Queerpoint wünscht einen schönen ersten Advent!
Passend dazu hat uns PurpleGecko erlaubt an jedem Adventssonntag einen Teil seiner Geschichte Zimtstaub zu veröffentlichen.
Zimtstaub
Autor: PurpleGecko
Kapitel 1
Es war Freitag um halb Sieben, als es an der Tür klingelte. Manuel hatte sich gerade für die heutige Nacht fertig gemacht, und nun würden ihn seine Freunde abholen, um mit ihm in die Disco zu fahren und wie öfter mal am Wochenende Party zu feiern. Diesmal würde es eine Pre-Xmas-Party sein, denn der 4. Advent stand kurz bevor und eine allumfassende Weihnachtsstimmung hatte sich bereits wie ein feiner, wohlduftender Nebel über die Stadt gelegt. Er schaute nochmal, ob er alles dabei hatte, und zog schnell seine Jacke an. Dann rannte er von seinem Zimmer über die Treppe zur Haustür hinunter, begrüßte zunächst Markus und schließlich die anderen, die im Auto geblieben waren. Ohne langes Gerede stiegen beide ein und fuhren los.
Eigentlich war Manuel heute so gar nicht nach Disco. Ihm ging es den ganzen Tag über schon grenzwertig, um nicht zu sagen beschissen, und er wusste nicht mal recht, wieso. Er war bereits mit einer miesen Laune aufgestanden, die seither nicht besser geworden war, und nun hoffte er, wenigstens am Abend noch ein bisschen Spaß haben zu können, wenn die Aussichten auch gerade noch gering schienen. Zur Not würde er ein paar heißen Jungs hinterhersehen, von denen es in der Disco immer reichlich zu sehen gab, vielleicht würde ihn das aufheitern.
„Also wir gehen dann schon mal bisschen tanzen, kommt ihr mit?“, fragte Tom die anderen und nahm Julia, in die er sich erst vor Kurzem verschossen hatte, gleich bei der Hand.
„Nee, ich brauch jetzt erst mal was Ordentliches. Fangt schon mal an, wir kommen dann nach!“, antwortete Markus für den Rest der Truppe, die ihm fröhlich zustimmte.
„Na gut, bis denne“, lachte Tom und verschwand mit seiner Freundin.
„Also kommt Leute“, rief Konstantin, und alle folgten ihm zur Bar.
Es war beinahe schon ein Ritual, dass der erste Drink, den die Freunde in der Disco zu sich nahmen, ein Kirsch-Wein-Wodka, genannt „Das kleine Rote“, war. Wie sie gerade auf dieses Getränk gekommen waren, wusste keiner von ihnen mehr so recht, aber es war zur schönen Gewohnheit geworden, die sie seit einer gefühlten Ewigkeit beibehielten. Manuel nahm gar nicht so recht wahr, was die anderen redeten, er war gerade viel zu sehr in seine eigenen Gedanken versunken.
Manchmal konnte er richtig extrovertiert sein und ließ auf Partys gerne mal alles aus sich raus, aber heute war er nur der stille Denker, der wortlos dasaß und sich seiner Melancholie hingab. Ihm war heute einfach nicht nach Feiern zumute, und daran würde sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern. Lieber wollte er rausbekommen, warum es ihm den ganzen Tag schon so mies ging, und wie er das ändern konnte.
Seine Jungs waren inzwischen fertig mit Trinken und machten sich auf.
„Hey Manu, bist du schon dicht?“, fragte ihn Leon, und Manuel war sich nicht mal sicher, ob sein Kumpel das ernst oder ironisch meinte.
„Nä, wieso?“
„Naja, du siehst so aus… Kommst du? Wir gehn jetzt.“
Manuel war überhaupt nicht nach Tanzen. Ganz und gar nicht. Für einen Sekundenbruchteil dachte er, er sollte es wenigstens versuchen, vielleicht würde das seine Stimmung heben. Aber wenn er so darüber nachdachte… lieber doch nicht.
„Nee, geht schon mal vor, ich komm dann nach!“
„OK, aber nicht schon alles leer saufen, ja? Lass uns was über!“ Lachte und machte sich mit den andren auf zum ersten Dancefloor.
Manuel kam sich auf einmal so einsam vor. Nicht, dass es an seinen Kumpels gelegen hätte, die jetzt fort waren – auf die kam es nicht an, nur bemerkte er es erst jetzt so richtig. Irgendetwas fehlte, eine innere Leere gähnte ihn an, und er war sich fast sicher, dass sie auch vorher schon da gewesen war, und dass er sie erst jetzt, gerade in diesem Moment, in ihrer vollen Intensität wahrnahm. Daran konnten weder die vielen Menschen hier drin, noch der heiße Barkeeper, noch der idiotisch tanzende Weihnachtsbaum in der anderen Ecke des Raumes etwas ändern.
Er trank seinen Becher leer, sprang auf, und lief durch einen zweiten Ausgang über einen kleinen Gang hin zu einem anderen Dancefloor. Manuel hatte das Gefühl, etwas suchen zu müssen. Er wusste zwar nicht wonach, aber sein Bauch sagte ihm, dass er es hier draußen viel eher finden würde als dort im Loungebereich. Vielleicht war es etwas, dass die Leere füllen würde, die sich eben in seinem Inneren breit gemacht hatte, einfach nur etwas, um dieses Loch zu stopfen. So hielt er sich zunächst am Rand, beobachtete die Menschen, wie sie exaltierend zur pulsierenden Musik über den Boden hüpften, sich verrenkten, krakeelten und sich zum Affen machten, während Laserstrahl um Laserstrahl, quietschbunte Lichtkegel und weißer Dampf durch die stickige Raumluft geisterten. Manuel war erstaunt über diesen negativen Blickwinkel, den er gerade innehatte, er war ja sonst auch ein Teil dieser singenden und springenden Meute gewesen, und das im Grunde sehr gerne.
Irgendetwas versetzte Manuel einen Impuls, hier wieder rauszugehen und weiterzusuchen. Er lief wieder durch den Gang, an den Toiletten vorbei und eine Treppe hinauf. Auf dem Plateau gab es irgendwo noch eine Bar, die er beiseite lassen wollte. Vielleicht würde er auf dem dritten Dancefloor noch etwas Spannenderes erleben als unten. Manuel betrat den Raum, musste aber entgegen seinen Erwartungen feststellen, dass hier tote Hose war. Nur ein paar einzelne Liebespaare schweiften über die Tanzfläche, wo gerade eine Popschnulze widerliche Pseudoromantik verbreitete. Er warf noch einen kurzen, fast schon angeekelten Blick auf die Paare, die sich aneinander festklammerten, als würden sie jeden Moment Gefahr laufen, umzukippen, und kehrte schnell wieder um.
Manuel wollte bereits zu den anderen zurücklaufen, als er an der Glastür vorbeikam, die zu einem kleinen Freiluftbereich führte. Eigentlich war es mehr ein kleiner Terrassenbalkon für die, die zwischendrin an die frische Luft wollten, ohne die Disco verlassen zu müssen. Im Sommer war es hier manchmal gerammelt voll, und eine kleine Extrabar bot Cocktails an. Heute war es dafür viel zu kalt, und es befand sich niemand dort draußen – bis auf einen vermutlich gleichaltrigen Jungen, der sich auf der Brüstung abstützte und still in die dunkle Dezembernacht blickte. Einem inneren Drang folgend betrat Manuel den Balkon. Auf unergründliche Weise machte sich das Gefühl in ihm breit, dass der Junge das war, wonach er gerade suchte. Und vielleicht würde sich ja noch mehr ergeben…