Angel

Teil 2 - Aufpassen wo du dich hinsetzt!

Der Geschichtsunterricht der schon etwas labilen Mrs. Schroeder war so ziemlich das langweiligste Fach in der gesamten Schule. Das lag zum Teil daran, dass sie den gesamten Unterricht nur aus dem Schulbuch vorlas und zum Teil an ihrem monotonen Tonfall. Tests oder mündliche Überprüfungen hatten wir nie. Ich wusste nicht ob sie es immer vergaß oder ob sie sich nicht die Mühe machen wollte uns nach schulischen Leistungen zu benoten. Es ging das Gerücht um, dass sie immer am Ende des Schuljahres mit einem Würfel über unsere Noten entschied, aber ich nahm an, dass sie uns einfach danach bewertete wie sehr sie uns mochte. Da ich den Unterricht nie störte, hatte ich bis jetzt immer eine Zwei in dem Fach bekommen. Damit war ich vollkommen zufrieden. Normalerweise verbrachte ich die Stunde immer damit Musik zu hören oder auf der Tischplatte vor mich hin zu dösen, aber heute war es anders gewesen. Ich dachte zur Abwechslung mal über ein produktives Thema nach – nicht zu glauben, oder? – Und zwar über die Ungerechtigkeit der Diskriminierung. Ich selbst war noch nie diskriminiert worden, aber ich bekam viel von dem ganzen Zeug mit. Sei es Rassismus, Xenophobie oder Homophobie, war ich täglich umgeben davon. Sogar in dieser Stunde wurde ständig über Liam hergezogen. Ständig erzählte irgendjemand einen Schwulenwitz, der nur als lustig empfunden wurde, weil einer anwesend war. Sonst hätte vermutlich niemand darüber gelacht, außer vielleicht Alvin und seine Streifenhörnchen-Freunde. Die kringelten sich jedes Mal, wenn es jemand schaffte seine gleichgültige Miene zu brechen. Mich nervte das ganze einfach nur noch. Ich sah zu Liam rüber. Inzwischen hatte er gelernt, dass ihm nichts entging, wenn er die ganze Stunde über Musik hörte. Leise trommelte er mit den Zeigefingern auf seinen Tisch und bewegte seinen Kopf und die Lippen zur Musik. Der Tisch neben ihm war frei, da sein Freund war ein Jahr jünger war als er. Ich fragte mich, womit er diese Ausgrenzung verdient hatte. Eigentlich tat er ja nichts Böses. Natürlich würde ich es alles andere als lustig finden, wenn er mir an den Hintern fassen würde oder diese ganzen anderen Sachen, vor denen Alvin jede einzelne Sekunde warnte. Obwohl eigentlich wäre es mir egal. Aber ich glaubte nicht, dass Liam das machen würde. Ich beobachtete für eine Weile seine Lippen und versuchte herauszufinden welchen Song er gerade tonlos mitsang, bis ich merkte, dass ich ihn anstarrte. Schnell senkte ich den Blick wieder auf meinen vollgekritzelten Schreibblock. Normalerweise dachte ich im Geschichtsunterricht über andere Dinge nach. Ich versank langsam wieder in den kleinen, üblichen Träumen.

Das Klingeln der Schulglocke riss mich aus meinen Tagträumen. Freudig stand ich auf. Der Geschichtsunterricht war der letzte vor der Mittagspause. Mrs. Schroeder las unbeirrt weiter aus dem Buch in ihrer Hand vor. Ich gluckste als ich drauf kam, dass es nicht einmal das Geschichtsbuch war, sondern der zweite Teil von Harry Potter. Ich schüttelte den Kopf. Ich verstand nicht warum sich noch nie jemand über diese Frau beschwert hat. Wahrscheinlich weil sie noch nie jemanden durfallen hatte lassen. Oder weil sie sowieso die einzige Person war, die diesen Job haben wollte.

Ich ging hastig mit Jason im Schlepptau zur Kantine. Das Essen dort war manchmal sogar richtig lecker. Das war etwas, das unsere Schule besonders machte. In den meisten High-Schools konnte man sogar Gefängnisessen dem vorziehen, das man dort serviert bekam. Wie dort das Essen schmeckte wusste ich sehr gut. Etwa einmal im Jahr mussten alle Jungen der gesamten Schule eine Art Workshop machen. Wir verbrachten einen Vormittag im Gefängnis um uns von dummen Ideen abzubringen. Die Kriminalität war in der Gegend nicht wirklich hoch, aber es gab genug alte Leute, die schon die Polizei riefen, wenn jemand in zerrissenen Jeans vor ihrem Haus eine Zigarette rauchte. Die Vormittage im Knast waren schon gruselig. Ich hatte nicht vor jemals irgendwas Gesetzeswidriges zu machen seitdem ich gesehen hatte wie die Toiletten aussahen und vor allem wo sie sich befanden. Nämlich direkt in der Zelle ohne irgendwelche Trennwände. Versteht mich nicht falsch, ich geniere mich nicht vor anderen. Es gibt ja schließlich nichts, das ich verstecken musste aber ich war nicht wirklich scharf darauf vor anderen mein Geschäft zu verrichten.

Jason und ich stellten uns an und bekamen von den Sozialarbeitern an der Essensausgabe eine große Portion Essen. Ich nahm mein Tablett und hielt Ausschau nach einem freien Platz. Ich erblickte einen freien und auch ungewöhnlich sauberen Tisch und ging schnell dahin. Jason brauchte noch etwas länger, weil er sich noch einen Kaffee holen wollte. Also setzte ich mich auf die Bank und spürte sofort die Folgen. In einer High-School sollte man immer aufpassen bevor man sich hinsetzt.

„Verdammte Scheiße!“, fluchte ich und betrachtete meine Jeans. Ich hatte einen unansehnlichen, weißen Dressing-Fleck auf meinem Hintern. Ich schnappte mir die eine Serviette, die wir zum Essen bekamen und wischte vorsichtig den Fleck weg.

„Sieht heiß aus, King!“, rief eine Stimme. Ich kannte die Stimme gut, denn die Person zu der sie gehörte redete einen in der Tat sehr oft an. Meistens versuchte ich ihn dann immer abzuwimmeln, da mich seine kleinen Problemchen nicht interessierten.

„Hi, Connor.“, sagte ich und schnaufte durch die Nase aus. Connor stand vor mir in seiner blau-weißen Cheerleader-Uniform – er trägt gottseidank eine Hose und keinen Rock-, und seiner typischen Gelfrisur.

„Soll ich dir helfen das wegzumachen?“, fragte er und verschränkte die Arme. „Ich hab Erfahrung auf dem Gebiet“

„Nein, danke.“, sagte ich. Das fehlte mir gerade noch.

„Na dann eben nicht, ich wollte sowieso was anderes von dir.“

Ich seufzte und wischte den Rest des Dressings weg und setzte mich auf eine Dressing freie Stelle der Bank. Connor wuselte um den Tisch herum und setzte sich mir gegenüber hin. Ich beschloss ihn so schnell es ging loszuwerden.

„Was willst du, Connor?“, fragte ich und schob meinen Salat beiseite. Ich hatte erstmal keine Lust auf Dressing mehr.

„Erstens, kann ich den Salat haben?“

„Klar, ist das alles? Und wieso isst du kein Fleisch?“, fragte ich und biss von meinem Stück ab.

„Weißt du eigentlich wie schnell man von diesem Zeug fett wird?“, fragte Connor schon fast geschockt. „Ich bin zwar Cheerleader aber nur das Training reicht nicht. Ich muss mich sehr gesund ernähren um schlank zu bleiben. Meinst du ich würde diese Figur einfach so aufgeben?“

Er deutete auf seine schlanken Lenden. Ich rollte mit den Augen. Das war mal wieder typisch Connor.

„Nein, natürlich nicht.“, sagte ich und versuchte so gut es ging zu verbergen, dass er mir auf die Nerven ging. Ich wartete darauf, dass Connor endlich sein zweites Anliegen nannte um ihn so schnell es ging abzuschütteln. Der Junge war wie eine Klette wenn er nicht Rede und Antwort bekam. Doch vorerst hatte etwas Anderes seine Aufmerksamkeit.

„Oh, da kommt mein Freund. Liam! Hierher!“

Ich drehte mich um und sah wie Liam zu unserem Tisch kam. Er hatte seinen Teller und seinen Becher nicht auf einem Tablett sondern in der Hand. Ich wusste warum. Alvin machte sich oft einen Spaß daraus ihm sein Tablett so von unten aus der Hand zu schlagen, dass Liam eine Ladung Essen auf sein T-Shirt bekam. Er setzte sich mir gegenüber neben Connor. Dieser drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: „Hi, Baby!“

Ich sah es gleichgültig mit an. Ich hatte das gerade schon oft genug gesehen um mich noch darüber zu wundern oder zur Seite sehen zu müssen – ja, das hatte ich eine Zeit lang gemacht, na und?

„Hi“, sagte Liam nur und nickte mir zu. Dann widmete er sich seinem Essen. Er hatte wie ich Fleisch auf seinem Teller.

„Also“, sagte Connor und tippte mir auf den Arm, damit ich von meinem Essen aufsah. „Ich finde du solltest zu den Cheerleadern kommen“

Ich verschluckte mich und hustete erstmal.

„Klasse Idee, oder? Ich hab schon unseren Coach gefragt. Sie hat gemeint, dass es Uniformen in deiner Größe geben würde“

Liam gluckste. Offenbar hatte er daran gedacht wie ich wohl in der blau-weißen Uniform aussehen würde.

Als ich mich wieder eingekriegt hatte, sagte ich bestimmt: „Nein Connor, ein hundertprozentiges Nein!“

„Wieso nicht? Du würdest klasse aussehen und könntest uns bei Hebe-Übungen helfen! Da wären die Performances spitze. Ich hätte auch schon super Ideen für…“

Connor begann eine ausführliche Rede über die Vorzüge des Cheerleader-Teams zu halten. Ich versuchte ihn nicht einmal zu unterbrechen. Das würde letztendlich mehr Zeit kosten als bringen. Stattdessen aß ich in aller Ruhe mein Essen. Nachdem Connor geendet hatte, sah er mich mit hochgezogenen –perfekt gezupften - Augenbrauen fragend an.

„Nein Connor, keine Chance.“, sagte ich so geduldig wie möglich. „Erstmal könnte ich nicht gleichzeitig Football spielen und mich dabei anfeuern und zweitens ist Cheerleadern nicht was für jeden Jungen. Stell dir mal mich mit Pompons vor.“

Liam lachte auf. Connor boxte ihn in die Seite.

„Lach nicht. Du müsstest mich eigentlich dabei unterstützen ihn hier zu überzeugen! Außerdem könntest du selber zu uns kommen. Du hast nicht die Football-Ausrede.“

Liam hörte auf zu lachen.

„Hör zu Connor, nur weil dir das gefällt, heißt es noch lange nicht, dass es jedem Jungen gefällt. Brandon hat es schon gesagt.“, sagte er schnell.

Ich nickte und sagte: „Sorry, Connor!“ und trank meine Cola aus.

„Schade. Du wärst eine Bereicherung für uns gewesen“ sagte Connor und fing irgendein Gespräch über Fitness mit Liam an.

Ich nutzte die Chance und stand auf und suchte Jason. Er war nicht aufgetaucht wie er es gesagt hatte. Ich fand ihn in der Mitte des Raumes.

„Wo warst du denn?“, fragte ich. „Weil du mich nicht da weggeholt hast, musste ich mir eine Predigt von Connor anhören!“

„Sorry man. Ich, ähm hatte Probleme den Zucker zu finden.“, sagte er schnell.

„Du trinkst Kaffee doch immer ohne Zucker.“, sagte ich.

„Deswegen hatte ich auch Probleme ihn zu finden.“, sagte er grinsend.

„Na toll, herzlichen Dank auch. Hast du wenigstens welchen gefunden?“, fragte ich.

„Ja, aber dann wollte ich nicht von meiner Gewohnheit abkommen und habe den Zucker dann doch weggelassen.“

„Aha, gib doch zu, dass du absichtlich nicht gekommen bist um Connor zu entkommen.“

„Ja, von mir aus, ich gebe es zu“

„Soso, so stelle ich mir einen besten Freund vor.“, sagte ich säuerlich.

„Ich glaube nicht einmal der beste Freund auf der Welt würde nicht verlangen freiwillig in die Nähe von Connor zu kommen.“, sagte Jason entschuldigend.

Ok, das gab Rache. Ich stieß wie per Zufall an sein Tablett in den Händen.

„Ups“, sagte ich und grinste böse.

„Ach, Mensch Brandon! Jetzt hast du meinen Kaffee umgestoßen!“

„War gar nicht meine Absicht. Immerhin weißt du diesmal wo der Zucker steht, wenn du dir einen neuen holst“, sagte ich mit leichter Ironie im Unterton.

Jason boxte mir in die Seite und ich musste lachen. Nachdem Jason einen neuen Kaffee geholt und sein Mittagessen gegessen hatte, gingen wir in Richtung der Sportplätze. Ich verabschiedete mich von Jason am Basketballplatz und ging weiter zum Umkleidekabine neben dem Footballfeld.

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