Ehemann

12

Irgendwas dazwischen

Auch die folgenden Tage und Wochen brachten uns der Entscheidung, ob es nun Freundschaft oder Liebe war, kein Stück näher. So intensiv wir auch darüber redeten, kamen wir in dieser Frage einfach nicht weiter.
Und dennoch genoss ich unsere Gespräche. Wir waren uns unserer Gefühle füreinander bewusst und es fühlte sich wie eine light-Version einer Beziehung an. Es war einfach schön, mit Colin zu schreiben und die Vorstellungen des anderen noch mehr und noch tiefer abzutasten. Vielleicht könnte das uns letztendlich sagen, in welche Richtung es mit uns gehen würde oder die Zeit würde es zeigen. Wir verschoben die Beantwortung der Frage immer weiter nach hinten und ohne diese würden wir auch keinen Schritt weitergehen – in welche Richtung auch immer. Wir redeten über den jeweils anderen, aber selten wirklich über uns .

Wir schrieben auch oftmals in der Mittagspause miteinander, als ich noch ein Handy hatte. Dabei machte ich nach unseren Gesprächen häufiger die Entdeckung, dass Präejakulat in der Boxershorts klebte. Damals wunderte mich das doch sehr, da ich Colin nicht sexuell erregend fand, mir das Präjakulat während des Gesprächs nicht aufgefallen war, ich nicht den Ansatz einer Erektion gehabt hatte und ich mich auch sonst an keine Situation erinnern konnte, in welcher derartiges so nebenbei passiert wäre.

Wahrscheinlich lag es am Hormon Oxytocin. Im weiblichen Körper erfüllt es vor allem Aufgaben, die mit den Wehen und später mit der Muttermilchbildung zu tun haben, aber auch die Bindung zum Kind herstellen. Aber genauso hat es positiven Einfluss auf Gefühle wie Liebe, Vertrauen und Ruhe und hohe Dosen des Hormons werden beim Orgasmus freigesetzt. Oxytocin wird auch als Kuschelhormon bezeichnet und tritt ebenso bei sinnlicher Berührung wie Massagen oder Umarmungen auf. Ebenso wird es neben anderen Hormonen beim Singen ausgeschüttet.
Was immer mein Körper da tat – und vor allem warum – in einem schienen er und ich uns einig zu sein: Ich hatte Colin gern.

Ich ließ mich auf das Bett des Hotelzimmers 404 im Bethoovenhotel fallen. Als Informatiker eine durchaus denkwürdige Situation. Das war mein erstes Mal in Amsterdam und auch in den Niederlanden allgemein. Im Ausland war ich davor auch noch nicht gewesen. Also gleich zwei Premieren auf einmal. Mein Blick schweifte umher. Es gab vier Betten in diesem Zimmer, aber ich war alleine hier; und die Badtür sah aus, als sei das Zimmer noch mitten in der Renovierung oder nie zur Benutzung durch Hotelgäste bestimmt gewesen. Ich war für eine Luftfahrtmesse mit meinen Kollegen hier. Es war mittlerweile September und damit das Treffen im August über einen Monat her.

Ich schnappte mir mein Tablet und schrieb Colin, dass ich gut angekommen und im Hotel war. Kurze Zeit später antwortete er.

“Ich hatte überlegt, ob ich auf halber Strecke einfach aussteige”, erklärte ich ihm.
“Warte sechs Stunden und ich bin bei dir”, war seine Antwort.

Nur wenige Momente später kam ein “Ich steh unter deinem Fenster. Soll ich was singen und du lässt mich rein?” von ihm.
Ich bejahte und antwortete, ich würde ihm einen Tee in die Hand drücken.
“Du bist der Beste!”, schrieb er mir.

Wir texteten ein wenig hin und her, dann stellte er mir eine Frage.
“Sag mal, mit dem Typen, was ich dir erzählt hatte …”
“Der aus der Jugendgruppe mit dem du zusammen bist?”
“Genau … Stört dich das eigentlich?”
“Nee, wieso? Wir sind ja nicht zusammen. Auch wenn man jetzt was anderes erwarten könnte, aber ich will, dass du glücklich bist.”

Aber irgendwas schien ihm noch schwer im Magen zu liegen. Ich fragte ihn, wo der Schuh drückte.
“Wer weiß, ob das mit ihm klappt”, druckste er herum. “Vielleicht ist er auch gar nicht mein Typ. Wer weiß …”
“Wieso? Wer wäre denn dein Typ?”, hakte ich nach.
“Irgendwie ist keiner mein Typ. Entweder total blöd, sind nur auf Sex aus …”

“Sagtest du nicht eben, ich sei der Beste?”, neckte ich ihn. “Dann müsste ich ja am ehesten deinen Maßstäben entsprechen und die anderen könnten die wenn überhaupt nur unvollständig erfüllen.”
"Ich finde ja wirklich keinen in deinen “Maßstäben”, erklärte er mir.
Irgendwie war das so schade. Wir empfanden schon etwas füreinander, aber stark genug war es auch nicht. Ich hatte manchmal das Bedürfnis, ihm zu geben, was er brauchte, aber wie sollte das gehen, wenn er sich damit binden würde und dann nur eine lauwarme Sache davon hätte? Da war er mit Hannes besser dran. Also sagte ich: “Na ja, aber du willst mich ja auch nicht … Oder doch?”
Colins Reaktion verunsicherte mich wieder und brachte uns auf unser Definitionsproblem zurück: “Ich habe aber auch nicht gesagt, dass ich dich nicht liebe.”
Ich war nicht sicher, wie ich darauf reagieren sollte.
“Es sind Gefühle da, die in die Richtung gehen, aber die sind längst nicht so intensiv wie sie sein könnten/sollten”, fuhr er fort.
Ich scherzte: “Als Ehemann bist du immer noch meine erste Wahl.”
“Ja, die kannst du sowieso nicht annullieren. Wenn Gefühle beiderseits da sind, ist es viel einfacher als irgendwas zu suchen. Außerdem bist du wirklich quasi mein Maßstab und der Maßstab ist nun mal am besten.”
Ich wusste nicht genau, was das für ihn – für uns – bedeutete. Also erkundigte ich mich: “Sprich, am liebsten wäre es dir, wir würden uns ineinander verlieben?”
“Klingt doof, aber ja”, war seine Antwort. “Du bist clever, selbstständig, der Heterotyp, nicht nur auf Sex aus und zu vielem offen … Du bist perfekt”, sagte er dann.
“Wieso das? Ich bin weit davon entfernt!”
Wie kam er darauf? Einerseits schmeichelten mir Komplimente natürlich. Andererseits waren sie mir aber auch unangenehm, weil ich sie meinem Gegenüber nicht glauben konnte.
“Dein Gesicht, deine Augen und dein Grinsen. Der Abstand deiner Schultern …”
Ich konnte leider nicht erwidern, dass er gut oder attraktiv aussah. Vom Aussehen war er nicht mein Typ. Aber seine inneren Werte waren mehr als überzeugend. Und hässlich war er jetzt ja nun auch nicht.
“So würde ich mir meinen Traumehemann vorstellen. Fast so”, schloss er.
Zum einen freute ich mich darüber – es war süß von ihm – zum anderen konnte ich es auch nicht erwidern und das fühlte sich unfair ihm gegenüber an. Jedenfalls war es besser als ihn anzulügen.

1 „Gefällt mir“