Mir glaubt sie vielleicht.“
Zwei andere Kletterer betraten den Umkleideraum. Sie schauten kurz zu Cosmin und Max hinüber, ohne sie jedoch zu grüßen.
Die griesgrämigen Gesichter der beiden kamen Cosmin bekannt vor und lösten in ihm ein unangenehmes Gefühl aus, so als wäre er schon einmal mit beiden Männern aneinander geraten. Aber wo?
Max hatte sich bereits umgezogen und den Gurt angelegt. Er schlenderte zu den beiden Männern und klopfte dem größeren der beiden kumpelhaft auf die Schulter. „Norbert und Tobi, nee… Tommy, schön euch mal wiederzusehen“, sagte er und schien sich über die verkniffenen Mienen der beiden zu amüsieren. Nun fiel es Cosmin wie Schuppen von den Augen. Norbert und Tommy hatten sich an seinem ersten Klettertag über die Kletterübungen an der Kinderwand lustig gemacht und waren dann von Max vorgeführt worden.
Der Mann, dem Max auf die Schulter geklopft hatte, klappte den Mund auf. Sein Blick fiel auf Max’ Oberarme und er schloss den Mund.
„Also wenn ihr mal irgendwann eine Acht klettern wollt, müsst ihr echt lockerer werden, Leute“, sagte Max und wandte sich zu Cosmin um. „Ich guck’ schon mal, was es Neues gibt“, sagte er und verließ den Umkleideraum.
Cosmin war alles andere als erpicht darauf, mit den beiden Männern allein im Raum zu sein. Hastig legte er seinen Gurt an und huschte aus dem Raum. Doch auf der anderen Seite der Tür wurde er bereits erwartet.
„Hallo Cosmin, erinnerst du dich an mich?“
Cosmin musterte Majas hübsches Gesicht sowie die geflochtenen Zöpfe, die es einrahmten und ihr auf die zierlichen Schultern fielen.
„Hallo Maja, tut mir Leid, dass ich dich letztens in der Hofpause nicht erkannt hab’. Damals im Kaufland… du hattest eine andere Frisur.“
Ein verzagtes Lächeln stahl sich in Majas Gesicht. „Daran erinnerst du dich?“
„Äh… ja“, sagte Cosmin und warf aus den Augenwinkeln einen Blick zu den Kletterwänden. Max hatte ihm den Rücken zugekehrt und legte sein Seil auseinander. Majas Freundin hingegen schaute neugierig zu ihnen herüber.
Maja bemerkte offenbar seinen Seitenblick. „Ich wollte dich nur kurz was fragen“, sagte sie und knetete ihre Hände. „Hat dir dein Freund was von mir gegeben?“
Cosmin räusperte sich. „Vorgestern… mit Verspätung sozusagen. Er…“
Norbert und Tommy traten aus der Umkleide. Sie ignorierten Cosmin, Maja hingegen war ihnen ein paar bewundernde Blicke wert. Beide wandten sich den Kletterwänden zu und bemerkten Max, der zur Decke mit den schwierigsten Kletterrouten hinauf starrte. Wie auf ein Kommando machten sie auf dem Absatz kehrt und stapften die Treppe ins Erdgeschoss hinunter.
„Er weiß, dass ich eine feste Freundin in Rumänien habe, wahrscheinlich deshalb die Verspätung“, fuhr Cosmin fort, nachdem die beiden Männer außer Hörweite waren.
Majas Mundwinkel sanken nach unten. „Dann stimmt es also, was er gesagt hat? Und ich dachte, er ist sauer, weil ich nicht mit ihm gehen will wie die anderen Mädchen in meiner Klasse. Oder vielleicht, weil er… dich für sich möchte.“
Ein leiser Schreck durchfuhr Cosmin. Er rang sich ein Lächeln ab.
„Also ich glaube, beides kannst du vergessen, Maja. Als ich das erste Mal hier eine Sieben geschafft habe, hab’ ich ihm vor lauter Freude ein Küsschen auf die Wange verpasst“, schwindelte er. „Und weißt du, was er gemacht hat?“
Für einen Moment flackerte Neugier in Majas Augen auf. „Was?“
„Er hat mich weg geschubst und gesagt, beim nächsten Mal scheuert er mir eine.“
„Aber …“
„Außerdem…“, legte Cosmin nach, „… er ist schon seit zwei oder drei Jahren mit einer aus Berlin zusammen und total in sie verknallt. Er merkt gar nicht, dass es noch andere Mädchen gibt.“
„Ach so.“ Maja hob etwas ihren Kopf und schien zu versuchen, Cosmins Blick einzufangen.
„Cosmin, wir könnten doch trotzdem zusammen was unternehmen. Ich würde gerne klettern lernen, oder wir gehen mal ins Kino zusammen. Vielleicht…“
Cosmin fühlte sich mies. Maja war ihm sympathisch und ihr weh zu tun tat ihm selber weh.
„Maja, ich möchte dich nicht verletzen. Aber ich fliege Weihnachten zu Camelia nach Rumänien und sie kommt in den Winterferien zu mir.“
Maja nickte schwach und kaute an ihrer Unterlippe. „Dann wünsche ich dir Glück mit deiner Freundin“, sagte sie und schaute kurz zu ihrer Freundin, die sich gleich darauf erhob.
„Danke Maja“, sagte Cosmin und wollte etwas Nettes hinzufügen. Aber kaum hatte sich die Freundin zu ihr gesellt, wandte sie sich um und eilte mit ihr die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.
Cosmin trottete erleichtert darüber, dass er die Absage an Maja hinter sich hatte, zu den Kletterwänden.
Dort hielt Max mit hochrotem Kopf sein Hand ans Ohr. „Die soll ihren Balg in ein Hotel schaffen, Vater. Und sich gleich mit. Läuft mir der Kerl über’n Weg, kann es passieren, dass ich ihm die hübsche Fresse eintrete!“
Cosmin ahnte, wem Max einmal mehr die Fresse eintreten wollte. War die Fresse bislang nicht blöde oder potthässlich gewesen? Er schaute einem älteren Mann zu, der sich - angefeuert von seinem noch älteren Sicherungsmann - an einer Route abstrampelte, die er selber schon zig Mal durchstiegen hatte. Mit den Gedanken war er jedoch bei Max’ unbekanntem Stiefbruder. Der war vielleicht auch von seiner Mutter verlassen worden und hatte darunter gelitten.
„Ich überleg’s mir, Vater!“, hörte er Max genervt ins Handy sprechen.
„…“
„Dir auch, mach’s gut.“
Max schob das Handy in seinen Turnbeutel und schnaubte verärgert. „Der Alte klingt, als ob er mich mit dem Sohn von seiner Alten verkuppeln will. Und? Wie war dein Date?“
Cosmin seufzte und erzählte Max von seiner Unterhaltung mit Maja.
„Die hat echt gedacht, dass ich dich für mich haben will?“, fragte Max, nachdem Cosmin geendet hatte. „Wie kommt die denn auf so was? Ich glaube, wir müssen vielleicht etwas unauffälliger…“
Cosmin winkte ab. „Nächste Woche weiß es die ganze Schule, dass du eine feste Freundin in Berlin hast. Maxi?“
„Hm…?“
„Dein Stiefbruder…“
„… ist ein Arschloch. Mein Vater wollte schon wieder, dass ich ihn in den nächsten Ferien kennenlerne. Aber da habe ich zufällig was anderes vor.“
"Dein Stiefbruder kann doch eigentlich nichts dafür, dass seine Mutter… "
"Cos-Mi! Der Kerl ist aus dem Schoß der Frau gekrochen, wegen der meine Mam… "
Cosmin legte einen Arm um Max’ Schulter. „Schon gut. Was willst du klettern?“

In der vorletzten Novemberwoche brach für Cosmin und Max eine schwere Zeit an. An fast jedem Tag überzogen abwechselnd Schnee-, Schneeregen- und Graupelschauer das Land. Sie hinterließen eine dünne Schneedecke, die sich tagsüber in Matsch verwandelte und nachts zu einer harten Kruste gefror. An Arbeiten auf den mit Eis oder Reif bedeckten Dächern war nicht zu denken und so musste Cosmins Vater entweder zu Hause Überstunden abbummeln oder halbtags im Lager der Firma Aufräumarbeiten verrichten.
Zwar hatten die Jungen hin und wieder die Wohnung der Munteanus für sich, aber da Cosmins Vater jederzeit nach Hause zurückkehren konnte, beschränkten sie sich auf den Austausch von Zärtlichkeiten am Schreibtisch in Cosmins Zimmer. Zu frisch war die Erinnerung an Cosmins „Rekordversuch“ am Griffbrett über seiner Zimmertür.
In der letzten Novemberwoche endete die winterliche Episode. Cosmins Vater nutze die folgenden zwei Wochenenden, um sich in Wernigerode noch etwas Geld für seine bevorstehende Reise nach Rumänien zu verdienen. Cosmin und Max hingegen nutzten seine Abwesenheit, um den Heißhunger aufeinander zu stillen und Neues im Bett auszuprobieren. Allerdings blieb ein Tabu. Cosmin versteifte sich, sobald sich Max’ Finger seinem Pobacken näherten und die eigenen Finger machten um Max’ Hintern einen großen Bogen.

Ende November eröffnete in der Umgebung des Rathauses der Weihnachtsmarkt. Hin und wieder schlenderten die Jungen nach der Schule an den weihnachtlich geschmückten Holzhütten vorbei. Cosmin fand, dass die meisten der dort angebotenen Leckereien überteuert waren. Aber Max ließ sich von den überzogenen Preisen nicht abschrecken und spendierte dann jedes Mal den Mittagsimbiss von dem Geld, das er beim „Pferderennen“ in den Herbstferien gewonnen hatte.

Bei einem dieser Spaziergänge lief ihnen auch Maja über den Weg. Sie war in Begleitung eines Jungen aus der Parallelklasse. Cosmin kannte ihn von den Hofpausen. Maja und ihr Begleiter nickten ihm und Max einen Gruß zu. Cosmin winkte zurück, Max grinste schief. „Sieht aus, als hätte sie nicht lange leiden müssen“, raunte er Cosmin zu.

Je näher die Weihnachtsferien rückten, desto öfter nervten Cosmin die Anrufe seiner Mutter. Meistens ließ er sie unbeantwortet. Er hatte nicht vor, Ferientage mit ihr oder gar mit ihrer neuen Familie zu verbringen. Einmal begann sie sich darüber zu beklagen, dass der Sohn ihres jetzigen Ehemanns kein Wort mit ihr redete. Anders als Max empfand Cosmin zwar keinen Hass auf diesen fremden Jungen; er war aber auch nicht daran interessiert, mehr über seinen Stiefbruder zu erfahren oder ihn gar kennenzulernen und wechselte sofort das Thema.
Je näher die Weihnachtsferien rückten, desto stärker fieberten beide Jungen aber auch dem Beginn der Ferien entgegen. Die Aussicht darauf, dass sie fast zwei Wochen lang die Wohnung der Munteanus für sich haben würden, machte die Adventszeit etwas erträglicher. Cosmins Vater arbeitete entweder in der Stadt oder musste zu Hause Überstunden abbummeln. So wagten sie nicht einmal daran zu denken, sich während der Nachhilfestunden in Cosmins Zimmer auf der Couch gegenseitig in die Arme zu nehmen, geschweige denn die Couch auszuziehen.

Zwar haben die beiden die erste Krise überstanden, doch die nächste lässt nun nicht mehr lange auf sich warten. Ihr ahnt sicher schon, was nun kommt, oder? :roll_eyes:

  1. Stiefbrüder

Max

Die letzte Schulwoche vor den Weihnachtsferien begann mit einem morgendlichen Schneegestöber. Doch als Max und Cosmin nach der Schule auf dem weihnachtlich dekorierten Marktplatz an Fahrgeschäften und Verkaufsbuden vorbei schlenderten, hatte die Dezembersonne den Schnee fast restlos weggeschmolzen, nur im Schatten der Häuser fristeten ein paar schmutzige Schneehäufchen die letzten Stunden ihres kurzen Daseins.
Der Geruch nach Gegrilltem wehte den Jungen um die Nasen. An einer der Holzbuden, in der Grillhähnchen vor sich hin brutzelten, hatte sich eine kleine Traube aus Schülern gebildet. Offenbar waren sie vom Bratenduft angelockt worden.
Max blieb stehen.
„Ich könnte jetzt auch so ein Teil vertragen“, sagte er und schluckte das Wasser hinunter, das ihm vom Geruch im Mund zusammen gelaufen war.
Cosmin äugte wie immer als erstes auf den Preisaushang. "So ein Teil kostete letzte Woche sieben Euro und jetzt verlangt der Kerl dort fast zehn Euro“, murrte er mit einem Kopfnicken zum dickbäuchigen Budenbesitzer. Max bemerkte, dass auch Cosmin das Wasser im Mund zusammenlief und die knusprig braunen Brathähnchen mit den Augen verschlang.
"Bleib locker Cos-Mi, mit der restlichen Kohle vom Pferderennen könnte ich nicht nur all seine überteuerten Hühner kaufen, sondern diese Bretterbude gleich mit dazu“, sagte Max und reihte sich in die Schlange der Wartenden ein.

Einmal mehr fanden sie wenig später die Wohnung der Munteanus verwaist vor. Soweit Cosmin wusste, arbeitete sein Vater irgendwo in der Stadt und konnte unverhofft aufkreuzen. Deshalb wagten die Jungen nur eine zärtliche Umarmung, bei der der Verstand nicht völlig von aufflammender Begierde beiseite gespült wurde.
Max legte das duftende Grillhähnchen auf einen Teller und bemerkte, dass Cosmin ihm dabei aus glühenden Augen zuschaute.
„Cos-Mi, du guckst schon wieder, als ob du mich und nicht das da fressen willst“, sagte Max mit einem Kopfnicken zum Teller.
„Ich überlege gerade, wie du mit einer Küchenschürze aussehen würdest“, kicherte Cosmin und ergänzte: „Natürlich ohne was drunter.“
Max nahm Cosmin in die Arme. „In den Ferien könnten wir hier beide so rumlaufen.“
Er seufzte. „Ich wünschte, dein Alter würde anrufen und sagen, dass er heute erst am Abend zurück kommt. Ich würde dafür auch auf das Brathuhn da verzichten.“
Kaum hatten sie sich an den Tisch gesetzt, klingelte irgendwo im Flur Cosmins Handy, so als würde es Max den Wunsch erfüllen wollen.
Cosmin sprang auf und sprintete in den Flur. Währenddessen sandte Max ein Stoßgebet in den Himmel.

Bitte mache, dass der wirklich erst abends hier ist!

Doch Cosmin kehrte mit langem Gesicht in die Küche zurück und legte das Handy auf den Küchentisch. „Du kannst weiter essen, Maxi. Das war nur meine Mutter, die soll mich mit ihren Anrufen verschonen.“
Max verdrehte die Augen. „Beim nächsten Mal nehme ich dir das mit der Mutter ab“, versprach Max und legte sich bereits die Worte zurecht, die er ihr an den Kopf knallen wollte.
Cosmin verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen. „Alles klar, Maxi. Dann lässt sie mich vielleicht mal für ein paar Tage…“
Erneut bimmelte Cosmins Handy und Max streckte die Hand aus. „Her damit!“
"Nee warte! Das ist mein Vater!“, rief Cosmin und sagte etwas auf rumänisch in sein Handy. Max verstand zwar kein Wort, schöpfte aber neue Hoffnung, denn nun hellte sich Cosmins Gesicht zusehends auf.
„Schlechte Nachricht, Maxi“, seufzte Cosmin, nach dem er das Gespräch beendet hatte.
„Sag schon!“
Ein Grinsen stahl sich auf Cosmins Lippen. „Ich muss ihm heute kein Essen kochen, weil ihm der Chef ein Mittagessen spendiert hat. Die sind jetzt irgendwo bei Bitterfeld und beladen einen LKW. Es dauert noch mindestens eine Stunde, bis er von dort weg kommt. Wenn wir uns mit dem Essen beeilen…“
Max ahnte, was Cosmin unausgesprochen ließ. Hitze breitete sich von seinen Lenden bis hinauf zu den Ohrläppchen aus. Er schob seinen Teller beiseite.
„Cos-Mi!“
Wie auf ein Kommando sprangen beide Jungen zugleich von den Stühlen auf. Max riss Cosmin an sich, Cosmins Hände griffen in Max’ Haare und im nächsten Augenblick trafen sich ihre Lippen. Max zerrte Cosmins Shirt aus dessen Hose, seine Hand streichelte Cosmins Rücken, der unter dieser Berührung erbebte.
Cosmins Zunge schob sich wie ein verhungerndes Raubtier an Max’ Zähnen vorbei, während Cosmin am Reißverschluss von Max’ Hose zerrte. Sie zogen sich gegenseitig zur Couch in Cosmins Zimmer und Max’ Hand umfasste dabei die Wölbung in Cosmins Hose. Cosmins Stöhnen wehte wie ein Gluthauch an seinem Ohr vorbei.
Sie zogen hastig die Couch aus, dann sanken beide Jungen ineinander verschlungen auf die Couch und kaum hatte Cosmin den Reißverschluss von Max’ Hose geöffnet, tastete sich seine Hand zu jener Stelle, an der sie Max jetzt auch haben wollte.

Später, als sie ihren Heißhunger aufeinander zumindest vorläufig etwas gestillt hatten, lagen Max und Cosmin nackt und immer noch eng umschlungen beieinander. Max spielte sanft mit Cosmins Zunge, die nun nicht mehr wie ein hungriges Raubtier in seinem Mund wütete sondern ihn stattdessen zu erforschen schien.
Das Klingeln von Cosmins Handy unterbrach das zärtliche Spiel.
„Die Mutter?“, fragte Max.
Cosmin löste sich aus Max Armen, fischte das Handy aus den Klamotten, die auf dem Boden vor der Couch herum lagen und nickte. „Die geht mir echt auf die Nerven. Die will, dass ich Weihnachten zu ihr komme und mit ihrem neuen Sohn Weihnachtslieder singe.“ Er warf das Handy zurück auf den Klamottenhaufen vor der Couch und Max zog ihn zurück in seine Arme.
„Echt komisch Cos-Mi, wir haben beide Probleme mit einem Stiefbruder. Du willst mit ihm keine Weihnachtslieder singen und ich würde ihm am liebsten die blöde Fresse eintreten. Wie alt ist der?“
Cosmin zuckte mit der Schulter. „Keine Ahnung. Hab nie gefragt.“
Max kraulte Cosmins Mähne. „Wie viel Zeit haben wir noch?“
Cosmin seufzte. „Zu wenig. Mein Vater fährt jetzt wahrscheinlich von dort los.“
„Und wann genau haut er nach Rumänien ab?“
„Am Donnerstag, der Flug nach Bukarest ist nachmittags, also muss er spätestens mittags nach Berlin fahren.“
Ein Lächeln wölbte Cosmins Lippen. „Nach der Schule ist er schon weg und wir könnten uns hier wieder gegenseitig füttern.“
Max’ Phantasie arbeitete bereits auf Hochtouren an den Dingen, die nach der gegenseitigen Fütterung passieren würden und er spürte, dass sich der kleine Max unter seinem Bauch erneut zu regen begann.
„Cos-Mi, wir werden über eine Woche lang jede Nacht zusammen sein.“
Cosmins Kopf sank auf Max’ Brust, seine Finger zeichneten die Muskulatur auf Max’ Bauch nach.
„Du hast schon wieder versaute Gedanken, Maxi.“
„Du etwa nicht?“, kicherte Max und spielte mit Cosmins schwarzen Zotteln.
„Nee, natürlich nicht!“, erwiderte Cosmin, doch seine Finger schienen anderer Meinung zu sein und zwirbelten nun Max’ Schamhaare.
„Cos-Mi?“
„Hm?“
Max suchte nach den richtigen Worten für das, was ihm auf der Zunge lag.
„Das, was wir damals in Berlin gemacht haben, ich meine, das was du mit mir gemacht hast…“
Cosmins Finger verharrten wie erstarrt in Max’ Schamhaaren.
„Ich habe mal … äh… gegoogelt und weiß jetzt, wie man es … äh richtig macht, ich meine, ohne sich zu verletzen oder dass es weh tut oder so was.“
Cosmin fuhr wie von einer Tarantel gestochen hoch und hockte sich im Schneidersitz neben Max.
„Bist du irre!?“
„Cos-Mi, hör mir doch…“
„Maxi, hast du vergessen, was ich bei dir angerichtet habe?“, brauste Cosmin auf. „Vergiss es! Denk’ nicht mal dran. Eher klebe ich mir den Hintern mit Pflaster zu!“
Max zog Cosmin an sich heran. „Krieg’ dich ein Cos-Mi. Vergessen wir das Thema. Aber ich habe dich nie wieder so in Ekstase gesehen wie damals als du mich… äh … gevögelt hast.“
Cosmin stubste Max den Ellenbogen in die Rippen. "Und danach konnten wir drei Tage lang nicht richtig kacken oder pinkeln. Lass uns… "
Erneut klingelte Cosmins Handy.
Max fluchte leise und stemmte sich hoch. Es war höchste Zeit, dass er die Sache mit Cosmins Mutter mal in seine Hände nahm. Doch Cosmin hielt ihn zurück.
„Lass sie! Wir haben nur noch zehn Minuten und müssten dann langsam anfangen so zu tun als würden wir Hausaufgaben machen.“
„Cos-Mi?“
„Hm?“
„Wenn ich könnte, würde ich mit dir auf eine einsame Insel ziehen.“
Cosmin kicherte leise. „Du wärst Robinson und ich wäre dein Freitag?“
„Wenn du lieber Robinson wärst, würde ich dein Freitag sein“, sagte Max und zog Cosmin noch dichter an sich heran. Nun war er es, der mit seiner Zunge jeden Winkel in Cosmins Mund erforschte.

Eine halbe Stunde später verschwand Cosmin für ein paar Minuten in der Küche, um das benutzte Geschirr vom Küchentisch zu räumen. Anschließend steckten beide Jungen an Cosmins Schreibtisch ihre Köpfe zusammen und begannen die Hausaufgaben des Tages abzuarbeiten.
Gegen halb vier kehrte Cosmins Vater von der Arbeit heim. Er schaute kurz in Cosmins Zimmer, sagte etwas auf rumänisch zu Cosmin und nickte Max einen Gruß zu.
„Ja Tata, ich fahre nachher zu Maxi. Wir trainieren heute wieder zusammen“, erwiderte Cosmin auf deutsch.
„Na gut, dann will ich nicht weiter stören“, erwiderte Cosmins Vater ebenfalls auf deutsch und schloss die Tür.
Nach den Mathehausaufgaben bat Max Cosmin, ihm das Thema Wechselstrom zu erklären. Er vermutete, dass Frau Dr. Meyer die Klasse in Physik noch in dieser Woche mit einer Kurzkontrolle überraschen würde. Gerade als Cosmin etwas über Wirk - und Scheinleistung erzählte, klingelte erneut sein Handy.

Max streckte seine Hand aus. Er hatte sich inzwischen all die Worte zurecht gelegt, die er Cosmins Mutter um die Ohren hauen würde.
„Soll ich übernehmen, Cos-Mi?“
Cosmin grinste. „Ja, los Maxi. Geige ihr mal unsere Meinung zu diesem Thema“, sagte er und reichte Max sein Handy.
Max drückte das grüne Telefonsymbol. „Hören Sie endlich auf, Cosmin auf den Sack zu gehen. Vor drei Jahren haben Sie ihn…“
„Maximilian?“
„Du?“
Max sprang vom Stuhl auf. Sein Bauch fühlte sich plötzlich an, als wäre er mit Eiswürfeln gefüllt.
„Maximilian. Was machst du mit Cosmins Handy? Kennt Ihr euch etwa?“, stach die schrille Stimme seiner Stiefmutter in seine Ohren. Seine Beinmuskeln schienen sich in Pudding zu verwandeln, seine Augen füllten sich mit Tränen der Verzweiflung.
„Du bist Cosmins Mutter?“
„Maximilian! Seid Ihr etwa…“
Max ersparte sich den Rest und warf das Handy auf Cosmins Schreibtisch. Sein Blick glitt im Zeitlupentempo in Cosmins Richtung. Auch Cosmin hatte sich erhoben. Aus vor Schrecken geweiteten Augen starrte er Max an, eine Hand schien die andere Hand festzuhalten.
Max blinzelte sich den Tränenschleier aus den Augen. Zorn brandete durch seine Adern, mischte sich mit der Verzweiflung, die sich bis in den letzten Winkel seines Körpers ausgebreitet hatte.
Das bezaubernde Gesicht, das er eben noch in den Händen gehalten und zärtlich geküsst hatte, verwandelte sich in eine Fratze.
„Deine Alte! Sie war es! Wegen ihr habe ich meine Mam verloren!“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.
„Maxi, ich…“
„Hör auf, mich Maxi zu nennen!“, schleuderte er all seinen Zorn und seine Verzweiflung Cosmin entgegen.

Ich muss raus hier!

Er wirbelte herum und wollte zur Tür stürzen, doch Cosmin packte seinen Arm.
„Max, ich habe auch meine Mutter verloren!“, rief er. "Dein Vater hat sie sich… "
Max senkte den Kopf. „Lass mich los. Sofort. Hast du vergessen, was ich mit der blöden Fresse von meinem Stiefbruder mache, wenn ich ihn erwische?“
Max bemerkte, dass Cosmin zurück wich. Die Tränen, die nun auch Cosmins Augen füllten, ignorierte er.
„Was für eine total beschissene Romanze!“, stieß er aus. Cosmins Vater öffnete die Tür. Max stürmte an ihm vorbei. Es war ihm egal, dass er ihn dabei rammte. Er zerrte seine Jacke vom Haken der Flurgarderobe und knallte gleich darauf die Wohnungstür hinter sich zu. In diesem Moment wusste er, dass er nicht nur diese Tür zugeschlagen hatte. Er würde nie wieder diese Wohnung betreten, nie wieder diese Schule, nie wieder…

Cosmin

Beim Knallen der Wohnungstür zuckte Cosmin wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Anders als vor zwei Wochen hatte Max dieses Mal das Verlassen der Wohnung nicht herausgezögert und Cosmin spürte, dass es sinnlos wäre, ihm hinterher zu eilen. Sein Schluchzen mischte sich mit der schrillen Stimme seiner Mutter. Noch immer drangen ihre Rufe aus dem Handy, das auf dem mit Zetteln übersäten Schreibtisch lag. Und noch immer stand sein Vater stocksteif an der Zimmertür.
Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Vater. " Cosmine, Du weinst. Hat er dich etwa geschlagen?", rief er und war mit einem Satz bei Cosmin, um ihn in die Arme zu nehmen.
Cosmin kämpfte gegen das Schluchzen an und hielt sich an seinem Vater fest, weil ihn die eigenen Beine nicht mehr tragen wollten.
Wie hatte sein Leben von einem Moment zum anderen eine solche Kehrtwendung nehmen können? Noch fühlte er das süße Aroma von Max’ Zunge auf seiner eigenen Zunge, hörte das Echo zärtlicher Worte und ein Blitz aus heiterem Himmel hatte Cosmins Leben regelrecht zertrümmert.
„Cosmine!“
„Max hat mich nicht geschlagen“, schluchzte er. „Er hat die da gehört“, ergänzte er und deutete mit einem Kopfnicken auf den Schreibtisch.
Cosmins Vater lauschte der Stimme, die mal nach Maximilian und mal nach Cosmin rief und endlich verstummte. „Deine Mutter? Was hat sie mit Max zu tun?“
„Die ist jetzt mit Maxis Vater verheiratet und seine Stiefmutter. Maxi gibt ihr die Schuld am Unfall, bei dem seine Mutter starb.“
"Bianca. Sie ist mit… " Die Worte blieben seinem Vater im Halse stecken.
Cosmin konnte trotz der eigenen Verzweiflung den Schmerz spüren, den sein Vater gerade empfand.
Nachdem sein Vater das Zimmer mit hängenden Schultern verlassen, wankte Cosmin zum Schreibtisch. Der Anblick von Max’ Mathehefter und der Federmappe schnürte ihm die Kehle zu. Er sortierte Max’ Schulsachen aus der Zettelwirtschaft auf dem Schreibtisch und schob sie in seinen Schulrucksack. Er versuchte sich auszumalen, wie seine Begegnung mit Max morgen sein würde. Er hatte keine Hoffnung, dass Max am Rathaus auf ihn warten würde. Aber sie waren Banknachbarn. Würde Max ihn ignorieren? Wenn ja, wie lange?
Eine Erinnerung blitzte in seinem Kopf auf. Die zwei Jungen aus der Parallelklasse hatten im September von einem Tag auf den anderen kein Wort mehr miteinander geredet. Aber eines Tages hatten sie wieder Händchen gehalten. Würde es ihm mit Max genau so ergehen?
Cosmin öffnete WhatsApp auf seinem Handy. Der Chat mit Max war ein Sammelsurium aus Selfies, Neckereien und Zärtlichkeiten. Max war seit Mittag nicht online gewesen.
Mehrfach tippte Cosmin eine Nachricht und löschte sie im nächsten Atemzug.
Schließlich schickte er diese Nachricht auf ihren Weg zu Max:

„Eben noch wolltest du mit mir auf eine einsame Insel ziehen. Und jetzt willst du am liebsten meine blöde Fresse eintreten. Was ist plötzlich anders an mir? Was kann ich dafür, dass diese Frau meine Mutter ist?“

Anfangs schaute Cosmin im Minutentakt auf sein Handy, obwohl er beim Anblick der beiden mit Zigeunersoße beschmierten Gesichter auf dem Display jedes Mal nahe dran war, von Neuem in Tränen auszubrechen. Doch Max reagierte nicht auf seine Zeilen. Wie es schien vermied er es, WhatsApp zu öffnen.

Beim Abendessen saßen sich Cosmin und sein Vater zunächst schweigend am Küchentisch gegenüber und stippelten ohne Appetit im Kartoffelsalat herum, den Cosmin am Tag zuvor zubereitet hatte.
„Cosmine“, brach sein Vater das Schweigen. „Dieser Junge, Max, er kann nichts dafür, dass sein Vater mit meiner Frau… mit meiner Ex- Frau verheiratet ist. Er kann natürlich weiter zu uns kommen.“
„Vielleicht möchte er gar nicht mehr zu uns kommen“, sagte Cosmin leise und ohne vom Teller aufzublicken.
„Wenn er wirklich dein Freund ist, müsste es ihm doch egal sein, wer deine Mutter ist“, murmelte sein Vater nachdenklich.
Erinnerungen an Max’ Boxtraining waberten durch Cosmins Kopf. Er sah die Wut in den Augen, wenn Max auf Boxsäcke eintrat oder einschlug, auf denen ihn die Gesichter eines unbekannten Stiefbruders angrinsten. Hastig versuchte er, diese Bilder beiseite zu schieben.
„Tata, warum suchst du nicht wieder eine Frau?“, fragte er. „Wenn du dich etwas öfter rasieren und dein Gesicht pflegen würdest, hättest du bestimmt gute Chancen.“
„Cosmine, ich weiß nicht, ob du das verstehst.“ Sein Vater seufzte tief. „Bianca ist eine Frau, wie ich sie nicht wieder finden werde. Wie soll ich es erklären? Es ist, als hätte man von einer süßen Frucht gekostet und soll danach Gras essen. Bianca war die süße Frucht für mich und die paar Frauen, die ich nach der Scheidung kennen lernte, waren wie Gras.“
Ein leiser Schrecken durchzuckte Cosmin.

Ist es das, was mir bevor steht? Max ist die süße Frucht, von der ich kosten durfte und nun kommt nur noch Gras hinterher?

Gleich nach dem Abendessen griff sich Cosmin das Handy vom Schreibtisch, doch es zeigte keine neue Nachricht an. Er öffnete den Chat mit Max. Seine letzte Nachricht wurde weiterhin als ungelesen angezeigt. Anders als bislang sah Cosmin auch nicht, wann Max zum letzten Mal online gewesen war.

Hat er mich blockiert?

Die Knochen in seinen Beinen schienen wie Kerzenwachs zu zerschmelzen. Er sank auf den Stuhl, auf dem noch am Nachmittag Max gesessen hatte.

Wie kann ich feststellen, ob er mich blockiert hat?

Cosmin nahm all seinen Mut zusammen und tippte eine weitere Nachricht: „Max?“
Diese Nachricht kam nicht einmal mehr bei Max an.

:disappointed_relieved: Irgendwann musste das ja mal passieren. Ich bin selber jedes Mal traurig, wenn ich dieses Kapitel lese. Mal schauen, ob Max sich wieder einkriegt…

  1. Allein

Cosmin

Am nächsten Morgen wartete Cosmin an einer Seite des Rathauses, von der er die Fußgängerzone zwischen einem Einkaufszentrum und einem langgestreckten Hochhaus einsehen konnte. Normalerweise erreichte Max morgens das Rathaus über diese zur Zeit weihnachtlich dekorierte Fußgängerzone. Doch so sehr Cosmin auch seinen Hals reckte, Max tauchte nicht auf.
Allmählich versiegte der Strom aus zur Schule trottenden Mädchen und Jungen und Cosmin musste die Beine in die Hand nehmen, um rechtzeitig das Schulhaus zu erreichen. An den Fahrradständern des Vorplatzes legte er eine Verschnaufpause ein und sein Blick irrlichterte über die Reihe der dort abgestellten Räder. Er konnte Max’ Fahrrad nirgendwo entdecken und nun beschlich ihn ein Verdacht, der mit eisigen Fingern nach seinem Herzen griff.
Als er kurz darauf den Klassenraum betrat und Max’ Platz verwaist vorfand, schien sich dieser Verdacht zu erhärten:
Max will zurück nach Berlin flüchten!
Unsinn!
, versuchte er diesen Verdacht sofort zu entkräften. Max ist nicht so blöde, mitten im Schuljahr und nur wenige Monate vor den Abschlussprüfungen die Schule zu wechseln.
Gleich zu Beginn der Stunde befragte ihn Frau Dr. Meyer zum Grund für Max’ Abwesenheit.
„Er ist krank, glaube ich“, antwortete er schwach und versteckte anschließend das Gesicht hinter einem Vorhang aus schwarzen Zotteln. Und zum ersten Mal hatte Cosmin Schwierigkeiten, den Ausführungen der jungen Lehrerin zu folgen. Während sie über Wahrscheinlichkeiten dozierte, kämpfte Cosmin mit den eigenen Augen. Er hatte fast die gesamte Nacht wachgelegen und waren ihm die Augen doch mal zugefallen, dann nur für eine Achterbahnfahrt durch wirre Träume.
Zwar gelang es ihm, die Augen offen zu halten, doch konnte er nicht verhindern, dass ihm hin und wieder eine Träne auf den Mathehefter tropfte.
In der ersten Hofpause steuerten Cosmin zunächst die Mauer unterhalb der Kletterwand an, auf der er mit Max seit mehr als drei Monaten die Hofpausen verbracht hatte. Doch schon nach ein paar Schritten sah er durch das Gewimmel der auf den Pausenhof flutenden Schüler, dass es sich die Jungen der Parallelklasse dort bereits gemütlich gemacht hatten. Der Junge mit den blondierten Haarsträhnen hatte einen Arm um die Schulter des schmächtigen Jungen mit der Hornbrille gelegt und beide erzählten den anderen offenbar etwas besonders Lustiges, denn die begannen sich nun vor Lachen die Schenkel zu klopfen.
Cosmin verharrte auf der Stelle.

Den Anblick ertrage ich nicht!

Es war vor allem der Anblick der beiden Jungen, die ihre gegenseitige Zuneigung so offen zur Schau stellten. Würde er jemals wieder Max’ Arm auf seiner Schulter spüren? Falls Max nach Berlin zurückgekehrt war, würde er ihn vielleicht nie wieder sehen.
Er unterdrückte ein Schluchzen und trottete zurück in die Nähe des Ausgangs, wo er sich gegen die Ziegelmauer lehnte. Es war dieselbe Stelle, an der er die Pausen verbracht hatte, bevor Max in sein Leben getreten war. Während Cosmin lustlos an einem Butterbrot kaute, griff er mehrmals in die Hosentasche. Doch er widerstand der Versuchung, sein Handy heraus zu holen. Er hatte inzwischen mehrere SMS von seiner Mutter erhalten und sie unbeantwortet gelassen. Nachrichten, die er verzweifelt herbei sehnte, würde er vergeblich auf dem Handy suchen.

Am Nachmittag schaffte Cosmin als erstes Max’ Stuhl aus seinem Zimmer. Der Anblick der beiden Stühle an seinem Schreibtisch hätte ihm die Kehle zugeschnürt. Anschließend ließ er sich auf sein Sofa fallen und verschränkte die Hände unter seinem Kopf. Er zwang sich, an etwas zu denken, das nichts mit Max zu tun hatte. Wie von selbst schlossen sich seine Augen und er sah sich mit Camelia Händchen haltend am Donauufer sitzen und dann ins hohe Gras sinken. Er spürte ihre Lippen auf seinen Lippen, das Spiel ihrer Zungen. Doch der Atem, der ihm dabei ins Gesicht wehte, roch nach Max.
Er sah sich wieder am Bahnsteig stehen, der Zug aus Berlin hatte gerade gehalten und Max sprang aus dem Waggon. Er erspähte Cosmin und stürmte ihm im selben Moment entgegen.
Eine weitere Erinnerung drängelte ungebeten in seinen Kopf. Ein Hostelbett in Berlin. Ein geradezu irrationales Verlangen hatte seinen Verstand ausgeschaltet. Er drang in Max ein, ohne sich der ungeheuren Schmerzen bewusst zu werden, die Max ihm zu Liebe ertragen hatte. Cosmin wischte die Erinnerung aus seinem Kopf und er hörte Max’ Stimme, die ihm zärtlich zuflüsterte:
„Wenn Du möchtest, würde ich dein Freitag sein.“
War es wirklich erst gestern gewesen? Und nur weil er der Sohn der verhassten Stiefmutter war, sollte davon nichts mehr übrig sein?

Eine Hand streichelte seine Wange.

Maxi?

Cosmin griff nach der Hand und öffnete rechtzeitig genug die Augen. Sein Vater hatte sich zu ihm auf das Sofa gesetzt. Er wäre sicher nicht nur erstaunt gewesen, dass sich Cosmin nach solchen Berührungen durch einen anderen Jungen sehnte.
„Er war heute nicht hier, oder?“
Cosmin setzte sich auf, um möglichst unauffällig die Hand auf seiner Wange los zu werden und verneinte die Frage mit einem Kopfschütteln.
"Du wirst nun auch Weihnachten nicht mit Max bei seiner Großmutter oder mit ihm hier sein. Ich kann dich doch nicht allein lassen ", sagte sein Vater und knetete seine eigenen Hände. Cosmin wusste, welche Sorgen sich sein Vater um die kranke Mutter im fernen Porumbita machte, aber auch, wie sehr er sich auf die bevorstehende Reise freute.
„Tata, du musst dir deswegen keine Gedanken machen. Ich werde wahrscheinlich doch mal meine Mutter besuchen“, erwiderte Cosmin und ergänzte in Gedanken:

Noch wahrscheinlicher will ich Weihnachten lieber allein sein, als mit ihr auch nur eine Stunde zusammen.

„Ich könnte auch schauen, ob ich noch einen günstigen Flug für dich finde“, sagte er halbherzig. Sie wussten beide, dass die Ticketpreise vor Weihnachten astronomische Höhen erklommen.
„Es ist okay für mich, ich komme klar hier.“
Sein Vater knetete noch immer seine Hände. Cosmin ahnte, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte und nicht so richtig wusste, wie er es in Worte kleiden konnte.
„Cosmine“, rückte er endlich raus mit der Sprache. „Was soll ich Onkel Radu und Camelia sagen? Sie wollen im Februar nach Dessau kommen. Aber wenn du… nun, wenn du Camelia im Sommer noch nicht heiraten willst, wäre es vielleicht besser, wenn sie im Februar nicht zu uns kommen und wir uns eine Ausrede einfallen lassen… Er wäre natürlich sauer. Ich will nachher mit ihm telefonieren.“
„Ich überlege noch, Tata.“
Cosmin starrte auf sein Handy. Wenn Max ihn wirklich verlassen hatte, würde er in einer Beziehung mit Camelia wenigstens etwas Trost finden? Oder wäre eine solche Beziehung wie Gras essen?
Kaum hatte sein Vater das Zimmer verlassen, nahm Cosmin all seinen Mut zusammen und wählte Max’ Nummer. Doch wie er es bereits befürchtet hatte ertönte nur ein Besetztzeichen.

Hat er meine Nummer auf seiner schwarzen Liste?

Cosmin eilte zu seinem Vater ins Wohnzimmer, der es sich auf seinem Sofa bequem gemacht hatte und offenbar im Begriff war, Onkel Radu anzurufen.
„Tata! Ich möchte was probieren. Bitte gib mir kurz dein Handy.“
Sein Vater zögerte kurz und reichte ihm das Handy.
Cosmin lief in sein Zimmer zurück und probierte es erneut, Max vom eigenen Handy aus zu erreichen, und er hörte wieder das Besetztzeichen. Hastig tippte er Max’ Nummer in das Handy seines Vaters ein und nun ertönte ein Freizeichen.

Er hat mich tatsächlich blockiert!

Cosmin spürte, dass sich seine Augen mit Tränen füllten.
„Wer iss’n dort?“, schauzte ihn Max’ Stimme aus dem Handy an. Cosmin schluckte einen Kloß hinunter, der sich plötzlich in seinem Hals gebildet hatte.
„Maxi…“
Fieberhaft suchte Cosmin nach Worten und hörte Max schwer atmen. Sag doch endlich was!, flehte Cosmin das Handy an und lauschte Max’ Atemzügen.
„Maxi, ich…“ Die Verbindung brach ab.

Das war’s also!

Cosmin wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann trottete er mit hängenden Schultern zurück ins Wohnzimmer und reichte seinem Vater das Handy. „Sag Onkel Radu, ich freue mich darauf, dass er mit Camelia hier her kommt.“
Vielleicht half Gras fressen, die Schmerzen in seiner Brust zu lindern.

In der Nacht erlebte Cosmin erneut eine Achterbahnfahrt durch irre Träume. Mal schreckte er aus Träumen auf. Meistens lief Max nur ein paar Schritte vor ihm, aber so sehr Cosmin sich auch anstrengte, er konnte ihn nicht einholen und Max entschwand im Nirgendwo. Mal versuchte er verzweifelt, an Träumen festzuhalten oder ihnen eine Fortsetzung hinzuzufügen. In einem dieser Träume ging er mit Max Hand in Hand über den Markt. Zumindest im Traum schien das kein Problem zu sein. Er führte Max in die Bibliothek, um sich Oma Lisas Mathebuch für Ingenieure auszuleihen. In einem der Räume stießen sie auf Cosmins Sofa, das sich eigentlich in seinem Zimmer hätte befinden müssen. Sie rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib, doch als er sich an Max schmiegte, erwachte Cosmin mit einer Erektion. Er sehnte sich zurück in die Bibliothek und tatsächlich gelangte er im nächsten Traum wieder in die Bibliothek, aber er konnte den Raum mit dem Sofa nicht finden und von Max fehlte jede Spur.
Im letzten Traum, dessen verblassende Bilder Cosmin in den Morgen hinein begleiteten, saß er auf der Mauer unterhalb der Kletterwand des Pausenhofes. Er schaute zu den Jungen der Parallelklasse. Doch neben ihm saßen Händchen haltend Chris und Anton.
„Tziggi, wieso hast du mir die Hausaufgaben nicht geschickt?“, fragte Chris und holte zum Schlag aus. Max hatte ihm in den vielen gemeinsamen Trainingsstunden auf Oma Lisas Dachboden gezeigt, wie man Schläge abfängt und mit einem Gegenschlag kontert. Während Chris’ Schlag meilenweit daneben ging, sauste seine eigene Faust mitten hinein in Chris’ geschniegeltes Gesicht, doch verfing sie sich zugleich in der Bettdecke.

Cosmin blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und warf einen Blick auf das Handy. Es war dreiviertel sechs. Bei dem Gedanken daran, dass der neue Tag genauso trostlos werden würde wie der vorangegangene schnürte es ihm einmal mehr die Kehle zu und endlich gestattete er es seinen Augen, sich von all den aufgestauten Tränen zu befreien.

Maxi! Du wolltest mich glücklich sehen. Aber ich bin jetzt noch unglücklicher als vorher.

Nach ein paar Minuten versiegte der Nachschub an Tränen und das Schluchzen verstummte. Cosmin hielt die verblassenden Bilder des letzten Traumes fest, ehe sie sich vollends auflösten. Er hatte gestern keinen einzigen Blick an seine einstigen Peiniger verschwendet.

Wie lange wird es dauern, bis ihnen aufgeht, dass Max entweder ganz verschwunden ist oder mich nicht mehr beschützt?

Cosmin warf die Bettdecke zurück. Gestern war er so verzweifelt gewesen, dass er die morgendlichen Liegestütze und Klimmzüge weggelassen hatte.
Wagt es nur, mich anzufassen! Ich werde mich selber beschützen!, nahm sich Cosmin vor und packte das Griffbrett über seiner Zimmertür.

Als Cosmin um viertel nach sieben aus dem Haus trat, sah er im Schein der Straßenlampen, die den Fußweg vor dem Plattenbau beleuchteten, ein paar Schneeflocken tanzen. Reif glitzerte auf dem Rasen neben dem Fußweg. Anders als am Vortag lief Cosmin auf dem Weg zur Schule ohne anzuhalten am Rathaus vorbei. Allerdings umschwirrten ihn Erinnerungen wie Wespen den Honig und jede Erinnerung versenkte ihren Stachel in seinem Herzen. Hier hatte ihn Max jeden Morgen seit mehr als drei Monaten an sich gedrückt.
Auf dem Vorplatz der Schule drängte sich Cosmin durch das Gewimmel der ins Schulhaus strömenden Schülerscharen. Er machte keinen Umweg zu den Fahrradständern. Max’ Fahrrad würde er dort vergeblich suchen.

Als Cosmin den Klassenraum betrat, sah er auf den ersten Blick, dass Max’ Platz verwaist war. Inzwischen glaubte er nicht mehr, dass sich daran für den Rest des Schuljahres etwas ändern würde.
Eine Bank in der ersten Reihe hingegen war alles andere als verwaist. Chris und Anton unterbrachen ihre lautstarke Unterhaltung. Während Anton einen Blickkontakt zumindest im Moment noch vermied, verbogen sich Chris’ Lippen zu einem süffisanten Lächeln. Offenbar ahnte der Schnösel den Grund für Cosmins Trauer und Cosmin hörte bereits das Wort, das dem Kerl auf der Zunge lag.
Cosmin entschloss sich zum Angriff. Er trat an die Schulbank der beiden, ohne Chris aus den Augen zu lassen. „Max ist im Moment verhindert, Stenzel“, redete er Chris mit dem Nachnamen an, um seine Verachtung in Worte zu kleiden. „Also werde ich das mit deinen Knochen übernehmen, wenn ich noch mal dieses ‚Tziggi‘ höre.“
Chris gefror das Lächeln auf den Lippen, das Stimmengewirr im Raum verstummte. Mindestens zwanzig Augenpaare warteten nun vergeblich auf Chris’ Reaktion. Offenbar schien Chris zu überlegen, ob Cosmin nur geblufft hatte oder ihm tatsächlich die Knochen brechen würde.
Max hätte vermutlich „Weiter machen!“ in die Klasse gerufen, Cosmin hingegen wandte sich ohne ein weiteres Wort von Chris ab und ließ sich auf seinen Stuhl sinken.

Maxi, ich wünschte, du hättest sehen können, dass ich keinen Schiss mehr vor diesen Idioten habe.

Doch das kurze Auftauchen aus dem Sumpf aus Verzweiflung und Einsamkeit endete, als er an Stelle des eigenen aus Versehen Max’ Mathehefter aus dem Schulrucksack zog.
Während der Mathestunde versuchte Cosmin Interesse an Frau Dr. Meyers Erklärungen vorzutäuschen. Er fragte sich, was Max in diesem Moment machte. Hielt er sich noch bei seiner Oma auf? Cosmin bezweifelte, dass sie ihm das Schule schwänzen gestatten würde. War Max bereits in Berlin?
Cosmin bemerkte, dass Frau Dr. Meyer ihn wiederholt mit gerunzelter Stirn musterte. Ihr Blick durchdrang den Vorhang aus schwarzen Zotteln, hinter dem er sein Gesicht verbarg. Es schien, als würde sie in seinen Augen die Antwort auf eine Frage suchen: „Warum kommt Maximilian nicht mehr in die Schule?“
Bevor sie nach dem Ende der Stunde den Raum verließ, bat sie Cosmin zu sich an den Lehrertisch.
„Ihr habt in der letzten Stunde Deutsch bei Herrn Schneider. Bitte warte nach dem Unterricht hier im Raum auf mich, Cosmin. Ich möchte mit dir reden.“
Ein leiser Schreck durchfuhr Cosmin.

Sie will von mir wissen, was mit Max los ist!

Er überlegte, ihre Bitte zu ignorieren. Andererseits mochte er die junge Lehrerin und wollte sie nicht enttäuschen.
Cosmin wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen und nickte nur.

In der ersten Hofpause suchte Cosmin seinen alten Pausenplatz neben dem Ausgang zum Pausenhof auf. Während er auf der selbst geschmierten Leberwurstschnitte herum kaute, blitzte eine weitere Erinnerung auf. Max, der ihm die Leberwurstschnitte von der Hand weg schnappt und ihm dafür einen Burrito mit Lachsfüllung reicht.
Cosmins Blick wanderte zur Kletterwand auf der anderen Seite des Pausenhofes. Meistens versperrten ihm herumstehende Schüler oder sich gegenseitig jagende Jungen der Fünften oder Sechsten die Sicht auf die Mauer am Fuße der Kletterwand. Aber hin und wieder erhaschte er einen Blick auf die Jungen der Parallelklasse. Cosmin sah nur vier Jungen. Einer der Jungen, ein dunkelhaariger Bursche mit ausrasiertem Nacken, stand neben der Mauer und unterhielt sich mit Maja. Ihre dickliche Freundin wartete ein paar Schritte weiter und trat von einem Fuß auf den anderen. Endlich wandte sich Maja zu ihrer Freundin um und während die beiden Mädchen im Gewimmel auf dem Pausenhof untertauchten, setzte sich der Junge zu den anderen. Zwar erspähte Cosmin den Jungen mit den blondierten Haarsträhnen. Dessen Freund jedoch fehlte. Cosmin hoffte, dass die Beziehung der beiden nicht auch in die Brüche gegangen war.

„Cosmin?“

Cosmin fuhr herum und verschluckte sich fast am letzten Bissen seiner Leberwurstschnitte.
Der Junge mit der Hornbrille hatte sich zu ihm gesellt und lehnte nun wie Cosmin an der Ziegelwand.
"Ich heiße Moritz. Mein Freund dort… ", er nickte zur Kletterwand, "… er heißt Simon. Wir… ", er schien nach Worten zu suchen, „… naja, wir wollten dich fragen, ob du dich nicht wieder zu uns setzen willst.“
„Ich… äh, du kennst meinen Namen?“
Cosmin starrte Moritz fassungslos an. Abgesehen von Max hatte ihn den anderthalb Jahren, die er nun schon diese Schule besuchte, noch kein anderer Junge derart freundschaftlich angesprochen. Moritz war eine Handbreit kleiner als Cosmin und sah auch wegen seiner schmächtigen Statur kaum älter als fünfzehn oder sechzehn aus. Sein gewelltes kastanienbraunes Haar steckte unter einer Mütze. Sie bedeckte teilweise die Ohren, am rechten Ohrläppchen funkelte ein Sternchen. Über Moritz’ Gesicht huschte ein Lächeln.
„Max und Cosmin, das war ja nun wirklich nicht schwer raus zu finden.“
"Mein Freund Max ist nicht mehr… " Weiter kam Cosmin nicht, weil sich in seinem Hals ein dicker Kloß zu bilden schien.
Moritz braune Augen musterten Cosmin. Aus ihnen sprach nicht nur Mitgefühl, sondern auch Verstehen.
„Simon und ich, wir haben schon dreimal miteinander Schluss gemacht und im Februar werden es zwei Jahre, die wir trotzdem zusammen sind.“
Moritz hielt Cosmin eine Packung mit in Folie verpackte Waffelsnacks hin. „Möchtest du?“
Cosmin nahm einen Waffelsnack. "Danke.
Moritz griff nach seinem Arm. „Gehen wir?“
Cosmin zögerte einen Moment. Aber der Wunsch, nicht mehr wie verloren auf dem Pausenhof herum zu stehen, mutterseelenallein inmitten lachender und schwatzender Schüler, siegte.
„Ja klar.“

  1. Nicht mehr ganz allein

Cosmin

Als sie die Kletterwand erreichten, begrüßte jeder der vier dort auf der Mauer sitzenden Jungen Cosmin mit einem Handschlag. Und nun fand Cosmin es seltsam, dass er mit diesen Jungen an die hundert Hofpausen hier verbracht hatte, ohne mit ihnen auch nur ein Wörtchen zu wechseln.
Sicher, er war eher kontaktscheu. Dass Max seine Mitschüler genauso interessant fand wie die Auslagen eines Sanitätshauses hatte sicher auch eine Rolle gespielt. Simon zog Cosmin auf den Platz rechts neben sich und deutete auf seine drei Klassenkameraden. „Das sind Lukas, Tim und Florian. Und ich bin Simon. Aber meine Freunde nennen mich Simmi.“
Wie nebenbei registrierte Cosmin, dass Majas neuer Freund Florian hieß. Er nickte in die Runde.
„Ich bin Cosmin.“
Einer der drei anderen Jungen, ein blonder Lockenkopf und Cosmin vermutete, dass es Tim war, grinste Cosmin an und knuffte seinem Nachbarn Florian in die Rippen.
„Da hängen wir schon drei Monate hier zusammen 'rum und erst jetzt verrät er uns seinen Namen.“
Florian zwinkerte Cosmin zu. Falls er über Majas inzwischen verflogenes Interesse an Cosmin Bescheid wusste, ließ er es sich nicht anmerken.
Die ungezwungene Herzlichkeit dieser Jungen ihm gegenüber überraschte Cosmin und half, seine tiefe Trauer zumindest für den Moment zu lindern.
„Ihr habt mich nie danach gefragt“, erwiderte er Tims Grinsen.
Moritz ließ sich rechts neben Cosmin nieder.
„Cosmin, darf ich dich fragen, was du für einer bist? Ich hätte auf Roma getippt, aber deine Locken passen nicht so richtig…“
Cosmin bemerkte, dass auch die anderen Jungen die Ohren spitzten. „Ich bin nur zur Hälfte Zigeuner. Meine Mutter ist Deutsche, aber bei ihr hat auch ein Großvater aus Kenia oder Tansania mitgemischt. Vielleicht hat er mir die Locken vererbt. Wenn ihr so wollt, bin ich also eine Promenadenmischung.“
„Also wenn du mich fragst, bist du eine sehr hübsche Promenadenmischung“, kicherte Moritz.
„Hey, das habe ich gehört, Ritzi“, sagte Simon und versuchte vergeblich mit der Hand an Cosmins Schulter vorbei Moritz’ linkes Ohr zu erwischen.
Cosmin bemerkte, dass die blonden Strähnen in Simons ansonsten kurzen rostbraunen Haaren offenbar gar nicht gefärbt waren. Zu gerne hätte Cosmin gewusst, warum sich die beiden Freunde im September zwei Wochen so verhalten hatten, als wären sie sich noch nie begegnet.

Cosmins Blick wanderte gedankenverloren über den Pausenhof. Noch überzog Raureif die von Betonblöcken umrandeten Zypressen. Auf den Betonblöcken an einer der Zypressen hockten Chris, Anton, Cem und Richard, aber auch zwei Jungen aus der Parallelklasse, die sich im September an der Schlägerei mit Max beteiligt hatten.
Moritz schien Cosmins Blick zu folgen.
„Idioten!“, fauchte er. „Der neben Chris, der aussieht wie ein Walross auf zwei Beinen, hat jetzt einen schiefen Riecher. Den hat er deinem Freund Max zu verdanken.“
„Und seit dem ist seine große Klappe gar nicht mehr so groß“, erwiderte einer der anderen Jungen.
Simon stupste Cosmin sanft in die Seite. „Weißt du Cosmin, ich glaube, nach den Ferien werdet ihr bestimmt wieder zusammen hier sitzen.“
Cosmin schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat richtig Schluss gemacht“, flüsterte er.
„Aber wie…“ Simons Erwiderung ging im Schrillen der Schulklingel unter, die das Ende der Hofpause verkündete.
In der zweiten Hofpause gesellte sich Cosmin zu den Jungen der Parallelklasse und wieder nahmen ihn Moritz und Simon in ihre Mitte. Simon plante, am Abend im Bierzelt des Weihnachtsmarktes eine Runde zu schmeißen und er wollte Cosmin dabei haben. Cosmin zögerte, die Einladung anzunehmen. Irgendwann würde er sich für eine solche Einladung revanchieren und selber eine Runde schmeißen müssen. Eine solche Runde würde wahrscheinlich das Taschengeld für einen ganzen Monat verschlingen. Andererseits fühlte er, dass Simon und Moritz versuchten, seine Trauer zu lindern. Er hatte den gestrigen Abend auf seinem Sofa verbracht und gegen all die Erinnerungen ankämpfen müssen, die die Schraubzwinge um sein Herz immer fester zogen. Also entschloss er sich, wenigstens einen Teil dieses Abends lieber mit seinen neuen Freunden zu verbringen.

Nach der sechsten Unterrichtsstunde übernahm Cosmin von Michel das Reinigen der Tafel, um sich das Warten auf Frau Dr. Meyer zu verkürzen.
Sie betrat erst etwa zehn Minuten nach dem Ende der Deutschstunde mit einem Klassenbuch unter dem Arm den Raum. Inzwischen waren alle seine Mitschüler auf dem Nachhauseweg und er saß wie verloren an seiner Schulbank. Frau Dr. Meyer setzte sich ohne Umschweife auf Max’ Platz. Sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und ihre Augen schienen erneut Cosmins Stirn nach Antworten auf ihre Fragen zu durchsuchen.
„Cosmin, warum ist Max jetzt wieder in Berlin?“
Obwohl es eigentlich keine Überraschung mehr war, dass Max die Stadt verlassen hatte, traf ihn die Gewissheit in ihrer Frage wie ein Fausthieb. Er kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an, die sich in seinen Augen zu sammeln begannen.
„Sie haben mit Tante Lisa… also mit seiner Oma telefoniert?“, fragte er schwach und unterdrückte ein Schluchzen.
Sie nickte.
„Max fehlt seit zwei Tagen unentschuldigt und in einem solchen Fall will ich natürlich wissen, was los ist.“
Die Lehrerin seufzte tief, ihr Blick ruhte weiter auf Cosmin. „Er hat gestern das Haus morgens verlassen, so als würde er zur Schule gehen und am Nachmittag seine Oma aus Berlin angerufen und ihr gesagt, dass er an seine alte Schule zurückkehren wird. Du kannst dir sicher vorstellen, wie sich seine Großmutter gerade fühlt.“
Cosmin suchte vergeblich nach Worten. Genügte es nicht, dass er litt? Warum musste Max auch noch Oma Lisa vor den Kopf stoßen? Eine Träne kullerte über seine Wange. Frau Dr. Meyer fischte ein Papiertaschentuch aus ihrer Tasche. Allerdings reichte sie Cosmin nicht das Taschentuch, sondern wischte ihm damit die Träne von der Wange.
„Ihr beide wart zusammen, ich meine, nicht nur als gute Freunde, oder?“
Cosmin durchfuhr ein heißer Schrecken. Wusste es die bereits halbe Schule, was zwischen ihm und Max abgelaufen war?

Dabei haben wir hier nie Händchen gehalten oder uns gar geküsst.

„So ein bisschen… glaub ich“, erwiderte er ausweichend und senkte seinen Blick.
Er spürte plötzlich ihre Hand, die sanft seine Schulter tätschelte.
„Habt ihr euch gestritten? Vor zwei Tagen seid ihr ein Herz und eine Seele gewesen, kein Blatt Papier hätte zwischen euch gepasst. Und das ist von heute auf morgen vorbei? Könnt Ihr euch nicht wieder versöhnen?“
„Wir haben uns nicht gestritten.“
Cosmin schaute wieder auf und hielt ihrem fragenden Blick stand. „Maxi ist im Sommer aus Berlin geflüchtet, weil er seine Stiefmutter nicht erträgt und weil er dem verhassten Stiefbruder nie begegnen wollte.“
„Aber was hat das mit dir zu tun, Cosmin?“, fragte sie und plötzlich weiteten sich ihre Augen, Fassungslosigkeit breitete sich auf ihrem hübschen Gesicht aus.
Cosmin nickte. „Ja genau. Am Montag haben wir erfahren, dass ich dieser verhasste Stiefbruder bin.“
Frau Dr. Meyer schwieg einige Augenblicke, ihr Blick war auf einen Ort gerichtet, der offenbar Lichtjahre hinter der Tafel lag. Dann kehrte ihr Blick zu Cosmin zurück.
„Ich bin keine Psychologin, aber als Lehrerin erwirbt man etwas Menschenkenntnis. Max hasst dich nicht. Vielleicht dauert es ein paar Tage, ehe ihm klar ist, dass du immer noch derselbe Mensch bist.“
Sie erhob sich. „Max’ Fehltage habe ich nicht im Klassenbuch vermerkt. Ich weiß nicht, wie du es anstellen könntest. Aber ich hoffe, dass es dir gelingt, Max zurück zu holen.“
Wie soll ich das anstellen, wenn Maxi nicht mit mir redet? Ich weiß nicht einmal, wo genau er in Berlin ist, überlegte Cosmin, während er neben Frau Dr. Meyer durch verwaiste Schulflure trottete, bis sie sich am Lehrerzimmer von ihm verabschiedete.

Es war kurz vor 18 Uhr, als Cosmins Handy mit einem Vibrieren den Eingang einer WhatsApp - Nachricht signalisierte. Cosmin hatte am Nachmittag vergeblich versucht, am Schreibtisch in seinem Zimmer das nächste Kapitel in Oma Lisas Mathebuch für Ingenieure durchzuarbeiten. Die Buchstaben und Zahlen auf den Seiten schienen sich vor seinen Augen wie Puzzleteile zu Bildern zusammen zu fügen, die er lieber verdrängt hätte. Und so lag er wieder einmal auf seinem Sofa, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und fragte sich zum vielleicht einhundertsten Mal, was Max gerade machte.
Er hörte sein Herz hämmern, als er sich das Handy vom Nachttisch angelte. Insgeheim hoffte er, dass Max sich melden würde, aber die Nachricht war von Moritz.
„Wir sind jetzt am Rathaus. Kommst Du?“
Cosmin brauchte nicht lange nach einer Antwort suchen.
„Ich bin in 15 Minuten da.“
Bevor er die Wohnung verließ, warf er einen Blick ins Wohnzimmer. Sein Vater hatte mehrere Packen Wäsche auf seiner Couch ausgebreitet. Außerdem war die Couch übersät mit Kaffeepäckchen, Weihnachtsmännern aus Schokolade und Tüten mit Süßigkeiten. Cosmin kapierte nicht, warum sein Vater all dieses Zeug als Mitbringsel für die Verwandtschaft nach Rumänien schleppen musste, obwohl man es dort ebenfalls kaufen konnte.
„Tata, ich gehe für zwei Stunden auf den Weihnachtsmarkt.“
Sein Vater vergaß für einen Moment das Koffer packen. „Allein?“
„Ich treffe mich mit ein paar Jungs aus der Parallelklasse.“
„Du triffst dich…“ Die Augen seines Vaters leuchteten auf. Er kramte in seiner Brieftasche und zückte einen Zwanzig- Euro- Schein. „Gut, dass du mal raus gehst, Cosmine“, sagte er und drückte Cosmin den Schein in die Hand. „Mach dir einen schönen Abend. Ich brauche bestimmt auch noch zwei Stunden für das Koffer packen.“
Cosmin bedankte sich und schob den Geldschein in seine Hosentasche. Sein Vater hatte ihm zwar bereits gestern Hundert Euro zugesteckt, die waren allerdings dafür gedacht, dass er sich während der Ferien Lebensmittel kaufen konnte.

Der Weihnachtsmarkt bestand hauptsächlich aus ein paar Dutzend Holzhütten in der Fußgängerzone zwischen dem Rathaus und dem Einkaufszentrum, in denen entweder Gebrutzeltes und heiße Getränke oder von Hand gefertigte Mützen und Pullover angeboten wurden. Auf dem Marktplatz lockten einige Karussells mit fröhlich blinkenden Lichtern oder lauter Musik die kleineren Gäste. Ein etwa zehn bis fünfzehn Meter hoher und mit Lichterketten dekorierter Weihnachtsbaum überragte zwischen der Rathaustreppe und dem Bierzelt den Marktplatz. Anders als an den Adventswochenenden tummelten sich nur wenige Besucher auf dem Weihnachtsmarkt, was auch am Wetter liegen mochte. Der zarte Winterzauber vom Morgen war verschwunden. Stattdessen blies ein ruppiger Wind immer wieder Regentropfen in Cosmins Gesicht, als er am Rathaus vorbei zum Bierzelt eilte.
Im Bierzelt waren fast alle der runden Holztische besetzt. Die Jungen der Parallelklasse saßen zusammen mit zwei Mädchen an einem der hinteren Tische. Ein leiser Schreck durchfuhr Cosmin, denn eines der Mädchen war Maja. Die Jungen begrüßten Cosmin mit lautstarkem „Hallo“ oder Getrommel auf der Tischplatte, die Mädchen nickten ihm einen Gruß zu.
Cosmin wich Majas Blick aus. Vermutlich hielt sie ihn für einen schlechten Märchenerzähler. Moritz winkte Cosmin zu, deutete auf den leeren Platz neben sich und reichte ihm ein Glas Bier. Dann erhob er sich und prostete Simon zu, der komischerweise genau ihm gegenüber am Tisch saß.
„Lieber Simmi, seit heute bist du volljährig. Alles Gute zum Geburtstag. Ich wünsche dir… ähm was ich mir selber wünsche.“
Simon bedankte sich mit einem Lächeln. „Das will ich hoffen, Ritzi“, kicherte er und hob sein Glas. „Also dann Leute, auf die Volljährigkeit!“
„Auf die Volljährigkeit“, ertönte eine vielstimmige Erwiderung und jeder der Jungen nippte am Bier, während die beiden Mädchen Orangensaft auf Simons Wohl tranken.
„Wieso hast du mir nicht gesagt, dass Simon Geburtstag hat? Ich hätte ihm ein kleines Geschenk mitgebracht“, raunte Cosmin Moritz zu.
Wie es schien, hatte auch Simon die Frage gehört.
„Ganz einfach, Cosmin“, rief ihm Simon zu und grinste breit. „Das mit dem Geschenk kannst du am Sonnabend nachholen. Dann startet meine Geburtstagsparty und ich will, dass du auch kommst.“ Sein Grinsen verblasste plötzlich. „Ich wünschte, du würdest Max mitbringen.“
Ich auch, dachte Cosmin und ihm fiel auf, dass er keine Ahnung hatte, ob Max eine solche Einladung überhaupt angenommen hätte. Moritz stupste Cosmin sanft in die Rippen.
„Komm schon. Wenn du willst, fahren wir am Sonnabend zusammen zu Simmi.“
Cosmin nickte Simon zu. „Okay. Aber das mit Max können wir vergessen.“

Im Laufe der nächsten halben Stunde erfuhr Cosmin aus den Gesprächen, dass Maja und Florian schon einmal ein Pärchen gewesen waren. Das andere Mädchen war eine Schwarze mit Rastalocken, die ihn mit ihrer Frisur ein bisschen an Max’ Cousine Hazel erinnerten. Zwar erklärte ihm Moritz, dass sie zu Lukas gehöre. Allerdings entgingen Cosmin nicht die verstohlenen Blicke, die sie ihm zuwarf. Hin und wieder fing er auch Tims Blicke auf. Moritz spürte offensichtlich Cosmins Unbehagen und erzählte von den Anfängen seiner Freundschaft mit Simon.
Simon bestellte eine zweite Runde und tauschte seinen Platz mit Florian, um nun neben Moritz zu sitzen.
„Darf ich euch fragen, warum ihr im September… ihr wisst schon, eine Zeit lang nicht miteinander geredet habt?“, fragte Cosmin und musterte abwechselnd die beiden Freunde.
„Hm… eine blöde Geschichte.“, erwiderte Simon und zwinkerte Moritz zu. „Wer fängt an?“
„Du, Simmi. Du hattest damals auch mit dem Zoff angefangen“, grinste Moritz. Simon zuckte mit den Schultern. „Okay. Cosmin, wir brauchen dir nicht ja nicht zu erzählen, dass Max wahnsinnig gut aussieht. Es ist völlig egal, ob schwul oder nicht, ob Männchen oder Weibchen, diesem Kerl guckt glaub’ ich jeder hinterher. Als erster hat Ritzi bemerkt, dass Max in den Pausen immer zur selben Stelle hin guckte und dort immer denselben Typen anstarrte…“
Für einen Moment schien Cosmins Herzschlag auszusetzen. „Mich?“
„Jepp. Und ich fing auch an, dich anzugucken“, fuhr nun Moritz an Simons Stelle fort und flüsterte Cosmin ins Ohr: „Wie du schon hier am Tisch gemerkt hast, dir gucken auch Männchen und Weibchen hinterher. Ich hoffte, dass du Max’ Interesse bemerkst.“
„Hey Ritzi, ich will auch was hören“, murrte Simon.
„Ja, schon gut Simmi“, kicherte Moritz. „Ich war total happy, als du dich das erste Mal mit Max zu uns gesetzt hast. Wir wussten ja alle, dass sich Max für dich geschlagen hat…“
„… und elf Idioten fertig machte!“, warf Tim ein, der offensichtlich gelauscht hatte.
„Genau! Ich habe euch beide ein bisschen mit mit uns verglichen“, sagte Moritz und nickte Simon zu. „Simmi ist… naja, so ein bisschen mein Beschützer und…“, er beugte sich näher zu Cosmin und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich hoffte, dass du dich in Max verknallst.“
"Ich verstehe nicht, wieso ihr dann… "
„Ganz einfach, Cosmin!“, platzte Simon dazwischen. „Ich dachte, Ritzi ist scharf auf dich, weil er dich ständig angeguckt hat. Und eifersüchtig wie ich war habe ich so getan, als wäre ich auf Max scharf.“
Cosmin starrte die beiden Freunde ungläubig an. „Wegen uns hättet Ihr euch um ein Haar getrennt? Und ich weiß noch, wie traurig ich war, als Ihr nicht mehr miteinander geredet hattet. Und wie froh, als ich euch das erste Mal wieder zusammen sah.“
„Ja, Eifersucht ist echt Kacke“, stöhnte Moritz.
„Cosmin, was ist bei Euch passiert?“, fragte Simon.
Cosmin seufzte und warf aus den Augenwinkeln einen Blick auf Maja. Ebenso wie das andere Mädchen und wie Tim schien sie seiner Unterhaltung mit Moritz und Simon zu lauschen. „Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie euch, aber jetzt möchte ich lieber nicht…“
Moritz legte eine Hand auf Cosmins Arm. "Das ist okay, Cosmin.“
„Es hat nichts mit Eifersucht oder so zu tun, das hatten wir aber auch schon. Es ist erst knapp drei Wochen her“, erwiderte Cosmin leise
Moritz und Simon warfen sich wissende Blicke zu.
„Haben wir gemerkt… wir wussten nur nicht, auf wen von euch beiden Maja scharf war“, raunte Moritz Cosmin ins Ohr.
„Aber warum schwänzt er die Schule?“, fragte Simon.
„Er ist in Berlin und will zurück an seine alte Schule.“
Moritz fluchte leise.
„Der macht echt keine halben Sachen!“, schnaubte Simon.
Moritz wandte sich zu Simon um. „Ich glaube Simmi, wärst du nach Berlin abgehauen, ich hätte irgendwann versucht, dich zu finden.“
Du bist aber auch nicht Simons verhasster Stiefbruder!, dachte Cosmin und begann zu überlegen, wo er nach Max suchen würde.

Max

„Welli, ist das geil. Du bist erst siebzehn und hast hier schon deine eigene Bude. Keine Eltern, die einem auf den Sack gehen. Ich würde jeden Abend eine Alte anschleppen.“ Nicholas hievte seine Beine vom Couchtisch, griff nach der Whiskyflasche, um von neuem die drei Gläser auf dem Tisch zu befüllen.
Genau das habe ich vor, Nicki!, erwiderte Max in Gedanken. Ich werde hier ein Täubchen nach dem andern vögeln, bis mir das Hirn zu den Ohren raus quillt.
Noch immer fiel es ihm schwer zu glauben, dass ihm sein Vater ohne langes Zögern den Schlüssel für die frei gewordene Wohnung in seinem Haus überlassen hatte.
Er hatte es sich im Sessel bequem gemacht und schaute seinem alten Kumpel Nicholas beim Nachschenken zu. Wie es schien, hatte sich Nicholas offenbar schon ein paar Gläser zu viel eingeschenkt. Max wusste nicht, ob es am Alkohol lag oder ob die Zeit in Dessau seinen Verstand durcheinander gewirbelt hatte, aber irgendwie erinnerte ihn Nicholas plötzlich an die rattengesichtige Pfeife Richard in seiner Dessauer Klasse. Obwohl sie lediglich die etwas vorstehenden Vorderzähne gemeinsam hatten.
„Am geilsten ist, dass du zurück in unsere Klasse willst“, lallte Oskar, der im Sessel rechts von Max lümmelte. „Seit du weg bist, spielen sich Murat und Charly als Klassenchefs auf…“
… und ich wette, du kriechst ihnen in den Arsch, Anton!, ergänzte Max in Gedanken. Scheiße, irgendwann werden sie schnallen, dass ich weg bin und sich Cos-Mi krallen.
Max fluchte lautlos in sich hinein. Ich muss endlich aufhören, ständig an diesen Kerl zu denken!
Er griff nach seinem Whiskyglas, entschied sich dann aber für die Limoflasche. Der ungewohnt hochprozentige Alkohol hatte längst begonnen, seine Sinne zu vernebeln.
„Auf ex, Leute!“ Nicholas kippte sich den Inhalt seines Whiskyglases in den Hals. Oskar zog nach, Max hingegen nippte nur an der Limo.
Nicholas rülpste. „Erzähl mal Welli, wie waren die Weiber dort?“
„Bestimmt gibt’s da nur langweilige Provinzpüppchen“, antwortete Oskar an Max’ Stelle.
Max kämpfte inzwischen gegen Rausch und Müdigkeit zugleich. Leon würde morgen endlich aus Bratislava heimkehren. Max hatte sich stundenlang in Leons Fitnesskeller abgerackert, um seinen Kopf daran zu hindern, ihn ständig mit denselben Gedanken zu nerven.
Max kämpfte aber auch mit Erinnerungen, die ihm ständig neue Tränen in die Augen trieben. Er sank noch etwas tiefer in seinen Sessel.
"Was soll ich sagen, Leute?“, schluchzte er. „Ich müsste ihn hassen. Aber ich kann ihn nicht hassen. Statt ihn zu hassen, mache ich mir Sorgen um ihn. Bin ich bescheuert?“
Nicholas und Oskar starrten Max fassungslos an.
„Ihn…?“, fragten sie wie aus einem Mund…

Max begriff nicht, wieso er sich plötzlich in der Gasse wiederfand, durch die man vom Rathaus zum Plattenbauviertel gelangt.

Ich habe eben noch mit Oski und Nick Bierbüchsen und eine Flasche Whisky gekillt. Ich kann gar nicht hier sein.

Er sah mehrere Gestalten, lässig an der Wand des Rathauses gelehnt. Komischerweise war es jetzt Chris, der wie Charles aussah und es schien, als hätte sich Anton Murats Gesicht ausgeborgt. Die anderen beiden Typen waren Nicholas und Oskar.
„Ich will das nicht sehen!“, rief Max und versuchte sich zurück in seine neue Wohnung zu teleportieren. In diesem Moment erschien Cosmin in der Gasse.
„Scheiße! Hau ab, Cosmin!“, schrie er, doch in diesem Moment stürzten sich die vier Schläger auf Cosmin und begruben ihn unter sich.
Max sprang auf, um Cosmin raus zu hauen und fiel zurück in seinen Sessel.

Er blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und warf ein Blick auf sein Handy. Es war fast drei Uhr, er musste also mindestens fünf Stunden im Sessel geschlafen haben. Nicholas und Oskar hatten die Whiskyflasche geleert und sich anschließend davon gemacht. Eine halbvolle Tüte mit Kartoffelchips hatte die andere Hälfte ihres Inhalts über der Tischplatte verstreut, mehrere leere Bierbüchsen lagen unter oder neben dem Couchtisch auf dem Parkettfußboden herum.

Ich wohne erst seit einem Tag hier und die Bude sieht jetzt schon aus wie ein Schweinestall!

Max stöhnte leise, als er sich aus dem Sessel stemmte und Sterne wie lästige Moskitos um seinen Kopf tanzten.
Er schlurfte ins Schlafzimmer und ließ sich auf das Bett fallen, das beinahe so riesig war wie sein Bett in Leons Haus. Als er die Augen schloss, sah er wieder vier Schläger auf Cosmin eindreschen, dieses Mal aus seiner Dessauer Klasse.

Cos-Mi, ich habe dir gezeigt, wie du mit diesen Arschgesichtern fertig wirst! Ich muss dich endlich aus meinem Kopf rauskriegen, du bist der Sohn dieser Frau. Wenn die nicht gewesen wäre…

  1. Komm raus und rede mit mir!

Cosmin

Später an diesem Tag, dem Donnerstag vor den Ferien, schwänzte Cosmin zum ersten Mal in seinem Leben den Unterricht. Während alle anderen Schüler nach der vierten Stunde auf den Pausenhof strömten, schlich sich Cosmin an der Pausenaufsicht vorbei zur Eingangshalle der Schule und sprintete bis zum Marktplatz. Dort bestand keine Gefahr mehr, dass er einem der Lehrer über den Weg lief. Klatschnasse Nebelschwaden waberten an den zumeist zugesperrten Hütten und Fuhrgeschäften des Weihnachtsmarktes vorbei und ließen den weihnachtlichen Schmuck der Tanne vorm Rathaus grau und fast schon trostlos erscheinen.
Als er in die Gasse einbog, die vom Rathaus direkt ins Plattenbauviertel führte, empfing Cosmin eine Nachricht von Moritz.
„Wo steckst Du denn?“
Noch vor eine Stunde hätte es Cosmin für völlig ausgeschlossen gehalten, dass er den Unterricht schwänzen würde. Nun schwänzte er sogar die Leistungskontrolle in Physik. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was Frau Dr. Meyer dazu sagen würde. Hastig tippte Cosmin eine Antwort.
„Ich will nach Berlin fahren.“
Prompt trafen Moritz’ Antworten ein. „Cool“ und „Simmi und ich, wir drücken Dir die Daumen.“
Wie erwartet, hatte sein Vater die Wohnung bereits verlassen und saß wahrscheinlich schon im Zug nach Berlin, nicht ahnend, dass sein Schule schwänzender Sohn bald schon in dieselbe Richtung unterwegs sein würde. Vorher musste Cosmin freilich heraus finden, wo Max steckte.
Also holte er sein Fahrrad aus dem Keller und eine Viertelstunde später erreichte er eine prächtige zweigeschossige Villa. Cosmin verharrte an der Pforte, die durch den Vorgarten zur Eingangstür führte. Er schaute zu den unteren Rundbogenfenstern des dreistöckigen Turms. Vermutlich saß Oma Lisa dort an ihrem Arbeitsplatz und brütete über Steuerabrechnungen. Ob sie jetzt in ihm auch den Sohn jener Frau sah, wegen der ihre Tochter Berlin verlassen hatte und dabei tödlich verunglückt war?
Cosmin fasste sich ein Herz und schob sein Rad in den Fahrradständer an der Hauswand.
Noch ehe er die Eingangstür erreichte, schwang sie auf und Oma Lisa trat ins Freie. Sie war wie immer vornehm gekleidet und ihre aufgebauschte Frisur sah aus, als käme sie direkt vom Frisör. Doch dunkle Halbmonde unter den Augen verrieten ihren Kummer.
„Cosmin, müsstest du jetzt nicht in der Schule sein?“, rief sie erstaunt und zog Cosmin in den Hausflur.
„Naja, mein Vater fliegt heute nach Rumänien“, erwiderte er und ließ offen, weshalb er deshalb im Unterricht fehlen durfte.
Oma Lisa stellte eine Schale mit selbstgebackenen Lebkuchen und ein Glas Orangensaft auf den Wohnzimmertisch und setzte sich neben Cosmin auf die Couch.
„Cosmin, weißt du, was mit Max los ist? Er ist nach Berlin zurückgefahren, ohne vorher wenigstens mit mir zu reden.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Er hat es Ihnen nicht gesagt, warum er zurück gefahren ist?“, fragte Cosmin ungläubig.
„Nur, dass er eine eigene Wohnung in Berlin hat und er zurück an seine alte Schule möchte. Aber diese Wohnung gehört ihm doch nicht erst seit gestern“, schluchzte sie.
„Tante Lisa, es ist wegen mir“, sagte Cosmin leise.
„Wegen dir?“ Ihre Augen wanderten über Cosmins Gesicht, als würde dort die Antwort geschrieben stehen.
Cosmin nippte am Orangensaft, um seine trockene Kehle anzufeuchten und berichtete, wie Max am Montag Nachmittag erfahren hatte, dass sie Stiefbrüder waren. „Und jetzt hasst er mich. Er hat sogar meine Handynummer blockiert“, endete er seinen Bericht.
Oma Lisa setzte mehrfach an, etwas zu sagen, doch sie brachte kein Wort über ihre Lippen.
„Jetzt hassen Sie mich auch?“
„Du meine Güte nein, natürlich nicht. Es ist nur… das alles ist so… mir fehlen einfach nur die Worte“, brach es aus ihr heraus und ihre Hand streichelte Cosmins Wange. Sie erhob sich. „Ich möchte dir was zeigen.“
Zu Cosmins Erstaunen führte sie ihn auf den Dachboden und verharrte an Max’ Boxsäcken.
„Cosmin, fällt dir was auf?“
Cosmin betrachtete die Boxsäcke und plötzlich stockte ihm der Atem. An jedem der Boxsäcke waren die Strichgesichter des verhassten Stiefbruders so übermalt, dass sie nun wie ein sinnloses Durcheinander aus Strichen, Kringeln und Punkten anmuteten.
„Ich glaube, bei seinem letzten Training am Montag wollte er dem Stiefbruder nicht einmal mehr in seiner Fantasie ins Gesicht boxen oder treten“, seufzte Max’ Großmutter. „Glaubst du immer noch, dass er dich hasst?“
Cosmin versuchte sich vorzustellen, was in Max’ Kopf vorgegangen war, als er die Gesichter auf den Boxsäcken übermalt hatte.
„Nein… Aber warum will er nicht mehr mit mir reden?“, ergänzte er mehr zu sich selbst.

„Tante Lisa, ich will nachher nach Berlin fahren“, sagte Cosmin, als sie sich im Wohnzimmer wieder auf die Couch setzten.
Max’ Großmutter nickte und ein Funken der Hoffnung blitzte in ihren Augen auf. „Ich werde dich nach Berlin fahren. Du triffst Max wahrscheinlich in seiner Wohnung an.“
Cosmin schüttelte verneinend den Kopf. „Tante Lisa, ich fahre mit dem Zug. Ich möchte nicht, dass es aussieht, als hätten Sie mich geschickt. Ich brauche nur seine Adresse.“
„Ich glaube, du hast Recht. Bitte warte einen Moment.“ Sie stand von der Couch auf und verließ das Wohnzimmer über die Treppe ins Obergeschoss.
Nach einer Weile kehrte sie zurück und reichte Cosmin ein Handy. „Das benutze ich nicht mehr. Es sind noch etwa zwanzig Euro auf der Karte. Max kennt die Nummer nicht.“
Cosmin nickte dankbar. Zumindest hatte er so eine Chance, Max anzurufen.
Sie drückte Cosmin einen Fünfzig Euro Schein in die Hand. Augenblicklich versteifte sich Cosmin. „Das ist nicht nötig, Tante Lisa. Mein Vater hat mir Geld für Essen und so da gelassen.“
Sie nickte. „Cosmin, vielleicht benötigst du ein Taxi oder es passiert etwas, womit du nicht rechnest. Bitte nimm das Geld, es würde mich etwas beruhigen.“
„Okay, ich verstehe.“ Cosmin steckte den Schein ein und erhob sich. „Danke Tante Lisa.“
Sie drückte Cosmin kurz an sich. „Ich danke dir. Bitte bringe mir Max zurück.“

Nach einer etwa zweistündigen Zugfahrt, einer einstündigen Irrfahrt mit der S- Bahn durch Berlin und einem halbstündigen Fußweg im bunten Gewimmel auf Berlins Straßen erreichte Cosmin in einer ruhigen Seitenstraße ein schmiedeeisernes Tor. Dahinter führte eine breite Zufahrt durch eine Parkanlage zu einer vierstöckigen Villa mit einem Vorbau aus verglasten Wintergärten und je einem Erker zu beiden Seiten des Vorbaus.
Cosmin starrte aus weit aufgerissenen Augen durch die Gitterstäbe des Tores und fühlte, dass ihm das Herz in die Hose zu rutschen drohte.

Das alles hier gehörte Max? Haben wir überhaupt eine Chance? Wir sind aus völlig verschiedenen Welten.

Er verglich sicherheitshalber die Adresse, die ihm Max’ Oma gegeben hatte, mit der Adresse auf dem Schild am Tor und begann die Auflistung der Nutzer auf dem Schild zu studieren.
Neben einer Makleragentur, einer Rechtsanwaltskanzlei, einem Notarbüro und einem Zahnarzt gab es im Haus auch vier Wohnungen. Eines der Felder für die Namen der Bewohner war mit einem Zettel überklebt und darauf hatte der neue Bewohner kurz und bündig seinen Namen gekritzelt: „MAX“.
Cosmin fuhr mit dem Finger über den Zettel. „Ich habe dich gefunden, Maxi“, raunte er dem Zettel zu und drückte die zugehörige Taste der Gegensprechanlage. Mit angehaltenem Atem wartete er auf eine Antwort, doch der Lautsprecher blieb stumm. Cosmin versuchte es erneut, bis ein BMW mit der Aufschrift „Golle Immobilien“ von der Straße ans Tor heranfuhr. Die Torflügel schwangen auf. Cosmin bemerkte, dass ihn der Fahrer, ein nahezu glatzköpfiger Mann mit Doppelkinn, misstrauisch beäugte, bevor er das Grundstück befuhr. Dann schloss sich das Tor.
Cosmin verzichtete auf einen neuen Versuch. Max war offensichtlich nicht hier. Was, wenn er heute nicht zurückkehrte? Inzwischen war es fast 16 Uhr. In einer halben Stunde würde es dunkel werden. Zudem hatte ein feiner Sprühregen eingesetzt.
Cosmin wählte Oma Lisas Nummer auf seinem Handy.
Sie antwortete augenblicklich. „Wo bist du, Cosmin?“
„Ich stehe vor Max’ Haus. Aber er ist nicht hier. Können Sie vielleicht raus finden, wo er ist?“
Sie stöhnte leise. „Das hätte ich doch längst machen können. Ich rufe dich zurück.“
Allerdings dauerte es fast eine halbe Stunde, ehe sie sich wieder meldete. Inzwischen war Cosmin die Straße mehrmals auf- und abgelaufen, um sich halbwegs warm zu halten. Noch hielt ihn seine Winterjacke trocken, aber was, wenn der Nieselregen anhielt?
Endlich klingelte Oma Lisas Hand in seiner Jackentasche. „Cosmin, er ist bei seinem Onkel Leon.“

Auch das noch!

Cosmins Herz sank noch tiefer. „Haben Sie seine Adresse?“
„Ich schreibe sie dir als SMS. Ist alles in Ordung mit dir? Bei uns hat es angefangen zu schneien.“
„Hier regnet’s ein bisschen. Aber ich bin okay Tante Lisa.“
„Nimm ein Taxi, wenn dir kalt ist.“
„Mach’ ich.“
Oma Lisa sandte ihm Leons Adresse und sein Handy berechnete eine Dauer von einer Stunde für den Weg zu Fuß.
Cosmin vermutete, dass ihm ein Taxifahrer mindestens zwanzig Euro für die fünf Kilometer abknöpfen würde und begann den Fußmarsch.
Tatsächlich benötigte er fast anderthalb Stunden, ehe er die Villensiedlung erreichte und in die Nebenstraße einbog, in der sich Leons Haus befand. Inzwischen fühlte sich seine Jacke klamm an und in den Straßenlampen sah er, dass sich immer mehr Schneeflocken in den Sprühregen mischten.
Eine hüfthohe Mauer aus Natursteinen trennte Leons Vorgarten vom Gehweg. Eine Straßenlampe beleuchtete den Eingangsbereich.
Cosmin lehnte sich gegen die Mauer und fischte Oma Lisas Handy aus seiner Hosentasche. Im Lichtkegel der Straßenlampe sah er, dass die Schneeflocken um ihn herum wilde Tänze aufführten. Er rieb sich die Finger warm und wählte dann Max’ Nummer.
Nach fünf Rufzeichen tönte Max’ Stimme aus dem Handy. " Wer iss’n das?"
Cosmin atmete tief durch und hörte sein Herz gegen den Brustkorb hämmern.
„Ich! Ich will, dass du raus kommst und mit mir redest.“
Es dauerte eine Weile, ehe Max seine Sprache wieder fand. „Wo bist du?“
„Hier.“

Max

Obwohl Leon erst am Nachmittag aus Bratislava nach Hause zurückgekehrt war, hatte er sich fast zwei Stunden Zeit für ein gemeinsames Training mit Max genommen. In den Trainingspausen hatte Max von seiner Flucht aus Dessau berichtet. Noch immer war Max erstaunt über seinen Vater. Nicht nur darüber, dass er sich über Max’ Wunsch, an seine alte Schule zurückzukehren, gefreut hatte. Auch darüber, dass sein Vater es ihm ohne zu zögern gestattet hatte, in die leerstehende Wohnung seines Hauses einzuziehen.
Max hatte es sich im Wohnzimmer mit einer Flasche Mineralwasser auf Leons Couch bequem gemacht. Durch die Glaswand zum Garten sah er den künstlichen Kletterfelsen in allen Farben des Regenbogens funkeln.

Schade, dass er sich nicht auch beheizen lässt.

Leon kehrte in einem Trainingsanzug vom Duschen zurück und öffnete in der Küchenzeile hinter dem Marmortresen einen Schrank. „Willst du auch ein Bier, Champ?“
Max winkte ab. Er war am Morgen mit einem ausgewachsenen Kater aufgewacht. „Ich muss nachher noch nach Hause kutschen.“
„Unsinn! Draußen schifft’s. Du pennst hier.“
Leon ließ sich mit einer Flasche Bier in der Hand neben Max auf die Couch fallen.
„Hab ich das richtig verstanden, dieser ‚Freund‘, den ich damals an deiner Schule gesehen habe, das ist dein Stiefbruder?“
„Ja, das ist alles so was von dumm gelaufen!“, seufze Max. „Meine Mam hat also den Sohn ihrer Nachfolgerin gemalt, bevor sie…“
„Hey, schon gut.“ Leon legte einen Arm um Max’ Schulter. „Erzähl mir lieber, wie das jetzt mit deiner Kleinen laufen soll, wenn du wieder hier in Berlin bist.“
Max runzelte die Stirn. „Welche Kleine?“
„Na, dieses süße Mädel. Julia hieß sie, oder?“
Ein leiser Schreck durchzuckte Max. Diese Freundin hatte er in seiner Erzählung völlig vergessen. „Äh ja, wir haben Schluss gemacht.“
„Was? Und ich dachte, du…“
Max’ Handy fuhr Leon mit einem Klingelton ins Wort und ersparte es Max für den Moment, sich eine weitere Geschichte über seine nunmehr verflossene Beziehung mit Julia auszudenken.
Das Display zeigte eine unbekannte Nummer an. „Wer iss’n das?“, schnauzte er ins Telefon.
„Ich! Ich will, dass du rauskommst und mit mir redest!“ Max traute seinen Ohren nicht. Der Klang dieser Stimme schnürte ihm die Kehle zu und peitschte einen neuerlichen Tornado aus Erinnerungen durch sein Hirn. Max wischte die Erinnerungen beiseite.

Was meint Cosmin mit rauskommen?

Stand der jetzt vor Oma Lisas Haus? „Wo bist du?“
„Hier.“

Hier?

Plötzlich beschlich Max ein völlig absurd anmutender Verdacht.

Meint er mit „hier“ etwa „hier“?

Er beendete das Gespräch. Leon sah ihn fragend an.
„Ich muss mal kurz hoch auf mein Zimmer“, sagte Max und sauste zur Treppe, die ins Dachgeschoss führte. Vom Panoramafenster seines unbeleuchteten Zimmers aus blickte er hinunter zum Gehweg vor dem Haus und für ein paar Augenblicke schien nicht nur sein Herzschlag auszusetzen. Im Licht der Straßenlampe stand Cosmin mitten in einem Schneegestöber und sein Blick strich über die Fenster des Hauses. Max trat etwas vom Fenster zurück, aber ohne Cosmin aus den Augen zu lassen. Sogar von hier aus konnte er sehen, was für ein süßes Gesicht unter der Kapuze steckte.
Max wählte die Nummer, mit der Cosmin angerufen hatte und tippte eine SMS:
„Bist du irre? Willst du da draußen erfrieren?“
Er sah, dass Cosmin die Nachricht auf dem Handy las und anschließend etwas eintippte.
„Wen juckts?“
Max stöhnte leise.

Mich!

„Sag jetzt nicht, dass das dieser Zigeuner ist!“, ertönte Leons Stimme hinter seinem Rücken.
Max fuhr erschrocken herum. „Ich weiß nicht, wie er hier hergekommen ist.“
„Der Kerl tickt doch nicht richtig!“, brauste Leon auf. „Ich werde die Bullen anrufen, dann können die ihn…“
„Nein!“, platzte Max dazwischen. „Cos-Mi tut doch niemandem was.“
„Cos…mi, hm? Maxi, der Kerl ist der Stiefbruder, dem du die Fresse eintreten wolltest. Und wenn du mich fragst, schwul ist der auch!“, schnaubte Leon, sein Blick glitt zwischen Max und der einsamen Gestalt unter der Straßenlampe hin und her.
„Ich wusste ja nicht, dass Cosmin mein Stiefbruder ist“, erwiderte Max schwach.
„Oh Mann! Hör dir mal selber zu, Max“, fuhr ihn Leon an. " Man könnte denken, dieser Bengel hat dich längst 'rum gekriegt. Komm jetzt, wir wollten uns was zum Abendbrot bestellen! Wenn es so weiter schneit, wird der von sich aus verschwinden."
Leon wollte Max mit sich vom Fenster wegziehen, doch Max befreite seinen Arm. „Ich schreibe ihm, dass er verschwinden soll.“
Leon fluchte leise und stürmte aus dem Zimmer.
Max schrieb: „Cosmin, hau ab von hier. Ich bestelle ein Taxi, das dich zum Bahnhof bringt und bezahle es für dich. Leon ruft sonst die Polizei.“
Er sah, dass Cosmin die Nachricht las. Erneut suchte Cosmin die Fenster ab und blinzelte sich dabei Schneeflocken aus den Augen. Dann klopfte er sich Schnee von der Jacke und streifte kurz die Kapuze vom Kopf, um auch sie von ihrer Schneehaube zu befreien. Anschließend pustete er sich auf die entblößten Finger und tippte eine Nachricht ins Handy.

Scheiße, ich kann Cos-Mi nicht da draußen stehen lassen!

Aber Leon würde Cosmin auf keinen Fall ins Haus lassen.
Das Handy meldete sich mit einer neuen Nachricht und Max sah, dass Cosmin inmitten eines Wirbels aus Schneeflocken zu ihm hinauf schaute.

Verdammt! Er hat mich entdeckt.

Max wich noch einen halben Schritt zurück und las Cosmins Nachricht.
„Von mir aus soll er die Polizei rufen. Es ist nicht verboten, hier draußen auf dich zu warten. Maxi, komm endlich raus und rede mit mir.“
Max ließ sich auf einen der beiden Sessel sinken.
„Max, jetzt höre auf, diesen Kerl anzuglotzen und komm endlich runter“, ertönte Leons Stimme aus dem Erdgeschoss.
„Bin gleich da!“, rief Max zurück und wählte eine Nummer, die er zuvor noch nie angerufen hatte.
Eine Frauenstimme meldete sich. „Maximilian?“
Ohne Vorrede kam Max zur Sache: „Ich will, dass du mir einen Gefallen tust.“

Zwei Minuten später warf Max einen letzten Blick auf Cosmin, der nun wieder einsam und verlassen an der Gartenmauer lehnte und schlurfte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Eine Weile saßen Max und Leon schweigend nebeneinander auf der Couch. Max hoffte auf eine neue Nachricht von Cosmin, aber sein Handy blieb stumm.

Ich muss total bescheuert gewesen sein, Cosmin auf meinem Handy zu blockieren.

Wäre er jetzt in seiner Wohnung, hätte er Cosmin längst aus diesem Schneetreiben ins Warme geholt und in seine Arme genommen, um ihm die Knochen zu wärmen.
Leon nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche.
„Eigentlich wollte ich dir erzählen, wie es für unsere Firma in Bratislava läuft, für die du ja auch mal arbeiten sollst. Aber ich habe das Gefühl, dass dich im Moment nur der Bengel deiner Stiefmutter interessiert.“
„Dieser Bengel macht seit drei Monaten jeden Tag zwei Stunden Nachhilfe mit mir, ist in Dessau mein Sparringspartner und kommt einmal in der Woche mit in die Kletterhalle“, erwiderte Max verärgert.
Leon musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Könnte es sein, dass wegen dem auch mit deiner Freundin Schluss ist?“
„Quatsch!“, brauste Max auf, erschrak aber insgeheim, dass Leon gar nicht so weit daneben lag.
„Okay, Schluss damit“, seufzte Leon. „Pass einfach auf, dass der dich nicht um seinen Finger wickelt.“
Max nickte schwach. Er wollte keinen Zoff mit mit Leon. „Vielleicht rufe ich ihm ein Taxi“, sagte er und tippte nur ein Wort in sein Handy.
„Cosmi?“
Er hatte erwartet, dass Cosmin sofort antworten würde, doch Max’ Handy blieb weiterhin stumm. Konnte es sein, dass Cosmin aufgegeben hatte?
„Ich schaue mal, ob er noch hier ist“, sagte Max und sprintete die Treppe hinauf in sein Zimmer, ohne auf Leons Erwiderung zu hören.
Er erreichte das Fenster und im selben Moment gefror ihm das Blut in den Adern. Von tanzenden Schneeflocken umschwärmt krümmte sich Cosmin zitternd auf dem verschneiten Gehweg, ein Mann hatte sich über ihn gebeugt und versuchte Cosmins Kopf anzuheben. Cosmins Winterjacke war blutverschmiert.
„Oh Scheiße!“ Max stürmte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.
„Draußen ist was mit Cosmin passiert!“, rief er Leon zu, schnappte sich im Hausflur seine Jacke, schlüpfte hastig in seine Schuhe und stürzte ins Freie.
„Cos-Mi!“ Max drängte den Mann beiseite. „Cos-Mi. Was ist passiert?“, rief Max und nahm Cosmin in seine Arme.
Cosmin zitterte wie unter Stromstößen. Er blickte mit verschleiertem Blick auf.
„Maxi?“
„Scheiße Cos-Mi, du blutest!“
Max schob Cosmins völlig durchnässte Jacke nach oben. Auch sein Shirt war blutverschmiert und Max bemerkte auf der rechten Seite eine klaffende Wunde unterhalb der Brust. Er bettete Cosmins Kopf auf seinen Schoß, zerrte sich seine Jacke von den Schultern und versuchte, Cosmins durchnässte Jacke von dessen Armen zu streifen. Der Mann schien zu bemerken, was Max vor hatte und half, Cosmin die nasse Jacke auszuziehen und ihm Max’ Jacke überzustreifen.
Max zerfetzte das Unterhemd unter seinem Shirt und presste mit einer Hand den Stofffetzen auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Mit der anderen hielt er Cosmins Kopf.
„Maxi… Haben… Tante Lisas… Handy geklaut“, brabbelte Cosmin.
„Scheiß auf das Handy, wir müssen einen Notarzt anrufen!“
„Ich habe den Rettungsdienst und die Polizei bereits verständigt“, sagte der Mann. „Ich wohne hier und bin dazu gekommen, als zwei Kerle auf den Jungen losgingen, sie wollten wohl sein Geld und das Handy. Einen der beiden hat er nieder geschlagen, aber der andere hatte ein Messer. Den ersten Stich konnte er abwehren, aber der zweite Stich hat ihn getroffen. Ich habe um Hilfe gerufen, da sind die weggerannt.“
„Du hast echt einen dieser Drecksäcke nieder gestreckt, Cos-Mi?“
„Du… mir… gezeigt…“
Inzwischen umringten mehrere Anwohner Max und Cosmin und redeten aufgeregt durcheinander.
Auch Leon gesellte sich zu ihnen. Er legte eine Decke um Max’ Schulter und mit einer weiteren hüllte er Cosmin ein. Dann unterhielt er sich leise mit dem Mann, der Cosmin zu Hilfe geeilt und offenbar sein Nachbar war.

Ein Mercedes brauste heran und stoppte auf der anderen Straßenseite. Eine in elegantem Pelzmantel gekleidete Frau stieg aus dem Auto und stöckelte über die Straße. „Maximilian, wo ist…“

Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. „Oh Gott, Cosmin, mein Junge, was ist denn mit dir passiert?“ Sie hockte sich neben Max und streichelte Cosmins Wange. Max entging nicht, dass Cosmin zu schwach war, um sich dagegen zu wehren.
„Maximilian, was ist mit Cosmin passiert?“
Max erwiderte den Blick seiner Stiefmutter und zum ersten Mal betrachtete er ihr Gesicht genauer.

Es hätte mir auffallen müssen! Cos-Mi hat ihre Lippen, ihre Nase, verdammt, er hat ihr Gesicht!

Max erzählte ihr, was er von Leons Nachbarn erfahren hatte und endlich hörte er den Heulton des Rettungswagens.
Seine Stiefmutter strich Cosmin die Haarsträhnen aus der Stirn. „Mein Gott, der Junge hat bestimmt mehr als 40 Grad Fieber. Die sollen sich beeilen.“
„Maxi?“
Max spürte, dass Cosmin versuchte, sich an ihn zu krallen. Cosmin fragte etwas, doch inzwischen war der Heulton des Rettungswagen so laut, dass Max kein Wort verstand. Aber er las die Frage in Cosmins Gesicht.
„Ich versprech’s dir, Cos-Mi.“, flüsterte er ihm ins Ohr. Ein schwaches Lächeln huschte über Cosmins Gesicht, dann schlossen sich seine Augen.

  1. Krankenbesuch

Max

Gleich nach dem Rettungswagen traf auch die Polizei ein. Der Notarzt untersuchte kurz Cosmins Wunde, überprüfte seinen Puls, schaute unter den geschlossenen Lidern nach, während ein Assistent ein Fieberthermometer unter Cosmins Zunge hielt und ein zweiter damit begann, Cosmin in Decken zu hüllen und ihn dabei auf der Liege festschnallte.
Max wartete ebenso ungeduldig wie seine Stiefmutter auf die Einschätzung des Arztes. Nach etwa fünf Minuten wandte sich der Arzt an Max’ Stiefmutter.
„Sie sind die Mutter des Patienten?“
Sie nickte und Max bemerkte, dass ihr Tränen über die Wangen flossen.
„Das Messer hat keine Organe und auch keine größeren Blutgefäße verletzt. Allerdings hat Ihr Sohn hohes Fieber, steht eventuell unter Schock und muss umgehend intensivmedizinisch betreut werden. Wir bringen ihn in die Klinik Westend. Ich denke, morgen Nachmittag können Sie ihn sehen. Die Station erfahren Sie in der Anmeldung.“
Inzwischen hatten die Sanitäter die Liege mit Cosmin in den Rettungswagen bugsiert und kaum hatte der Arzt die Hecktüren hinter sich geschlossen, raste der Wagen mit eingeschalteter Sirene davon.
Max schaute dem Rettungswagen hinterher, bis er in eine andere Straße einbog.

Cos-Mi, warum bin ich Idiot nicht gleich raus gekommen, als du mit mir reden wolltest?

Zwei Polizisten befragten Leons Nachbarn nach den beiden Tätern. Der Mann beschrieb Aussehen und Kleidung der Kerle. Doch statt endlich nach ihnen zu suchen, kritzelte der eine was in ein Notizheft und der andere schoss Fotos von der Stelle, wo Cosmin auf dem Gehweg gelegen hatte.
Max knirschte mit den Zähnen und fühlte eine unbändige Wut durch seine Adern branden. Er wählte auf seinem Handy die Nummer, mit der ihn Cosmin angerufen hatte. Doch er hörte nur ein Rauschen. Also hatten die Kerle die SIM- Karte aus dem Handy entfernt.
Max fuhr zu Leon herum.
„Gib mir was zum Anziehen, ich werde diese Schweine suchen!“
„Die sind doch längst über alle Berge“, widersprach Leon, schien allerdings zu bemerken, dass Max zum Racheengel mutierte. „Und wenn ich die ganze Nacht nach ihnen suche, ich werde sie finden und all ihre beschissenen Knochen brechen.“

Als sich Max kurz darauf auf sein Rad schwang, um den im frischen Schnee noch sichtbaren Fußspuren auf dem Gehweg zu folgen, packte Leon seinen Arm.
„Maxi! Mach keinen Scheiß, wenn du sie erwischt. Ich will dich morgen nicht im Knast besuchen, klar?“
Max warf einen Blick über die Schulter. Die Polizisten befragten gerade seine Stiefmutter.
„So wie die Bullen hier arbeiten, werden die nie raus finden, wer die beiden Schweine erledigt hat“, knurrte Max und sauste los. Doch als er die Stelle erreichte, wo die Nebenstraße in ein belebtere Hauptstraße mündete, verliefen sich die Fußspuren in einem Gewirr aus anderen Spuren. Max fluchte leise und bog nach rechts ab. Er sah nur wenige Fußgänger, obwohl kaum noch Schneeflocken zu Boden rieselten. Auf keinen der Leute traf auch nur annähernd die Beschreibung zu, die Leons Nachbar der Polizei gegeben hatte.
Bald schon blieb ihm nichts weiter übrig, als auf den Zufall zu hoffen. Kurz vorm S-Bahnhof Pichelsberg klingelte sein Handy und er sah auf dem Display, dass seine Großmutter anrief.
„Omi?“
„Max, hast du mit Cosmin geredet? Er sucht dich.“
"Ich… er ist jetzt im Krankenhaus“, sagte er und schilderte kurz den Überfall auf Cosmin. „Ich suche jetzt auch. Diese Schweine, die ihm das angetan haben“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Oh Gott, ich hatte so eine Ahnung, weil ich ihn nicht mehr erreichen kann.“
„Omi, ich ruf morgen an. Ich hab’s Cosmin versprochen. Ich komme wieder zurück nach Dessau. Und jetzt suche ich weiter.“
Max beendete das Gespräch und folgte einer mit Lichterketten dekorierten und mit unzähligen Fußgängern bevölkerten Allee.
Erst nach weiteren zwei Stunden vergeblicher Suche sah Max ein, dass es leichter war, eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen als diese zwei Kerle im Westen Berlins. Er schrieb Leon eine Nachricht, dass er die Suche aufgab und die Nacht in der eigenen Wohnung verbringen würde.

Obwohl der Rettungsarzt seiner Stiefmutter gesagt hatte, dass sie Cosmin erst am Nachmittag sehen könne, schwang sich Max bereits kurz nach 10 Uhr auf sein Rad, um zur Klinik Westend aufzubrechen. Von den Linden, die die Zufahrt zu seinem Haus säumten, platschte nasser Schnee auf den mit Matsch bedeckten Asphalt. Es schien, als könne sich das Wetter nicht zwischen Herbst, Winter oder Vorfrühling entscheiden. An diesem Vormittag jedenfalls strahlte die Dezembersonne von einem azurblauen Himmel und ein laues Lüftchen umwehte Max’ Gesicht, während er zur Klinik radelte.
Das Klinikgelände bestand aus mehreren rostfarbenen Backsteingebäuden. Auf einigen von ihnen thronten Türmchen, die ihre spitzen Dächer in den Himmel reckten. Max kannte sich auf dem Gelände halbwegs aus, hier war er zur Welt gekommen, hatte eine Blinddarmoperation überstanden und hier war er vor fünf Jahren nach einem Wettkampf mit einer Gehirnerschütterung gelandet.
Am Informationsschalter des Hauptgebäudes erfuhr Max, dass man Cosmin in die Unfallchirurgie verlegt hatte.
Der Zugang zur Station war durch eine verglaste Flügeltür versperrt und im dahinterliegenden Flur sah Max auf Liegen oder in Rollstühlen Leute mit vergipsten Armen, Beinen oder so in Binden gewickelt, dass sie an altägyptische Mumien erinnerten.
Er drückte die Klingel für Besucher und eine etwa zwanzigjährige Stationsschwester führte ihn kurz darauf zu einer Zimmertür mit verglastem Oberteil.
Sie spähte durch das Glasfenster ins Zimmer und Max streckte sich, um über ihre Schulter einen Blick zu erhaschen.
Cosmin lag in einem der beiden Betten auf der unverletzten Seite, er steckte bis zum Hals unter der Bettdecke, schwarze Strähnen hingen ihm wie ein Vorhang über dem Gesicht. Das zweite Bett war unbenutzt.
Die Schwester wandte sich zu ihm um. „Bist du mit ihm befreundet?“
Max löste seinen Blick von Cosmins Gesicht. „Nicht nur. Er ist auch mein… Stiefbruder.“
„Interessant“, erwiderte sie und schien an weiteren Details interessiert zu sein.
„Darf ich?“ Max deutete auf die Türklinke.
Die Schwester schaute auf ihre Uhr. „Er schläft seit vierzehn Stunden und sollte eigentlich langsam aufwachen. Aber wenn er nicht von allein wach wird, versuche bitte trotzdem nicht, ihn zu wecken, okay?“
„Okay, danke.“
Wieselflink huschte Max ins Zimmer, schnappte sich einen der beiden Stühle von einem Tisch und setzte sich rittlings an das Kopfende von Cosmins Bett. Sanft strich er ihm die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Cosmins Stirn fühlte sich noch warm an, aber sie glühte nicht mehr wie am Vorabend.
„Cos-Mi, ich wollte dich beschützen und … es tut mir so Leid“, flüsterte er. "Ich habe immer gedacht, mein Stiefbruder hat eine Hackfresse und Schweißfüße, schiefe Zähne, stinkt aus dem Maul… "
Max sah, dass sich etwas unter Cosmins Bettdecke regte, eine Hand kroch darunter hervor, gefolgt von einem dunkelbraunen Unterarm.
Leise wie das Rascheln eines Blattes im Wind wehte eine Frage an Max Ohr.
„Und…?“
Max ergriff vorsichtig die Hand, während sich Cosmins Augen im Zeitlupentempo öffneten.
„Wie man sieht, hatte ich Recht.“
Cosmin bewegte leicht den Kopf, seine milchigen Augen blickten suchend in Max’ Richtung.
„Durst“
„Sekunde!“ Max sprang auf und huschte zum Tisch unterhalb des Zimmerfensters. Auf einem Plastiktablett stand eine Flasche Wasser und ein Glas. Er kehrte mit einem halbvollen Glas zum Bett zurück und hob Cosmins Kopf an.
„Mund auf!“, sagte er und ließ mehrmals ein dünnes Rinnsal in Cosmins Mund fließen.
Endlich fanden Cosmins Augen Max’ Gesicht und allmählich schien sich auch sein Blick zu klären.
„Maxi, ich habe dich gefunden.“
Max warf hastig einen Blick über die Schulter, dann beugte er sich zu Cosmin hinunter und hauchte einen Kuss auf Cosmins Mundwinkel.
„Stiefbruderherz, du riechst wirklich aus dem Mund“, grinste er und griff erneut nach Cosmins Hand. „Hast du noch Durst?“
„Ich muss auf’s Klo!“
„Kannst du denn aufstehen?“, fragte Max und half mit einer Hand Cosmins Oberkörper aufzurichten. Die Decke fiel zurück und Max sah, dass Cosmin in einer Art Nachthemd mit einem Klettverschluss auf der Rückseite steckte. Cosmin starrte an sich herunter. „Wie zieht man sich denn so was an oder aus?“
„Man fragt seinen Stiefbruder“, kicherte Max. Er öffnete den oberen Teil des Verschlusses und sah, dass Cosmins Oberkörper von der Taille bis zum Brustkorb bandagiert war. „Tut es noch weh?“
„Es piekt etwas“, erwiderte Cosmin. „Maxi, ich muss wirklich auf’s Klo.“
„Ich helfe dir.“ Max schloss den Klettverschluss, zog Cosmins Beine vom Bett und legte sich Cosmins Arm um die Schulter.
„Was ist, wenn ich kacken muss?“
„Was soll sein?“, schnaubte Max und wankte zusammen mit Cosmin zur Badtür. „Notfalls wische ich dir den Hintern ab.“
„Das ist eklig“, kicherte Cosmin. „Aber ich muss pinkeln und ich schüttle mir selber den letzten Tropfen von meinem Zigeunerschwänzchen.“
Während sich Cosmin erleichterte, wachte Max an der Badtür und half ihm anschließend wieder zurück ins Bett.
Cosmin verkroch sich unter der Bettdecke, Max ergriff die Hand, die wie zufällig unter der Decke hervor lugte.
„Maxi?“
„Hm?“
„Wärst du auch raus gekommen, wenn das mit dem Messer nicht passiert wäre?“, fragte Cosmin leise.
Max seufzte und kraulte Cosmins Mähne. „Cos-Mi, als ich dich da draußen stehen sah… ich habe zum ersten Mal überhaupt meine Stiefmutter angerufen. Ich wollte, dass sie uns beide in meine Wohnung bringt. Aber als sie kam, hatten diese Schweine dich schon…“
Ein Lächeln huschte über Cosmins Gesicht. „Gibt’s hier auch was zu essen?“
„Ich frag mal die Schwester“, sagte Max und erhob sich.
Auf dem Stationsflur passte er die junge Krankenschwester ab. Sie lächelte, als sie Max sah. „Hab schon gesehen, dass dein Bruder wach ist.“
„Kann ich für ihn was zu essen kriegen?“, sagte Max und erwiderte ihr Lächeln.
„Kann er denn schon sitzen?“
„Das ist kein Problem“, grinste Max. „Es wäre nicht das erste Mal, dass ich ihn füttern muss.“
„Okay, ich frage mal, was er essen darf und bringe was aufs Zimmer.“
Zehn Minuten später brachte sie auf einem Tablett eine Schüssel mit Kartoffelsuppe, in der ein paar kleine Wurststückchen schwammen sowie zwei Brötchen mit kleinen Käse- und Marmeladenpackungen.
Sie befühlte kurz Cosmins Stirn. „Wie fühlst du dich?“
„Viel besser als gestern. Bin nur etwas wacklig auf den Beinen“, sagte Cosmin und versuchte sich aufzurichten. Sofort schnellte Max’ rechter Arm vor, um ihn zu stützen.
„Ihr beide seid irgendwie süß“, sagte sie lächelnd und Max überlegte, wo er das schon mal gehört hatte.
Die Schwester legte zwei Tabletten auf den Teller mit den Brötchen. „Die sind gegen das Fieber und gegen eine Entzündung deiner Wunde. Nimm die nach dem Essen. Willst du noch was zu trinken?“
Cosmin deutete auf den Tisch. „Das Wasser da ist okay.“
Sie wandte sich Max zu. „Na dann viel Spaß beim Füttern“, kicherte sie und rauschte aus dem Zimmer.
Max holte auch den zweiten Stuhl an Cosmins Bett und stellte das Tablett mit dem Essen darauf ab.
„Womit fangen wir an?“, fragte Max und nickte zum Tablett.
„Diese Suppe da riecht gut“, erwiderte Cosmin und wollte nach dem Löffel greifen, doch Max wischte seine Hand beiseite.
„Hast du nicht gehört? Ich soll dich füttern. Also mach den Mund auf!“
Während Max mit einer Hand Cosmins Schulter hielt, bugsierte er mit der anderen Hand Löffel für Löffel Kartoffelsuppe in Cosmins Mund. Gerade als er weitere Ladung Suppe zu Cosmins Mund befördern wollte, schwang die Tür auf.
Seine Stiefmutter, gefolgt von seinem Vater, betrat das Zimmer. Beide blieben wie vom Donner gerührt an der Tür stehen, während der Löffel reglos vor Cosmins offenem Mund verharrte.
Sein Vater fand als erster seine Sprache wieder. „Wie ich sehe, ist dir dein Stiefbruder nicht mehr allzu sehr verhasst, Maximilian.“
Er wandte sich Cosmin zu. „Ich bin Maximilians Vater und freue mich, dich endlich kennen zu lernen, Cosmin. Auch wenn ich die Umstände nicht sehr erfreulich finde.“
Max bemerkte, dass sich Cosmin am liebsten wieder unter der Bettdecke verkrochen hätte.
Max beförderte den Löffel zurück in die Schüssel mit Kartoffelsuppe und Cosmin klappte den Mund zu und brachte ein schwaches „Hallo Herr Weller“ hervor.
„Lass das mit Herr Weller, ich bin dein Stiefvater. Für dich bin ich Onkel Alex.“
Cosmins Mutter setzte sich zu Cosmin aufs Bett und versuchte ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken, doch Cosmin wich etwas zurück. „Mutter, ich mag es nicht, wenn man mich abknutscht.“
Sie seufzte tief. „Du bist so groß geworden und so ein hübscher junger Mann.“
„Hör auf, so was zu sagen“, maulte Cosmin.
„Cosmin, ich bin immer noch deine Mutter und mache mir auch Sorgen um dich.“
Max vermutete, dass sie Cosmin am liebsten an sich gezogen hätte. Stattdessen knetete sie ihre Hände.
„Nun gut!“, ergriff Max’ Vater das Wort und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Cosmin, du könntest morgen entlassen und zu Hause weiter versorgt werden. Wie wir hörten, ist dein Vater im Moment in Rumänien. Wir möchten dich deshalb erst einmal bei uns aufnehmen, bis du zurück nach Dessau fahren kannst.“
Cosmin versteifte sich und blickte Max aus vor Schreck geweiteten Augen an.
„Nö!“, protestierte Max. „Ich kümmere mich um ihn. Er kommt mit zu mir!“
Max’ Vater und Cosmins Mutter schauten Max an, als wäre ihm ein drittes Auge gewachsen.
„Im Sommer bist du wegen ihm aus Berlin geflohen“, brauste sein Vater auf. „Wolltest ihn am liebsten verprügeln. Wie…“
„Hab mich eben geirrt, Vater. So was soll’s geben“, schnitt ihm Max das Wort ab.
„Und außerdem… Cosmin ist auch der Junge auf dem letzten Gemälde meiner Mam“, fuhr er fort und erzählte, dass er sich auch ein zweites Gemälde vom Zigeunerjungen gewünscht hatte.
Sein Vater schwieg, doch Cosmins Mutter fuhr zu Max herum. „Sie hat Cosmin tatsächlich porträtiert und hätte auch ein zweites Gemälde von ihm gemalt?“, fragte sie fassungslos.
Max kramte sein Handy aus der Jackentasche, wischte ein paar Mal über das Display und hielt ihr das Handy hin.
"Ich war auf einer ihrer Ausstellungen… ", sagte sie mehr zu sich, während sie das Foto des Gemäldes betrachtete, „… ich zeigte ihr ein Foto von Cosmin, das mir ein paar Tage zuvor sein Vater geschickt hatte. Deine Mutter meinte sofort, Cosmin wäre ein sehr schönes Motiv für ein Gemälde und fragte mich, ob sie das Foto haben könne. Ich verriet ihr nicht, dass es mein eigener Sohn ist, weil ich… Ich sagte, er sei der Sohn einer Bekannten und bat um einen der Entwürfe. Ich hätte nicht gedacht, dass sie sofort mit der Arbeit am Porträt meines Jungen beginnt.“
„Tja, hat sie aber. Und am ersten Schultag sehe ich genau diesen Jungen in meiner neuen Klasse sitzen.“
Eine Träne kullerte über ihre Wange. „Das Gemälde wunderschön. Deine Mutter hat ihn wirklich …“

Ja, und zum Dank hast du dich an den Mann meiner Mam ran gemacht.

„Cosmin, möchtest du denn so lange bei Max bleiben?“, fragte sie und gab Max das Handy zurück.
Cosmin schnaubte. „Was für eine Frage. Ich bin nach Berlin gekommen, um Max zurück zu holen. Natürlich will ich so lange bei ihm bleiben.“
Max’ Vater fand nun seine Sprache wieder. Er blickte Max nachdenklich an. „Ich nehme an, du wirst dann also auch nach Dessau zurückkehren, oder?“
Max zuckte mit der Schulter und nickte in Cosmins Richtung. „Irgendjemand muss ja auf ihn aufpassen, wie wir hier sehen.“
„Alex, ich kann den Jungen doch das Essen bringen und mit hinschauen“, wandte sich Cosmins Mutter an seinen Vater. Max hätte es nicht für möglich gehalten, dass er irgendwann einmal so etwas wie Dankbarkeit für seine Stiefmutter empfinden würde.
„Nun, ihr seid keine Kinder mehr, Maximilian. An Heiligabend will ich euch beide bei uns sehen, wenn Cosmin bis dahin wieder laufen kann. Einverstanden?“
Max und Cosmin grinsten sich an. „Okay!“, erwiderten sie wie aus einem Mund.

Nach dem Max’ Vater und Cosmins Mutter das Zimmer verlassen hatten, fütterte Max Cosmin mit dem Rest der Kartoffelsuppe und bestrich anschließend für ihn die Brötchenhälften mit Marmelade und Schmelzkäse.
Die junge Schwester betrat das Zimmer.
„Tut mir Leid, dass ich euch stören muss“. Sie deutete auf das leere Bett. „Gleich kommt ein Verkehrsunfall von der OP.“
„Ich soll verduften, oder?“, fragte Max.
„Du könntest am Nachmittag wieder kommen. Ich besorge euch einen Rollstuhl und du kannst deinen Bruder durch den Park spazieren fahren“, schlug sie vor und wandte sich an Cosmin.
"Hast du warme Sachen hier für… " Ihr schien plötzlich einzufallen, weshalb Cosmin in diesem Bett lag.
„Hey, kein Problem, mein Bruderherz muss eh neu eingekleidet werden. Ich bringe warme Sachen mit.“
Cosmin schien widersprechen zu wollen. „Du willst doch, dass ich komme, oder?“
Cosmin seufzte leise. „Du schiebst mich im Rollstuhl durch die Gegend. Das hatten wir noch nicht.“
„Also gut, sei so gegen 15 Uhr hier und frag nach Schwester Laura.“ Und an Cosmin gewandt ergänzte sie: „Wenn du was brauchst oder auf Toilette musst, drücke die Klingel über dem Nachttisch.“ Sie lächelte beiden Jungen zu und verließ das Zimmer.
„Scheint so, als würde Schwester Laura auf dich stehen, Bruderherz Maxi“, grinste Cosmin. Er schaute kurz auf das Nachbarbett und sein Grinsen verblasste. „Ich hasse Verkehrsunfälle.“
Cosmin versuchte, sich im Bett aufzurichten und Max stützte seine Schulter.
„Maxi, ich glaub ich muss noch mal und ich will nicht jetzt schon diese blöde Klingel drücken.“

Als Max etwas später vor dem Klinikgebäude auf sein Handy schaute, sah er, dass Leon ihm eine Nachricht geschickt hatte.
„Max, wie ich hörte, wohnt ab morgen dein Stiefbruder bei dir. Lass dein Training nicht schleifen, sonst killt dich der Chinese nächstes Jahr. Du kannst jederzeit zu mir kommen“

Max?

Wann hatte Leon ihn das letzte Mal so angeredet?

Kein Champ oder Maxi mehr?

Max fühlte sich ein bisschen, als hätte ihn Leon geohrfeigt.
Er beschloss, in den drei Stunden bis 15 Uhr bei seinem Onkel vorbei zu schauen. Auf dem Weg in das Villenviertel hielt er an einem Klamottenladen und kaufte mit seiner Kreditkarte Sachen für Cosmin, angefangen von Socken bis hin zu einer wasserdichten Daunenjacke für über dreihundert Euro.

Nach einer viertelstündigen Fahrt erreichte Max Leons Haus, fand es aber verwaist vor. Im Garten lockte Leons Kletterfelsen im warmen Licht der Dezembersonne, also schlüpfte Max in seine Trainingssachen und vertrieb sich dort die Wartezeit, doch Leon tauchte bis halb drei nicht auf.
Nach einem kurzen Imbiss aus Leons Kühlschrank kehrte Max in die Klinik zurück.

Wie schon am Vormittag öffnete ihm Schwester Laura die Flügeltür zum Krankenhausflur.
„Das sind alles Klamotten für deinen Bruder?“, fragte sie und nickte zu den beiden prall gefüllten Einkaufstüten in Max’ Händen.
„Da sind auch Luftballons drin, damit die Tüten voller aussehen.“
„Verstehe“, lachte sie. Vor der Tür zu Cosmins Zimmer stand bereits ein Rollstuhl.
„Ich habe um vier Feierabend, stell den Rollstuhl hier wieder ab. Bis spätestens um sechs müsst ihr zurück sein. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder, Max.“
Ehe Max etwas erwidern konnte, verschwand sie im Nachbarzimmer.

Cosmins Augen leuchteten auf, als Max das Zimmer betrat. Allerdings schien er immer noch Probleme zu haben, den Oberkörper ohne Hilfe aufzurichten und ließ den Kopf wieder zurück auf sein Kissen sinken. Max warf einen Blick zum Nachbarbett. Der „Verkehrsunfall“ war ein Mann von vielleicht sechzig Jahren. Er trug eine Halskrause und starrte aus halb geöffneten Augen zur Zimmerdecke.
„Was hast du da drin?“, fragte Cosmin leise.
Max setzte sich zu Cosmin aufs Bett und reichte ihm die Tüte mit der Daunenjacke. „Hier drin sind die Socken für die Schweißfüße meines Stiefbruders“, raunte er ihm ins Ohr.
Cosmin zerrte die Daunenjacke aus der Tüte und wendete sie in den Händen. „Maxi! Die war schweineteuer. Ich will nicht…“
Max tätschelte die Zotteln in Cosmins Nacken. „Cos-Mi, wäre ich gestern Abend gleich raus gekommen, wären deine Sachen jetzt nicht zerfetzt und… voller Blut. Los, wir zieh’n dich an und dann fahre ich dich spazieren.“
Sie benötigten mehr als eine Viertelstunde, bis Cosmin endlich neu eingekleidet im Rollstuhl saß.
„Cos-Mi, weißt du was ich mir gerade überlege?“, fragte Max, als er den Rollstuhl etwas später durch die Parkanlagen des Klinikums schob.
Cosmin verrenkte den Kopf, bis sich ihre Blicke trafen. Max bemerkte, dass das Glühen in diese schwarzen Augen zurückgekehrt war.
„Was?“
„Wer von uns beiden in sechzig oder siebzig Jahren den anderen durch die Gegend schiebt.“
Cosmin kicherte. „Mir gefällt es, wenn du mich schiebst.“
Max wollte etwas erwidern, als er vom Klingeln seines Handys daran gehindert wurde.
Er zog es aus der Tasche und runzelte die Stirn. „Das ist Hazel.“
Er stellte den Lautsprecher an, sodass Cosmin mithören konnte.
„Hi Lieblingscousine!“
„Und Lieblingscousin“, ertönte Cals Stimme aus dem Hintergrund.
„Hi Maxi“, sagte Hazel. „Ich habe gerade mit unserer Omi telefoniert. Wie geht es Cosmin?“
„Mir geht’s gut, Hazel. Max kutschiert mich im Rollstuhl durch einen Park“, rief Cosmin.
„Macht mal ein Foto für mich!“, rief Hazel lachend zurück und fuhr etwas ernster fort: „Haben sie die beiden Kerle erwischt, die Cosmin das angetan haben?“
„Vergiss es! Die Bullen haben nur Fotos gemacht und mit den Leute geplaudert“, schnaubte Max.
„Omi sagte, du hättest sie gesucht.“
Max bemerkte, dass Cosmin ihn plötzlich aus großen Augen anstarrte und deutete ein entschuldigendes Schulterzucken an. „Ich bin durch die halbe Stadt gekutscht, um diesen Schweinen die Fressen einzutreten, aber die waren schon weg.“
„Maxi, ich bin ehrlich gesagt froh, dass du die nicht gefunden hast“, erwiderte Hazel.
„Ich nicht!“, tönte Cals Stimme aus dem Handy. „Ich hätte gerne zugeguckt, wie Mäxy diese Bastards fertig macht.“
„… und dann im Gefängnis landet?“, wandte sie sich an ihren Bruder, der irgendwas auf englisch brabbelte.
„Wir fahren morgen nach Dessau und bleiben bis zum 28. Dezember. Sehen wir uns?“, fragte Hazel.
„Ich hoffe doch“, erwiderte Max. Allerdings war er ein bisschen erleichtert, dass er es nicht auch über eine Woche mit Tante Clara und Onkel Tobi aushalten musste, die vielleicht versucht hätten, ihm gute Manieren beizubringen.
„Ich komme zusammen mit Cos-Mi zurück.“
„Ich freue mich auf euch beide.“
Cosmin griff nach Max’ Hand, nach dem sie sich von Hazel und Cal verabschiedet hatten. „Du wolltest mich rächen?“
„Naja, war wohl nichts“, sagte Max und packte die Griffe des Rollstuhls.
„Maxi, ich bin auch froh, dass du sie nicht mehr erwischt hast.“
„Einer von denen wäre jetzt vielleicht dein Zimmergenosse. Los jetzt! Selfi…“
Er reichte Cosmin sein Handy und beide grinsten in die Kamera. Anschließend angelte Cosmin sein Handy aus der Tasche der neuen Daunenjacke und sie wiederholten das Spiel.
„Wie lange willst du mich durch die Gegend kutschen?“, fragte Cosmin und gähnte.
„Ich könnte einen Bissen vertragen, Cos-Mi“, sagte Max und schob den Rollstuhl weiter durch den Park. „Wenn es dunkel wird, schiebe ich dich in die Kantine und wir futtern was.“
Cosmin schwieg und nach einer Weile bemerkte Max, dass er im Rollstuhl leise vor sich hin schnarchte. Max nahm ihm das Handy aus der Hand, schob es in eine Tasche der Daunenjacke und steuerte eine nahe Parkbank an.
Was würden seine Kumpel Nicholas und Oskar sagen, könnten sie ihn so sehen?, überlegte Max, während er sich neben Cosmins Rollstuhl auf die Bank sinken ließ. Oder gar Leon?

Kriegen es andere mit, was zwischen mir und Cos-Mi läuft? Zumindest können wir uns jetzt damit raus reden, dass wir so was wir Brüder sind.

Das Klingeln von Cosmins Handy riss ihn aus den Gedanken.
„… issn das?“, murmelte Cosmin, ohne die Augen zu öffnen.
Max angelte Cosmins Handy aus der Daunenjacke und las mit gerunzelter Stirn den Namen des Anrufers:
„Moritz“

Wer zum Geier ist Moritz?

„Sag… rufe zurück“, nuschelte Cosmin und schnarchte leise weiter.
Max rutschte ans andere Ende der Parkbank. „Wer bist’n du?“, fragte er mit gedämpfter Stimme.
„Bist du Max?“, antwortete der Anrufer mit einer Gegenfrage. Die Runzeln gruben sich noch etwas tiefer in Max’ Stirn.
„Glaub schon. Aber ich wollte ja wissen, wer du bist.“
„Ein Freund von Cosmin. Wir wollten wissen, ob… äh… alles okay ist?“

Wir?

Soweit Max wusste, beschränkte sich Cosmins Freundeskreis auf eine einzige Person und die saß hier im Klinikum Westend auf einer Parkbank.
„Du kennst uns von den Hofpausen“, erklärte Moritz hastig. „Wir wollten, dass Cosmin weiter bei uns sitzt, als du… naja, äh… als du jetzt nicht mehr da warst. Er war… ziemlich am Boden sozusagen.“
Max versuchte sich vorzustellen, wie Cosmin am Dienstag in der Pause auf den Pausenhof geschlurft war und fühlte, dass sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Er warf einen Blick zum Rollstuhl. Cosmins Kopf war etwas zur Seite gesunken, ein Teil des Gesichtes versteckte sich unter der Kapuze. Max begriff inzwischen selber nicht mehr, wieso er vor diesem Menschen die Flucht ergriffen hatte.
„Du bist einer von den beiden, die in den Hofpausen… immer zusammen da auf der Mauer sitzen?“, fragte Max. Um ein Haar hätte er „die manchmal heimlich Händchen halten“ gefragt.
„Ich bin der Kleinere“, antwortete Moritz und erzählte, wie er und Simon sich mit Cosmin angefreundet und wie sie einen Abend im Bierzelt des Weihnachtsmarktes verbracht hatten.
Max lauschte mit offenem Mund.

Hätte mir Cosmin nicht von den beiden erzählt, ich hätte sie nicht mal bemerkt!

„Cosmin kommt morgen zu Simons Geburtstagsfeier und wir würden uns freuen, wenn du auch dabei bist“, endete Moritz’ Wortschwall.
„Moritz, da gibt es ein Problem“, seufzte Max. „Cosmin schläft gerade in einem Rollstuhl und ich schiebe ihn hier durch den Park des Krankenhauses.“
„Aber wie…?“
Nun berichtete Max mit knappen Sätzen, wie Cosmin zur Stichverletzung gekommen war und ergänzte: „Morgen wird er entlassen und bleibt bei mir, bis wir zusammen zurückfahren können. Sag deinem Freund Simon, wir holen das nach.“
„Okay. Und du sag Cosmin gute Besserung von uns. Mach’s gut, Max.“
„Mach’s gut, Moritz.“
Max rutschte zurück zur anderen Seite der Parkbank und schob Cosmins Handy zurück in die Daunenjacke.
Einige Minuten ruhte sein Blick auf Cosmins Gesicht. Dann schoss er ein Foto von der friedlich schlafenden Gestalt im Rollstuhl und schickte es zusammen mit ein paar Selfies an seine Cousine.

Promt traf ihre Antwort ein: „OMG, Dein Stiefbruder ist so was von süß. Und Du wolltest ihn schlagen und treten.“
„Und jetzt fahre ich ihn im Rollstuhl spazieren“, schrieb er zurück.
Sie chatteten eine Zeitlang weiter und allmählich breitete sich Dunkelheit im Park aus, während die Türmchen oben auf den Dächern der Gebäude im Abendrot funkelten. Lampen malten diffuse Lichtkleckse entlang des Weges durch den Park.
Cosmin grunzte leise und blickte um sich. „Wie lange habe ich gepennt, Maxi?“
Max erhob sich. „Eine Stunde.“
„Sorry, du hast dich bestimmt gelangweilt“, seufzte Cosmin.
„Nö“, grinste Max. „Erst habe ich mit deinem Freund Moritz gequatscht. Und dann hab ich meinem Stiefbrüderchen beim Schlafen zugeguckt. Und jetzt werden wir was futtern.“

Als Max am Abend heimkehrte, erlebte er eine Überraschung. Am Spiegel der Flurgarderobe klebte ein Zettel mit Leons Handschrift:
„Geh runter in den Keller unter deiner Wohnung.“ Der Zettel enthielt eine Skizze, die Max den Weg wies.
Das Kellergeschoss war mit einer Höhe von etwa zweieinhalb Metern höher, als es Max vermutet hätte. Max folgte dem von mehreren Deckenlampen ausgeleuchteten Kellergang bis zu einer Tür, die in einen unter seiner Wohnung liegenden Raum führte. Ein Schild verkündete, was sich hinter der Tür befand:
„Trainingsraum“
„Onkelchen“, sagte Max leise, öffnete die Tür und schaltete das Licht ein.
Über der Tür hing ein Griffbrett. Die Wand links war mit Holzplatten verkleidet, ebenso ein Teil der Decke oberhalb der Wand. Die Platten waren mit bunten Klettergriffen übersät. Unterhalb der Wand lagen Matten, die im Sturzfall für eine weiche und lautlose Landung sorgten. In der Mitte des Raumes hingen vier unterschiedlich schwere Boxsäcke von der Decke und bildeten die Ecken eines Quadrates von etwa zwei Metern Seitenlänge. Die rechten Seite des Zimmers teilten sich eine Kraftstation, die mehrere Tausender gekostet haben musste, ein Laufband und ein Schrank. An der Wand hinter dem Laufband hing ein riesiger Bildschirm.
Tränen der Rührung füllten Max’ Augen. Während er den Tag im Krankenhaus und an Leons Kletterfelsen verbracht hatte, war sein Onkel vermutlich mit mehreren Leuten hier gewesen und hatte ihm ein kleines Fitnessstudio eingerichtet.
Max bemerkte einen Zettel auf der Hantelbank der Kraftstation.
„Das hier solltest du eigentlich erst zu Weihnachten bekommen, Champ. Aber so kannst du auch trainieren, während du deinen Stiefbruder gesund pflegst. Pass auf dich auf.“
„Danke großer Bruder“, sagte Max leise. Ihm war klar, worauf Leon mit dem „auf sich aufpassen“ anspielte.

Ich bin süchtig nach ihm, Leon. Dagegen hilft auch kein Aufpassen.

Max überlegte, sich nochmal aufs Rad zu schwingen, um zu Leon zu fahren. Doch dann fiel ihm ein, dass sein Onkel wieder einmal Damenbesuch erwartete. Also schrieb er ihm eine Nachricht.
„Danke Onkelchen. Echt Wahnsinn, was du mir hier hier aufgebaut hast. Hab dich lieb. Dein Champ.“

  1. Ich mache nie wieder Schluss mit dir

Max

Am nächsten Morgen bimmelte der Handywecker Max bereits halb sieben aus dem Schlaf. Seine Stiefmutter hatte ihn noch am gestrigen Abend angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Krankentransport mit Cosmin gegen neun Uhr eintreffen und sie eine halbe Stunde vorher zu ihm kommen würde.
Während Max sein morgendliches Fitnessprogramm absolvierte, überlegte er, ob er es eine halbe Stunde allein mit ihr aushalten würde.
Sie war nun nicht mehr nur die Frau, wegen der seine Mutter vor dreieinhalb Jahren völlig überstürzt aus Berlin abgehauen und dabei tödlich verunglückt war. Sie hatte dem Menschen das Leben geschenkt, mit dem Max sein Leben teilen wollte, was seine bislang wohl sortierten Gefühle ihr gegenüber ziemlich durcheinander brachte.
Er hätte noch eine Stunde länger schlafen können, wären da nicht die Hinterlassenschaften seines Saufabends mit Oskar und Nicholas im Wohnzimmer. Ihm war es egal, was seine Stiefmutter von den auf dem Teppich herum liegenden Bierbüchsen und dem vollgemüllten Wohnzimmertisch gesagt hätte, aber er wollte, dass Cosmin sich von der ersten Minute bei ihm wie zu Hause fühlte.
Inzwischen fragte sich Max nicht mehr, ob er von sich aus nach Dessau zurückgekehrt wäre, sondern wann.
Nach der Morgentoilette inspizierte er die Vorräte in den Schränken der Küchenzeile und im Kühlschrank. Sie bestanden aus einem altbackenen Brötchen, einem angebrochenen Päckchen Kaffee sowie aus etwas Aufschnitt, einer Packung Milch und einem Becher Joghurt im Kühlschrank. Max stillte seinen Hunger mit dem Joghurt und einigen Wurstscheiben. Das Brötchen warf er nach ein paar Bissen in den Abfall.
Anschließend begann er, die auf dem Wohnzimmertisch verstreuten Kartoffelchips in den Mülleimer zu fegen. einige klebten wie fest geleimt an der Tischplatte, weil Oskar im Suff sein Bier verschüttet hatte.
Er fluchte leise, als er den hartnäckigen Schmutz von der Tischplatte schrubbte.
Es klopfte an der Wohnungstür.
„Du bist 'ne Stunde zu früh!“, schimpfte Max und öffnete.
Herr Golle stand davor.
„Guten Morgen, Herr… äh Weller. Ich habe einen Krankenwagen auf Ihr Grundstück gelassen. Die suchten am Tor nach einer Familie Weller.“
Max fiel auf, dass Herrn Golles Kinn beim Reden wackelte. „Danke, ich kümmere mich drum.“
Herr Golle sah aus, als hätte er gerne etwas darüber erfahren, was ein Krankenwagen zu früher Morgenstunde hier zu suchen hatte, doch Max schnappte sich seine Jacke vom Garderobenhaken, schlüpfte in seine Schuhe und sprintete an ihm vorbei zum Parkplatz.
Zwei Sanitäter bugsierten eine Trage ins Freie und Max sah, dass Cosmin darauf festgeschnallt war. Cosmin hob mit halb geöffneten Augen den Kopf und ließ ihn wieder auf die Trage zurück sinken.
„Hi, wollten Sie nicht erst um neun kommen? Was ist mit ihm?“, fragte Max und trat an das Kopfende der Trage heran.
„Gehörst du zur Familie Weller?“, fragte der Sanitäter neben ihm schroff, ohne den Gruß zu erwidern. Er war höchstens ein paar Jahre älter als Max, während der andere vermutlich kurz vor der Rente stand.
„Er ist Herr Weller höchstpersönlich und der Eigentümer des Grundstückes, junger Mann“, antwortete Herr Golle an Max’ Stelle. Er hatte offenbar seine Neugier nicht zügeln können und stand nun einen Schritt neben Max.
Die Sanitäter starrten Max an, als wäre ihm noch eine Nase gewachsen.
„Wir brauchten sein Bett wegen eines neuen Patienten. Ich nehme an, die Wirkung der Beruhigungstabletten lässt bald nach“, erklärte der junge Sanitäter. Die Schroffheit in seiner Stimme war verschwunden. „Wohin sollen wir den Patienten bringen?“
Max’ Blick löste sich von Cosmins Gesicht. „Mir nach!“
Herr Golle tippelte neben Max ins Haus zurück. „Wer ist der junge Mann, Herr Weller? Ich habe ihn vorgestern hier bei uns am Tor stehen sehen.“
„Der junge Mann ist Cosmin, Cosmin Munteanu, Herr Golle“, erwiderte Max und ließ ihn auf dem Hausflur stehen, während er die Sanitäter ins Schlafzimmer führte. Er deutete auf das Doppelbett, aus dem er eine Stunde zuvor geschlüpft war.
„Da hinein mit ihm.“
Der ältere Sanitäter betrachtete skeptisch das zerwühlte Bett und räusperte sich. „Sollte hier nicht auch eine Mutter sein?“
„Ich bin im Moment ihre Vertretung.“
Die Sanitäter bugsierten Cosmin in das Bett. Er steckte immer noch in dem komischen Nachthemd des Krankenhauses und roch auch nach Krankenhaus. Max sah, dass sich Cosmins Augen kurz öffneten und sein Kopf gleich darauf zur Seite sank.
Der ältere der beiden Sanitäter reichte ihm die Beutel mit Cosmins Sachen, eine Plastiktüte mit Medikamentenpackungen sowie mehrere zusammengeheftete Zettel.
„Das sind seine Tabletten gegen Fieber, Schmerzen und gegen eine Entzündung der Wunde. Morgen kommt eine Schwester und wechselt den Verband. Alle wichtigen Informationen finden Sie oder seine Mutter in der Beschreibung.“
Er erklärte, was im Fall von Komplikationen zu tun sei und verließ zusammen mit seinem jungen Kollegen die Wohnung.
Max holte aus dem Küchenbereich seines Wohnzimmers einen Stuhl und hockte sich an das Kopfende des Bettes.
„Was für Pillen haben die dir gegeben, Schlafmütze?“, flüsterte er und streichelte Cosmins Wange. Max versuchte sich vorzustellen, wie Cosmin vor zwei Tagen hier am Tor gestanden hatte, vom Regen durchnässt. Von seiner Oma hatte Max erfahren, dass Cosmin vor seiner Abreise bei ihr gewesen war. Ihm fiel es nicht schwer, sich auszurechnen, dass Cosmin am Donnerstag nicht nur die Schule, sondern auch die Leistungskontrolle in Physik geschwänzt hatte.
Max strich die schwarzen Zotteln aus Cosmins Stirn. Sie fühlte sich warm an, vermutlich hatte sich dieser tapfere Bengel bei seinem Herumirren in Berlin auch eine Erkältung geholt.
„Cos-Mi, ich schwöre, ich hätte es nicht sehr lange ausgehalten ohne dich.“
Max lauschte eine Zeitlang Cosmins Atemzügen, dann erhob er sich. Das Wohnzimmer sah immer noch wie ein Saustall aus.
Eine Viertelstunde später hatte Max die Spuren des Saufabends mit Oskar und Nicholas beseitigt und kehrte ins Schlafzimmer zurück.
Dort stützte sich Cosmin im Bett auf einen Arm und blickte verwirrt um sich.
„Cos-Mi!“
„Maxi?“
Cosmins Blick klärte sich, ein Lächeln verzauberte sein Gesicht, als er Max erblickte.
Max eilte zum Bett und zog Cosmin in seine Arme.
„Ist das hier deine Wohnung?“
„Hm… ja, und ab nächstes Jahr hoffentlich auch deine.“
Cosmin ließ den Kopf auf das Kissen zurück sinken und blickte Max den großen schwarzen Augen an, als würde er nach einer Antwort suchen.
„Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass … zwischen uns Schluss war, Maxi“, sagte er leise.
Max küsste Cosmins Lippen. „Es war nicht Schluss, Cos-Mi. Du bist hier her gekommen und ich… ich habe habe jede Minute an dich gedacht.“
Für einen Moment schloss Cosmin die Augen.
„Hast du Saft oder so was?“
Max strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Nur stinknormales Leitungswasser. Deine Mutter kommt gleich. Sie bringt was für dich mit. Aber ich könnte schnell zu einem Laden sprinten und dir was holen. Ich sag deiner Mutter, dass sie sich von meinem Alten einen Schlüssel geben lässt, falls ich länger brauche und sie…“
„Nein!“
Cosmin zog Max wieder zu sich heran und Max spürte, wie schwach sich Cosmins Arme dabei anfühlten. „Bleib hier. Die fängt sonst an, mich abzuknutschen und ich mag es nicht, wenn man mich abknutscht.“
„Ich werd’s mir merken“, hauchte ihm Max ins Ohr.
„Normalerweise“, wehte Cosmins Antwort an Max’ Ohr.
Max löste sich sanft aus Cosmins Armen, um ihm ein Glas Wasser zu bringen. Doch als er zurückkehrte, war Cosmins Kopf zur Seite gesunken, leises Schnarchen tönte aus dem halb geöffneten Mund. Die Decke war etwas zurückgeworfen. Max stellte das Glas auf dem Nachtschränkchen neben dem Kopfteil des Bettes ab und zog die Decke höher, sodass sie auch Cosmins Schulter bedeckte.
Anschließend begann er, den Küchenbereich seines Wohnzimmers aufzuräumen und all das seit seinem Einzug vor vier Tagen benutzte Geschirr in die Spülmaschine zu stellen.
Die Klingel der Gegensprechanlage läutete und kurz darauf öffnete Max seiner Stiefmutter die Tür. In beiden Händen trug sie prall gefüllte Einkaufstüten.
Zum ersten Mal überhaupt begrüßte er sie und nahm ihr die schweren Beutel ab. Er stellte sie am Kühlschrank ab und nickte zur Schlafzimmertür.
„Cosmin ist schon da. Er schläft.“
Sie reichte ihm den Autoschlüssel. „Im Kofferraum habe ich euer Mittagessen. Darf ich zu ihm?“

So lange du ihn nicht abknutscht…

Max zuckte mit der Schulter. „Er ist dein Sohn.“
Nach dem er Einkäufe und das bereits zubereitete Mittagessen in der Küche verstaut hatte, betrat Max leise das Schlafzimmer. Seine Stiefmutter saß auf dem Küchenstuhl neben dem Kopfende des Bettes. Sie knetete ihre zarten Hände und starrte auf Cosmins Gesicht, das er ihr zugewandt hatte. Doch die Augen unter den langen schwarzen Wimpern waren geschlossen.
„… du dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisse, mein kleiner Liebling“, hörte Max seine Stiefmutter flüstern. Sie hatte ihn offenbar nicht bemerkt.
„Ich kapier’s nicht, wie du ihn verlassen konntest“, sagte Max leise.
Sie fuhr erschrocken herum. Er sah, dass in ihren Augen Tränen schimmerten und für einen Augenblick war es, als würde er zugleich in das traurige Gesicht des kleinen Zigeuners blicken. Max blinzelte und das Bild des kleinen Zigeuners verblasste im Gesicht der Stiefmutter.
„Es war die schwierigste Entscheidung in meinem Leben“, sagte sie und tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. "Sehr oft habe ich mich gefragt, ob es besser gewesen wäre, mich für Cosmin… "
Sie verstummte. Aber Max setzte in Gedanken ihren Satz fort.

… und meine Mam wäre noch am Leben

Sie hauchte Cosmin einen Kuss auf die Wange und wandte sich erneut an Max.
„Ich weiß, dass du dich für Cosmin geschlagen hast, Maximilian. Aber wie seid ihr Freunde geworden? Dein Vater sagte mal, dass du eigentlich nur einen echten Freund hast, und das ist dein Onkel Leon.“
Max setzte sich ans Fußende des Bettes. „Ich mochte ihn schon, als ich sein Bild zum ersten Mal gesehen habe, da war ich gerade mal dreizehn. Später, immer wenn ich das Gemälde sah, das meine Mam von ihn gemalt hatte, fragte ich mich, wie es ihm gerade geht, ob er immer noch so traurig ist, ob er eine Freundin hat, so was eben. Und dann sehe ich ihn in meiner Klasse, gemobbt von diesen Arschgesichtern“, sagte er und erzählte, wie sie schließlich auch im echten Leben Freunde wurden. Dass schon bald auch Gefühle mitmischten, die Freunde normalerweise nicht füreinander empfinden, verschwieg er natürlich.
„Es ist schön, dass ihr euch gefunden habt“, sagte sie mehr zu sich selbst, als Max sich schließlich erhob.
„Die Leute haben mir für Cosmin Tabletten und so was gegeben.“ Max holte den Beutel mit den Tabletten und die Zettel aus dem Wohnzimmer und reichte beides seiner Stiefmutter. Sie las sich die Zettel durch und sortierte die Medikamentenpackungen auf dem Nachtschränkchen.
Dann erklärte sie Max, welche Tabletten Cosmin zu welchen Mahlzeiten einnehmen müsse.
"Es könnte sein, dass Cosmin heute und morgen noch Hilfe benötigt, wenn er … ", sie räusperte sich, „… wenn er auf die Toilette muss. Ich könnte…“
„Kein Problem. Ich ekle mich nicht davor, wenn du das meinst.“
Sie nickte, warf einen langen, geradezu sehnsuchtsvollen Blick auf das Gesicht ihres Sohnes und stand vom Stuhl auf.
„Ich komme morgen Vormittag und bringe euch wieder das Essen. Wenn ihr noch etwas benötigt, gib mir Bescheid.“
Sie nickte Max einen Abschiedsgruß zu. Max erwiderte auch diesen Gruß; atmete aber erleichtert auf, als die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss fiel.
„Ist sie weg?“
Max zuckte zusammen, für einen Moment setzte sein Herzschlag aus.
„Cos-Mi!“, japste er. „Schon mal was von Herzinfarkt gehört? Du warst die ganze Zeit wach?“
„Nicht die ganze Zeit.“ Cosmins Stimme klang heiser. Er tastete nach dem Glas auf dem Nachtschränkchen. Max flutschte von der Bettkante, schnappte das Glas und führte es behutsam an Cosmins Mund.
Nach dem er es geleert hatte, leckte sich Cosmin Wassertröpfchen von der Lippe. „Du wolltest echt wissen, ob ich schon eine Freundin habe?“
Ein Grinsen huschte über Max’ Gesicht. „Du hast uns heimlich belauscht!“
„Ich höre dir gerne zu. Normalerweise!“ Cosmin stöhnte leise auf.
„Was ist los, Cos-Mi?“
„Ich war gestern den ganzen Tag nicht äh… kacken.“
„Und jetzt drückt der Bolzen?“
„Tut mir Leid. Maxi, du brauchst mir nur aufs Klo zu helfen. Ich wische mir selber den Hintern ab.“
Max verdrehte die Augen. „Hör auf, dich zu entschuldigen. Ich setze dich aufs Bidet, dreh den Wasserhahn auf und schon ist dein Hintern sauber.“
„Was ist ein Bidet?“
Max half Cosmin, sich aufzurichten. „Ich zeig’s dir.“
Als sich Max nach der Verrichtung Cosmins Arm um die Schulter legte, um ihn wegen der wackligen Beine zum Bett zurück zu bringen, schnaubte Cosmin leise: „Jetzt ekelst du dich bestimmt vor mir.“
Tatsächlich jedoch war Max selber erstaunt, dass es ihm nichts ausgemacht hatte, Cosmins Darmentleerung beizuwohnen. So wie eine Mutter die Windeln ihres Babys wechseln kann, ohne die Nase zu rümpfen, hatte er Cosmin geholfen, sich auf die Schüsseln zu setzen und von ihnen wieder runter zu kommen, ohne sich am Geruch des Stuhls zu stören.
Max verharrte plötzlich auf dem Weg zum Bett, zog Cosmin in seine Arme und küsste ihn. Erst als lustvolle Hitze seinen Verstand zu überschwemmen drohte und er Cosmins steifes Glied an den eigenen Lenden spürte, löste er sich von Cosmin. „Nun weißt du, wie sehr ich mich vor dir ekle.“
Er half Cosmin ins Bett und fast schien es, als wolle ihn Cosmin mit sich unter die Bettdecke ziehen.
„Zeit für’'s Frühstück, Cos-Mi. Soll ich dir ein paar Brötchen schmieren?“
„Mir tut ein bisschen der Hals weh“, krächzte Cosmin.
„Ich glaube, deine Mutter hat auch Joghurt und Grießbrei oder so was mitgebracht. Willst du Kaffee?“
Cosmin schüttelte den Kopf. „Vielleicht hilft heißer Tee?“
Nach einigen Minuten kehrte Max mit einer Tasse heißem Früchtetee und einem Becher Milchreis ins Schlafzimmer zurück. Während er Cosmin mit dem Milchreis fütterte, studierte er die Hinweise zu Cosmins Medikamenten, die ihm seine Stiefmutter auf das Nachtschränkchen gelegt hatte und suchte die Pillen heraus, die Cosmin nach dem Frühstück einnehmen sollte.
Anschließend wollte Max das benutzte Geschirr zurück in die Küche bringen, doch Cosmin hielt seinen Arm fest und starrte ihn aus glühenden Augen an.
„Bleib ein bisschen bei mir, Maxi“, sagte er und rutschte unter Decke in die Mitte des Bettes.
„Cos-Mi, du guckst schon mich schon wieder so komisch an“, grinste Max, schlüpfte unter die Decke und bettete Cosmins Kopf auf seinem angewinkelten Arm.
„Vielleicht habe ich ja noch Hunger.“ Er wälzte sich ächzend auf die linke, unverletzte Seite.
„Maxi?“
„Hier bei dir.“
„Hast du hier schon mal… äh…?“
Max’ Brauen hoben sich. „Was…?“
„Du weißt schon…“
„Ah, du meinst, ob ich mir hier schon mal einen runter geholt habe?“
Cosmin schwieg und musterte stattdessen weiter Max’ Gesicht aus glühenden Augen, während die Finger seiner rechten Hand wie Spinnenbeine unter Max’ Shirt krabbelten.
„Klar, sonst könnte ich nicht so neben dir liegen.“
„Nach dem du wusstest, dass ich dieser verhasste Stiefbruder bin, wen hast du dabei äh… sozusagen…“
„… als Vorlage beim Striffeln genommen?“, beendete Max Cosmins Frage. Er küsste Cosmins Mundwinkel und schaute dann zur Zimmerdecke, als würde er dort nach einer Antwort suchen.
„Ich habe dich nicht eine Minute aus meinem Kopf raus gekriegt Cos-Mi“, seufzte er. „Erst recht nicht beim Striffeln. Und du?“
Cosmin versenkte seinen Kopf noch etwas tiefer in Max Armbeuge und schloss die Augen.
„Hey komm schon, ich erzähle dir auch alles“, nörgelte Max und erforschte mit seiner linken Hand, was Cosmin unter dem Nachthemd trug.
Cosmin stieß den angehaltenen Atem aus, als Max’ Finger die Beule in seinem Slip erreichten.
„Maxi, vielleicht muss ich morgen dieses Nachthemd zurückgeben“, japste Cosmin und rückte noch etwas dichter an Max heran.
„Cos-Mi, das war keine Antwort auf meine Frage.“
„Na gut! Ich hab mir genau so was hier vorgestellt“, sagte Cosmin leise. „Dass wir zusammen bei dir im Bett liegen, obwohl ich dein hässlicher Stiefbruder bin und…“
Der Rest des Satzes ertrank in einem Kuss. Er endete erst, als beide Jungen einen Gipfel erklommen, auf dem sie zusammen eine Eruption aus Gefühlen der Lust und des Entzückens erlebten.
Offenbar hatte sich Cosmin dafür verausgabt; er verschlief anschließend den halben Tag. Max nutzte die Gelegenheit, um im Kellergewölbe das von seinem Onkel eingerichtete Fitnessstudio zu erkunden.
Immerhin schien es , als würde der lange Schlaf Cosmin helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Am Abend schaffte er es auf die Toilette, ohne dass ihm Max dabei unter die Arme greifen musste.

Cosmin

Der klare und sonnige Dezembermorgen tastete sich mit seinen Lichtfingern in Max’ Schlafzimmer und kitzelte mit ihnen Cosmins geschlossene Lider.
Cosmin blinzelte verwirrt und öffnete die Augen. Als erstes erblickte er Max’ ihm zugewandtes Gesicht, die untere Hälfte versteckt im Daunenkissen. Einmal mehr bewunderte Cosmin die engelsgleichen Gesichtszüge des Freundes.

Ich habe dich wieder, Maxi!

Den Preis, den er dafür hatte bezahlen müssen, würde er verschmerzen. Nach dem langen Schlaf fühlte Cosmin, dass auch seine Kräfte zurückkehrten. Sein Blase meldete sich. Vorsichtig kroch Cosmin unter seiner Bettdecke hervor. Die Stichwunde piekste etwas, aber seine Beine schienen wieder aus Knochen und Muskeln statt aus Pudding zu bestehen.
Auf leisen Sohlen tapste er auf die Toilette.
Danach kehrte er zwar ins Schlafzimmer zurück. Aber als er bemerkte, dass Max sein Gesicht fast vollständig im Kissen vergraben hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und begann Max’ Wohnung zu durchstreifen. Neben dem Schlafzimmer führte eine Tür in einen Raum, der von den Vormietern offenbar als Büro genutzt worden war. Er sah einen Schreibtisch und mehrere leergeräumte Aktenschränke.
Hier könnten wir uns ein gemeinsames Arbeitszimmer einrichten, überlegte Cosmin. Nach Max’ Geständnis, er wäre irgendwann von sich aus nach Dessau zurückgekehrt, hatte Cosmin neue Hoffnung geschöpft. dass sie nach der zwölften Klasse an der gleichen Hochschule studieren und zusammen hier wohnen würden.
Im Wohnzimmer trennte eine Art Theke mit Herd Spüle und Esstisch den Wohnbereich von der Küche. Allein das Wohnzimmer war in etwa so groß wie die Dessauer Plattenbauwohnung, in der Cosmin mit seinem Vater lebte. Cosmin trat an die verglaste Terrassentür und blickte auf einen überdachten Sitzbereich und den kleinen, gepflegten Garten, der sich bis hin zu einer mit Efeu überwucherten Backsteinmauer erstreckte. Max hatte ihm oder anderen Mitschülern gegenüber nie auch nur angedeutet, wie vermögend er bereits mit seinen siebzehn Jahren war.
Cosmin ließ sich in einen der Ledersessel sinken und versuchte sich vorzustellen, wie er hier mit Max leben würde. Der Schock über ihre plötzliche Trennung steckte ihm noch immer in den Knochen. Max konnte ihn zugleich zum glücklichsten und zum unglücklichsten Menschen machen.
„Cos-Mi?“
Max streckte sich und ließ sich in den anderen Sessel fallen. „Dir geht’s besser heute, oder?“
Cosmin nickte schwach. „Maxi?“
„Hm?“
„Denkst du, dass wir hier zusammen leben können, ohne ständig miteinander Schluss zu machen?“
Max griff nach Cosmins Hand und ließ seinen Kopf gegen die Sessellehne sinken. „Ich schwöre, ich mache nie wieder Schluss mit dir, Cos-Mi.“

  1. Stochern in der Vergangenheit

Cosmin

Cosmins Magen knurrte so laut, dass sogar Max aufhorchte.
„Bleib sitzen Cos-Mi, ich mache uns was zum Frühstück. Tut dein Hals noch weh?“
Cosmin schluckte, das Kratzen im Hals war verschwunden. „Ich könnte zwei oder drei Brötchen vertragen.“
Max glitt aus dem Sessel und Cosmin sah ihm dabei zu, wie er mehrere Brötchen in den Backofen schob, um sie aufzubacken und die Anzeigen des Bedienfeldes studierte.
"Äh, Cos-Mi, weißt du zufällig…?
Cosmin hatte sich bereits erhoben und trat neben Max. „Lass mich das machen, Maxi.“
Wenig später saßen sie sich an der Küchentheke gegenüber, Cosmin im Nachthemd des Krankenhauses und Max in seiner Unterwäsche. Sie ließen sich die Brötchen, bestrichen mit Konfitüre oder belegt mit Käsescheiben schmecken, während unter der Tischplatte ihre nackten Füße miteinander spielten.
„Das erste gemeinsame Frühstück in unserer Wohnung“, sagte Max, als sich beide gesättigt in ihren Stühlen zurück lehnten.

In unserer Wohnung.

Cosmin wünschte sich, er könnte einen Blick in die Zukunft werfen.

Werden wir hier wirklich ab nächstem Sommer zusammen leben?

Max warf einen Blick auf sein Handy, das vor ihm auf der Tischplatte lag. „Ich glaube, du solltest dir da drunter was anziehen. Gleich kommt jemand und wechselt deine Binden.“
Cosmin erhob sich und suchte die Vorderseite des Nachthemdes nach verräterischen Spuren ab. Sie war ebenso wie der Verband um seinen Bauch und um den Brustkorb unbefleckt geblieben. Er bemerkte, dass Max die Inspektion des Nachthemdes mit einem Grinsen auf den Lippen verfolgte und besonders an dem interessiert zu sein schien, was ein Slip verborgen hätte. „Maxi! Das ist nicht lustig. Außerdem habe ich nicht mal was zum Wechseln dabei.“
Max seufzte, als Cosmin das Nachthemd wieder über das entblößte Glied fallen ließ. „Du kriegst einen Slip von mir. Deine Mutter bringt dir nachher was mit.“

Nach der Morgentoilette streckte sich Cosmin auf der gemütlichen Ledercouch aus. Er hatte keine Lust, einen weiteren Tag im Bett zu verbringen. Max hatte sich unterdessen eine Trainingshose übergestreift. Er bettete Cosmins Kopf auf seinem Schoß und kämmte mit den Fingern die filzigen Locken.
„Maxi?“
„Hm?“
„Nachher, wenn meine Mutter kommt, ich würde sie gerne ein paar Sachen fragen.“
Cosmin verrenkte den Kopf, bis er Max in die Augen blicken konnte. Max zuckte mit der Schulter.
„Klar, was ist das Problem?“
„Sie wird vielleicht nicht alles sagen, wenn du dabei bist.“
„Ah, du willst, dass ich verdufte?“
„Maxi…“
„Hey, schon gut! Ich trainiere so lange. Aber was ist, wenn sie dich abknutscht?“
„Ich stell mir einfach vor, dass du mich abknutscht, dann ertrage ich es vielleicht. Ich erzähl dir danach alles, was sie…“
Die Klingel der Wechselsprechanlage läutete.
Max sprang auf und verschwand im Korridor.
„Eine Schwester Carmen“, sagte Max, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte. „Hoffentlich ist sie schon so alt, dass sie sich nicht gleich in dich verknallt.“
„… oder in dich“, ergänzte Cosmin und dachte dabei an Schwester Laura.
Schwester Carmen war eine weißhaarige ältere Dame und interessierte sich einzig für Cosmins Wunde. Sie hatte nichts dagegen, dass Max am Kopfende der Eckcouch stand und ihr auf die Finger schaute.
„Du hattest einen Schutzengel, mein Junge“, sagte die Krankenschwester, während sie die Wunde desinfizierte. Cosmin hätte sie gerne gefragt, wie lange die Heilung dauern und ob eine Narbe zurückbleiben würde, doch er biss wegen des brennenden Schmerzes die Zähne zusammen.
„Das geht gleich vorüber“, tröstete ihn die Schwester.
„Mein Stiefbruder und ich, wir trainieren zusammen. Wird es noch lange dauern, bis er wieder Sport treiben kann?“, stellte Max die Frage, die Cosmin so ähnlich auf der Zunge gelegen hatte.
„Soweit ich das erkennen kann, verheilt die Wunde sehr gut, sie ist nicht entzündet und blutet nicht mehr. Ich denke, in zwei Wochen könnt ihr wieder zusammen Sport treiben“, erklärte sie. Cosmin verrenkte erneut den Kopf, bis er Max sehen konnte und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Cosmin ahnte, an welchen Sport Max gerade dachte. Dummerweise wäre dann aber wieder sein Vater zu Hause.
Schwester Carmen umwickelte Cosmins Oberkörper mit einem neuen Verband. „Es wäre besser, wenn du noch nicht so viel herum läufst. Die Wunde verheilt schneller, wenn sie ruhig gestellt ist. Übermorgen komme ich zur selben Zeit wieder.“
Sie verabschiedete sich von den Jungen und verließ die Wohnung.
Max brachte Cosmin ein T-Shirt.
„Darin siehst du besser aus als in diesem Nachthemd. Das Nachthemd behältst du als Andenken.“ Max setzte sich wieder zu Cosmin auf die Couch und legte ihm eine Decke über die nackten Beine, aber gleich darauf läutete erneut die Klingel der Wechselsprechanlage.
Max erhob sich seufzend und trottete in den Flur.
„Deine Mutter“, rief er aus dem Korridor. „Ich soll ihr beim Tragen helfen.“
Kaum war hinter Max die Wohnungstür ins Schloss gefallen, begann sich Cosmin die Fragen zurecht zu legen, die er seiner Mutter stellen wollte. Es gab einige Dinge, auf die er sich keinen Reim machen konnte. Max hielt sie wegen der Affäre mit seinem Vater für mitschuldig am Tod der Mutter. Aber Cosmin war sicher, dass ihm sein Vater nach ihrem Verschwinden erzählt hatte, sie wäre nach München zu einem ebenso reichen wie fettleibigen Bauunternehmer durchgebrannt. Max’ Vater war weder aus München noch Bauunternehmer. Und fettleibig war er erst recht nicht, sondern im Gegenteil ein äußerst attraktiver Mann.
Seine Mutter trat ins Wohnzimmer, beladen mit zwei prall gefüllten KaDeWe Einkaufstüten und hinter ihr schleppte Max Lebensmittelvorräte zu den Küchenschränken.
„Wie geht es dir… Cosmin?“
Nach einem kurzen Zögern setzte sie sich zu ihm auf die Couch.
Cosmin vermutete, dass sie „kleiner Liebling“ oder so etwas hatte sagen wollen und versuchte, nicht allzu schroff zu klingen. „Besser.“
Er deutete auf die Einkaufstüten. „Mutter, wenn du willst, dass ich Heiligabend zu euch komme, dann nur unter einer Bedingung. Keine Geschenke, einverstanden?“
"Cosmin, ich… "
„Einverstanden?“
Seine Mutter seufzte leise. „Also gut, aber ich werde die Plätzchen backen, die du immer so gerne genascht hattest, als du klein warst.“
Cosmin wollte darauf hinweisen, dass er inzwischen groß war und sich auch sein Geschmack verändert hatte, doch Max funkte dazwischen.
„Ich bin im Keller. Gib mir Bescheid, wenn du was brauchst.“ Er nickte seiner Stiefmutter einen Gruß zu und verließ das Wohnzimmer.
„Isst du noch gerne diese… Mietsch?“
„Mici. Ja, aber nicht so wie Papa mit Schaf.“
Sie erhob sich. „Ich habe das Gehackte und Gewürze dafür gekauft und werde euch zum Mittag…“
„Warte. Bleib hier, Mutter. Ich möchte dich was fragen.“
Sie hockte sich wieder zu ihm und ihre Hände schienen sich gegenseitig festzuhalten. Cosmin verdrängte den Wunsch, sich von diesen Händen streicheln zu lassen. „Wie hast du Max’ Vater kennengelernt?“
„Cosmin, das möchte ich nicht…“
„Bitte Mutter. Max ist der erste richtige Freund in meinem Leben und es tut mir weh, wenn er leidet. Er glaubt, dass seine Mutter noch leben würde, hättest du dir nicht seinen Vater gekrallt.“
Seine Mutter schnappte ein paar Mal nach Luft.
„Das ist doch Unsinn. Ich bin Alex vor dem Tod seiner Frau nur einmal begegnet und das war auf dieser Ausstellung in München, als ich ihr das Foto von dir gab.“
Maxi, ich bin nicht der Sohn der Frau, der du Schuld am Tod deiner Mam gibst!, dachte Cosmin fast schon erleichtert. Er beschloss, weiter in der Vergangenheit herum zu stochern.
„Aber Max hat dich nach dem Tod seiner Mutter zusammen mit seinem Vater gesehen“, warf Cosmin ein.
„Das kann schon sein. Stephan, mein damaliger… Freund, hatte bei Maximilians Mutter mehrere Gemälde bestellt. Ich habe einige davon aus Berlin abgeholt und… dabei sind wir uns… näher gekommen. Aber das war zwei oder drei Wochen nach diesem schrecklichen Unfall.“
Cosmin schwieg, die Stirn von tiefen Falten zerfurcht.
„Cosmin, ich hatte nichts mit Max’ Vater, als seine Mutter noch lebte. Erst danach… ein paar Monate später trennte ich mich endgültig von Stephan und nahm mir eine Wohnung in Berlin.“
Cosmin dachte an jene Zeit zurück. Vermutlich hatte er zur selben Zeit die verzweifelten Versuche aufgegeben, seine Mutter mit dem Handy zu erreichen. Er schluckte die Traurigkeit hinunter, ehe sie ihm die Kehle zuschnüren konnte. „Dann war also dieser Stephan der Kerl, wegen dem du uns verlassen hattest?“
Tränen schimmerten in den Augen seiner Mutter. „Cosmin, vielleicht wirst du mich eines Tages besser verstehen. Ich habe Florin, deinen Vater, ich habe ihn geliebt, wegen ihm als junges Mädchen die Beziehung zu meinen Eltern und meiner großen Schwester abgebrochen. Aber irgendwann war die Liebe weg, zumindest bei mir. Doch wegen dir blieb ich bei ihm und ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, mit jemandem zusammen zu leben, den du nicht mehr liebst.“
Cosmin versuchte den Gedanken auszublenden, dass dasselbe ihm oder Max passieren könnte, hier in dieser Wohnung.
„Und dann bist du zu diesem Stephan nach München abgehauen? Papa sagte, der wäre fett und hässlich.“
„In den Augen deines Vaters vielleicht. Cosmin, ich hätte mit dir reden müssen. Oder zusammen mit dir… Ich kann die Zeit nicht mehr zurück drehen. Aber ich möchte, dass du weißt, wie bitter es für mich war, meinen kleinen Liebling zu verlassen und wie sehr ich das bereut habe. Stephan wollte keine Frau mit Kind, aber Alex… er hätte mich auch mit Kind geliebt.“
Cosmin starrte an die Zimmerdecke. Inzwischen hatte auch er in der Liebe eine Berg- und Talbahnfahrt hinter sich.
Seine Mutter drückte ihm einen Kuss auf die Wange und stand von der Couch auf.
„Ich möchte heute was Schönes für dich kochen…“
„… und für Maxi“, fügte Cosmin leise hinzu.
Seine Mutter begann im Küchenbereich des Zimmers mit Töpfen und Pfannen herum zu klappern. Ein paar Minuten lang verfolgte er, wie sie Kartoffeln schälte und Gemüse wusch, während Erinnerungen an ihre kleine Küche in der alten Wohnung in Wurzen durch seinen Kopf waberten. Dort hatte er ihr oft beim Essen kochen zugeschaut. Doch bald schon verschwammen die Bilder vor seinen Augen und er tauchte in einen Wirbel aus irren Träumen ab…

„Du hast das gekocht?“

Cosmin hatte eben noch in einem Boxring gestanden und zusammen mit Max gegen den Chinesen Tang gekämpft und sah Max jetzt an der Küchentheke stehen. Er war in nur mit einer Jogginghose bekleidet, über den nackten Oberkörper hatte er Badetuch geworfen. Haare hingen ihm in nassen Strähnen im Gesicht, offenbar hatte er kurz zuvor unter der Dusche gestanden.
Cosmin sah, dass sich seine Mutter zu ihm auf die Couch gesetzt hatte. Deshalb wandte er rasch seinen Blick von Max’ muskulösem Bauch ab.
„Cosmin mag diese Mici zusammen mit Mamaliga, das ist eine Art Maisbrei. Ich hoffe, die Mici schmecken dir, Maximilian. Für dich habe ich außerdem einen Kartoffelauflauf zubereitet, falls dir der Maisbrei…“
Cosmins Handy bimmelte und drei Augenpaare richteten sich auf den Couchtisch.
Das Display zeigte „Tata“ an.
Cosmin wandte sich an seine Mutter. „Ein Videoanruf von meinem Vater! Wenn du möchtest, rufe ich ihn später zurück.“
Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. „Weiß er von deiner Verletzung?“
Cosmin schüttelte den Kopf. „Noch nicht.“
„Dann ist es besser, er weiß, dass ich bei dir bin.“
Cosmin nahm das Gespräch an und kaum erblickte er seinen Vater, durchfuhr ihn ein heißer Schrecken. Sein Vater stand in Onkel Radus Wohnzimmer, im Hintergrund hörte Cosmin das Gepolter von Onkel Radus Stimme.
„Cosmin, wieso hast du seit Donnerstag in der Schule gefehlt?“, schimpfte sein Vater. „Frau Meyer… sag mal, wo bist du eigentlich?“
Cosmins Mutter deutete auf das Handy und Cosmin reichte es ihr. „Er will wissen, wo ich bin.“
„Florin, Cosmin ist bei meinem Stiefsohn Maximilian in Berlin“, sagte sie und Cosmin sah, dass sich sein Vater bei ihrem Anblick an einer von Onkel Radus Antiquitäten festhalten musste.
„Bianca? Aber warum?“, fragte er schwach und schien nicht zu wissen, worauf er den Blick richten könne.
„Er kam nach Berlin, um mit Maximilian zu reden und wurde Opfer eines Raubüberfalls“, antwortete sie und berichtete von Cosmins kurzem Krankenhausaufenthalt und davon, dass sich nun Max in dessen Wohnung um Cosmin kümmerte und sie selber für beide Jungen die Einkäufe und die Zubereitung des Essens erledigte.
Cosmin hörte jetzt auch mehrmals Camelias Stimme, die es offenbar kaum erwarten konnte, mit ihm zu reden.
„Maxi!“, rief er dem Freund zu und winkte ihn zu sich heran. „Mein Ring. Der ist in der Hosentasche meiner Jeans.“
Max schnaubte leise und zögerte.
„Komm schon…“
Max verdrehte die Augen, brachte ihm jedoch den Ring. Seine Mutter verfolgte aus den Augenwinkeln und mit gerunzelter Stirn, wie sich Cosmin den Ring an den Mittelfinger der linken Hand steckte. Sie verabschiedete sich von seinem Vater und reichte Cosmin das Handy.
„Cosmine, mein Junge. Wenn du möchtest, komme ich so schnell wie möglich zurück nach Dessau“, sagte sein Vater, doch Cosmin winkte ab. „Wir kommen klar hier, Tata. Wie geht es deiner Mutter?“
Das Gesicht des Vaters verfinsterte sich.
„Sie wird vielleicht nicht mal mehr das neue Jahr erleben.“
„Das tut mir Leid, Tata.“
„Schon gut, Junge. Ich bin froh, dass du Heiligabend mit deiner Mutter verbringst und dass du mit Max alles klären konntest. Wenn du möchtest, rede ich mit deiner Lehrerin.“
Cosmin schüttelte den Kopf. Er war sicher, dass ihm Frau Dr. Meyer wegen der geschwänzten Stunden keine Probleme bereiten würde.
Inzwischen drängelte sich auch Camelia in den Sichtbereich der Handykamera.
„Wir telefonieren vor Weihnachten nochmal, Cosmine. Wie du siehst, möchte hier noch jemand mit dir reden.“
Er winkte Cosmin einen Abschiedsgruß zu und reichte das Handy an Camelia weiter.
„Cosmi, Liebster, was ist mit dir, bist du krank?“ Er lag immer noch auf der Couch und steckte bis fast zu den Schultern unter einer Decke. Da sich seine Eltern auf deutsch unterhalten hatten, wusste sie noch nichts von seiner Verletzung und Cosmin hatte keine Lust, alles noch einmal zu erzählen. „Nur ein bisschen, mir geht es schon wieder besser.“
„Und, vermisst du mich?“
Cosmin hielt das Handy so, dass sie den Ring an seiner linken Hand sehen konnte. „Camelia, ich trage den Ring, und dann bist du sozusagen bei mir“, erwiderte er und hätte sich für diese Heuchelei am liebsten selber geohrfeigt. Er war heilfroh, dass weder seine Mutter noch Max verstanden, was er da redete. „Camelia, ich kann jetzt nicht so viel reden, meine Mutter ist hier.“
Cosmin hielt das Handy nun so, dass auch seine Mutter in ihr Blickfeld geriet.
„Sie ist eine so schöne Frau. Du hast nie von ihr…“
Plötzlich erstarrte sie, ihre Augen verengten sich zu glühenden Schlitzen. „Der! Der ist auch bei dir?“, keifte sie.
Max grinste und warf ihr eine Kusshand zu. „Natürlich ist er hier, das ist seine Wohnung, Camelia. Er ist mein Stiefbruder.“
Camelia schien Max mit ihren Blicken erdolchen zu wollen. „Cosmi, wir reden mal, wenn der nicht dabei ist. Ich will den nicht sehen“, rief sie und gleich darauf verblasste ihr Bild auf dem Display seines Handys.
Cosmin atmete erleichtert auf. Er ließ den Kopf auf das Couchkissen zurück sinken und bemerkte, dass seine Mutter auf den Verlobungsring an seiner linken Hand starrte.
„Wer war das Mädchen?“
„Seine Verlobte!“, antwortete Max an Cosmins Stelle.
Cosmin warf Max einen finsteren Blick zu. „Wir sind nicht wirklich verlobt, nur vorverlobt. Es ist ziemlich kompliziert, das zu erklären.“
Seine Mutter strich ihm mit den Fingern durchs Haar und erhob sich. „Ich habe auch viel falsch gemacht und halte mich mit guten Ratschlägen zurück, Cosmin. Aber ich glaube, du solltest nichts überstürzen.“
Sie deutete auf ihre Einkaufstüten. „Probiere alles an. Was nicht passt, nehme ich morgen wieder mit und tausche es um. Und jetzt lasst das Essen nicht kalt werden. Denke an deine Tabletten, sie liegen schon auf dem Tisch.“
„Ich sag’s nur ungern, Cos-Mi, aber wo sie Recht hat hat sie Recht“, sagte Max, nach dem sich die Tür hinter Cosmins Mutter geschlossen hatte. Er stellte Geschirr auf den Tisch und Cosmin gesellte sich zu ihm, um ihm beim Decken des Tisches zu helfen.
„Steht diese Kleine vielleicht immer noch zwischen uns?“
„Maxi, das hatten wir doch schon geklärt“, schnaubte Cosmin, zog den Ring vom Finger und warf ihn beinahe achtlos auf den Tisch. „Ich erzähle dir lieber, was ich von meiner Mutter erfahren habe. Vielleicht wirst du sie danach nicht mehr so hassen.“
Max setzte sich zu Cosmin an den Tisch und schaufelte sich etwas von dem Kartoffelauflauf auf seinen Teller.
„Ich hasse sie nicht mehr Cos-Mi“, erwiderte er leise. „Du siehst ihr viel zu sehr ähnlich.“
Max Worte ließen einen warmen Schauer durch Cosmins Brust rieseln.
„Trotzdem wird es dich interessieren, was ich herausgefunden habe.“ Cosmin kostete von den duftenden Hackröllchen und vom Maisbrei und fand, dass seine Mutter immer noch eine gute Köchin war. Dann erzählte er zwischen den Bissen, was er über die Liebesaffären seiner Mutter erfahren hatte.
Max starrte Cosmin entgeistert an und hatte offenbar mehrmals ein „aber“ auf der Zunge.
„Maxi, ich glaube ihr“, endete Cosmin seinen Bericht. „Ich erinnere mich, dass sie nach München abgehauen ist. Lebte denn dein Vater zu der Zeit in München?“
„Nicht dass ich wüsste. Aber wenn mein Alter damals nichts mit deiner Alten hatte, mit wem dann?“
Cosmin tätschelte Max’ Arm. „Das weiß wahrscheinlich nur dein Vater und die Frau, mit der er was hatte. Vielleicht solltest du nicht weiter darin herum stochern.“
Max griff nun seinerseits nach Cosmins Hand, die seinen Arm tätschelte. „Du hast Recht, Cos-Mi. Ich kann meine Mam nicht mehr zurück holen. Aber es ist für mich einfacher, jetzt wo ich weiß, dass deine Mutter nicht…“ Er verschluckte den Rest, stand auf und stellte das benutzte Geschirr in die Spüle.
Sein Gesicht hellte sich wieder auf dabei und er deutete auf die beiden Einkaufstüten neben der Couch. „Lass uns gucken, was für Klamotten deine Alte für dich gekauft hat.“
„Alles Markenklamotten, ich hab’ schon rein geguckt. Das Geld dafür hat sie bestimmt von deinem Vater.“
Max grinste anzüglich. „Und wenn, ich würde auch nicht wollen, dass du mit einem Slip rumläufst, der aussieht wie ein Kartoffelsack.“
„Maxi!“, brauste Cosmin auf, doch verspürte er ein Kribbeln im Bauch bei dem Gedanken an das, was sich gerade in Max’ Kopf abspielte. Zumal Max mit nacktem Oberkörper neben ihm stand. „Vielleicht solltest du auch öfter mal… du weißt schon was.“
„Du meinst wichsen? Nee, nicht, wenn ich allein mit meiner Vorlage bin“, kicherte Max und zog Cosmin auf die Füße. „Anprobe!“
Neben dem Trainingsanzug von Addidas, einer engen Levi’s Jeans und mehreren Markenshirts enthielten die Beutel auch weiße Sportsocken von Nike und hautenge Slips, zwei davon gingen fast schon als Tangas durch. Cosmin begriff nicht, wie seine Mutter auf die Idee kam, dass er diese Slips tragen würde. Hatte sie für seinen Vater früher auch solche Slips gekauft? Ihm fiel es schwer, sich seinen Vater in derartiger Reizwäsche vorzustellen Doch Max war begeistert. Als Cosmin in einem solchen Slip vor ihm stand, starrte Max auf die Beule im dreieckigen Vorderteil, als wolle er sie nicht nur mit den Augen verschlingen. „Deine Alte hat einen echt guten Riecher, Cos-Mi. Vielleicht sollte ich ihr künftig den Einkauf der Klamotten überlassen.“
Er zog Cosmin an sich. „Ich könnte jetzt ein Mittagsschläfchen vertragen“, flüsterte er in Cosmins Ohr. Cosmin fühlte, wie sich das Kitzeln am Ohr bis zu seinen Lenden ausbreitete.
„Maxi, du hast es gehört. Wir können erst in zwei Wochen wieder zusammen Sport treiben. Bis dahin geht es nur…“
Max erstickte Cosmins Einwand mit einem Kuss. „Ich passe auf, dass ich beim Schlafen nicht an deine Binden komme, okay?“
Die Jungen zogen sich gegenseitig zur Tür, die zum Korridor hinaus führte, doch noch ehe sie die Tür erreichten, klingelte Max’ Handy auf dem Wohnzimmertisch.
Max fluchte und auch Cosmin hätte das Klingeln lieber überhört. Widerwillig ließ er seine Hand von Max’ Bauch fallen und Max sauste zurück zum Wohnzimmertisch. Dort nahm Max’ Gesicht die Farbe von Neuschnee an. Er deutete auf die spitze Ausbuchtung in Cosmins neuem Slip. „Cos-Mi, zieh dir 'ne Hose an und deck dich auf der Couch ein bisschen zu! Leon ist schon unten auf dem Parkplatz und will mit mir trainieren“, rief er und hetzte aus dem Wohnzimmer.
„Auch das noch“, jaulte Cosmin leise auf. Bei dem Gedanken an seine Begegnung mit Leon vor den Herbstferien fühlte sich sein Bauch an, als wäre er mit Ziegelsteinen gefüllt.
Max kehrte ins Wohnzimmer zurück, gekleidet in Jeans und einem Shirt, das ihm bis zur Hüfte reichte und seine eben noch gut sichtbare Erregung versteckte. Er warf einen Blick zur Couch; offenbar um sicher zu gehen, dass Cosmins Erregung ebenfalls gut versteckt war und begann das benutzte Geschirr aus der Spüle zu räumen und in den Geschirrspüler einzusortieren.
„Musst du ihm nicht die Tür öffnen?“
„Nö, Leon hat einen Schlüssel für meine Bude.“

  1. Finsterer Besuch

Cosmin

Ein Schlüssel drehte sich im Schloss der Wohnungstür und Cosmin wünschte sich in diesem Moment zurück in das Krankenhauszimmer oder zumindest in einen tiefen Schlaf nebenan im Schlafzimmer.
Leon betrat das Wohnzimmer, jede seiner Bewegung erschien wie eine Symphonie aus Anmut und Kraft. Mit dem kurz geschnittenen blonden Haar und den strahlend blauen Augen glich er einem Engel, der die Unschuld der Jugend gegen die Reife eines erwachsenen Mannes eingetauscht hatte. Doch für Cosmin war es, als wäre Leons Haarschopf nicht von einem Heiligenschein umgeben, sondern von einem Schatten, einer finsteren Aura. Leons Blick glitt an der Eckcouch vorbei und verharrte auf Max, der neben der Spülmaschine hockte und so tat, als hätte er bis vor ein paar Sekunden versucht herauszufinden, wie er das Gerät einschalten könne.
Leons Augenbrauen zogen sich zusammen, was die von ihm ausgehende Aura noch finsterer erscheinen ließ. „Was treibst du denn da, Champ?“
Max fluchte leise. „Ich weiß nicht, wie das Scheißding funktioniert!“ Er erhob sich und ging seinem Onkel entgegen.
„Das findest du später heraus“, sagte Leon, nahm Max in seine Arme und zauste ihm das Haar. „Jetzt werden wir erst einmal was dafür tun, dass du nächstes Frühjahr diese blöde Geschichte mit Tang überlebst. Dein Sparringspartner ist ja im Moment ausgefallen.“
Er entließ Max aus seiner Umarmung und wandte sich zu Cosmin um, die eben noch strahlend blauen Augen verdunkelten sich.
„Wie geht es dir?“
Cosmin wagte es kaum, den Blick der stahlblauen Augen zu erwidern, zumal Leons Interesse an seinem Gesundheitszustand sicher ebenso geheuchelt war wie der eigene Heiratsantrag im August an Camelia. „Hallo, schon besser, glaube ich. In zwei Wochen kann ich wieder mit Max trainieren.“
„Ach so?“ Leons Augenbrauen rückten noch dichter zusammen. „Und wann fährst du zurück nach Dessau?“
Die Frage klang, als hätte Leon das Wörtchen „endlich“ zwischen „du“ und „zurück“ vergessen. Aber sie klang auch so, als stünde für Leon fest, dass Max nicht mit nach Dessau zurückkehren würde. Cosmin überlegte eine Sekunde lang, darauf zu antworten, wann „wir“ zurückkehren, doch er befürchtete, Leon damit zu offener Feindseligkeit zu provozieren.
„Ich hoffe, so nach Weihnachten“, erwiderte er leise. Er sah Max dessen wachsendes Unbehagen an den erstarrten Gesichtszügen an.
„Genug gequatscht. Cosmi, du hast gehört, was die Krankenschwester gesagt hat.“ An Leon gewandt fuhr Max fort. „Sie war sogar sauer, dass Cosmi auf der Couch pennt und nicht im Schlafzimmer. Los jetzt Onkelchen, ich will dich endlich vermöbeln.“
Cosmin entging nicht, dass Max auch das zärtliche „Cos-Mi“ vermieden hatte, vermutlich um Leon nicht auch noch mit der Nase darauf zu stoßen, was zwischen ihnen lief. Er atmete unendlich erleichtert auf, als sich hinter Leon und Max die Wohnungstür schloss.

Max

„Das hier ist echt ein Hammer!“, sagte Max, als er zusammen mit seinem Onkel das in ein Fitnessstudio umgebaute Kellergewölbe betrat. „Ich kapier nicht, wie du das an einem Tag hingekriegt hast.“
Die Bewunderung in Max’ Stimme war echt. Allerdings war Max auch erschrocken darüber, wie elend sich Cosmin eben gefühlt hatte und hoffte, Leon von Cosmin abzulenken, wenn er ihm etwas Honig ums Maul schmierte. Doch so schnell ließ Leon nicht locker. Er reichte Max ein Paar Boxhandschuhe und einen Gesichtsschutz aus einem Beutel, den er aus seinem Porsche geholt hatte. „Maxi, dein Tipp beim Pferderennen hat mir umgerechnet mehr als fünfzig Riesen eingebracht. Da gucke ich nicht so auf ein paar Scheinchen. Aber die Sache mit deinem Stiefbruder…“
„Leon, dieser Stiefbruder… Er ist auch ein guter Freund und hat mich noch nie hängen lassen.“
Leon warf Max einen langen, unergründlichen Blick zu. „Der ist extra aus Dessau angerückt, um dich weich zu klopfen und zu sich zurück zu holen. Maxi, wach auf! Dieser Kerl ist scharf auf dich!“
Max fühlte, wie ihm heiße Röte bis in die Ohrenspitzen schoss und offenbar entging Leon nicht, dass sich Max wie ein auf frischer Tat ertappter Dieb fühlte. Sein Onkel stieg seufzend in den Trainingsanzug. „Okay mein kleiner Champ, ich will nur eins, pass auf dich auf. Du bist mein kleiner Bruder. Ich hab dir das Kämpfen beigebracht, als du noch in die Windeln geschissen hast. Vielleicht willst du Erfahrungen sammeln, die… naja, die anders sind?“
„So’n Quatsch!“ Max schnaubte verärgert, doch Leon wischte das Schnauben mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite.
„Ich kann von Weibern nicht genug kriegen und Alex, dein Vater, er geht mir ständig damit auf den Geist, dass ich endlich das Wildern lassen und 'ne feste Freundin suchen soll. Es ist okay, wenn du auch mal so etwas … mit einem Typen ausprobierst. Aber zieh einen Schlussstrich, bevor der Kerl dich über’n Tisch zieht.“
„Leon, verdammt! Ich probier nichts mit Typen aus“, widersprach Max heftig und ergänzte: „Cosmin zieht niemanden über’n Tisch. Und außerdem ist er verlobt mit so 'ner Tussi aus Rumänien.“
„Vorgeschoben, wenn du mich fragst.“
Leon zog Max zu den Matten unterhalb der Kletterwände. „Themawechsel! Ich bin jetzt der Chinese Tang und will nur eins, dich irgendwie zermatschen. Zeig mir, dass ich mich mit dem Falschen angelegt habe.“
Vielleicht war es Max’ Verärgerung über Leons ungebetene Ratschläge, vielleicht hatten ihm aber auch die vielen Trainingseinheiten zusammen mit Cosmin als Sparringspartner geholfen, die Reaktionsschnelligkeit zu verbessern. Bei fast keinem der Schläge Leons wäre Max zu Boden gegangen, hätte Zähne eingebüßt oder sich die Nase brechen lassen. Mehrmals gelang es ihm sogar, trotz der Boxhandschuhe Leons Schläge mit Würfen zu kontern. Bei einigen dieser Würfe wäre Leon gar außerhalb des Rings gelandet. So schwer es Leon vielleicht auch fallen mochte - er gab zu, dass Max Fortschritte gemacht hatte.
Nach zwei Stunden harten Trainings versprach Max, sich mit Leon am nächsten Tag in der Magic Mountain Kletterhalle zu treffen, bevor sie sich voneinander verabschiedeten.

Cosmin

Cosmin starrte nach dem Klappen der Zimmertür hinter Max und Leon mehrere Minuten lang auf die mit Stuck verzierte Decke. Er fragte sich, wie viel wohl allein die Restaurierung des Stucks gekostet haben mochte, um sich von der Begegnung mit Max’ Onkel abzulenken. Wie würde Leon reagieren, wenn er erfuhr, dass Max mit ihm, Cosmin, ab dem nächsten Sommer hier zusammen leben wollte?
Cosmins Blick fiel auf Max’ Handy, das immer noch mit eingeschaltetem Display auf dem Wohnzimmertisch lag. Er hatte mehrere Male bemerkt, dass Max eine Internetseite wegklickte, sobald ein anderer mitlesen konnte. Cosmin ahnte, dass sich Max für Internetseiten interessierte, die er hin und wieder selber aufrief, wenn kein anderer dabei war. Dennoch konnte Cosmin der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick auf Max’ Suchanfragen zu werfen. Doch schon bei der ersten Suchanfrage lief es Cosmin kalt und zugleich heiß den Rücken hinunter:
„Analverkehr ohne Schmerzen“ oder „Analverkehr ohne Verletzungen“.
„Das Thema hatten wir doch abgehakt, Maxi!“, murmelte Cosmin und seine Gedanken kehrten zurück in das Hostelzimmer zu jenem Moment, in dem er zum ersten Mal in Max’ eingedrungen war. Beinahe sofort versteifte sich sein Glied und suchte einen Weg aus dem dreieckigen Vorderteil des engen Slips. Aber als Cosmin daran dachte, wie ebendieses Glied anschließend ausgesehen und geschmerzt hatte, fiel die Erektion in sich zusammen. Zumal sich gleichzeitig eine Erinnerung an die Schmerzen in seinen Kopf drängelte, die er selber bei Max’ vergeblichen Versuchen empfunden hatte. Obwohl das Thema für ihn erledigt war, durchstöberte Cosmin die Suchergebnisse mit den Ratschlägen und Insidertipps und wieder einmal schoss ihm Hitze ins Gesicht.

Maxi, du willst doch nicht ernsthaft, dass wir so was miteinander machen?

In einer weiteren Suchanfrage hatte sich Max darüber informiert, wie sich das Lustempfinden eines Mannes durch Oralsex noch steigern lässt. Cosmin und Max hatten schon einiges ausprobiert, auch Oralsex, obgleich sie es stets vermieden hatten, sich im Mund des anderen zu ergießen. Ebenso bevorzugten sie bestimmte Regionen am Körper des anderen. Schon seit der ersten Sportstunde erregte ihn der Anblick von Max’ muskulösem Bauch, während sich Max offenbar Cosmins schokoladenbraune Beine ausgeguckt hatte, angefangen von den mit zartem Flaum bedeckten Waden bis hin zu den glatten Oberschenkeln.
Beim Lesen der Empfehlungen reagierte sein Glied derart heftig, dass nicht einmal mehr die Decke seine Erregung verbergen konnte. Er fragte sich, ob sich der beinahe ständig präsente Hunger aufeinander etwas legen würde, wenn sie hier miteinander lebten. Cosmin schloss die Seiten, legte Max’ Handy auf den Tisch zurück und griff nach dem eigenen Handy.
Sergiu hatte ihm einige Mathehausaufgaben zu Schwerpunktberechnungen geschickt, mit denen Cosmin sich die Zeit hätte verkürzen und die Gedanken in eine andere Richtung hätte lenken können, aber in Max’ Haushalt gab es weder Papier noch Stifte.
Moritz und Simon hatten ihm ebenfalls geschrieben. Cosmin fiel ein, dass Moritz versucht hatte, ihn anzurufen und am Abend Simons Geburtstagsparty starten würde.
Er tippte mehrere Nachrichten an die beiden ins Handy. Anschließend schaltete er den Geschirrspüler ein und verkroch sich wieder unter der Decke.
Das rythmischen Summen der Maschine drückte auf Cosmins Lider und nach wenigen Minuten schlossen sich seine Augen.

Als er die Augen wieder öffnete, war sein Kopf nicht mehr auf dem Kissen gebettet sondern in Max’ Schoß. Max’ linke Hand umfasste Cosmins linken Arm, die rechte Hand hatte Max in Cosmins schwarze Zotteln versenkt.
Cosmin verrenkte den Hals und sah, dass Max gegen die Lehne der Couch gesunken und eingenickt war. Um die nackten Schultern lag sein Badetuch, von den nassen Haarsträhnen löste sich hier und da noch ein Tropfen.

Jetzt sieht er aus wie ein schlafender Engel!

Cosmin bedauerte, dass er diese Anblick nicht auf einem Foto festhalten konnte ohne Max aufzuwecken.
Er streichelte die Hand, die seinen Arm festhielt.
„Cos-Mi?“
Cosmin antwortete nicht; Max’ Augen waren immer noch geschlossen. Wie es schien, sah es in Max’ Traum nicht besonders rosig aus. Max zerknitterte regelrecht die Stirn.
„Geh nicht, Cos-Mi! Ich wälle…“ Der Rest des Satzes bestand aus einer Aneinanderreihung genuschelter Wörter. Nach dem Satz zog Max ein derart trauriges Gesicht, dass Cosmin es für das Beste hielt, den Freund aus dessen Traum heraus zu holen. Er drückte Max’ Hand.
„Ich bin hier, Maxi. Ich geh nicht weg!“
Max blinzelte, und kaum trafen sich ihre Blicke, glättete sich Max’ Stirn. „Was für ein Scheiß Traum!“, keuchte Max und hauchte einen Kuss auf Cosmins Stirn. „Da stand deine Prinzessin hier vor der Tür, um dich abzuholen und du bist mit ihr verduftet, Cos-Mi. Bloß gut, dass die soweit weg ist.“
Cosmin verschwieg lieber, dass Onkel Radu für die Winterferien vielleicht schon zwei Flugtickets nach Leipzig oder Berlin gebucht hatte. „Maxi, hör auf, dir wegen Camelia Sorgen zu machen. Wenn jemand zwischen uns steht, dann nicht sie.“
Max seufzte und begann mit den Fingern Cosmins Mähne zu durchpflügen. „Du meinst Leon?“
„Ich glaube, er hasst mich.“
„Glaub ich nicht“, sagte Max. „Er denkt, du bist scharf auf mich und willst mich… 'rum kriegen.“
Cosmin zuckte mit der Schulter. „Vielleicht hat er ja Recht. Und was denkt er von dir?“
Max kicherte leise. „Dass ich mich von dir 'rum kriegen lasse, wenn ich nicht aufpasse. Wenn er wüsste, wie scharf ich bin auf dich…“
„Dann was…?“
Max schwieg und ohne ihn aus den Augen zu lassen, ergänzte Cosmin: „Vielleicht wirst du dich irgendwann zwischen ihm und mir entscheiden müssen.“
Für einen Moment verharrten Max’ Finger regungslos in Cosmins Haaren, dann stieß Max den angehaltenen Atem aus. „Das wird er nicht von mir verlangen“, erwiderte er und ließ die Frage unbeantwortet, die Cosmin ihm nur in Gedanken gestellt hatte.

Für wen von uns beiden würdest du dich entscheiden, Maxi?

„Cos-Mi?“
„Hm?“
„Ich habe Leon versprochen, mich mit ihm morgen Nachmittag in der Kletterhalle zu treffen. Ist das okay für dich oder wirst du dich langweilen?“
„Klar ist es okay!“ Cosmin stupste seinen Kopf in Max’ Bauch. „Es sieht auch komisch aus, wenn wir die ganze Zeit wie Kletten zusammen hängen. Maxi?“
„Hier!“
„Kannst du mir Stifte und einen Block zum Rechnen besorgen? Es gibt da ein paar Matheaufgaben, die ich gerne rechnen würde.“
Cosmin erwähnte nicht, wessen Aufgabe er rechnen wollte. Ihre Beziehung war so schon kompliziert genug.
Max warf einen Blick auf das Display seines Handys. „Ich sprinte nachher los und hol dir was.“
Seine Hand, die eben noch Cosmins nicht vorhandene Frisur zerwurstelt hatte, glitt unter die Decke und begann, die Vorderseite von Cosmins neuem Slip zu erforschen.
Für einen Moment setzte Cosmins Atem aus und sein Glied hob den Kopf, als wäre es neugierig, wer da am Slip fummelte. Zugleich regte sich unter Cosmins Kopf der kleine Max.
„Maxi!“, japste Cosmin. „Dein Onkel hat einen Wohnungsschlüssel. Was, wenn er gucken kommt, ob ich dich schon 'rum gekriegt habe?“
Die Finger, die eben noch die Beule in Cosmins Slip streichelten, hielten erschrocken inne und traten den Rückzug an.
„Er würde nicht einfach so rein platzen hier…“, sagte Max, doch es klang eher wie ein frommer Wunsch.
„Ich könnte einen Schlüssel von innen stecken lassen, dann …“
„… weiß dein Onkel auch ohne rein platzen, was wir hier gerade machen“, beendete Cosmin den Satz. Max zog ein Gesicht, als würde ihm Cosmin einen Backenzahn ziehen.
Cosmin tätschelte die Hand, die eben noch seinen Slip erkundet hatte. „Abends fällt es vielleicht nicht auf, wenn der Schlüssel von innen steckt.“
Max erhob sich und schob ein Kissen unter Cosmins Kopf. „Ich besorg’ dir den Schreibkram. Brauchst du noch irgendwas?“
Cosmin nickte. „Die Heinis haben auch meinen Rucksack geklaut, obwohl da nur das Mathebuch von deiner Oma und eine Zahnbürste drin war. Ein Buch wäre nicht schlecht.“
„Dein Schulrucksack?“
Cosmin winkte ab. „Der war eh alt, den hatte ich seit der fünften Klasse. Ich kauf mir einen neuen.“
„Okay, ein Buch. Ich such was für dich!“, sagte Max und verließ das Wohnzimmer.

Zunächst zappte sich Cosmin auf seinem Handy durch eine Reihe weiterer Internetseiten, die bei Max’ Suchanfragen aufgelistet wurden. Mehrmals ertappte er sich dabei, dass er mit der rechten Hand in seinen Slip glitt. Nach Max’ Streicheleinheiten schien sich sein Glied nicht wieder schlafen legen zu wollen und es kostete Cosmin einige Überwindung nicht zu beenden, womit Max begonnen hatte.
Deshalb surfte er später auf weniger anregenden, dafür aber informativen Seiten, sofern die erzählten Geschichten nicht frei erfunden waren. Dort berichteten Jugendliche über ihre gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung und darüber, wie Eltern oder Geschwister darüber dachten. Zudem wollte Cosmin mehr über seine sexuelle Orientierung erfahren. Er verstand nicht, dass er bei keinem männlichen Wesen außer bei Max irgendein sexuelles Interesse verspürte und er bei Max derart heftig reagierte. Lag es daran, dass Max ein außergewöhnlich schöner Mensch war? Und umgekehrt? Sofern sich seit Max’ Selbstfindungstrips in die Dessauer Stadtschwimmhalle nichts geändert hatte, erging es Max offenbar genauso. Und erneut stellte sich Cosmin die Frage: „Warum ich?“
Cosmin war nicht blind und wusste, dass er nicht nur die Blicke vieler Mädchen auf sich zog.
Hätten wir uns auch ineinander verknallt, wenn einer von uns ein Mädchen gewesen wäre?
Die Klingel der Wechselsprechanlage schrillte und jagte Cosmin einen eisigen Schreck in die Glieder.

Leon?

Allein bei dem Gedanken, es hier auch nur eine Minute allein mit Max’ Onkel aushalten zu müssen, wurde ihm flau im Magen.
Ächzend erhob er sich und schlurfte in den Korridor.
„Wer ist dort?“
„Äh Welli?“, tönte es aus dem Hörer und eine andere Stimme widersprach. „Das ist nicht Welli!“
„Wir sind’s, Oski und Nick. Ist Welli nicht da?“
Cosmin atmete erleichtert auf, auch wenn ihm schwer fiel, den Spitznamen Welli mit Max in Verbindung zu bringen.
„Er ist was einkaufen“, sagte Cosmin und hoffte, die beiden Jungen würden wieder gehen, doch sie blieben hartnäckig. „Wir wollten uns heute Abend wieder treffen und haben wie versprochen Benzin dabei.“
„Okay“, seufzte Cosmin und fragte sich, was die Jungen mit Benzin meinen könnten. Hastig zog er sich die nagelneue Jogginghose an. Hochprozentigen Alkohol? Cosmin hatte Max noch nie auch nur angetrunken erlebt.
Wenig später öffnete er den beiden Jungen die Tür.
„Hi, ich bin Oskar“, grüßte ein bulliger Kerl mit ausrasiertem Stiernacken.
„Und ich Nicholas, aber alle nennen mich Nick“, sagte der Kleinere der beiden. Mit den etwas vorstehenden Schneidezähnen und den Pausbacken fehlten bei Nicholas eigentlich nur die langen Ohren, um als Osterhase durchzugehen. „Wer bist’n du?“, fragte Oskar und streifte sich die Schuhe von den Füßen.
„Cosmin, aus Dessau und sozusagen Maxis Stiefbruder.“
Oskar erstarrte für einen Moment und Nicholas klappte den Mund auf.
„Der Stiefbruder?“, fragte Nicholas, nachdem er den Mund wieder zugeklappt hatte. „Aber wollte Welli dich nicht… äh… er wollte dir doch immer…“
„… die blöde Fresse einschlagen?“ Cosmin zuckte mit den Schultern. „Er hat es sich anders überlegt. Kommt erst mal rein.“
Cosmin führte beide ins Wohnzimmer und hörte hinter seinem Rücken, dass Nicholas Oskar etwas zu raunte. „Hat der Kerl Welli echt Maxi genannt?“
Oskar stellte das „Benzin“, eine Flasche Whisky, auf dem Tisch ab, ließ sich wie Nicholas in einen der Sessel fallen und deutete auf die Couch. „Bist du auf Besuch? Pennst du hier?“
„Für ein paar Tage“, antwortete Cosmin und wusste nicht so recht, worüber er sich mit den beiden unterhalten könnte. Für seine Stichwunde wäre es besser, er würde wieder unter die Decke schlüpfen, aber es war ihm unangenehm, sich im Beisein von Max’ Berliner Freunden auf der Couch auszustrecken. Zumal die beiden ihn musterten, als hätte er hier nichts verloren. Eine Zeitlang sagte keiner ein Wort. Schließlich brach Nicholas das Schweigen. „Wir wollen darauf anstoßen, dass Welli nach den Ferien wieder in unserer Klasse ist und dort ein bisschen für Ordnung sorgt“, sagte er und stellte sechs Büchsen Bier auf den Tisch.
„Ich glaube, Max wird in Dessau bleiben“, sagte Cosmin leise.
„Unmöglich!“, brauste Oskar auf. „Dort ist dieser verhasste Stief…“
„Der ist doch hier, Blödmann“, fuhr ihm Nicholas ins Wort und nickte zur Couch.
Cosmin sah, dass Oskar ihn anstarrte, als hätte er ihm das Lieblingsspielzeug weggenommen.
Plötzlich spitzten alle drei Jungen im Raum die Ohren. Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen und gleich darauf drang Max’ Stimme durch die halb offen stehende Wohnzimmertür. „Bin zurück, Cos-Mi!“

Max

Allerdings wartete Max vergeblich auf eine Antwort.
Schläft der Bengel schon wieder?, fragte er sich, während er seine Jacke an einen Haken der Flurgarderobe hing. Er konnte es kaum erwarten, dass Cosmin einen Blick in den neuen Schulrucksack warf, in dem neben einem Block und einer mit Stiften befüllten Federmappe auch zwei Architekturbücher und ein Weltraumabenteuer steckten.
Er betrat das Wohnzimmer. Cosmin saß wie ein begossener Pudel auf der Couch, ihm gegenüber fläzten Oskar und Nicholas in den Sesseln und auf dem Tisch standen neben einer mit „Benzin“ gefüllten Whiskyflasche sechs Bierbüchsen.
Jäh fiel Max ein, dass sie für heute einen neuen Saufabend geplant hatten, in dem er seinen Kummer hatte ertränken wollen. Nur dass dieser Kummer nicht mehr existierte.
Während er seinen Kumpels einen Gruß zunickte, suchte er fieberhaft nach einer Ausrede.
Er reichte Cosmin den Rucksack und schnaubte verärgert. „Cos-Mi, bist du irre! Du sollst liegen, nicht sitzen.“
An seine beiden Kumpel gewandt fuhr er fort. „Das ist mein Stiefbruder Cosmin. Vor drei Tagen wollten ihn zwei Mistfliegen abstechen. Jetzt pass ich auf, dass er wieder auf die Beine kommt. Tut mir echt leid Leute, aber wir müssen das hier verschieben. Zeig den Leuten mal, wie es bei dir unterm Hemd aussieht Cos-Mi!“
Zu Max’ Erleichterung spielte Cosmin mit, hob sein T-Shit an und entblößte kurz den mit einem Verband umwickelten Oberkörper. Dann verkroch er sich stöhnend unter der Decke und nestelte am Verschluss seines neuen Schulrucksacks.
„Wir dachten, du hasst ihn!“, zischte Nicholas.
„Und jetzt tust du so, als wärst du seine Krankenschwester“, maulte Oskar. „Stimmt es, dass du doch nicht hier bleibst?“
„Hey Oski, Nick, hab mich geirrt, klar? Cosmin ist total okay! Und was passiert, wenn man nicht auf ihn aufpasst, habt ihr grade gesehen. Das Messer hätte ihn um ein Haar gekillt. Also muss ich wohl zurück nach Dessau. Wir sehen uns aber bei Nick, wenn ich mein Bruderherz mal für ein paar Stunden allein lassen…“
„Maxi, bist du wahnsinnig?“ Cosmin drehte und wendete mit glänzenden Augen eines der beiden Architekturbücher in seinen Händen. „Das kostet über fünfzig Euro und ich…“ Erst jetzt schien Cosmin zu bemerken, dass die Zeit im Raum plötzlich still zu stehen schien.
Oskar fand als erster seine Sprache wieder. „Hat der gerade Maxi zu dir gesagt?“
„Obwohl du es hasst, wenn es einer von uns sagt?“, sekundierte ihm Nicholas.
„Kriegt euch ein, okay?“ Max zuckte mit der Schulter. „Er gehört zu meiner Familie, klar? Da stört’s mich nicht. Und jetzt braucht er Ruhe. Sorry, Leute.“
Widerwillig erhoben sich Oskar und Nicholas aus ihren Sesseln, zumal sie nur die Whiskyflasche mitnehmen durften. Die Bierbüchsen kassierte Max als Gastgeschenk ein.
Nach dem sich die Wohnungstür hinter den beiden Jungen geschlossen hatte, warf ihm Cosmin einen betretenen Blick zu. „Tut mir Leid, das mit dem Maxi. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du es hasst, wenn man dich so nennt?“
Max setzte sich zu Cosmin auf die Couch. „Ich mag es nicht, wenn ein Kerl in meinem Alter Maxi zu mir sagt. Aber wenn du es sagst, Cos-Mi, dann ist es anders. Es klingt irgendwie… richtig.“