Ehemann

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Coming-out

Wenn ich an mein Coming-out zurückdenke, fallen mir da ein paar Eckdaten ein:
Ich outete mich an meinem 18. Geburtstag bei meinen Eltern. In den Wochen zuvor hatte ich mich bereits bei meinen Brüdern, meiner Tante und meiner Oma geoutet. Aber bei meinen Eltern war das anders: Auch wenn sie generell tolerant waren, fiel es mir unglaublich schwer, es ihnen zu sagen. Dass ich schwul bin, weiß ich seitdem ich zwölf oder dreizehn bin, aber bis dahin hatte ich nie ernsthaft darüber nachgedacht, mich zu outen. Also hatte ich zu dieser Entscheidung fünf Jahre gebraucht. Man kann natürlich argumentieren, dass gar keine Notwendigkeit zu einem Coming-out besteht, weil auch Heteros sich nicht outen. Aber das kann man auch nicht wirklich vergleichen. Es gibt in Amerika eine Organisation namens ‘SpeakOUT’, die freiwillige Redner zu LGBT*Themen an Schulen und sonst wo, wo man ihnen zuhört, schickt. Eine Übung, die man dort mit Schülergruppen durchführt, geht folgendermaßen: Jeder Schüler überlegt sich drei wichtige Eigenschaften von sich selbst und begibt sich dann in eine Gruppe, in welcher er sich mit den anderen unterhält, ohne jedoch diese drei Eigenschaften zu erwähnen. Ziel der Übung ist es, zu zeigen, wie schwierig es ist, einen Teil seiner selbst zu verbergen. Und das war auch für mich ein Grund für mein Coming-out: Ich hatte meine sexuelle Orientierung von Anfang an akzeptiert und mit Homophobie selbst bisher keine Berührung gehabt. Dennoch war die Heteronormativität in so vielen kleinen alltäglichen Aussagen so himmelschreiend inkorrekt in meinem Fall. Frage wie “Hast du eine Freundin?” stellten einen automatisch vor die Wahl, entweder pauschal zu verneinen, da es aller Voraussicht nach nie einen weiblichen Partner geben würde, zu verneinen, aber den Anschein zu erwecken, dass sich das jederzeit ändern könne oder aber sich spontan zu outen. Mittlerweile ist es kein Problem für mich “Nein, und wenn dann wäre es ein Freund” zu antworten, aber damals hieß das, dass jemand anderes den Zeitpunkt meines Coming-outs festlegte und so entschied ich mich für die Flucht nach vorn: Ich outete mich. Ich outete mich an meinem achtzehnten Geburtstag.

Mark und ich mussten uns nicht beim jeweils anderen outen, da wir uns in einem Schwulenforum kennengelernt hatten und so stand diese Eigenschaft schon von Anfang an fest.
Am Tag nach meiner überraschenden Hochzeit schrieb Colin weiter in der Gruppe. Diesmal druckste er herum und eröffnete uns, dass er uns etwas Wichtiges mitteilen wolle. Er war auf einmal nicht mehr so sicher, wie er anfangen sollte. All die gestrige Sicherheit, die er bei der Partnerwahl gezeigt hatte, schien ihm hier gänzlich zu fehlen. In einer Sache war er allerdings offensichtlich sicher: Er wollte es uns mitteilen. Er wollte uns etwas mitteilen, was er anscheinend noch keinem anderen Menschen oder zumindest nur einem sehr nur sehr kleinen Kreis, dem er vertraute, erzählt hatte. Also vertraute er nicht nur mir, dass ich ein guter Ehemann sein würde, sondern er vertraute uns auch generell. So stark, dass er uns etwas mitteilen wollte, was ihm augenscheinlich starke Probleme bereitete zu benennen.
Die sichere Umgebung schien ihm schließlich die Selbstsicherheit zu geben, die er brauchte. “Ich bin schwul”, platzte es aus ihm heraus.

Schließlich erklärte er, wie dieser Stein überhaupt ins Rollen gekommen war:
In der Schule hatte Mark ihn immer wieder damit aufgezogen, dass Colin ja schwul sein müsse. Genau gewusst, dass er damit ins Schwarze traf, hatte Mark nicht – es war zum Teil Spaß und zum anderen Teil eine bloße Vermutung gewesen, die genauso gut Wunschdenken hätte sein können. Irgendwann war es Colin so unangenehm gewesen, dass er Mark darauf ansprach und ihn bat, diese Scherze zu lassen, da er damit recht habe. Überrascht und erfreut, richtig gelegen zu haben– denn einen Schwulen bloßzustellen war definitiv nicht seine Intention gewesen –, reduzierte Mark nun die Anspielungen, da eine völlige Einstellung der Neckereien für ihn zu auffällig hätte sein können.

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